Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 08.08.2019 - 4 K 4231/18
wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Streitig ist, ob der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) einen Anspruch hat, von der
Verpflichtung zur elektronischen Abgabe der
Einkommensteuererklärung und der
Einnahmenüberschussrechnung befreit zu werden.
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Der im Jahr 1965 geborene Kläger ist
seit 2006 als selbständiger Physiotherapeut tätig. Er
übte seine Tätigkeit ohne Mitarbeiter und ohne eigene
Praxis- oder Büroräume aus. Zudem verfügte der
Kläger zwar über einen PC und einen Telefonanschluss,
nicht aber über einen Internetzugang oder ein
Smartphone.
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Bis zum Jahr 2016 wurde der Kläger auf
der Grundlage der von ihm handschriftlich erstellten
Einkommensteuererklärungen und Gewinnermittlungen vom
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) zur
Einkommensteuer veranlagt. Auch die Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr 2017, in dem der Kläger Einkünfte
aus seiner selbständigen Tätigkeit in Höhe von
14.534 EUR erzielt hatte, reichte er in Form des handschriftlich
ausgefüllten amtlichen Vordrucks nebst Anlage EÜR beim FA
ein.
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Nachdem das FA den Kläger erfolglos
zur elektronischen Übermittlung der
Einkommensteuererklärung aufgefordert und im Fall der
Zuwiderhandlung die Verhängung eines Zwangsgeldes angedroht
hatte, setzte es mit Bescheid vom 26.09.2018 ein Zwangsgeld in
Höhe von 200 EUR gegen ihn fest. Mit Bescheid vom 26.10.2018
lehnte das FA den Antrag des Klägers, von der Verpflichtung
zur elektronischen Erklärungsabgabe befreit zu werden,
ab.
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Die gegen diese Bescheide nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage war erfolgreich. Das
Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, den Kläger von der
Verpflichtung zur elektronischen Erklärungsabgabe für das
Streitjahr freizustellen. Den Bescheid über die Festsetzung
des Zwangsgeldes hob das FG auf. Die Entscheidung des FG ist in EFG
2020, 204 veröffentlicht.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
Berlin-Brandenburg vom 08.08.2019 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet. Das FG
hat zutreffend entschieden, dass der Kläger einen Anspruch aus
§ 25 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m.
§ 150 Abs. 8 der Abgabenordnung (AO) hat, im Streitjahr von
der elektronischen Übermittlung der
Einkommensteuererklärung befreit zu werden (unten 1. und 2.).
Das FG hat auch zu Recht den angefochtenen Bescheid über die
Festsetzung des Zwangsgeldes aufgehoben (unten 3.).
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1. a) Gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1
EStG haben Steuerpflichtige der Finanzbehörde ihre
Einkommensteuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem
Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln, wenn
sie Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG
erzielen und es sich nicht um einen der Veranlagungsfälle
gemäß § 46 Abs. 2 Nrn. 2 bis 8 EStG handelt. Die
Finanzbehörde ist jedoch nach Satz 2 der Vorschrift auf Antrag
des Steuerpflichtigen berechtigt, zur Vermeidung unbilliger
Härten auf eine Übermittlung durch
Datenfernübertragung zu verzichten.
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b) § 150 Abs. 8 AO ergänzt diese
Regelung dahingehend, dass dem Antrag zu entsprechen ist, wenn die
unbillige Härte darin besteht, dass dem Steuerpflichtigen die
Erklärungsabgabe nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch
Datenfernübertragung wirtschaftlich oder persönlich nicht
zumutbar ist. Abweichend von § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG hat die
Finanzbehörde in den Fällen des § 150 Abs. 8 AO
keinen Ermessensspielraum. Ausweislich der Gesetzesmaterialien
wurde durch § 150 Abs. 8 AO „in Ergänzung der
einzelgesetzlichen Regelungen“ (vgl. BTDrucks 16/10940,
10) der nach den Einzelsteuergesetzen bestehende Ermessensspielraum
bei der Entscheidung über einen Härtefallantrag in den in
§ 150 Abs. 8 AO aufgeführten Fällen der
wirtschaftlichen oder persönlichen Unzumutbarkeit zugunsten
der Steuerpflichtigen beseitigt und ein Anspruch auf Befreiung
begründet (BTDrucks 16/10910, 1, und BTDrucks 16/10940, 10;
vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.03.2012 - XI R
33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477 = SIS 12 11 01).
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c) Danach ist der Anspruch des
Steuerpflichtigen nach § 150 Abs. 8 AO auf Befreiung von der
Verpflichtung zur elektronischen Erklärungsabgabe in den
Fällen der wirtschaftlichen oder persönlichen
Unzumutbarkeit vorrangig gegenüber dem nach den
Einzelsteuergesetzen bestehenden Anspruch des Steuerpflichtigen auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung und daher der Anspruch nach
§ 25 Abs. 4 Satz 2 EStG auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
über den Befreiungsantrag erst zu prüfen, wenn das
Vorliegen einer wirtschaftlichen oder persönlichen
Unzumutbarkeit i.S. von § 150 Abs. 8 AO zu verneinen ist (vgl.
auch Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 150 AO Rz
54).
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2. Nach diesen Vorgaben hat das FG zu Recht
angenommen, dass die elektronische Abgabe der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr nebst Anlage
EÜR für den Kläger wirtschaftlich unzumutbar i.S.
des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO ist.
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a) Wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S. des
§ 150 Abs. 8 Satz 1 AO liegt gemäß § 150 Abs.
