Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Köln vom 23.5.2017 - 1 K 1637/14
aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Kläger zu tragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) erzielte im Streitjahr (2009) Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen.
Letztere lagen unterhalb des Sparer-Pauschbetrags gemäß
§ 20 Abs. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Die Einkommensteuererklärung des
Klägers für das Streitjahr warf seine heutige Ehefrau am
31.12.2013 gegen 20:00 Uhr beim Finanzamt X-1 in den
Nachtbriefkasten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger seinen
Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts X-2, dem
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ). Dort ging
die Erklärung erst im Jahr 2014 ein.
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Mit Verfügung vom 18.02.2014 lehnte
das FA den Antrag auf Durchführung der Veranlagung zur
Einkommensteuer ab, da die Voraussetzungen gemäß §
46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG für eine Veranlagung von Amts
wegen nicht vorlägen und der Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr.
8 EStG nicht innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden
sei.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt, das Urteil des FG Köln
vom 23.05.2017 - 1 K 1637/14 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Das FA hat die Durchführung einer
Antragsveranlagung des Klägers für das Streitjahr wegen
Festsetzungsverjährung zu Recht abgelehnt.
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a) Besteht das Einkommen ganz oder teilweise
aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen
ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird, soweit - wie im
Streitfall - die Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung
gemäß § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG nicht
vorliegen, eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 EStG
nur durchgeführt, wenn die Veranlagung beantragt wird,
insbesondere zur Anrechnung von Lohnsteuer auf die
Einkommensteuer.
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b) Der Antrag ist durch Abgabe einer
Einkommensteuererklärung zu stellen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8
Satz 2 EStG). Da die Regelung keine zeitliche Befristung mehr
enthält, kann der Antrag bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist
gestellt werden (Senatsurteile vom 20.01.2016 - VI R 14/15, BFHE
252, 396, BStBl II 2016, 380 = SIS 16 05 75, Rz 10, 16, und vom
30.03.2017 - VI R 43/15, BFHE 257, 333, BStBl II 2017, 1046 = SIS 17 08 44, Rz 15).
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c) Die Festsetzungsfrist für die
Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
der Abgabenordnung (AO) vier Jahre.
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d) Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres,
in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO).
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Der Beginn der Frist wird im Fall der
Antragsveranlagung (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG) nicht
gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf den Ablauf
des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht
wird, bzw. spätestens auf den Ablauf des dritten
Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung
folgt, hinausgeschoben (Senatsurteil vom 14.04.2011 - VI R 53/10,
BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746 = SIS 11 22 59).
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e) Allerdings wird der Ablauf der
vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 171
Abs. 3 AO gehemmt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist
außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag
auf Steuerfestsetzung gestellt wird. Die Festsetzungsfrist
läuft insoweit nicht ab, bevor über den Antrag
unanfechtbar entschieden worden ist.
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Die Abgabe einer Einkommensteuererklärung
nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist ein solcher Antrag i.S.
des § 171 Abs. 3 AO (Senatsurteile in BFHE 252, 396, BStBl II
2016, 380 = SIS 16 05 75, und in BFHE 257, 333, BStBl II 2017, 1046
= SIS 17 08 44).
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f) Ein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO -
hier die Einkommensteuererklärung 2009 - setzt die
Ablaufhemmung jedoch nur in Gang, wenn er vor dem Ablauf des
letzten Tages der Festsetzungsfrist bis 24:00 Uhr bei der
zuständigen Behörde eingeht.
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aa) Die Festsetzungsfrist endet
grundsätzlich mit Ablauf des letzten Tages der Frist, also um
24:00 Uhr.
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Nicht erforderlich ist, dass der Antrag
innerhalb der Dienstzeiten des Finanzamts am letzten Tag der Frist
gestellt wird.
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Für den Zugang des Antrags nach § 46
Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG gelten die bürgerlich-rechtlichen
Regelungen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ) über den Zugang
empfangsbedürftiger Willenserklärungen entsprechend.
Erforderlich ist danach, dass der Antrag in den Machtbereich des
zuständigen Finanzamts gelangt. Für den Zugang ist
ausreichend, dass der Antrag - hier die Steuererklärung - in
den dafür vorgesehenen Briefkasten des zuständigen
Finanzamts eingelegt wird. Der Antrag gelangt auch dann in den
Machtbereich des Finanzamts, wenn dies außerhalb der
Dienstzeiten geschieht. Zur Fristwahrung ist es daher ausreichend,
wenn der Antrag am letzten Tag der Frist bis 24:00 Uhr in den
dafür vorgesehenen Briefkasten des zuständigen Finanzamts
gelangt.
