Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 12.07.2018 - 6 K 3668/16 Kfz
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
übertragen.
1
|
I. Streitig ist, ob das Halten der
Fahrzeuge der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin)
nach § 3 Nr. 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG)
steuerbefreit ist.
|
|
|
2
|
Das Unternehmen der Klägerin hat
Personenbeförderungen zum Gegenstand. Die Klägerin ist
Halterin der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen 1, 2, 3, 4, 5,
6, 7, 8 und 9. Es handelt sich um als Mehrzweckfahrzeuge,
Sonderfahrzeuge und PKW zugelassene Fahrzeuge, die über drei
bis neun mögliche Sitzplätze einschließlich
Fahrersitz verfügen und technisch dahingehend ausgerüstet
sind, dass entweder mindestens eine Person im Rollstuhl oder eine
Person liegend transportiert werden kann. Die Klägerin
verwendete die Fahrzeuge ausschließlich zur Beförderung
von gehbehinderten Personen. Sie wurden dabei stets in einer Trage,
einem Rollstuhl oder in einem Tragestuhl befördert, sie waren
nicht in der Lage, selbstständig oder mit einfacher
Unterstützung ihre Wohnung zu verlassen, benötigen aber
keine intensivmedizinische Betreuung während der
Beförderungen. Auf den in weiß gehaltenen Fahrzeugen
stand im Frontbereich in großen Buchstaben
„Krankenfahrdienst ...“.
|
|
|
3
|
Ursprünglich waren acht der neun
Fahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Durch
Änderungsbescheide hob der Beklagte und Revisionskläger
(Hauptzollamt - HZA - ) die Steuerbefreiungen auf und setzte
Kraftfahrzeugsteuer fest. Für das Fahrzeug mit dem amtlichen
Kennzeichen 9 setzte das HZA erstmals Kraftfahrzeugsteuer
fest.
|
|
|
4
|
Die hiergegen eingelegten Einsprüche
blieben erfolglos. Das HZA war der Meinung, eine Steuerbefreiung
nach § 3 Nr. 5 KraftStG setze voraus, dass das Fahrzeug
ausschließlich zu dringenden Soforteinsätzen verwendet
werde.
|
|
|
5
|
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt,
es sah die Voraussetzung „ausschließliche Verwendung
zur Krankenbeförderung“ gemäß § 3 Nr. 5
Satz 1 KraftStG als erfüllt an, da eine Verwendung
ausschließlich zu dringenden Soforteinsätzen nicht
erforderlich sei.
|
|
|
6
|
Das HZA rügt mit der Revision die
Verletzung materiellen Rechts (§ 118 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
7
|
Das HZA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
8
|
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Die Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen
1 und 8 wurden zwischenzeitlich abgemeldet, woraufhin Endbescheide
ergangenen sind. Das HZA hat hierzu erklärt, dass sich der
Streitstoff nicht geändert habe.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist begründet. Das
Urteil ist aufzuheben und zur anderweitigen Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG
hat zu Unrecht entschieden, dass der Klägerin die
Steuerbefreiung des § 3 Nr. 5 KraftStG zu gewähren ist.
Seine Feststellungen genügen nicht, um eine
Krankenbeförderung i.S. der genannten Vorschrift
anzunehmen.
|
|
|
11
|
1. Nach der Abmeldung der Fahrzeuge mit den
amtlichen Kennzeichen 1 und 8 sind auch die Endbescheide nach
§ 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG gemäß § 121 Satz 1
i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Verfahrensgegenstand geworden. Zwar
ersetzt ein solcher Endbescheid nicht die bisherige
Steuerfestsetzung in vollem Umfang; er tritt jedoch für den
letzten Entrichtungszeitraum an dessen Stelle
(Niedersächsisches FG, Urteil vom 5.6.2008 - 14 K 240/05 = SIS 10 03 05; FG München, Urteile vom 12.3.2003 - 4 K 4462/02 =
SIS 04 34 82; vom 20.2.2002 - 4 K 5095/00, EFG 2002, 870, und vom
22.5.1996 - 4 K 3739/94, EFG 1997, 294 = SIS 97 12 35; Strodthoff,
Kraftfahrzeugsteuergesetz, § 12 Rz 16). Die Sache ist insoweit
nicht bereits nach § 127 FGO zurückzuweisen, da sich der
Streitstoff nicht verändert hat (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.2.2011 - II R 48/08, BFHE 233, 190,
BStBl II 2012, 295 = SIS 11 18 25, m.w.N.).
