1. Auf die Revision des Beklagten wird das
Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate
Freiburg, vom 7.7.2011 3 K 1285/09 = SIS 12 02 61 aufgehoben.
Der Einkommensteuerbescheid 2015 wird
abgeändert. Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte
Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu
errechnen.
2. Die Anschlussrevision der Kläger wird
als unbegründet zurückgewiesen.
3. Die Kosten des gesamten Verfahrens haben
die Kläger zu 88 v.H. und der Beklagte zu 12 v.H. zu
tragen.
1
|
A. Die Kläger, Revisionsbeklagten und
Anschlussrevisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im
Streitjahr 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Beide Kläger wohnten im Streitjahr im Inland und beide
Kläger arbeiteten in der Schweiz als
öffentlich-rechtliche Angestellte. Steuerrechtlich wurden sie
mit ihren Einkünften aus unselbständiger Arbeit als sog.
Grenzgänger i.S. des Art. 15a des Abkommens zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom
11.8.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des
Protokolls vom 21.12.1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) -
DBA-Schweiz 1971/1992 - behandelt und unterlagen damit der
Besteuerung im Inland.
|
|
|
|
|
2
|
Mit Beginn seiner Tätigkeit wurde der
Kläger Mitglied der Versicherungskasse für das
Staatspersonal des Kantons S. Die Versicherungskasse dient der
Sicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen des Alters, der
Invalidität, des Todes und der unverschuldeten
Nichtwiederwahl. Sie ist eine unselbständige
öffentlich-rechtliche Anstalt des Staates und eine
registrierte Vorsorgeeinrichtung. Die Versicherung umfasst die nach
dem (Schweizer) Bundesgesetz über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Berufliches Vorsorge-Gesetz
- BVG - ) vom 25.6.1982 obligatorisch zu versichernden Arbeitnehmer
des Staates. Das Berufliche Vorsorge-Gesetz enthält
Mindestvorschriften, u.a. ergibt sich daraus, welche Personen
Versicherungsleistungen erhalten und wie hoch diese Leistungen im
Alter, im Todesfall oder im Invaliditätsfall mindestens sein
müssen. Diese Leistungen werden als BVG-Mindestleistungen und
das entsprechende Versicherungssystem als BVG-Obligatorium
bezeichnet. In welcher Höhe Vorsorgeleistungen im Alter, im
Todesfall oder im Invaliditätsfall tatsächlich bezahlt
werden, ergibt sich aus den Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung.
Diese Leistungen werden als reglementarische Vorsorgeleistungen
bezeichnet. Sind diese Leistungen - wie üblich - höher
als die BVG-Mindestleistungen, spricht man vom
Überobligatorium. Die BVG-Mindestleistungen werden von der
Versicherungskasse in jedem Fall gewährleistet. Aus diesem
Grund führt die Versicherungskasse für jede versicherte
Person zwei Versicherungsverhältnisse, nämlich ein
Versicherungsverhältnis gemäß der (Schweizer)
Verordnung über die Versicherungskasse für das
Staatspersonal vom 5.9.1989 und ein Versicherungsverhältnis
gemäß BVG-Obligatorium.
|
|
|
|
|
3
|
Der Kläger leistete im Streitjahr
insgesamt Beiträge an die Versicherungskasse in Höhe von
7.370 CHF (= 6.172,80 CHF [regelmäßige Beiträge] +
1.197,60 CHF Nachzahlungen). Die (regelmäßigen)
Beiträge seines Arbeitgebers beliefen sich im Streitjahr auf
6.294 CHF und für Nachzahlungen auf 1.197,60 CHF (insgesamt:
7.491,60 CHF).
