Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 21.02.2018 - 4 K
1144/17 AO wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu
tragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Tochter der im Jahr
2015 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin wurde von der
Klägerin und deren Bruder zu einem Anteil von jeweils 1/2
beerbt.
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Zum Nachlass der Erblasserin gehörten
neben Grundbesitz Geschäftsanteile an der C-GmbH. Darüber
hinaus verfügte sie über Konten bei der D-Bank AG mit
einem Guthaben von etwa 7 Mio. EUR, bei der F-Bank AG mit einem
Guthaben von etwa 79.000 EUR und bei der E-Bank AG mit einem
Guthaben von insgesamt etwa 4 Mio. EUR sowie über Wertpapiere
mit einem Kurswert von etwa 6 Mio. EUR.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte gegen die Klägerin mit Bescheid vom
29.07.2016 Erbschaftsteuer in Höhe von … EUR fest.
Nachdem die Klägerin gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt
und die Aussetzung der Vollziehung beantragt hatte, setzte das FA
die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids in Höhe von
… EUR aus, so dass noch 5.559.381 EUR zu entrichten
waren.
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Die Klägerin beantragte, wegen dieser
Erbschaftsteuer die Forderungen aus dem auf den Namen der
Erblasserin bei der D-Bank AG geführten Konto zu pfänden.
Ihr Bruder lehne eine Auseinandersetzung des Nachlasses oder von
Teilen des Nachlasses ab. Sie selbst sei nicht in der Lage, die zu
entrichtende Erbschaftsteuer aus eigenen Mitteln zu zahlen. Sie sei
zwar auch Gesellschafterin der C-GmbH in Höhe von 1/3 des
Stammkapitals. Nach dem Gesellschaftsvertrag habe ein
Gesellschafter jedoch aus der Gesellschaft auszuscheiden, wenn sein
Geschäftsanteil gepfändet werde und die Pfändung
länger als zwei Monate andauere. Darüber hinaus sei sie
in Höhe von 4,167 % des Grundkapitals Aktionärin der
G-AG. Auch insoweit bestünden umfangreiche
Verfügungsbeschränkungen. Sie sei Eigentümerin von
drei Eigentumswohnungen sowie eines mit einem Einfamilienhaus
bebauten Grundstücks mit angrenzendem Baugrundstück,
welches in Höhe von etwa 800.000 EUR belastet sei. Ferner sei
sie Eigentümerin eines u.a. an eine gemeinnützige
Gesellschaft vermieteten Grundstücks, wobei diese derzeit den
Mietzins nicht zahlen könne. Das Grundstück mit einem
Wert von etwa 10 Mio. EUR sei in Höhe von etwa 8 Mio. EUR
belastet. Sie unterhalte bei der D-Bank AG ein Konto mit einem
Guthaben von derzeit 150.000 EUR, bei der H-Bank AG ein Konto mit
einem Guthaben von 3.000 EUR, bei der L-Bank AG ein Konto mit einem
Wert von weniger als 10.000 EUR sowie ein Depot mit Aktien im Wert
von etwa 1,7 Mio. EUR. Darüber hinaus unterhalte sie bei der
M-Bank AG, der Sparkasse N-Stadt und der O-Bank AG Konten ohne
nennenswerte Bestände. Gegenüber ihrem Bruder habe sie
aufgrund einer Teilungsanordnung in dem gemeinschaftlichen
Testament ihrer Eltern noch einen Ausgleichsanspruch in Höhe
von ca. 15 Mio. EUR, worüber seit Jahrzehnten ein Rechtsstreit
anhängig sei.
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Das FA pfändete mit vier
Verfügungen vom 15.12.2016 die Forderungen der Klägerin
aus ihren Geschäftsbeziehungen mit der D-Bank AG, der H-Bank
AG, der M-Bank AG sowie der Sparkasse N-Stadt und ordnete die
Einziehung der gepfändeten Forderungen an. Die Drittschuldner
zahlten aufgrund der Verfügungen an das FA im Januar 2017
insgesamt 133.510,31 EUR.
