Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 9.2.2015 6 K 2167/12
K = SIS 15 18 26 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu
tragen.
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein
Rückversicherungsunternehmen, das u.a. inländischen und
ausländischen Anlagen zur Erzeugung oder Spaltung von
Kernbrennstoffen Versicherungsschutz gewährt. Dieser
Versicherungsschutz für Atomanlagen wird in der Bundesrepublik
Deutschland aufgrund der Höhe des Versicherungsrisikos von
einem Pool in- und ausländischer Versicherungsgesellschaften
übernommen. Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellten die
Prüfer fest, dass die Klägerin der nach § 30 Abs. 2
Nr. 1 der Verordnung über die Rechnungslegung von
Versicherungsunternehmen (RechVersV) vorzunehmenden
Höchstbetragsberechnung für die Bildung der
Atomanlagenrückstellung jeweils die bezogen auf die einzelne
Versicherungssparte am höchsten versicherte Anlage -
nämlich bei der Sachversicherung die Werte des in dieser
Sparte am höchsten versicherten Kraftwerks A und bei der
Haftpflichtversicherung die Werte des in dieser Sparte am
höchsten versicherten Kraftwerks B - zugrunde gelegt hatte.
Die Prüfer waren demgegenüber der Auffassung, § 30
Abs. 2 Nr. 1 RechVersV meine die insgesamt summenmäßig
am höchsten versicherte Anlage und gingen deshalb von den
Werten des Kraftwerks C aus. Die unterschiedliche Betrachtungsweise
führte nur im Jahr 2004 (Streitjahr) zu einer Abweichung bei
der Berechnung der Rückstellung in Höhe von insgesamt
36.583,60 EUR.
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Auf Grundlage der Feststellungen der
Betriebsprüfung erließ der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) einen geänderten
Körperschaftsteuerbescheid und wies später den Einspruch
der Klägerin als unbegründet zurück.
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Auch das Klageverfahren blieb ohne Erfolg
(Finanzgericht - FG - Düsseldorf, Urteil vom 9.2.2015 6 K
2167/12 K, EFG 2015, 1746 = SIS 15 18 26). Dagegen wendet sich die
Klägerin mit ihrer vom FG zugelassenen Revision, mit der sie
die Verletzung materiellen Rechts rügt.
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Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung des Urteils des FG Düsseldorf vom 9.2.2015 6 K
2167/12 K den Körperschaftsteuerbescheid vom 2.9.2009 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.5.2012 dahingehend zu
ändern, dass die Berechnung der Atomanlagenrückstellung
spartenbezogen erfolgt, also von einem gegenüber dem Ansatz
des FA um 36.583,60 EUR geminderten Jahresüberschuss
auszugehen ist.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist zu Recht davon
ausgegangen, dass bei der Ermittlung des Höchstbetrages der
Atomanlagenrückstellung nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 RechVersV
die Kernenergieschäden betreffende Sach- und
Haftpflichtversicherungssumme für die von der Klägerin
summenmäßig am höchsten versicherte Anlage
anzusetzen und keine Trennung nach den Sparten Schadens- und
Haftpflichtversicherung - unter Berücksichtigung der dort
jeweils am höchsten versicherten Anlage - vorzunehmen ist.
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1. Nach § 341h Abs. 1 des
Handelsgesetzbuchs (HGB) sind zum Ausgleich der Schwankungen im
Schadenverlauf künftiger Jahre Schwankungsrückstellungen
zu bilden, wenn insbesondere nach den Erfahrungen in dem
betreffenden Versicherungszweig mit erheblichen Schwankungen der
jährlichen Aufwendungen für Versicherungsfälle zu
rechnen ist, die Schwankungen nicht jeweils durch Beiträge
ausgeglichen werden und die Schwankungen nicht durch
Rückversicherungen gedeckt sind. Nach Abs. 2 der Vorschrift
ist für Risiken gleicher Art, bei denen der Ausgleich von
Leistung und Gegenleistung wegen des hohen Schadenrisikos im
Einzelfall nach versicherungsmathematischen Grundsätzen nicht
im Geschäftsjahr, sondern nur in einem am Abschlussstichtag
nicht bestimmbaren Zeitraum gefunden werden kann, eine
Rückstellung zu bilden und in der Bilanz als
„ähnliche Rückstellung“ unter den
Schwankungsrückstellungen auszuweisen. Durch § 341h Abs.