|
|
|
|
|
4
|
Auch die Klägerin war Mitglied der
Versicherungskasse. Zuvor gehörte sie zunächst vom
1.3.2001 bis zum 24.8.2004 dem Vorsorgeplan Rentenversicherung an
und seit diesem Zeitpunkt der Sparversicherung, deren Beiträge
und Leistungen sich nach dem Beitragsprimat errechnen. Ihre
Beiträge an die Versicherungskasse betrugen im Streitjahr
3.409 CHF.
|
|
|
|
|
5
|
Die Versicherungskasse gewährte den
Klägern auf entsprechende Anträge einen Kapitalbezug zur
Wohneigentumsförderung (sog. Vorbezug für Wohneigentum),
und zwar dem Kläger in Höhe von 80.000 CHF und der
Klägerin in Höhe von 21.000 CHF, davon zugunsten des
Klägers in Höhe von 34.234,25 CHF und zugunsten der
Klägerin in Höhe von 7.064 CHF aus dem
Obligatorium.
|
|
|
|
|
6
|
Die von den Klägern an die Schweizer
Steuerbehörden gerichteten Anträge auf
Rückerstattung der einbehaltenen und abgeführten
Quellensteuern von 5.110 CHF (Kläger) sowie 1.260 CHF
(Klägerin) wurden unter Hinweis auf das sog.
Kassenstaatsprinzip des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992
abgelehnt.
|
|
|
|
|
7
|
Der Beklagte, Revisionskläger und
Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) setzte bei der
Einkommensteuerveranlagung (zuletzt im Steuerbescheid vom
17.4.2009) den sog. Vorbezug von insgesamt 101.000 CHF als
Einnahmen aus sonstigen Bezügen i.S. von § 22 Nr. 1 Satz
3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 des Einkommensteuergesetzes
2002 in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung des
Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung
von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen
(Alterseinkünftegesetz - AltEinkG - ) vom 5.7.2004 (BGBl I
2004, 1427, BStBl I 2004, 554) - EStG 2002 n.F. - an. Deren
Höhe berechnete er mit 65.145 EUR (= 101.000 CHF [nach dem im
Streitjahr maßgeblichen durchschnittlichen Umrechnungskurs
von 100 CHF = 64,50 EUR] ./. 32.573 EUR [nach § 22 Nr. 1 Satz
3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 und 4 EStG 2002 n.F.
„steuerfreier Teil der Rente“]). Unter
Berücksichtigung des Werbungskostenpauschbetrags von jeweils
102 EUR ergaben sich danach sonstige Einkünfte des
Klägers von 25.698 EUR und solche der Klägerin von 6.670
EUR. Die vom FA der Höhe nach auf 7.370 CHF ermittelten
Arbeitgeberbeiträge zur Versicherungskasse (den Kläger
betreffend) und von 3.409 CHF (die Klägerin betreffend)
beurteilte das FA insgesamt als nach „§ 3 Nr. 62
EStG“ steuerfrei. Diese Beiträge rechnete das FA im
Rahmen der Ermittlung der Sonderausgaben den abziehbaren
Vorsorgeaufwendungen hinzu (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 2002
n.F.). Zur Ermittlung des letztlich als Sonderausgaben abziehbaren
Betrages zog das FA von den - um den Übergangsfaktor von 60
v.H. gekürzten - Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 Satz 4
EStG 2002 n.F.) den steuerfreien Arbeitgeberanteil zur
Versicherungskasse wieder ab (§ 10 Abs. 3 Satz 5 EStG 2002
n.F.). Die eigenen Beiträge des Klägers an die
Versicherungskasse in Höhe von 7.370 CHF und diejenigen der
Klägerin in Höhe von 3.409 CHF berücksichtigte das
FA bei der Ermittlung des abziehbaren Teils der Sonderausgaben
gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. in
vollem Umfang als Beiträge zu einer gesetzlichen
Rentenversicherung.
|
|
|
|
|
8
|
Die von der Versicherungskasse vom sog.
Vorbezug einbehaltene Schweizerische Quellensteuer in Höhe von
insgesamt 6.370 CHF (= 4.108,65 EUR unter Berücksichtigung des
für das Streitjahr festgelegten jährlichen
Umrechnungskurses) zog das FA nach § 34c Abs. 1 (Satz 2) EStG
2002 n.F. in Höhe von 2.932 EUR von der tariflichen
Einkommensteuer ab. Das geschah auf Antrag der Kläger aus
sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 der
Abgabenordnung - AO - ) unter Hinweis auf die Anweisungen im von
der baden-württembergischen Finanzverwaltung herausgegebenen
sog. „Grenzgängerhandbuch“ zu Fach A Teil 2 Nr. 2.
