1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Thüringer Finanzgerichts vom 22.11.2017 - 4 K 791/16 wird
als unbegründet zurückgewiesen.
2. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des
Thüringer Finanzgerichts vom 22.11.2017 - 4 K 791/16
aufgehoben.
Die Sache wird an das Thüringer Finanzgericht zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
übertragen.
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I. Streitig ist die Höhe eines
Verlusts aus der Veräußerung von Anteilen an einer
landwirtschaftlichen Genossenschaft.
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2
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Der Kläger, Revisionskläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr (2014) mit
seiner Ehefrau, der Klägerin, Revisionsklägerin und
Revisionsbeklagten, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der
Kläger war schon in der Zeit des Bestehens der Deutschen
Demokratischen Republik (DDR) an einer landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaft (LPG Z.) beteiligt. Nach der Deutschen
Vereinigung beschlossen die Mitglieder der LPG Z. im Juli 1991 die
Umwandlung in eine Wirtschafts- und Erwerbsgenossenschaft
(Agrargenossenschaft - A e.G. - ). Nach Ziff. 4 des
Umwandlungsbeschlusses vom 05.07.1991 bzw. 15.07.1991 sowie nach
§ 42 Abs. 1 der Satzung der A e.G. konnte Genosse nur werden,
wer mindestens einen Geschäftsanteil (sog.
„Pflichtanteil“) im Wert von 5.000 DM zeichnete.
Darüber hinaus konnten weitere („freiwillige“)
Genossenschaftsanteile gezeichnet werden; die Zahl der von einem
Mitglied gehaltenen, von der A e.G. durch ausgegebene Zertifikate
nachgewiesenen Genossenschaftsanteile durfte nach § 42 Abs. 4
der Satzung insgesamt jedoch die Zahl von 20 Anteilen
(einschließlich des Pflichtanteils) nicht
überschreiten.
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3
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Die Ermittlung des genossenschaftlichen
Vermögens der A e.G. im Umwandlungszeitpunkt wurde nach Nr. 5
des Umwandlungsbeschlusses auf der Basis der
DM-Eröffnungsbilanz zum 01.07.1990 durchgeführt. Für
Zwecke der Personifizierung wurde das Eigenkapital der A e.G. nach
Abzug der Rückstellungen und Verbindlichkeiten sowie der
Sonderrücklage gemäß § 17 Abs. 4 des Gesetzes
über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die
Kapitalneufestsetzung (DMBilG) mit 9.153.822,01 DM
angegeben.
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Auch die Modalitäten der Ermittlung
des Wertes der Beteiligung ehemaliger LPG-Mitglieder im
Personifizierungsverfahren sind in Nr. 5 des Umwandlungsbeschlusses
geregelt. Zu berücksichtigen waren insoweit
Inventarbeiträge, die Überlassung der Bodennutzung und
geleistete Arbeitsjahre. 10 % der auf die Wertschöpfung
entfallenden personifizierten Ansprüche sollten als
Genossenschaftsanteile ausgereicht werden, die übrigen 90 %
als Rücklage zur Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen
Produktionsprozesses in der A e.G. verbleiben. Nach Nr. 8 des
Umwandlungsbeschlusses ergibt sich die Beteiligung der Mitglieder
an dem neuen Unternehmen aus dem gültigen
Genossenschaftsgesetz. die Mitglieder sind entsprechend ihres
Geschäftsguthabens und der weiteren gültigen Bestimmungen
an der Genossenschaft beteiligt.
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5
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Nach einer unter dem 06.08.1991 erstellten
Berechnung seines Personifizierungsanspruchs standen dem
Kläger für in die LPG eingebrachtes Inventar ein Betrag
von 18.990 DM und für die Personifizierung des Eigenkapitals
der LPG insgesamt ein Betrag in Höhe von 97.807,96 DM
(Verzinsung Inventarbeitrag in Höhe von 14.151,35 DM,
Überlassung von Boden 1960 bis 1990 in Höhe von 78.480,23
DM und 69 Arbeitsjahre in Höhe von 5.176,38 DM) zu. Der Wert
seiner Beteiligung an der LPG wurde mithin in Höhe von
116.797,96 DM für den Zeitpunkt der Umwandlung ermittelt.