|
|
|
12
|
2. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG
unterliegt der Kfz-Steuer das Halten von inländischen
Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Von der
Kfz-Steuer befreit ist nach § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG u.a. das
Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich zur
Krankenbeförderung verwendet werden. Voraussetzung für
die Steuerbefreiung ist nach § 3 Nr. 5 Satz 2 KraftStG
weiterhin, dass die Fahrzeuge äußerlich als für
diese Zwecke bestimmt erkennbar sind und dass sie, sofern sie nicht
für eine der in § 3 Nr. 5 Satz 3 KraftStG
aufgeführten Körperschaften zugelassen sind, nach ihrer
Bauart und Einrichtung dem Verwendungszweck angepasst sind.
|
|
|
13
|
3. Die Krankenbeförderung setzt bereits
begrifflich voraus, dass kranke Menschen befördert werden
(vgl. Hessisches FG, Urteil vom 26.10.1971 - V 31/70, EFG 1972,
145).
|
|
|
14
|
a) Wie der Senat bereits im Urteil vom
13.9.2018 - III R 10/18 (BFHE 262, 532 = SIS 18 22 37)
ausgeführt hat, ist der Begriff der Krankheit im Gesetz nicht
definiert, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliegt
und der Begriff im jeweiligen Rechtszusammenhang und individuellem
Fall gebraucht wird. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Krankheit
ein anomaler körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand
ist, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen
Behandlung bedarf (Senatsurteile vom 28.7.2005 - III R 30/03, BFHE
210, 355, BStBl II 2006, 495 = SIS 05 44 55, unter II.2.; vom
18.6.1997 - III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 = SIS 98 03 08, unter II.2.a, jeweils zu § 33 des
Einkommensteuergesetzes; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts
vom 30.9.2015 - B 3 KR 14/14 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 48, Rz
29, m.w.N.). Dieser Krankheitsbegriff gilt auch für Zwecke der
Kraftfahrzeugsteuer. Der Begriff der Behinderung (vgl. § 2
Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) ist nicht
deckungsgleich mit dem Begriff der Krankheit.
|
|
|
15
|
b) Die Behandlungsbedürftigkeit
impliziert eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung, wie sie
den übrigen Merkmalen des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG
(Feuerwehrdienst, Katastrophenschutz, ziviler Luftschutz,
Unglücksfälle, Rettungsdienst) immanent ist. Diese
Auslegung entspricht den Grundsätzen des BFH-Urteils vom
22.8.1989 - VII R 9/87 (BFHE 158, 132, BStBl II 1989, 936 = SIS 89 22 45, unter II.). Das Gesetz verlangt keinen dringenden
Soforteinsatz. Vielmehr müssen die beförderten Personen
behandlungsbedürftig sein und die Beförderung muss mit
der Behandlung im Zusammenhang stehen.
|
|
|
16
|
4. Das Urteil des FG hat den der
Krankenbeförderung immanenten Krankheitsbegriff verkannt. Nach
den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden
die Fahrzeuge ausschließlich zur Beförderung von
Personen verwendet, die derart gehbehindert waren, dass sie
öffentliche Verkehrsmittel oder private Fahrzeuge ohne fremde
Hilfe nicht benutzen konnten. Das FG hat damit fehlerhaft lediglich
auf die (Geh-)Behinderung der Personen abgestellt, ohne
festzustellen, ob die mit den streitgegenständlichen
Fahrzeugen beförderten Personen krank in dem oben genannten
Sinne waren und ob die behandlungsbedürftigen Personen zum
Zweck der Behandlung befördert wurden. Das FG-Urteil kann
daher keinen Bestand haben.
|
|
|
17
|
5. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das FG
hat keine Feststellungen zur Krankheit der beförderten
Personen und zum Zweck der Fahrten getroffen. Das FG wird nach
Maßgabe der obigen Grundsätze die notwendigen
Feststellungen treffen und erneut über die Sache entscheiden
müssen.
|
|
|
18
|
6. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
|