8 Satz 2 Alternative 1 AO insbesondere vor, wenn die Schaffung der
technischen Möglichkeiten für eine
Datenfernübertragung nur mit einem nicht unerheblichen
finanziellen Aufwand möglich wäre. Mit der Vorschrift hat
der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass bei wirtschaftlicher
Zumutbarkeit der Anschaffung allein das Fehlen der für eine
elektronische Übermittlung der Steuererklärung
erforderlichen Technik keinen Anspruch i.S. des § 150 Abs. 8
Satz 1 AO auf Befreiung von der Abgabe der Steuererklärung in
elektronischer Form begründet (BFH-Urteil in BFHE 236, 283,
BStBl II 2012, 477 = SIS 12 11 01, Rz 58, zur Abgabe von
Umsatzsteuervoranmeldungen). Nicht ausdrücklich geregelt ist
indes, unter welchen Voraussetzungen die Grenze zu einem nicht
unerheblichen finanziellen Aufwand überschritten ist. Das FG
hat in der angefochtenen Entscheidung angenommen, dass diese Grenze
überschritten sei, wenn die Schaffung der technischen
Voraussetzungen in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis
mehr zu den Einkünften stehe, für die nach § 25 Abs.
4 Satz 1 EStG die Einkommensteuererklärung durch
Datenfernübertragung zu übermitteln sei. Dieser
Auffassung schließt sich der Senat an. Wie das FG zutreffend
erkannt hat, folgt aus der gesetzlichen Systematik, dass dem
finanziellen Aufwand für die Einrichtung und Aufrechterhaltung
einer Datenfernübertragungsmöglichkeit
ausschließlich die Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1
Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG gegenüberzustellen sind. Zwar ist
nach der Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG die
Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der
Einkommensteuererklärung von der Höhe der Einkünfte
i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG
grundsätzlich unabhängig. § 150 Abs. 8 AO sieht
jedoch gerade ein Korrektiv dafür vor, dass § 25 Abs. 4
Satz 1 EStG lediglich an das Bestehen von Einkünften i.S. von
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG anknüpft, ohne die
mit der Schaffung der technischen Voraussetzungen für eine
Datenfernübertragung verbundene finanzielle Belastung für
den Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.
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b) Für diese Auslegung des Merkmals der
wirtschaftlichen Zumutbarkeit i.S. des § 150 Abs. 8 AO spricht
auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit § 150 Abs. 8 AO
bewusst eine „großzügige
Ausnahmeregelung“ eingeführt und diese „so
weit gefasst“ hat, dass die „ungerechtfertigte
Versagung einer Ausnahmegenehmigung ausgeschlossen“ sein
sollte (BTDrucks 16/10940, 3). Insbesondere
„Kleinstbetriebe“ sollten sich auf die
Härtefallregelung in § 150 Abs. 8 AO berufen können
(BTDrucks 16/10940, 3 und 10). Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung
ist dahingehend Rechnung zu tragen, dass über die Anwendung
der Härtefallregelung des § 150 Abs. 8 AO lediglich unter
Berücksichtigung der Einkünfte i.S. von § 2 Abs. 1
Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG zu entscheiden ist. Mit der vom
Gesetzgeber beabsichtigten Privilegierung von Kleinstbetrieben
wäre es nicht vereinbar, wenn über die Frage der
wirtschaftlichen Zumutbarkeit auch in Abhängigkeit von den mit
dem Betrieb nicht in Zusammenhang stehenden finanziellen
Verhältnissen des Steuerpflichtigen entschieden
würde.
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c) Auch bezogen auf den Streitfall ist die
Würdigung des FG, die Kosten der für die Schaffung der
technischen Voraussetzungen für eine elektronische
Erklärungsabgabe stünden nicht mehr in einer
wirtschaftlich sinnvollen Relation zur Höhe der vom
Kläger erzielten selbständigen Einkünfte,
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf den
Charakter von § 150 Abs. 8 AO als großzügig
anzuwendende Ausnahmevorschrift sieht der Senat bei den vom
Kläger aus seiner selbständigen Tätigkeit im
Streitjahr erzielten Einkünften in Höhe von 14.534 EUR
eine einem Kleinstbetrieb vergleichbare Situation als gegeben an.
Das FG hat zu Recht angenommen, dass gegenüber dieser
Einkunftshöhe die Kosten für die Umstellung auf den
elektronischen Verkehr mit dem FA, zu denen nicht nur die
Aufwendungen für die Bereitstellung einer Internetverbindung,
sondern auch für die Anschaffung oder Umrüstung und
dauerhafte Pflege der erforderlichen Hard- und Software
gehören, erheblich ins Gewicht fallen. Hinsichtlich der
Übermittlung der Anlage EÜR folgt dies aus § 60 Abs.
4 Satz 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, der
insoweit eine entsprechende Anwendung des § 150 Abs. 8 AO
vorsieht.
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3. Das FG hat auch zu Recht den angefochtenen
Bescheid über die Festsetzung des Zwangsgeldes aufgehoben. Die
Fehlerhaftigkeit der Anordnung der elektronischen Übermittlung
der Einkommensteuererklärung nebst Anlage EÜR macht auch
die nachfolgende Festsetzung des Zwangsgeldes rechtswidrig, weil
Verwaltungsakte, die auf Vornahme einer Handlung gerichtet sind,
nur dann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden können (§
328 Abs. 1 AO), wenn sie rechtmäßig sind (BFH-Urteile
vom 11.08.1992 - VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346, und vom 15.09.1992
- VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76 = SIS 92 25 08). Das ist hier, wie
ausgeführt, nicht der Fall. Der Senat kann daher offenlassen,
ob der angefochtene Bescheid auch deshalb aufzuheben war, weil, wie
das FG meint, das FA das ihm insoweit eingeräumte Ermessen
nicht bzw. fehlerhaft ausgeübt hat.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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