Bei der Berechnung der anzurechnenden Steuer ging das FA davon aus,
dass die anzurechnende Quellensteuer nach Maßgabe von Art. 19
Abs. 5 i.V.m. Art. 15a Abs. 3 Buchst. a DBA-Schweiz 1971/1992 auf
4,5 v.H. des Vorbezugs zu begrenzen sei.
|
|
|
|
|
9
|
Die Kläger vertraten die Auffassung,
der Vorbezug unterliege nicht der Einkommensteuer. Ihre deswegen
erhobene Klage war überwiegend erfolgreich (Finanzgericht - FG
- Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom
7.7.2011 3 K 1285/09, abgedruckt in EFG 2012, 1557 = SIS 12 02 61).
Zu Recht habe das FA zwar den Vorbezug in Höhe von insgesamt
101.000 CHF zur Wohnungsförderung nach § 22 Nr. 1 Satz 3
Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 EStG 2002 n.F. als andere
Leistung aus einer (ausländischen) gesetzlichen
Rentenversicherung und damit als steuerbare Einnahme aus sonstigen
Einkünften beurteilt, für die Deutschland auch das
Besteuerungsrecht zustehe. Doch stelle der Vorbezug entgegen dem FA
eine gemäß § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerfreie
Abfindung aufgrund einer (ausländischen) gesetzlichen
Rentenversicherung dar. Ebenfalls zu Unrecht habe das FA - insoweit
allerdings in Einklang mit den Klägern - die gesamten
Beiträge des Arbeitgebers zur beruflichen Vorsorge an die
Versicherungskasse als nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F.
steuerfreie Lohnzuwendung behandelt. Steuerfrei seien hiernach
lediglich die in das Obligatorium, nicht aber die in das
Überobligatorium der Kasse geleisteten Beiträge. Die
Arbeitgeberbeiträge seien insoweit auch nicht nach § 3
Nr. 63 EStG 2002 n.F. steuerfrei. Jedoch seien die an die
Versicherungskassen geleisteten Beiträge zutreffend nach
§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. als Sonderausgaben
abgezogen worden, und zwar sowohl betreffend die Eigenbeiträge
der Kläger als auch die von den Klägern unter
Berücksichtigung des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. von
ihnen als Arbeitslohn zu versteuernden Arbeitgeberbeiträge an
die Kassen; ausgespart blieben vom Abzug im Ergebnis - und ihrem
Umfang nach begrenzt durch § 10 Abs. 3 Satz 4 und 5 EStG 2002
n.F. - die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfreien
Arbeitgeberbeiträge.
|
|
|
|
|
10
|
Das FA stützt seine Revision auf
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage vollen Umfangs abzuweisen.
|
|
|
|
|
11
|
Die Kläger beantragen
(sinngemäß), die Revision zurückzuweisen,
|
|
|
“zudem (Anschluss-Revision)“
...