Ausweislich eines unter dem 04.12.1992 von der A e.G. ausgestellten
Zertifikats hatte der Kläger bei Umwandlung der LPG Z. in die
A e.G. für 15 Geschäftsanteile 75.000 DM als
Geschäftsguthaben eingezahlt.
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6
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In der mit der Satzung der A e.G. beim
zuständigen Registergericht eingereichten Liste der
„Gründungsmitglieder“ sind ... Genossen mit ihren
jeweiligen Anteilen eingetragen. Der Kläger selbst ist in
dieser Liste mit einem „Pflichtanteil“ sowie 14
weiteren „freiwilligen“ Geschäftsanteilen
verzeichnet. Der Vorstand der A e.G., dem der Kläger
angehörte, versicherte hierzu, dass die zur LPG-Umwandlung von
den ... „Gründungsmitgliedern“ gezeichneten
Geschäftsanteile aus ihren Vermögensansprüchen nach
§ 44 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes aufgebracht worden
seien. Diejenigen Genossenschaftsmitglieder, deren gesetzlicher
Vermögensanspruch nicht ausgereicht habe, den Pflichtanteil
von 5.000 DM zu zeichnen, hätten ihre Einzahlungsverpflichtung
durch Barzahlung erbracht.
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Im Jahr 2013 hatte der Kläger von
seinem Recht, gemäß § 37 Abs. 3 der am 20.07.2012
beschlossenen geänderten Satzung der A e.G. unter dort
festgelegten Voraussetzungen weitere Genossenschaftsanteile zu
zeichnen, Gebrauch gemacht und zu seinen vorhandenen 15
Genossenschaftsanteilen fünf „neue“ Anteile zu je
2.600 EUR hinzuerworben.
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8
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Im Juni des Streitjahres kündigte der
Kläger drei seiner 20 Genossenschaftsanteile an der A e.G. mit
Wirkung vom 31.12.2014 gegen Auszahlung des Nominalwertes von 2.600
EUR je Anteil. Mit Schriftsatz vom 23.06.2014 erklärte die A
e.G., dass auf Beschluss des Vorstandes vom 20.06.2014 der
Kündigung des Klägers von drei Geschäftsanteilen
(„Altanteile aus LPG-Umwandlung“) zugestimmt werde.
Für die Geschäftsanteile sollten nach Feststellung des
Jahresabschlusses für das Jahr 2014 durch die
Generalversammlung 7.800 EUR ausgezahlt werden.
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Hieraus machte der Kläger im Rahmen
seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr einen
Verlust i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung
(EStG) in Höhe von insgesamt ./. 170.228 EUR geltend, der mit
Hilfe des X.-Beratungsverbandes unter Zugrundelegung der
Jahresabschlüsse 1991 bis 1994 (Letztjahr der Korrekturen nach
§ 36 DMBilG) ermittelt wurde. Ferner teilte der Kläger
mit, dass er sein Wahlrecht entsprechend H 17 (5) des Amtlichen
Einkommensteuerhandbuchs 2014 (EStH 2014), Stichwort
„Wahlrecht bei teilweiser Veräußerung von
GmbH-Anteilen“, dahin ausgeübt habe, drei seiner 15
Altanteile aus der LPG-Umwandlung zu kündigen.
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10
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Der Beklagte, Revisionskläger und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) erkannte den geltend
gemachten Verlust nicht an. Das FA ging davon aus, dass es sich bei
den gekündigten Genossenschaftsanteilen um hinzuerworbene
(sog. „neue“) Geschäftsanteile gehandelt habe. Die
Anschaffungskosten für diese Anteile betrügen nicht, wie
vom Kläger mit Hilfe des X.-Beratungsverbandes ermittelt,
97.171,02 EUR pro Anteil, sondern lediglich 2.600 EUR pro Anteil.
Höhere Anschaffungskosten seien jedenfalls nicht nachgewiesen
worden. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger hatte
keinen Erfolg.
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11
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
seinem in EFG 2018, 2028 veröffentlichtem Urteil teilweise
statt. Dem Kläger sei im Zuge der Kündigung und
Rückgabe von drei Genossenschaftsanteilen im Streitjahr ein
Verlust i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 EStG entstanden.