2 HGB hat der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Bildung von
Rückstellungen für sog. Großrisiken kodifiziert,
also solcher Risiken, deren mögliche Höchstschäden
infolge einer Konzentration hoher Werte oder der Kumulation
verschiedener Gefahren des gleichen Risikoobjekts mit hohem
Schadensmaximum außergewöhnlich groß sind,
während die Zahl der Risiken gering und vielfach die
Schadenursache aus technologischen Gründen neuartig und/oder
unbekannt ist (vgl. Hommel/Löw in MünchKommHGB, 3. Aufl.,
§ 341h Rz 17; Ellenbürger/Hammers in MünchKommBilR,
§ 341h HGB Rz 19; Böcking/Gros/Kölschbach in
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., §
341h Rz 17; Ziegler, Die versicherungstechnischen
Rückstellungen im Steuerrecht, 3. Aufl., S. 77). Die in §
341h Abs. 2 HGB vorgeschriebenen Rückstellungen dienen -
insoweit wie die in Abs. 1 normierten
Schwankungsrückstellungen - dem Ausgleich des Zufallsrisikos
für den Ausnahmefall, dass sich kein versicherungstechnisches
Kollektiv finden lässt, das groß genug wäre, einen
Risikoausgleich innerhalb eines Geschäftsjahrs zu
ermöglichen; deshalb muss der Ausgleich in einem am
Abschlussstichtag nicht bestimmbaren Zeitraum vorgenommen werden
(vgl. Rockel/Helten/Ott/Sauer, Versicherungsbilanzen, 3. Aufl., S.
217 f.; Böhlhoff/Kreeb in Kölner Kommentar zum
Rechnungslegungsrecht, § 341h HGB Rz 16;
Ellenbürger/Hammers in MünchKommBilR, a.a.O.; Ziegler,
a.a.O., S. 80 f.; Mau in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die
Körperschaftsteuer, vor §§ 20-21a KStG Rz 25;
Hoffmann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 20 Rz 20;
Blümich/H.-J. Heger, § 20 KStG Rz 22
„Großrisiken-Rückstellungen“).
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2. Auf der Grundlage von § 330 Abs. 1, 3
und 4 HGB konkretisiert § 30 RechVersV die Vorgaben des §
341h Abs. 2 HGB für die Bildung bestimmter
Großrisiken-Rückstellungen. § 341h Abs. 2 HGB und
§ 30 RechVersV gehören insoweit zu den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung, die wegen des in
§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes verankerten
Maßgeblichkeitsgrundsatzes und mangels eigenständiger
steuerlicher Regelungen auch im Bereich des Steuerrechts zu
beachten sind (Mau in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O.,
§ 20 KStG Rz 22; Hoffmann in Rödder/Herlinghaus/Neumann,
a.a.O., § 20 Rz 19; Baumgärtel in Herrmann/Heuer/Raupach,
vor §§ 20-21b KStG Rz 46 sowie § 20 KStG Rz 11;
Blümich/H.-J. Heger, § 20 KStG Rz 21).
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3. Die Einzelheiten für die Bildung der
im Streitfall betroffenen Atomanlagenrückstellung regelt
§ 30 Abs. 2 RechVersV, wonach für die selbst
abgeschlossenen und in Rückdeckung übernommenen Sach- und
Haftpflicht-Versicherungen von Anlagen zur Erzeugung oder zur
Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter
Kernbrennstoffe gegen Kernenergieschäden jeweils eine
Atomanlagenrückstellung als eine der
Schwankungsrückstellung ähnliche Rückstellung
gemäß § 341h Abs. 2 HGB nach der Maßgabe der
nachfolgenden Regelungen zu bilden ist. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Satz
1 RechVersV bestimmt dazu u.a., dass der Höchstbetrag der
Atomanlagenrückstellung entweder 100 v.H. der Sach- und
Haftpflichtversicherungssumme für Kernenergieschäden, die
das Versicherungsunternehmen für die von ihm
summenmäßig am höchsten versicherte Anlage der in
Satz 1 bezeichneten Art auf eigene Rechnung übernommen hat,
oder 25 v.H. des Gesamtbetrages der Versicherungssumme für
Kernenergieschäden, die das Versicherungsunternehmen zur
Versicherung solcher Anlagen auf eigene Rechnung übernommen
hat, beträgt. Nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 RechVersV ist
dabei der niedrigere der beiden Beträge maßgebend.