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Am 23.03.2017 erließ das FA
gegenüber der Klägerin und ihrem Bruder zwei auf §
191 der Abgabenordnung (AO), § 20 Abs. 3 des
Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) gestützte Haftungsbescheide,
mit denen es beide zur Entrichtung der von der Klägerin noch
geschuldeten Erbschaftsteuer in Höhe von 5.193.516,45 EUR
zuzüglich Säumniszuschläge aus dem Nachlass
aufforderte. Daraufhin wurden insgesamt 5.661.305,73 EUR an das FA
gezahlt, woraufhin dieses mit Bescheiden vom 27.04.2017 die
streitgegenständlichen Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen aufhob.
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Der Einspruch der Klägerin gegen die
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen war erfolglos. Die
Verfügungen seien nach pflichtgemäßem Ermessen
ergangen. Die Vollstreckungsmaßnahmen hätten erwarten
lassen, dass sie unter angemessener Berücksichtigung der
Belange der Klägerin am schnellsten und sichersten zum Erfolg
geführt hätten. Nach § 219 Satz 1 AO habe nicht
vorrangig der Nachlass gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG in
Anspruch genommen werden müssen. Die Klägerin habe
eingeräumt, vermögend zu sein, auch wenn ihr
Vermögen nicht kurzfristig verfügbar sei. Eine
Vollstreckung in ihr Privatvermögen sei deshalb nicht
offensichtlich aussichtslos gewesen. Angesichts der Höhe des
Steueranspruchs sei es zudem geboten gewesen, zeitnah mehrere
Vollstreckungsmaßmahmen zu ergreifen, um eine Gefährdung
des Steueranspruchs auszuschließen. Die Pfändungen seien
auch nicht unbillig, weil sie für die Klägerin nur solche
Nachteile mit sich gebracht hätten, die üblicherweise mit
einer Vollstreckung verbunden seien. Grobe Nachteile könnten
durch Schuldnerschutzvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO)
abgemildert werden.
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Mit ihrer - erfolglosen - Klage begehrte
die Klägerin die Feststellung, dass die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen rechtswidrig gewesen seien, weil das FA
vorrangig den Nachlass im Wege der Haftung nach § 20 Abs. 3
ErbStG hätte in Anspruch nehmen müssen. Zwar bejahte das
Finanzgericht (FG) die Zulässigkeit der
Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr im
Hinblick auf die ausgesetzten Steuerbeträge. Jedoch verneinte
es eine Verpflichtung des FA, zunächst von der
Möglichkeit einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach
§ 20 Abs. 3 ErbStG Gebrauch zu machen. Eine Vollstreckung
könne im Einzelfall unverhältnismäßig sein,
wenn sie den Betroffenen übermäßig belastet, mithin
für ihn unzumutbar sei. Einen solchen Nachweis habe die
Klägerin nicht erbracht.
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Dagegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer Revision. Das FA habe die von § 20 Abs. 3 ErbStG
gezogenen Ermessensgrenzen überschritten. Die Vollstreckung in
ihr Vermögen sei unverhältnismäßig. Die
Erbschaftsteuerschuld sei eine Nachlassverbindlichkeit (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.01.2016 - II R 34/14, BFHE 252,
389, BStBl II 2016, 482 = SIS 16 05 73). Nach § 2059 Abs. 1
Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) könne die
Klägerin die Tilgung ihrer Erbschaftsteuerschuld aus ihrem
sonstigen Vermögen bis zur Teilung des Nachlasses verweigern.
§ 20 Abs. 3 ErbStG enthalte keine zusätzliche
Sicherungsmaßnahme zugunsten der Finanzverwaltung, sondern
wiederhole die in § 2058 und § 2059 BGB enthaltene
Regelung.
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Die Klägerin beantragt, das
erstinstanzliche Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die vier
Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 15.12.2016 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.03.2017 rechtswidrig
waren.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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§ 2058 und § 2059 BGB erfassten
nur gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten. Ungeachtet der
umstrittenen Einordnung der Erbschaftsteuerschuld als
Nachlassverbindlichkeit handele es sich jedenfalls nicht um eine
gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeit. Ein persönliches
Leistungsverweigerungsrecht nach § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB
nähme der Regelung in § 20 Abs. 3 ErbStG die Funktion als
zusätzliche Sicherungsmaßnahme zugunsten der
Finanzverwaltung. Denn anderenfalls könne das FA nur auf den
ungeteilten Nachlass zugreifen, was augenscheinlich nicht gewollt
sei.