Entgegen der Auffassung des FA habe der Kläger nicht drei im
Jahre 2013 für 2.600 EUR je Anteil erworbene
„neue“ Genossenschaftsanteile, sondern drei der im
Zeitpunkt der Umwandlung der LPG in eine Genossenschaft im Jahre
1991 erworbenen „freiwilligen“ Genossenschaftsanteile
gekündigt und auf die A e.G. zurückübertragen; das
dem Kläger nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung
(Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.10.1978 - VIII R
126/75, BFHE 126, 206, BStBl II 1979, 77 = SIS 79 00 41) insoweit
zustehende Wahlrecht habe dieser in einem für die
Bestimmbarkeit durch FA und FG ausreichenden Umfange wahrgenommen.
Die Anschaffungskosten für diese drei „Altanteile“
seien entgegen der Auffassung des FA auch nicht mit dem
(Nominal-)Wert von vormals 5.000 DM (jetzt 2.600 EUR) - welchen die
„Gründungsmitglieder“ der A e.G. für den
Erwerb eines Genossenschaftsanteils unabhängig von dessen
tatsächlichem Wert aufwenden mussten - zu bewerten. Zwar sei
dem Kläger in einem Zertifikat der A e.G. vom 04.12.1992
bescheinigt worden, dass er insgesamt 75.000 DM als
Geschäftsguthaben für den Erwerb von 15
Geschäftsanteilen „eingezahlt“ habe, die mit
seinem Personifizierungsanspruch verrechnet worden seien; bei der
Ermittlung des Verlusts i.S. des § 17 EStG aus der
Veräußerung einer Beteiligung an einer Genossenschaft
seien die Anschaffungskosten indes nicht nach § 255 Abs. 1
Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) mit den Aufwendungen, die
geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand (hier: die
Genossenschaftsanteile) zu erwerben und in den betriebsbereiten
Zustand zu versetzen, sondern nach der Equity-Methode des § 11
Abs. 1 Satz 1 DMBilG zu bewerten, wenn - wie im Streitfall - der
Erwerb der Beteiligung einen Vorgang darstelle, der im Zusammenhang
mit der Umwandlung einer LPG in eine Genossenschaft unter die
Regelungen des DMBilG fallen sollte. Die Equity-Methode zur
Ermittlung der Anschaffungskosten hätte Gültigkeit sowohl
für den sog. ersten „Pflichtanteil“ als auch
für die weiteren 14 Anteile, die der Kläger darüber
hinaus im Zuge der Umwandlung der LPG Z. in die A e.G. erworben
habe. Da eine geprüfte DM-Eröffnungsbilanz zum 01.07.1990
nicht mehr habe vorgelegt werden können und das Kapital der
Umwandlungsbilanz rund 25 Jahre nach der Umwandlung mithin nicht
mehr ordnungsgemäß ermittelt werden könne, seien
die Anschaffungskosten für die maßgeblichen
Genossenschaftsanteile gemäß § 162 der
Abgabenordnung (AO) im Wege der Schätzung zu bestimmen. Die
geschätzten Anschaffungskosten setzte das FG griffweise mit
rund 63 % der vom Kläger geltend gemachten Anschaffungskosten
an; im Übrigen wies das FG die Klage ab.
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Gegen das Urteil des FG haben sowohl die
Kläger als auch das FA Revision eingelegt.
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Die Kläger rügen, das FG habe -
bei grundsätzlich zutreffender Anerkennung der Ermittlung von
Anschaffungskosten im Streitfall nach der Equity-Methode des DMBilG
- zu Unrecht - und für die Kläger überraschend -
eine Schätzung des Eigenkapitals der A e.G. vorgenommen. Dabei
sei das FG von einem zu niedrigen Eigenkapital der A e.G.
ausgegangen, wie nachträglich aufgefundene
Betriebsprüfungsberichte betreffend die
Veranlagungszeiträume 1991 bis 1997 belegten.
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Die Kläger beantragen
sinngemäß,
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1. das maßgebliche (bilanzielle)
Eigenkapital der nach Rückbezug gemäß § 1 Abs.