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4. Eine am Wortlaut, der Gesetzesgeschichte,
dem Telos und der Systematik orientierte Auslegung des § 30
Abs. 2 Nr. 1 RechVersV ergibt, dass bei der Ermittlung des
Höchstbetrages der Atomanlagenrückstellung die die
Kernenergieschäden betreffende Sach- und
Haftpflichtversicherungssumme für die vom
Versicherungsunternehmen summenmäßig am höchsten
versicherte Einzelanlage anzusetzen und insoweit keine Trennung
nach den Sparten Schadens- und Haftpflichtversicherung vorzunehmen
ist.
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a) Für die vorgenannte Auslegung des
§ 30 Abs. 2 Nr. 1 RechVersV spricht zunächst der
Normwortlaut. Wenn im Einleitungssatz der Vorschrift angeordnet
wird, dass für die selbst abgeschlossenen und in
Rückdeckung übernommenen „Sach- und
Haftpflicht-Versicherungen“ der bezeichneten Anlagen
gegen Kernenergieschäden „jeweils“ eine
Atomanlagenrückstellung zu bilden ist, wird hieraus im
Schrifttum zwar die separate Rückstellungsbildung je
Versicherungssparte abgeleitet (in diese Richtung etwa Warnecke in
Beck’scher Versicherungsbilanz-Kommentar, § 341h HGB Rz
36). Der Senat kann sich dem jedoch nicht anschließen.
Vielmehr bestimmt § 30 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 RechVersV für
die Ermittlung des Höchstbetrages der
Atomanlagenrückstellung, dass dieser sich (bezogen auf die im
Streitfall einschlägige Variante der Norm) auf 100 v.H. der
„Sach- und Haftpflichtversicherungssumme“
für Kernenergieschäden belaufe, die das
Versicherungsunternehmen für „die von ihm
summenmäßig am höchsten versicherte
Anlage“ der in Satz 1 bezeichneten Art auf eigene
Rechnung übernommen habe. Die Norm macht mithin deutlich, dass
die Ermittlung des Höchstbetrages der Rückstellung nach
einheitlichen und anlagebezogenen Vorgaben zu erfolgen hat, indem
sie auf diejenige Einzelanlage abstellt, die in der Summe aus Sach-
und Haftpflichtversicherung am höchsten versichert ist. Es ist
insoweit offensichtlich, dass sich der Passus „Sach- und
Haftpflichtversicherungssumme“ auf die vom
Versicherungsunternehmen „summenmäßig am
höchsten versicherte Anlage“ bezieht. Für eine
getrennt nach Versicherungszweigen vorzunehmende
Höchstbetragsberechnung enthält der Normwortlaut hingegen
keinen Anhalt, obwohl dem Gesetzgeber die Möglichkeit offen
gestanden hätte, § 30 Abs. 2 Nr. 1 RechVersV im Hinblick
auf die Höchstbetragsberechnung spartenbezogen auszugestalten.
Das ist indessen nicht geschehen.
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b) Für die vorgenannte Auslegung sprechen
auch die Entstehungsgeschichte des § 30 RechVersV und der mit
dieser Vorschrift verfolgte Zweck.
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aa) Soweit die Klägerin darauf
hingewiesen hat, dass im Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes
(BTDrucks 7/1470, S. 177 f., 355 f.) eine in § 22 des
Körperschaftsteuergesetzes verortete Regelung zur Bildung von
Großrisiken-Rückstellungen geplant gewesen sei, die eine
Differenzierung nach Versicherungszweigen vorgesehen habe, ist
diese nicht Gesetz geworden. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber auf
Empfehlung des Finanzausschusses (BTDrucks 7/5310, S. 8 f., 13)
dazu entschieden, diejenigen Einzelheiten zur Bildung und
Auflösung versicherungstechnischer Rückstellungen, welche
bis dahin lediglich im Erlasswege geregelt waren, auch weiterhin
der Regelungshoheit der Verwaltung zu überlassen, um eine
flexible Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten zu
ermöglichen (BTDrucks 7/5310, S. 8 f., 13; vgl. auch
Böcking/Gros/Kölschbach in Ebenroth/
Boujong/Joost/Strohn, a.a.O., § 341h Rz 19).