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Nicht erforderlich ist, dass das Finanzamt zu
den behördenüblichen Zeiten die Möglichkeit
erhält, noch am letzten Tag der Frist vom Inhalt des Antrags
Kenntnis zu nehmen. Ein derart einengendes Verständnis des
Laufs der Festsetzungsfrist ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Grundsätzlich enden die Fristen gemäß § 108
Abs. 1 AO i.V.m. § 188 BGB mit dem Ablauf des letzten Tages,
d.h. um 24:00 Uhr. Das Abstellen auf die Möglichkeit der
Kenntnisnahme eines fristwahrenden Antrags durch die Bediensteten
des Finanzamts würde demgegenüber auf eine
Fristverkürzung hinauslaufen, da deren Dienst
regelmäßig vor 24:00 Uhr endet. Eine solche
Fristverkürzung ist aber weder durch den Wortlaut des §
108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 BGB noch durch den Sinn und Zweck
der Fristenregelung gedeckt. Grundsätzlich darf der
Steuerpflichtige darauf vertrauen, dass er die Frist bis zum Ende
ausschöpfen kann. Im Hinblick auf den drohenden Rechtsverlust
bei Fristversäumung muss für den Steuerpflichtigen daher
eindeutig erkennbar sein, wann die Frist endet. Würde man
für den Ablauf der Festsetzungsfrist auf die Möglichkeit
der Kenntnisnahme durch einen Bediensteten des Finanzamts
abstellen, würde der Fristablauf durch die individuellen
Dienstzeiten-Regelungen des jeweiligen Finanzamts bestimmt und
damit für den Steuerpflichtigen nicht bzw. nur mit
unzumutbarem Aufwand erkennbar (ebenso zum Eingang fristwahrender
Schriftsätze bei Gericht: Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 03.10.1979 – 1 BvR 726/78,
BVerfGE 52, 203). An der insoweit anderslautenden Rechtsauffassung
im Senatsurteil in BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380 = SIS 16 05 75, Rz 16 hält der Senat nicht länger fest. Eine
Abweichung zu der in dieser Entscheidung in Bezug genommenen
Rechtsprechung (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
03.04.2002 - IX B 151/01, BFH/NV 2002, 900 = SIS 02 69 08, und
BFH-Urteil vom 20.12.2006 - X R 38/05, BFHE 216, 297, BStBl II
2007, 823 = SIS 07 10 72) liegt nicht vor, da beide Entscheidungen
zu anderen Sachverhalten ergangen sind. In der Entscheidung in
BFH/NV 2002, 900 = SIS 02 69 08 ging es um den Zugang einer
Erklärung über die Rücknahme des Einspruchs nach
§ 362 AO und in der Entscheidung in BFHE 216, 297, BStBl II
2007, 823 = SIS 07 10 72 um den Zugang des Widerrufs der
Rücknahme eines Einspruchs.
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bb) Die Festsetzungsfrist ist aber nur
gewahrt, wenn der Antrag bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist beim
zuständigen Finanzamt eingeht. Die Antragstellung bei einem
anderen Finanzamt führt dagegen nicht zu einer Ablaufhemmung
der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO.
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(1) Wie bereits dargelegt, ist die Abgabe
einer Einkommensteuererklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8
Satz 2 EStG ein Antrag auf Steuerfestsetzung i.S. des § 171
Abs. 3 AO. Zwar ist in § 171 Abs. 3 AO nicht ausdrücklich
geregelt, dass der Antrag auf Steuerfestsetzung an das
zuständige Finanzamt zu richten ist. Einer solchen Regelung
bedurfte es aber auch nicht, weil dies bereits aus den Regelungen
in §§ 17, 19 AO folgt. Danach ist für die
Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und
Vermögen und damit auch für die Bearbeitung der
Steuererklärungen ausschließlich das Wohnsitzfinanzamt
des Steuerpflichtigen örtlich zuständig. Die Regelung
über die örtliche Zuständigkeit des
Wohnsitzfinanzamts findet sich im Ersten Teil unter den
Einleitenden Vorschriften der AO und ist damit gleichsam
„vor die Klammer“ gezogen. Aus der gesetzlich
angeordneten örtlichen Zuständigkeit - hier des
Wohnsitzfinanzamts - folgt aber zugleich, dass sich der
Steuerpflichtige mit seinem Antrag auf Steuerfestsetzung ebenfalls
an das örtlich zuständige Finanzamt wenden muss (so
bereits Senatsurteile in BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380 = SIS 16 05 75, Rz 16, und in BFHE 257, 333, BStBl II 2017, 1046 = SIS 17 08 44, Rz 28; ebenso Blümich/Brandl, § 46 EStG Rz 120;
Tormöhlen in Korn, § 46 EStG Rz 35.2; Paetsch in Gosch,
AO § 171 Rz 33; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 10; a.A. Tillmann in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 46 EStG Rz 62).