5 DMBilG zum 01.07.1990 entstandenen A e.G. auf 19.890.794 DM
(10.170.001 EUR) und die Anschaffungskosten des Klägers mit
557.686 DM (285.140 EUR) festzustellen und, dem folgend,
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2. den Bescheid für 2014 über
Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 12.05.2016 i.d.F.
des Änderungsbescheides vom 29.08.2017, beide in der Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 17.11.2016, mit der Maßgabe zu
ändern, dass ein Verlust aus Gewerbebetrieb gemäß
§ 17 EStG aus der Veräußerung von drei
Genossenschaftsanteilen an der A e.G. in Höhe von insgesamt
166.404 EUR berücksichtigt wird sowie
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3. den sich dadurch ergebenden negativen
Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 64.793 EUR auf den
Veranlagungszeitraum 2013 zurückzutragen.
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15
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Das FA beantragt sinngemäß, die
Revision der Kläger zurückzuweisen und die Klage unter
Aufhebung des angefochtenen Urteils des FG abzuweisen.
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16
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Es vertritt die Auffassung, das FG habe zu
Unrecht im Streitfall die Anschaffungskosten des Klägers
für die gekündigten Genossenschaftsanteile nach der
Equity-Methode des DMBilG ermittelt. Da die Geltung der Regelungen
des § 17 EStG für Genossenschaftsanteile erst durch die
mit dem Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur
Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur
Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom
07.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) eingefügte Vorschrift des
§ 17 Abs. 7 EStG angeordnet worden sei, könnten für
die Ermittlung der Anschaffungskosten des Klägers nicht die
Regeln des DMBilG, sondern nur die allgemeinen Regeln des §
255 Abs. 1 Satz 1 HGB gelten. Jedenfalls gelte das DMBilG nur
für die Ermittlung der Anschaffungskosten des
„Pflichtanteils“, nicht aber für die Ermittlung
der Anschaffungskosten der weiteren vom Kläger im Zuge der
Umwandlung der LPG Z. in die A e.G. gezeichneten 14
Genossenschaftsanteile. Überdies sei die Ermittlung der
Anschaffungskosten auf der Basis des Eigenkapitals der A e.G.
systematisch fehlerhaft. Die Revision der Kläger sei
jedenfalls schon deshalb zurückzuweisen, weil die
Schätzung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei.
Überdies sei die Berechnung des FG zum rücktragbaren
Verlust rechnerisch unzutreffend.
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17
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II. Die Revision der Kläger ist, soweit
sie zulässig ist, im Ergebnis auch begründet; dies
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Revision des FA hat keinen
Erfolg.
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18
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1. Der gesondert formulierte
Feststellungsantrag der Kläger, das Eigenkapital der A e.G.
und die Anschaffungskosten des Klägers auf jeweils einen
bestimmten Betrag „festzustellen“, ist
unzulässig; es liegt eine im Revisionsverfahren
unzulässige Klageänderung vor (§ 123 Abs. 1 Satz 1
Alternative 1 i.V.m. § 67 FGO).
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19
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2. Das FG hat zur Ermittlung der
Anschaffungskosten des Klägers für die
Genossenschaftsanteile an der A e.G. eine Schätzung des
Eigenkapitals der A e.G. vorgenommen; dies hält einer
revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
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20
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a) Im Rahmen der Ermittlung eines aus der
Kündigung von Genossenschaftsanteilen resultierenden Gewinns
oder Verlusts des Klägers i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. Abs. 7 EStG führt die - durch Verrechnung mit seinem
Personifizierungsanspruch erfolgte -
„Einzahlung“ des Klägers auf die von ihm
gezeichneten Geschäftsanteile zu Anschaffungskosten i.S. von
§ 17 Abs. 2 EStG. Für die in diesem Zusammenhang
vorgenommene Schätzung des Eigenkapitals der A e.G. fehlte es
dem FG indes an einer Rechtsgrundlage; das angefochtene Urteil ist
schon aus diesem Grund aufzuheben.
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21
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Die Tatbestandsmäßigkeit der
Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes, § 3 Abs. 1 AO)
erfordert grundsätzlich die reale Feststellung des Vorliegens
der gesetzlichen Merkmale der jeweiligen Steuernorm. Dem tragen der
Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) sowie § 96 Abs.