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bb) Diesen Erwägungen entsprechend hat
der Verordnungsgeber auf der Grundlage des § 330 Abs. 1, 3 und
4 HGB in § 30 RechVersV Vorschriften über den Ansatz und
die Bewertung von versicherungstechnischen Rückstellungen
erlassen (vgl. BRDrucks 823/94, S. 103) und bezogen auf die hier
streitbefangenen Atomanlagenrückstellungen an die Vorgaben des
Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV) in
dessen Rundschreiben vom 17.3.1981 R 1/81 (Veröffentlichungen
des Bundesamtes für Versicherungswesen - VerBAV - 1981, 122)
angeknüpft, die mangels besonderer steuerlicher Vorschriften
auch steuerrechtlich anerkannt waren (vgl. Frotscher in Frotscher/
Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 20 KStG Rz 15a; Mau in
Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 20 KStG Rz 19).
Der Verordnungsgeber ging dabei davon aus, dass die in § 30
Abs. 2 RechVersV zu den Atomanlagenrückstellungen enthaltenen
Regelungen den Vorgaben im vorgenannten Schreiben in VerBAV 1981,
122 entsprechen (BRDrucks 823/94, S. 131). Zwar sprach das
Schreiben in VerBAV 1981, 122, unter 1. lediglich die Verpflichtung
zur Bildung einer Rückstellung für die Versicherung von
Atomanlagen aus, die jedes der inländischen
Versicherungsaufsicht unterliegende Unternehmen traf, welches die
näher beschriebenen Anlagen gegen Kernenergieschäden,
nämlich - wie durch Klammerzusatz klargestellt wird - Sach-
und Haftpflichtschäden, versichert hatte; es enthielt insoweit
nicht die Aussage, es sei für die angesprochenen
Schadensrisiken „jeweils“ eine Rückstellung
zu bilden. Zur Errechnung des Höchstbetrages der
Atomanlagenrückstellung enthielt das vorgenannte Schreiben in
VerBAV 1981, 122, unter 2. aber eine dem jetzigen § 30 Abs. 2
Nr. 1 RechVersV inhaltlich kongruente Regelung. Dies lässt nur
den Schluss zu, dass mit § 30 Abs. 2 Nr. 1 RechVersV lediglich
die Fortschreibung der vorherigen aufsichtsrechtlichen Vorgaben
intendiert war (vgl. Ellenbürger/Hammers in
MünchKommBilR, § 341h HGB, Rz 21; Hommel/Löw in
MünchKommHGB, a.a.O., § 341h Rz 22; Böhlhoff/Kreeb
in Kölner Kommentar zum Rechnungslegungsrecht, § 341h
HGB, Rz 5; Böcking/Gros/Kölschbach in
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, a.a.O., § 341h Rz 19; Warnecke,
a.a.O.), die ihrerseits nur von der Verpflichtung zur Bildung
„einer“ Rückstellung für die
Versicherung von Atomanlagen gegen die sich aus Sach- und
Haftpflichtschäden ergebenden Kernenergieschäden
ausgingen.
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cc) Angesichts der Tatsache, dass die
Atomanlagenrückstellung aufgrund des hohen Schadenspotentials
eines Störfalls der Sicherung der dauernden Erfüllbarkeit
der Verpflichtungen aus den vom Versicherer geschlossenen
Versicherungsverträgen in Form des allmählichen Aufbaus
von Mitteln dienen soll (vgl. Hommel/Löw in MünchKommHGB,
a.a.O., § 341h Rz 22; Warnecke, a.a.O.), ist der
Verordnungsgeber bezogen auf das abzufangende Risiko - die
Inanspruchnahme für Kernenergieschäden in Form von Sach-
und Haftpflichtschäden - erkennbar von der Überlegung
ausgegangen, dass ein Störfall regelmäßig nur in
einer einzelnen Anlage vorkommen wird und deshalb - anders als bei
Schwankungsrückstellungen - gerade kein Mittelwert des
Schadenseintritts existiert (Frotscher in Frotscher/Drüen,
a.a.O.). Entsprechend hat er als Maßstab für die
Ermittlung des Höchstbetrages der Atomanlagenrückstellung
das auf den potentiellen Schadenseintritt in nur einer einzelnen
Anlage (in diese Richtung auch Frotscher in Frotscher/Drüen,
a.a.O., § 20 KStG, Rz 16; ebenso Gosch/Roser, KStG, 3. Aufl.,
§ 20 Rz 21 „Atomanlagenrückstellung“)
ausgerichtete objektivierte Verhalten des konkreten Versicherers
gewählt, der insoweit für jede von ihm versicherte
Einzelanlage einen bestimmten Sach- und
Haftpflichtversicherungsschutz übernimmt und dabei für
diejenige Anlage in der Summe den höchsten
summenmäßigen Versicherungsschutz anbieten oder decken