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(2) Angesichts der eindeutigen Regelung der
örtlichen Zuständigkeit in § 19 AO kommt es, anders
als das FG meint, auch nicht darauf an, ob und inwieweit der
Steuerpflichtige das örtlich zuständige Wohnsitzfinanzamt
kannte oder kennen musste oder ob er in Folge des einheitlichen
Auftretens der Landesfinanzverwaltung - hier des Landes
Nordrhein-Westfalen (NRW) - davon ausgehen durfte, dass jedes
Finanzamt des Landes für die in NRW wohnenden
Steuerpflichtigen örtlich zuständig sei. Dabei ist
insbesondere zu berücksichtigen, dass es dem Steuerpflichtigen
nicht verwehrt ist, die Steuererklärung beim
unzuständigen Finanzamt einzureichen. Tut er dies, trägt
er jedoch grundsätzlich das Risiko, dass die
Steuererklärung rechtzeitig innerhalb der Festsetzungsfrist
vom örtlich unzuständigen an das örtlich
zuständige Finanzamt weitergeleitet wird.
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(3) Dieser Auslegung steht die Regelung in
§ 127 AO nicht entgegen. Danach kann die Aufhebung eines
Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht
allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von
Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die
örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine
andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden
können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der
Steuerpflichtige allein durch die Verletzung dieser Vorschriften
nicht beschwert ist, wenn sich die Entscheidung als sachlich
richtig erweist. Die Vorschrift dient damit der
Prozessökonomie und soll verhindern, dass ein Verwaltungsakt
allein wegen formaler Mängel aufgehoben wird, wenn ein
Verwaltungsakt selben Inhalts erneut erlassen werden müsste
(vgl. BFH-Urteile vom 02.07.1980 - I R 74/77, BFHE 131, 180, BStBl
II 1980, 684 = SIS 80 03 54, und vom 13.12.2001 - III R 13/00, BFHE
197, 12, BStBl II 2002, 406 = SIS 02 04 64). Dagegen dient die
Festsetzungsverjährung dem Rechtsfrieden und der
Rechtssicherheit, denen gegenüber dem Grundsatz der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung und damit der materiell
zutreffenden Besteuerung der Vorrang eingeräumt werden
soll.
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(4) Soweit der Senat zu der früheren
Regelung in § 42c Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. entschieden hat,
dass die Frist zur Abgabe des Antrags auf
Lohnsteuer-Jahresausgleich auch durch die Abgabe des Antrags bei
einem für die Durchführung des Jahresausgleichs
örtlich unzuständigen Finanzamt gewahrt wird (s.
Senatsurteil vom 10.07.1987 - VI R 160/86, BFHE 150, 543, BStBl II
1987, 827 = SIS 87 21 38), überträgt er diese
Rechtsprechung mangels Vergleichbarkeit nicht auf die hier in
Streit stehende Regelung in § 171 Abs. 3 AO.
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g) Ausgehend von diesen Grundsätzen stand
der Durchführung einer Veranlagung des Klägers für
das Streitjahr die Festsetzungsverjährung entgegen. Diese
endete vorliegend am 31.12.2013, was zwischen den Beteiligten zu
Recht nicht streitig ist. Zwar hat der Kläger die
Steuererklärung für das Streitjahr noch vor dem Ablauf
der Festsetzungsfrist beim örtlich unzuständigen
Finanzamt eingereicht, beim örtlich zuständigen
Finanzamt, dem FA, ging die Steuererklärung aber erst im Jahr
2014, mithin nach dem Eintritt der Festsetzungsverjährung,
ein.
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2. Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
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