1 Satz 1 1. Halbsatz FGO Rechnung; das FG hat aus dem
Gesamtergebnis des Verfahrens die volle richterliche
Überzeugung vom Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der
tatsächlichen Voraussetzungen des jeweiligen
Besteuerungstatbestandes zu gewinnen (vgl. BFH-Urteil vom
08.02.2011 - IX R 44/10, BFHE 233, 104, BStBl II 2011, 718 = SIS 11 18 73, m.w.N.).
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22
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Ein Nachweis von Anschaffungskosten i.S. von
§ 17 Abs. 2 EStG kann in Ermangelung entsprechender
(bilanzieller) Nachweise dem Grunde nach auch durch eine
Gesamtwürdigung von hierzu vorhandenen weiteren Indizien
erfolgen; dies mag im Einzelfall auch eine Schätzung von
Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) umfassen. Allein der
Umstand, dass ein unmittelbares Beweismittel nicht zur
Verfügung steht, entbindet das FG indes insbesondere nicht vom
Untersuchungsgrundsatz. Lediglich in Fällen, in denen die
Prozessbeteiligten schuldhaft die ihnen obliegenden Mitwirkungs-,
Informations- und Nachweispflichten verletzen, kann dies im
Ergebnis zu einer Beweismaßreduzierung führen (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 233, 104, BStBl II 2011, 718 = SIS 11 18 73,
m.w.N.).
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23
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b) Im Streitfall kann die Entscheidung des FG
schon deshalb keinen Bestand haben, weil sich die
maßgeblichen bilanziellen (Eigenkapital-)Werte, die das FG
griffweise geschätzt hat, unmittelbar oder mittelbar aus
Betriebsprüfungsberichten des FA ergeben, auf die der
Kläger im Revisionsverfahren zu Recht hingewiesen hat. Es
braucht nicht entschieden zu werden, ob einer der Beteiligten des
Rechtsstreits die Vorlage dieser Unterlagen schuldhaft unterlassen
hat; denn der Kläger musste angesichts des Verfahrensablaufs
schon nicht damit rechnen, dass das FG den Indizien, mit denen
klägerseits die maßgeblichen Werte belegt werden
sollten, keine hinreichende Ergiebigkeit beimessen würde, ohne
auf die offensichtlich vorhandenen weiteren Unterlagen
zurückzugreifen. Vor diesem Hintergrund muss im Streitfall
auch nicht darauf eingegangen werden, ob, wovon die Kläger
ausgehen, das FG auch von unzutreffenden Schätzungsgrundlagen
ausgegangen ist.
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Der Senat kann indes die sich aus den
genannten Unterlagen ergebenden Tatsachen mangels entsprechender
Feststellungen des FG im Revisionsverfahren nicht selbst
würdigen; dies erfordert weitere Ermittlungsschritte, die das
FG im zweiten Rechtszug nachholen wird.
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3. Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu
den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der
Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, wenn
der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital
der Gesellschaft qualifiziert - d.h. unmittelbar oder mittelbar zu
mindestens 1 % - beteiligt war und er die Beteiligung in seinem
Privatvermögen gehalten hat.
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26
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a) Als Anteile i.S. des § 17 Abs. 1 Satz
1 EStG gelten nach Abs. 7 der Vorschrift auch Anteile an einer
Genossenschaft einschließlich der Europäischen
Genossenschaft (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 des
Körperschaftsteuergesetzes - KStG - ). Eine Übertragung
des Anteils an einer Genossenschaft erfolgt grundsätzlich
durch Übertragung des Geschäftsguthabens (§ 76 des
Genossenschaftsgesetzes - GenG - ). Daneben kann der Genosse seine
Mitgliedschaft zum Schluss eines Geschäftsjahres kündigen
(§ 65 GenG) und dadurch aus der Genossenschaft ausscheiden; in
diesem Fall gibt das Mitglied seine Geschäftsanteile an die
Genossenschaft zurück. Nach Beendigung der Mitgliedschaft
erfolgt eine Auseinandersetzung der Genossenschaft mit dem
ausgeschiedenen Mitglied (§ 73 GenG).