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II. Die Revision ist zurückzuweisen
(§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1
FGO).
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Das FG hat zutreffend einen Ermessensfehler
des FA bei Erlass der vier Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen verneint.
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1. Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 AO
können die Finanzbehörden Verwaltungsakte, mit denen eine
Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken.
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Über die Art der
Vollstreckungsmaßnahme entscheidet die
Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen
(§ 5 AO). Diese Ermessensentscheidung ist gemäß
§ 102 FGO gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend zu
überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht worden ist. Mit anderen Worten hat das Gericht nur zu
prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht
beachtet wurden oder das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde
(vgl. Senatsurteil vom 26.03.1991 - VII R 15/89, BFHE 164, 215,
BStBl II 1991, 552 = SIS 91 14 69; BFH-Urteil vom 28.06.2000 - X R
24/95, BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514 = SIS 00 11 55). Eine
fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass das FA seine
Ermessensentscheidung aufgrund einer einwandfreien und
erschöpfenden Ermittlung des entscheidungserheblichen
Sachverhalts getroffen (vgl. Senatsurteil vom 30.10.1990 - VII R
106/87, BFH/NV 1991, 509) und alle für die
Ermessensausübung nach dem Zweck der Ermächtigungsnorm
wesentlichen Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art
spätestens zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
berücksichtigt hat (vgl. BFH-Urteil vom 23.05.1985 - V R
124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 = SIS 85 18 43). Die
für die Entscheidungsfindung maßgebenden Erwägungen
müssen dem Betroffenen grundsätzlich bis zur letzten
Verwaltungsentscheidung in überprüfbarer Form mitgeteilt
worden sein (vgl. BFH-Urteil in BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514 =
SIS 00 11 55). Das FA kann jedoch seine Ermessenserwägungen
bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen
Verfahrens ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO). Unzulässig
ist allerdings eine erstmalige Ermessensausübung oder eine
komplette Ersetzung der Ermessenserwägungen (vgl.
BFH-Beschluss vom 02.06.2004 - IV B 56/02, BFH/NV 2004, 1536 = SIS 04 38 80).
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Die Vollstreckungsbehörde hat bei Erlass
von Vollstreckungsmaßnahmen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl.
u.a. Senatsurteil vom 24.09.1991 - VII R 34/90, BFHE 165, 477,
BStBl II 1992, 57 = SIS 92 07 63, und Senatsbeschluss vom
11.12.1990 - VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Zu dessen Wahrung muss
eine Vollstreckungsmaßnahme zur Erreichung des angestrebten
Ziels geeignet - insbesondere nicht von vornherein aussichtslos
(Senatsurteil vom 18.07.2000 - VII R 94/98, BFH/NV 2001, 141 = SIS 01 52 05, unter 3.) - und erforderlich sowie dem Betroffenen
zumutbar sein; außerdem darf die Maßnahme den
Betroffenen nicht übermäßig belasten (Senatsurteil
vom 14.06.1988 - VII R 143/84, BFHE 153, 277, BStBl II 1988, 684 =
SIS 88 15 41). Eine solche Belastung liegt grundsätzlich schon
dann nicht vor, wenn eine Maßnahme dem Betroffenen zumutbar
ist (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1982 -
1 BvL 34/80, 1 BvL 55/80, BVerfGE 61, 126, 134, unter B.I.1.b).
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2. Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze hat das FG zutreffend einen Ermessensfehler des FA
verneint.
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a) Das FA hat nicht die Grenzen des Ermessens
überschritten, die sich nach Ansicht der Klägerin aus
§ 20 Abs. 3 ErbStG ergeben sollen. Insbesondere ergibt sich
aus § 20 Abs. 3 ErbStG keine Beschränkung der
Vollstreckung auf den Nachlass.