|
|
|
-
|
“für den Fall, dass die Austrittsleistung, was den
obligatorischen und den überobligatorischen Teil bzw. nur den
obligatorischen Teil angeht, (...) als nicht nach § 3 Nr. 3
EStG 2002 steuerfrei eingestuft wird“;
|
|
|
-
|
“dass die auf die
überobligatorischen Beiträge entfallende
Freizügigkeitsleistung (Vorbezug) als eine Leistung eingestuft
wird, die auf nicht gesetzlich vorgeschriebenen Beiträgen
beruht und somit mit der Auszahlung aus einer privaten
Kapital/Renten-Versicherung vergleichbar ist. Mit der Konsequenz,
dass als einzige Vorschrift für die Beurteilung der
Steuerpflicht der § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG (2002) in Betracht
kommt. Somit könnten lediglich die im Auszahlungsbetrag
enthaltenen Zinsen, die auf die überobligatorischen
Beiträge entfallen, von steuerlicher Relevanz i.S.d. § 2
Abs. 1 EStG (2002) sein“;
|
|
|
-
|
“dass sich nur für die
Kapitalabfindung aus dem Obligatorium aus Art. 21 DBA-Schweiz
(1971/1992) ein deutsches Besteuerungsrecht (als
Ansässigkeitsstaat) ergibt; für den Teil der
Kapitalabfindung, der auf das Überobligatorium entfällt,
ergibt sich (Anschluss-Revision) aus dem Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz
(1971/1992) ein Besteuerungsrecht des Kassenstaates
‘Schweiz’“;
|
|
|
-
|
“für den Fall, dass die
Auszahlung des Überobligatoriums nachgelagert in Deutschland
(oder der Schweiz) der Besteuerung unterliegt, (...) hilfsweise
(Anschluss-Revision) die Freistellung der Arbeitgeberbeiträge
in das Überobligatorium nach § 3 Nr. 62 S. 4 i.V.m. S. 2
+ 3 EStG (2002)“;
|
|
|
-
|
“für den Fall, dass die
Auszahlung als Einkünfte nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG
(2002) eingestuft wird, (...) die Zuweisung des alleinigen
Besteuerungsrechtes des gesamten Vorbezugs (Obligatorium und
Überobligatorium) an den Kassenstaat ‘Schweiz’
(Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz [1971/1992])“.
|
|
|
|
|
B. ...
|
|
|
12
|
C. Die Revision des FA ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
geänderten Steuerfestsetzung. Das FG hat zwar zu Recht die
Auszahlung der an die Kläger geleisteten sog. Vorbezüge
als steuerbar angesehen, diese jedoch zu Unrecht als nach § 3
Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerfrei behandelt. Die steuerpflichtigen
Leistungen können allerdings gemäß § 34 Abs. 1
i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F. ermäßigt besteuert
werden. Dieser Teilerfolg der Klage wird nicht dadurch
geschmälert, dass den Klägern - entgegen der Annahme der
Vorinstanz, nunmehr aber wohl auch des FA - die Steuerbefreiung
nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. der in das sog.
Obligatorium geleisteten Arbeitgeberbeiträge genommen
würde. Eine darüber hinausgehende Steuerbefreiung auch
der Arbeitgeberbeiträge, welche in das sog.
Überobligatorium geleistet worden sind, scheidet indessen aus,
die diesbezügliche Anschlussrevision der Kläger ist
unbegründet. Im Übrigen werden die in
„Anschlussrevisionen“ gekleideten
Revisionsanträge vom Senat als bloßes Einwenden in der
Sache behandelt. Als solche sind die Einwendungen aber
gleichermaßen nicht tragfähig.
|
|
|
13
|
1. Dass es sich bei dem sog. Vorbezug zur
Wohneigentumsförderung um eine gemäß § 22 Nr.
1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2002 n.F. steuerbare
Leistung handelt, welche dem deutschen Besteuerungsrecht
unterfällt, ergibt sich bereits abschließend aus dem
zitierten Zwischenurteil des Senats in BFH/NV 2015, 20. Gleiches
betrifft die Möglichkeit einer über die durch den vom FA
gewährten Billigkeitserweis hinausgehenden Anrechnung in der
Schweiz erhobener Ertragsteuern. Es ist insoweit auf das
Zwischenurteil zu verweisen. Denn durch dieses Urteil ist in
verbindlicher Weise rechtskräftig über die
abgeschichteten (Teil-)Fragen, die die Kläger aufwerfen,
entschieden worden. Eine erneute und gegebenenfalls abweichende
Entscheidung über diese Fragen scheidet aus.
|
|
|
14
|
2. In der Sache muss nach der damit
abgeschichteten Klärung der erwähnten Streitfragen durch
das Zwischenurteil noch über die weiterhin
streitgegenständlichen und ihrerseits ebenfalls
entscheidungserheblichen Rechtsfragen entschieden werden, ob -
erstens - der sog. Vorbezug nach § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F.
steuerbefreit ist, und ob er, verneint man das, gemäß
§ 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F.
ermäßigt besteuert werden kann, und/oder, ob - zweitens
- die geleisteten Arbeitgeberbeiträge nach § 3 Nr. 62
EStG 2002 n.F. steuerfrei sind.