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27
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aa) Der Austritt (oder Ausschluss) eines
Gesellschafters aus einer Kapitalgesellschaft wird in der
höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum als
Veräußerungsgeschäft i.S. des § 17 Abs. 1 EStG
(bzw. § 17 Abs. 4 EStG analog) gewertet; denn die
steuerrechtlichen Folgen für den austretenden oder
ausgeschlossenen Gesellschafter entsprechen denen einer
(entgeltlichen) Einziehung von Aktien (§ 237 Abs. 2, §
222 des Aktiengesetzes) oder GmbH-Anteilen (§ 34 des Gesetzes
betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG
- ) bzw. einem Erwerb des Anteils durch die Gesellschaft (zum
Erwerb eigener Anteile durch die GmbH vgl. BFH-Urteil vom
06.12.2017 - IX R 7/17, BFHE 260, 163, BStBl II 2019, 213 = SIS 18 01 97; zu Ausschließung und Austritt eines
GmbH-Gesellschafters s. Schneider in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz B 55; Schmidt in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 17 EStG Rz 85; Gosch/Oertel
in: Kirchhof, EStG, 18. Aufl., § 17 Rz 56). Die Rechtsfolgen
derartiger gesellschaftsrechtlicher Vorgänge entsprechen denen
einer Kapitalherabsetzung gegen Ausgleichszahlung, welche zu Lasten
des Bilanzgewinns geht oder aus freien Rücklagen bestritten
wird; eine solche gilt nach der Fiktion des § 17 Abs. 4 EStG
als Veräußerung.
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28
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bb) Für eine Genossenschaft, die, ebenso
wie eine GmbH, zu den Körperschaften zählt (s. § 1
Abs. 1 Nr. 2 KStG), kann insoweit nichts anderes gelten. Auch die
Auseinandersetzung der Genossenschaft mit einem ausgeschiedenen
Mitglied erfolgt unter Zugrundelegung der Bilanz (§ 73 Abs. 2
Satz 1 GenG), auch wenn das Mitglied auf die Rücklagen und das
sonstige Vermögen der Genossenschaft grundsätzlich - d.h.
vorbehaltlich einer anderweitigen Satzungsregelung - keinen
Anspruch hat (§ 73 Abs. 3 Satz 1 GenG). Vor diesem Hintergrund
wertet der Senat sowohl die Übertragung des
Geschäftsguthabens nach § 76 GenG als auch die
Kündigung nach § 65 GenG - unter besonderer
Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 17 Abs. 4 Satz
1 EStG - als Veräußerungstatbestände i.S. des
§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 EStG.
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29
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b) Besitzt ein Steuerpflichtiger mehrere
Anteile an einer unter die Bestimmungen des § 17 Abs. 1, Abs.
7 EStG fallenden Genossenschaft, die er zu verschiedenen Zeiten
und/oder zu unterschiedlichen Anschaffungskosten erworben hat, kann
er im „Veräußerungsfall“ - d.h. im
Falle der Übertragung des Geschäftsguthabens oder der
Kündigung der Mitgliedschaft - bestimmen, welche Anteile er
„veräußert“. Für die Ermittlung
eines Veräußerungsgewinns (oder -verlustes) i.S. von
§ 17 EStG sind dann die Anschaffungskosten des jeweils
veräußerten Anteils maßgebend (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 126, 206, BStBl II 1979, 77 = SIS 79 00 41 sowie H 17 (5) EStH
2014, Stichwort „Wahlrecht bei teilweiser
Veräußerung von GmbH-Anteilen“). Kann die
Veräußerung formfrei erfolgen, bedarf die Bestimmung,
welcher Anteil veräußert wurde, ebenfalls keiner
Form.
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30
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Die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller
äußerer Umstände zu treffende Feststellung, welche
Anteile im Einzelfall tatsächlich veräußert worden
sind, obliegt dem FG als Tatsacheninstanz. Die tatsächlichen
Feststellungen des FG sind vom Revisionsgericht nur daraufhin zu
prüfen, ob das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung von
zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen
Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen
hat.