wird, von der das höchste Schadenspotential bezogen auf Sach-
und Haftpflichtschäden ausgeht. Entsprechend geht der
Verordnungsgeber bezogen auf die Ermittlung des
Rückstellungshöchstbetrages - in Übereinstimmung mit
den zuvor im Schreiben des BAV in VerBAV 1981, 122
geäußerten Überlegungen - davon aus, dass der auf
die risikoträchtigste Anlage entfallende
summenmäßige Versicherungsschutz für Sach- und
Haftpflichtschäden regelmäßig (auch) ausreichen
wird, um einen potentiellen Störfall in jeder anderen vom
Versicherer versicherten Anlage mit geringerem Risikopotential
abzufangen. Dem steht nicht entgegen, dass Versicherer in
Einzelfällen Anlagen nur bezogen auf das Haftpflichtrisiko
versichern, denn in derartigen Fällen besteht die Summe des
Versicherungsschutzes aus dem übernommenen
Haftpflichtversicherungsschutz zuzüglich des Summanden Null
für den Sachversicherungsschutz. Auch in derartigen
Fällen ergibt sich sonach ein einzelanlagenbezogener
Höchstbetrag, der für die Bildung der
Atomanlagenrückstellung maßgeblich wäre, wenn keine
andere Anlage in der Summe höher versichert wäre.
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dd) Aus den vorstehenden Erwägungen folgt
entgegen den Vorstellungen der Klägerin, dass sich das Prinzip
der Spartentrennung, demzufolge die Schadenverläufe in den
einzelnen Versicherungszweigen differieren und von den jeweiligen
Versichertengruppen getragen werden sollen (vgl. Behnisch in
Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 20 Rz 47; auch Gosch/Roser,
a.a.O., § 20 Rz 12), auf die Höchstbetragsermittlung bei
Atomanlagenrückstellungen, für die es gerade kein
versicherungstechnisches Kollektiv gibt, nicht übertragen
lässt. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der eine
einzelne Anlage betreffender Störfall sowohl das Sach- als
auch das Haftpflichtversicherungsrisiko auslösen wird.
Angesichts dessen ist es unerheblich, ob die Klägerin ihren
Versicherungsschutz spartenbezogen vergibt bzw. dabei von
unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Erwägungen zum
Umfang der Deckung ausgeht.
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c) Es ist mit den Beteiligten und entgegen der
Annahme des FG zwar zutreffend, dass sich unter dem Gesichtspunkt
einer systematischen Auslegung ein Rückschluss aus den von
§ 30 Abs. 2 Nr. 1 RechVersV bezogen auf die
Höchstbetragsermittlung abweichend formulierten Bestimmungen
in dessen Abs. 1 und 2a deshalb verbietet, weil sowohl bei
Produkthaftpflicht-Versicherungen für Pharmarisiken als auch
den Versicherungen von Terrorrisiken jeweils nur eine
Versicherungssparte betroffen ist. Indessen ist der Klägerin
nicht darin beizupflichten, dass sich aus § 30 Abs. 3 Satz 2
RechVersV, wonach die ähnlichen Rückstellungen in die
Schwankungsrückstellung zu überführen sind, sobald
in einem Geschäftsjahr die Voraussetzungen nach § 341h
Abs. 2 HGB nicht mehr vorliegen, eine Spartenbetrachtung auch
für die Höchstbetragsermittlung ergebe. Da die
Atomanlagenrückstellung in den betreffenden
Versicherungszweigen an die Stelle der Schwankungsrückstellung
tritt (vgl. Hommel/Löw in MünchKommHGB, a.a.O., §
341h Rz 25) und die Bildung einer ähnlichen Rückstellung
nach § 30 Abs. 3 Satz 1 RechVersV nicht zulässig ist,
soweit eine Schwankungsrückstellung gebildet wurde, ist es
insoweit geboten, bei Fortfall der Voraussetzungen des § 341h
Abs. 2 HGB die zurückgestellten Beträge in die
Schwankungsrückstellung zu überführen. Daraus folgt
bezogen auf die Höchstbetragsermittlung nach § 30 Abs. 2
Nr. 1 RechVersV aber nicht, dass dort die Grundsätze der
Spartentrennung ebenfalls gelten würden. Denn die
Schwankungsrückstellung unterscheidet sich aus den unter 4.b
dd genannten Gründen von der Atomanlagenrückstellung;
insoweit wird in § 30 Abs. 3 Satz 2 RechVersV zwar technisch
die Überführung in die Schwankungsrückstellung
geregelt, nicht aber der Unterschied zwischen Großrisiken-
und Schwankungsrückstellung aufgehoben.