|
|
|
15
|
a) Entgegen der Auffassung des FG ist der
Vorbezug, soweit er auf das Obligatorium entfällt, nicht
gemäß § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. steuerfrei. Dieser
Rechtsfehler führt zur Aufhebung des FG-Urteils.
|
|
|
16
|
aa) Steuerfrei sind im Streitjahr nach dieser
Vorschrift Kapitalabfindungen aufgrund der gesetzlichen
Rentenversicherung und aufgrund der Beamten-(Pensions-)Gesetze. Der
Senat schließt sich der Rechtsprechung des X. Senats des BFH
an, wonach die Anwendung des § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. auf eine
Kapitalleistung einer ausländischen Rentenversicherung nur
gerechtfertigt ist, wenn sich die Leistungen im Wesentlichen
entsprechen und demselben Zweck dienen.
Kapitalabfindungsansprüche der deutschen Versorgungssysteme
sind dadurch gekennzeichnet, dass sie den Wegfall bestehender
Renten- oder Versorgungsansprüche kompensieren (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 = SIS 13 32 61).
Auf dieser Grundlage hat der X. Senat sog. Austrittsleistungen zur
Abfindung des Altersguthabens von einer schweizerischen
Pensionskasse an einen Steuerpflichtigen, der mangels Erreichens
der Altersgrenze noch keinen Rentenanspruch gegen die Pensionskasse
geltend machen konnte, nicht als eine steuerbefreite
Kapitalabfindung beurteilt, die für den Verlust eines
bestehenden Anspruchs auf Versorgungsleistungen gewährt worden
ist, sondern als einen besonderen „Auszahlungsmodus von
erworbenen Ansprüchen bis zum Ausscheidenszeitpunkt“
aus der Pensionskasse. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 3
EStG 2002 n.F. scheide dafür aber aus. Auch für einen
Vorbezug, der zur Wohnraumförderung von einer privaten
schweizerischen Pensionskasse gezahlt wurde, hat der VIII. Senat
des BFH zwischenzeitlich die Steuerbefreiung verneint, weil dadurch
nicht ein schon bestehender Rentenanspruch des Empfängers
abgefunden worden ist (BFH-Urteil vom 26.11.2014 VIII R 39/10, BFHE
249, 39 = SIS 15 12 97; s.a. BFH-Beschluss vom 25.3.2010 X B
142/09, BFH/NV 2010, 1275 = SIS 10 18 27, für den von einer
Schweizer Freizügigkeitsstiftung geleisteten Vorbezug). Die
Entscheidungen in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 = SIS 13 32 61
und in BFHE 249, 39 = SIS 15 12 97 betrafen übereinstimmend
mit dem Streitfall die für das Streitjahr 2005
maßgebende Regelungsfassung des § 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F.
vor dessen Änderung durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2007
vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28).
|
|
|
17
|
Dem schließt sich der Senat auch
für die hier in Rede stehenden Vorbezüge, die seitens der
öffentlich-rechtlich strukturierten Versicherungskassen des
Kantons S an die Kläger ausbezahlt worden sind, an.
Insbesondere veranlasst die seinerzeitige Regelungsfassung von
§ 3 Nr. 3 EStG 2002 n.F. es nicht, abweichend von den beiden
Entscheidungen die abfindungsbedingte Kürzung erst
zukünftiger Rentenleistungen genügen zu lassen. Der
dagegen gerichtete Einwand der Kläger, das Erfordernis eines
bereits bestehenden Rentenanspruchs lasse sich dem Gesetz - anders
als der nachfolgenden Regelungsfassung des § 3 Nr. 3 EStG 2002
n.F. - nicht entnehmen (so deren Prozessbevollmächtigter, vgl.
Miessl, IStR 2015, 683, 685), wird nur unspezifisch behauptet,
nicht aber begründet. Er wird durch die verschiedenen
Gesetzesfassungen auch nicht getragen. Infolgedessen kann
dahinstehen, ob sich - wie die Kläger meinen - aus den
tatrichterlichen Feststellungen eine Kürzung zukünftiger
Versorgungsansprüche infolge der Inanspruchnahme der gezahlten
Vorbezüge herleiten lässt oder nicht.