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31
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c) Veräußerungsgewinn i.S. von
§ 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der
Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach
Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten
übersteigt. Der Veräußerungsgewinn ist
grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er
entstanden ist. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der
Veräußerung, d.h. der Zeitpunkt, zu dem das rechtliche
oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an den
veräußerten Anteilen auf den Erwerber übergegangen
ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom
13.03.2018 - IX R 35/16, BFH/NV 2018, 936 = SIS 18 10 57,
m.w.N.).
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32
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d) Der in § 17 Abs. 2 EStG verwendete
Begriff der „Anschaffungskosten“ wird von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung i.S. des § 6 EStG und
des § 255 Abs. 1 HGB ausgelegt (BFH-Urteile vom 13.04.2010 -
IX R 22/09, BFHE 229, 189, BStBl II 2010, 790 = SIS 10 19 28; vom
27.03.2007 - VIII R 62/05, BFHE 217, 491, BStBl II 2010, 159 = SIS 07 19 25; jeweils m.w.N.; s.a. HHR/ Schmidt, § 17 EStG Rz 190;
Blümich/Vogt, § 17 EStG Rz 555). Danach sind
Anschaffungskosten u.a. Aufwendungen, die -
„tatsächlich“, vgl. BFH-Urteil in BFHE 126,
206, BStBl II 1979, 77 = SIS 79 00 41 - geleistet werden, um einen
Vermögensgegenstand zu erwerben.
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33
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Abweichend von diesem grundsätzlich im
Bereich des § 17 EStG geltenden Begriffsverständnis sind
die Anschaffungskosten von Anteilen an Genossenschaften, die durch
Umwandlung ehemaliger (landwirtschaftlicher)
Produktionsgenossenschaften i.S. des Rechts der DDR entstanden sind
und die eine Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark entsprechend
den Verpflichtungen des DMBilG aufgestellt haben (vgl. § 1
DMBilG), nach Maßgabe der Regelungen dieses Gesetzes zu
bestimmen, wenn das Genossenschaftsmitglied den maßgeblichen
Anteil im Zuge der Gründung der Genossenschaft erworben hat.
Da für die genannten, schon vor dem 01.07.1990 auf dem Gebiet
der DDR bestehenden Betriebe „tatsächliche“
Anschaffungskosten nicht ermittelt werden können und diese
auch nicht in Deutscher Mark erbracht wurden, hat der Gesetzgeber
mit den maßgeblichen Regelungen in §§ 52 Abs. 2
Satz 1, 11 DMBilG eine Ermittlungstechnik geschaffen, mit der der
Wert der Beteiligung an diesen Betrieben zum 01.07.1990 durch in
der DM-Eröffnungsbilanz ausgewiesene Eigenkapitalbeträge
- ggf. unter Berücksichtigung berichtigter Wertansätze
aufgrund des § 36 DMBilG - anteilig wiedergespiegelt werden
kann (sog. Equity-Methode); diese Beteiligungswerte gelten fiktiv
als Anschaffungskosten der Genossenschaftsanteile (vgl. § 7
Abs. 1 Satz 4 DMBilG). Die genannten gesetzlichen Regelungen gehen
in ihrem Anwendungsbereich den Bestimmungen des § 255 Abs. 1
HGB vor. Mithin sind in solchen Fällen die Aufwendungen, die
nach Maßgabe der Vorschriften des DMBilG als
Anschaffungskosten der maßgeblichen
Kapitalgesellschaftsanteile „gelten“, auch als
solche bei der Ermittlung des Gewinns oder Verlusts i.S. des §
17 EStG zu berücksichtigen (ebenso: Erlass der
Senatsverwaltung für Finanzen Berlin vom 14.04.1994 - III B 12
- S 2244 - 1/94, FR 1994, 518 = SIS 94 20 30, unter „1.
Allgemeines“; Verfügung der Oberfinanzdirektion -
OFD - Cottbus vom 09.02.1995 - S 2244 - 6 - St 111 B, unter
„Allgemeines“, GmbHR 1995, 398; Verfügung
der OFD Magdeburg vom 26.09.2013 - S
2244 - 78 - St 214, unter Tz 4, ESt-Kartei ST § 17 EStG Karte
21, juris; Blümich/Vogt, §
17 EStG Rz 565; Horn, Betrieb und Wirtschaft 2002, 412, 413).
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4. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu
Recht entschieden, dass die Anschaffungskosten der vom Kläger
gekündigten Genossenschaftsanteile nach der Equity-Methode
(§ 52 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 11 DMBilG) zu ermitteln
sind.