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d) Da es bei der Auslegung des § 30 Abs.
2 Nr. 1 RechVersV um eine solche von Handelsrecht geht, die
aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips und mangels
eigenständiger steuerrechtlicher Regelungen auch für das
Steuerrecht gilt, bedarf es entgegen der Auffassung der
Klägerin keiner (positiven) steuerrechtlichen Bestimmung zur
„Durchbrechung“ handels- oder
aufsichtsrechtlicher Maßstäbe. Das gilt umso mehr, als
die Klägerin eine von der vorgenannten Auslegung abweichende
handels- oder aufsichtsrechtliche Praxis weder nachgewiesen hat
noch eine solche erkennbar ist.
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5. Die Klägerin kann sich hinsichtlich
der vom FA bis zum Veranlagungszeitraum (VZ) 2002 nicht
beanstandeten Handhabung der Höchstbetragsberechnung nicht auf
Vertrauensschutz berufen. Für den Steuerpflichtigen ergeben
sich aus der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben
nämlich nur dann Rechtsfolgen, wenn die Finanzbehörde ihm
gegenüber einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, sei es
durch eine Zusage oder durch nachhaltiges Verhalten. Dieser
Vertrauenstatbestand muss zudem ursächlich für
Maßnahmen, Handlungen oder Dispositionen des
Steuerpflichtigen gewesen sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 30.10.2014 IV R 61/11, BFHE 247, 332, BStBl II 2015, 478
= SIS 14 33 08). Im Streitfall hat das FA der Klägerin aber
weder eine auf die Anerkennung der von ihr bei der Berechnung des
Höchstbetrages der Atomanlagenrückstellung nach § 30
Abs. 2 Nr. 1 RechVersV verwendeten Methode gerichtete Zusage
erteilt noch durch (positives) nachhaltiges Verhalten einen
Vertrauenstatbestand geschaffen. Vielmehr hat das FA die
streitrelevante Problematik lediglich bis zum VZ 2002 nicht
geprüft. Die Anerkennung der in vorangegangenen VZ durch die
Klägerin gebildeten Rückstellungen durch das FA und die
Betriebsprüfung rechtfertigt indessen die Aufrechterhaltung
der streitigen Rückstellungen nicht. Vielmehr verpflichtet der
Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85
der Abgabenordnung) das FA, eine als unrichtig erkannte
Rechtsauffassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt
aufzugeben. Das FA ist grundsätzlich an seine rechtliche
Würdigung in früheren VZ nicht gebunden (Grundsatz der
Abschnittsbesteuerung, vgl. Senatsurteil vom 13.2.2008 I R 63/06,
BFHE 220, 415, BStBl II 2009, 414 = SIS 08 20 68; BFH-Urteil vom
17.10.2013 IV R 7/11, BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302 = SIS 13 33 35). Dies gilt selbst dann, wenn die fehlerhafte Auffassung in
einem Prüfungsbericht niedergelegt worden ist oder wenn das FA
über eine längere Zeitspanne eine fehlerhafte, für
den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hat und
der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert haben sollte
(ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 30.10.1997 IV R
76/96, BFH/NV 1998, 578 = SIS 98 07 78; vom 23.2.2012 IV R 13/08,
BFH/NV 2012, 1112 = SIS 12 15 61; in BFHE 243, 256, BStBl II 2014,
302 = SIS 13 33 35).
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6. Nach den vorstehenden Grundsätzen hat
das FA der nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 RechVersV vorzunehmenden
Höchstbetragsermittlung der für die Klägerin im
Streitjahr zu bildenden Atomanlagenrückstellung zu Recht die
bezogen auf den Sach- und Haftpflichtversicherungsschutz
summenmäßig am höchsten versicherte Anlage C
zugrunde gelegt. Dass die auf dieser Grundlage vorgenommene
Berechnung der Rückstellungshöhe fehlerhaft sein
könnte, ist weder erkennbar noch wird dies von der
Klägerin geltend gemacht, weshalb der Senat von weiteren
Ausführungen dazu absieht.
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7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
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