Aussagekräftige Belege dazu hat der Senat davon abgesehen aber
ohnehin auch nicht vorfinden können.
|
|
|
18
|
bb) Eine Steuerfreiheit der gezahlten
Vorbezüge, soweit sie sich aus dem sog. Überobligatorium
speisen, lässt sich entgegen dem hilfsweisen Vorbringen der
Kläger auch nicht aus § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 (i.V.m.
§ 52 Abs. 36 Satz 5) EStG 2002 n.F. herleiten. Das käme
nur in Betracht, sofern es sich um die Auszahlung aus einer
privaten Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht handeln würde
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 249, 39 = SIS 15 12 97, s. dazu Levedag,
HFR 2015, 747), was aber ersichtlich nicht der Fall ist.
|
|
|
19
|
cc) Der nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a
Doppelbuchst. aa EStG 2002 n.F. steuerpflichtige obligatorische
Vorbezug von 32.368 EUR ist allerdings, wovon zwischenzeitlich auch
die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, nach § 34 Abs.
1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG 2002 n.F. ermäßigt zu
besteuern. Der Senat verweist auch insofern auf das BFH-Urteil in
BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 = SIS 13 32 61. Das FA hat dazu
zwar eine „Probeberechnung“ vorgelegt, diese
jedoch noch nicht in einen geänderten Steuerbescheid eingehen
lassen. Die Änderung ist hiernach im Rahmen der Entscheidung
über die Revision vorzunehmen; die Berechnung der
festzusetzenden Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§
100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
|
|
|
20
|
b) Es bleibt unbeanstandet, dass das FG -
insoweit abweichend vom FA und zuungunsten der Kläger: nur -
die in das sog. Obligatorium geleisteten Arbeitgeberbeiträge,
nicht aber die in das sog. Überobligatorium geleisteten
Arbeitgeberbeiträge als steuerpflichtigen Arbeitslohn
behandelt hat: Obligatorische Arbeitgeberbeiträge zu der
öffentlich-rechtlichen Versicherungskasse sind nach § 3
Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfrei; überobligatorische
Arbeitgeberbeiträge zu einer solchen Kasse sind als
Beiträge i.S. des § 3 Nr. 62 Satz 4 Halbsatz 1 EStG 2002
n.F. innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 62 Satz 3 EStG 2002
n.F. steuerfrei; auf die danach steuerfreien Arbeitgeberleistungen
sind die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002 n.F. steuerfreien
Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers anzurechnen. Auch
insoweit kann, um Wiederholungen zu vermeiden, uneingeschränkt
auf die BFH-Urteile in BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 = SIS 13 32 61 und in BFHE 249, 39 = SIS 15 12 97, sowie zusätzlich
auch auf das BFH-Urteil vom 24.9.2013 VI R 6/11, BFHE 243, 210 =
SIS 13 34 22 Bezug genommen werden. Der Senat macht sich die dort
gegebenen Begründungen zu eigen.
|
|
|
21
|
Infolgedessen ist die Revision des FA in
diesem Punkt ebenso unbegründet wie die von den Klägern
insoweit nach § 155 FGO i.V.m. § 554 der
Zivilprozessordnung - zulässigerweise (vgl. z.B.
Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 120
Rz 83, m.w.N. zur Rechtsprechung) bedingt - eingelegte
Anschlussrevision (wobei, was das FA anbelangt, hinzukommt, dass
dieses sich jetzt gegen die eigene Steuerfestsetzung wehrt und ein
diesbezügliches Begehren ohnehin nur im Rahmen einer
streitwertbetraglichen Saldierung berücksichtigt werden
könnte): Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine
Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 Satz 1 und Satz 4 EStG 2002
n.F. sind bezogen auf das Überobligatorium nicht erfüllt.