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a) Das FG hat aufgrund der im
finanzgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur
schriftlichen Kündigungserklärung des Klägers vom
10.06.2014 und zur Erklärung der A e.G. über die Annahme
seiner Kündigung geschlossen, dass der Kläger im
Streitjahr drei im Zuge der Umwandlung der LPG Z. in die A e.G.
gezeichnete weitere „freiwillige“ Anteile an die
A e.G. zurückgegeben habe. Diese Würdigung des FG
entspricht - auch hinsichtlich der Bezugnahme auf die
einschlägigen Bestimmungen des GenG und ihre Parallelwertung
zu den maßgeblichen Vorschriften des GmbHG sowie der zu
diesen Vorschriften ergangenen höchstrichterlichen
Rechtsprechung (s. BFH-Urteil in BFHE 126, 206, BStBl II 1979, 77 =
SIS 79 00 41) - den Grundsätzen der §§ 133, 157 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs und verstößt nicht gegen
Denkgesetze und Erfahrungssätze; sie ist jedenfalls
möglich und mithin revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.
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b) Der Kläger war - dies ist zwischen den
Beteiligten nicht streitig - im maßgeblichen Zeitraum (s.
§ 17 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz EStG) wesentlich i.S. des
§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 EStG an der A e.G. beteiligt.
Mit der Kündigung (§ 65 GenG) von drei im Zuge der
Umwandlung der LPG Z. in die A e.G. gezeichneten
Genossenschaftsanteilen hat der Kläger den
Veräußerungstatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. Abs. 7 EStG erfüllt; die hieraus erzielten
Einkünfte sind - auch dies ist unstreitig - im Streitjahr
einkommensteuerrechtlich zu erfassen.
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c) Die A e.G. ist durch Umwandlung der
ehemaligen LPG Z. entstanden und hat entsprechend den
Verpflichtungen des DMBilG innerhalb der maßgeblichen Fristen
eine DM-Eröffnungsbilanz aufgestellt. Soweit der Kläger
im Zuge der Umwandlung einen „Pflichtanteil“
sowie weitere „freiwillige“
Genossenschaftsanteile unter Anrechnung auf seinen
Personifizierungsanspruch gezeichnet hat, sind die
Anschaffungskosten dieser Anteile i.S. des § 17 Abs. 2 EStG
nach Maßgabe der Bestimmungen des DMBilG zu ermitteln. Eine
Ermittlung nach Maßgabe handelsrechtlicher Vorschriften kommt
nach den oben dargestellten Grundsätzen - auch nach
einhelliger Auffassung der Finanzverwaltung - insoweit nicht in
Betracht. Danach gelten gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1
i.V.m. § 11 DMBilG die in der DM-Eröffnungsbilanz
ausgewiesenen anteiligen Eigenkapitalbeträge zum 01.07.1990
als Anschaffungskosten der Anteile.
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d) Vor diesem Hintergrund ist das FG
zutreffend von einer Ermittlung der Anschaffungskosten des
Klägers nach Maßgabe der Bestimmungen des DMBilG
ausgegangen; gleichwohl ist die Vorentscheidung aufzuheben und der
Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen. Die Sache ist nicht
spruchreif; das FG wird im zweiten Rechtszug die Anschaffungskosten
des Klägers unter Rückgriff auf die durch die
Außenprüfung der Finanzverwaltung geprüfte
DM-Eröffnungsbilanz und unter Berücksichtigung
eventueller, auf gesetzlichen Vorschriften beruhenden
Berichtigungen (§ 36 DMBilG) ermitteln und dabei auch die
Höhe eines eventuell zugunsten des Klägers vorzunehmenden
Verlustrücktrags neu bestimmen.
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5. Die Revision des FA konnte aufgrund der
vorstehenden Ausführungen keinen Erfolg haben; sie war demnach
als unbegründet zurückzuweisen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
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