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Nach § 20 Abs. 3 ErbStG haftet der
Nachlass bis zur Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) für die
Steuer der am Erbfall Beteiligten. Die Vorschrift enthält
damit eine Sicherungsmaßnahme zugunsten der
Finanzbehörde (BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482
= SIS 16 05 73, Rz 18). Letztlich geht es darum, dass die Erben bis
zur vollständigen Erbauseinandersetzung eine Vollstreckung in
den Nachlass wegen Ansprüchen aus dem
Erbschaftsteuerschuldverhältnis eines Erben dulden müssen
(Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar,
17. Aufl., § 20 Rz 19).
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Allerdings enthält § 20 Abs. 3
ErbStG keine Vorgabe an die Finanzbehörde, primär in den
ungeteilten Nachlass vollstrecken zu müssen. Der Vorschrift
lässt sich keine Reihenfolge der Vollstreckung und auch keine
Verpflichtung des FA entnehmen, umfangreiche Ermittlungen zum
Bestand des Nachlasses und zum eigenen Vermögen des Erben
anzustellen. Das ergibt sich insbesondere aus dem allgemeinen
Verständnis von Steuerschuldner und Haftungsschuldner und dem
Grundsatz der Subsidiarität, den § 219 Satz 1 AO zum
Ausdruck bringt (vgl. Senatsbeschluss vom 16.03.1995 - VII S 39/92,
BFH/NV 1995, 950, und Senatsurteil vom 23.09.2009 - VII R 43/08,
BFHE 226, 391, BStBl II 2010, 215 = SIS 09 36 87, m.w.N.).
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Nach dem auch für die Haftungsschuld
gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG geltenden § 219 Satz
1 AO darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch
genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche
Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder
anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein
würde. Für die subsidiäre Inanspruchnahme des
Haftungsschuldners ist ausreichend, dass die Finanzbehörde zu
der Annahme gelangt, dass eine Vollstreckung ohne Erfolg sein wird.
Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit
von Vollstreckungsversuchen braucht nicht vorzuliegen (Jatzke in
Gosch, AO § 219 Rz 10). Ebenso wenig bedarf es des Nachweises
der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose
Vollstreckungsversuche (Senatsbeschluss vom 24.04.2008 - VII B
262/07, BFH/NV 2008, 1448 = SIS 08 31 58).
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Eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners ist
grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem
ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat
(Senatsbeschluss vom 08.07.2004 - VII B 257/03, BFH/NV 2004, 1513 =
SIS 04 38 55). Bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners
besteht ein (Entschließungs-)Ermessen, eine Verpflichtung zur
Inanspruchnahme besteht grundsätzlich nicht (Jatzke in Gosch,
AO § 191 Rz 17, mit Verweis auf die ausdrückliche
Ausnahme in § 13c Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes). Die
Klägerin hat kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie
Auswahlentscheidung darüber, ob nicht statt ihrer der Nachlass
als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist (vgl.
Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 1513 = SIS 04 38 55).
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b) Aus der Haftungsbeschränkung nach
§ 2059 Abs. 1 BGB kann die Klägerin keine
Beschränkung der Vollstreckung zu ihren Gunsten herleiten,
weil diese Einrede auf die Erbschaftsteuerschuld nicht anwendbar
ist.
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aa) Nach § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB kann
jeder Miterbe bis zur Teilung des Nachlasses die Berichtigung der
Nachlassverbindlichkeiten aus dem Vermögen, das er außer
seinem Anteil am Nachlass hat, verweigern.
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Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören
nach § 1967 Abs. 2 BGB die vom Erblasser herrührenden
Schulden und die den Erben als solchen treffenden
Verbindlichkeiten. Zu den ersteren zählen u.a. die im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge (§ 45 Abs. 1 AO, § 1922 BGB) auf
den Erben übergegangenen Steuer- und Haftungsschulden des
Erblassers (Erblasserschulden), während die zweite Gruppe die
aus Anlass des Erbfalls entstandenen Schulden (Erbfallschulden)
betrifft, zu denen - neben den im Gesetz genannten
Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und
Auflagen - auch die Erbschaftsteuer (§ 9 Abs. 1, § 20
ErbStG) zu rechnen ist (Senatsurteile vom 28.04.1992 - VII R 33/91,
BFHE 168, 206, BStBl II 1992, 781 = SIS 92 17 06, unter 3.b; vom
11.08.1998 - VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II 1998, 705 = SIS 98 20 87, unter II.A.3.b; BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II
2016, 482 = SIS 16 05 73, Rz 11).