Unterschiede zwischen einer öffentlich-rechtlichen und einer
privaten Pensions- oder Versicherungskasse sind - mit allerdings
voneinander abweichenden Rechtsfolgen sowohl entgegen der Annahme
der Kläger als auch jener des FA - in diesem Punkt nicht
veranlasst. Namentlich ist nicht ersichtlich, weshalb nicht
zwischen den Beiträgen in das Obligatorium einerseits und das
Überobligatorium andererseits differenziert werden können
sollte. Die vom FA eingeforderte, aber nicht näher
begründete einheitliche Behandlung beider Bereiche der
Schweizer Versorgungsstrukturen ist bei dem Vergleich, der im
Rahmen des § 3 Nr. 62 EStG 2002 n.F. mit der deutschen
gesetzlichen Sozialversicherung anzustellen ist, keineswegs
geboten, auch nicht - wie aber das FA meint - aus Gründen der
„Konsequenz“. Dass dadurch gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot und den dadurch
geschützten Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen oder auch
gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen
würde, ist nicht erkennbar; der diesbezügliche Vortrag
der Kläger ist in der Sache nicht nachvollziehbar. Ob und
inwieweit sich das im Zuge der Aufhebung oder Änderung von
Steuerbescheiden durch das FA zuungunsten der Kläger auswirkt
und nach Maßgabe von § 176 Abs. 2 AO in Anbetracht einer
insoweit gegenläufigen Verwaltungspraxis (s.a. Levedag, HFR
2015, 747, 748) auswirken darf, ist nicht Gegenstand dieser
Entscheidung.
|
|
|
22
|
c) Und unbeanstandet bleibt schließlich
auch - insoweit unter den Beteiligten nicht streitig -, dass das FG
die von den Klägern geleisteten Beiträge an die
Versicherungskassen ebenso wie die Arbeitgeberbeiträge nach
§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. als Sonderausgaben
zum Abzug zugelassen, die nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG 2002
n.F. steuerfreien Arbeitgeberbeiträge danach jedoch wiederum
nach Maßgabe von § 10 Abs. 3 Satz 3 und 4 EStG 2002 n.F.
hinzugerechnet hat (s.a. dazu BFH-Urteil in BFHE 249, 39 = SIS 15 12 97; Levedag, HFR 2015, 747, 748).
|
|
|
23
|
3. Schließlich folgt der Senat dem X.
Senat des BFH (in dessen Urteil vom 18.11.2009 X R 34/07, BFHE 227,
99, BStBl II 2010, 414 = SIS 10 00 39) auch darin, dass die nach
Maßgabe von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Abs. 3
Satz 2 und 3 EStG 2002 n.F. auf Höchstbeträge
beschränkte Abziehbarkeit der Altersvorsorgeaufwendungen in
verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist (ebenso z.B.
Förster, DStR 2010, 137; Stützel, DStR 2010, 1545; anders
z.B. Kulosa in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 335). Er
nimmt deshalb auf das Urteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414 =
SIS 10 00 39 Bezug. Die dagegen (beim Bundesverfassungsgericht -
BVerfG - unter dem Az. 2 BvR 288/10) eingelegte
Verfassungsbeschwerde veranlasst ihn nicht zu einer
Verfahrensaussetzung (nach § 74 FGO). Dem FA bleibt es aber
unbenommen, im Rahmen der ausstehenden Änderung des
angefochtenen Steuerbescheides diesen zugunsten der Kläger bis
zum Ergehen der Entscheidung des BVerfG mit einem entsprechenden
Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 AO zu versehen
(vgl. dazu Bundesministerium der Finanzen, Erlass vom 16.5.2011,
BStBl I 2011, 464 = SIS 11 16 16 und die dem beigefügte Anlage
1).
|
|
|
24
|
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
136 Abs. 1 FGO. Sie umfasst die Kosten für das Zwischenurteil
ebenso wie für die von den Klägern eingelegte
Anschlussrevision betreffend die Steuerfreiheit der
Arbeitgeberbeiträge. Die Berechnung der Kostenquote orientiert
sich dabei an dem Verhältnis des Streitwerts zu der vom FA
vorgelegten „Probeberechnung“ zur
Berücksichtigung von § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG
2002 n.F.
|
|
|
|
|
|