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bb) § 2059 BGB gilt nicht nur für
gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten, sondern auch für
sogenannte Erbteilverbindlichkeiten, die keine gemeinschaftlichen
Verbindlichkeiten sind, weil nur einzelne Miterben beschwert sind
(MünchKommBGB/Ann, 7. Aufl., § 2058 Rz 11;
Staudinger/Marotzke, BGB § 2058 Rz 32 und Rz 35). Schuldner
der Erbschaftsteuer ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs.
1 ErbStG nur der jeweilige Erwerber (Gebel in
Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 20 Rz 50;
Jochum in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
§ 20 Rz 79), weshalb es sich um eine solche
Erbteilverbindlichkeit handelt.
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cc) Allerdings ergibt sich aus dem
Rechtsgedanken des § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass diese
Einrede dem Erben im Hinblick auf seine persönliche
Erbschaftsteuerschuld nicht zusteht. Nach § 2059 Abs. 1 Satz 2
BGB steht dem Erben die Einrede in Ansehung des seinem Erbteil
entsprechenden Teils der Verbindlichkeit nicht zu, wenn er für
eine Nachlassverbindlichkeit unbeschränkt haftet. Das ist
vorliegend gegeben, weil die Klägerin als Erbin allein und
unbeschränkt die Erbschaftsteuer schuldet (§ 20 Abs. 1
ErbStG).
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c) Das FA hat schließlich nicht gegen
den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
verstoßen.
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Unter Anwendung der oben dargestellten
Grundsätze waren die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen als Vollstreckungsmaßnahmen
geeignet, weil die Klägerin nach den Erkenntnissen des FA
über Forderungen gegen Drittschuldner (Banken) verfügte
und die Maßnahme deshalb nicht aussichtslos war. Die
Maßnahmen waren auch erforderlich, um die ausstehenden
Erbschaftsteuerschulden - wenn auch nicht in vollem Umfang - zu
tilgen. Ein milderes Mittel ist nicht erkennbar. Insbesondere kann
das FA nicht darauf verwiesen werden, zuerst gegen den Nachlass als
Haftungsschuldner vollstrecken zu müssen (siehe oben).
Schließlich war die Vollstreckung der Klägerin zumutbar.
Zwar führt die Pfändung eines Kontoguthabens bei einem
Kreditinstitut (§ 309 Abs. 3 Satz 1 AO, § 833a ZPO)
faktisch zu einer Kontosperrung. Dieser besonderen Situation hat
der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung eines
Pfändungsschutzkontos Rechnung getragen, das auf Antrag des
Schuldners nach § 850k ZPO eingerichtet werden kann
(Senatsurteil vom 16.05.2017 - VII R 5/16, BFHE 258, 105, BStBl II
2018, 735 = SIS 17 14 31, Rz 11). Im Übrigen erweisen sich die
Vollstreckungsmaßnahmen im Streitfall nicht deshalb als
unverhältnismäßig, weil sie nur zu einer
verhältnismäßig geringen Begleichung der hohen
Steuerschulden geführt haben. Bei einer beigetriebenen Summe
von insgesamt 133.510,31 EUR kann nicht von einem Bagatellbetrag
ausgegangen werden, der Vollstreckungsmaßnahmen unbillig
erscheinen ließe.
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Ob der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen eine
vorrangige Vollstreckung in den Nachlass gebietet, z.B. wenn der
Steuerschuldner darlegen kann, dass eine Vollstreckung in sein
eigenes Vermögen aussichtslos wäre, musste der Senat
nicht entscheiden. Denn nach ihrem eigenen Vortrag verfügte
die Klägerin u.a. über Bankguthaben mit erheblichem
Bestand.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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