Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 19.3.2013 1 K 757/09
aufgehoben.
Die Sache wird an das Thüringer Finanzgericht
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des
Revisionsverfahrens übertragen.
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I. Die Beklagte und Revisionsbeklagte
(Familienkasse) hatte der Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin) zunächst Kindergeld für die im Mai 1987
geborene Tochter auch nach deren Vollendung des 18. Lebensjahrs
gezahlt.
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Die Tochter war vom 1.11.2005 bis zum
16.8.2006 als Kosmetikerin selbständig tätig. Aus dieser
Tätigkeit erklärte sie gewerbliche Einkünfte
für die Zeit vom 1. November bis zum 31.12.2005 in Höhe
von minus 762 EUR und für den Zeitraum vom 1. Januar bis
16.8.2006 in Höhe von 1.732 EUR, die sich aus einem laufenden
Gewinn von 832 EUR und einem Veräußerungsgewinn aus
Warenverkauf in Höhe von 900 EUR zusammensetzten.
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Nachdem die Familienkasse von dieser
Tätigkeit erfahren hatte, hob sie durch Bescheid vom 4.6.2008
die Kindergeldfestsetzung ab November 2005 auf und forderte das
für November 2005 bis Juli 2006 gezahlte Kindergeld (1.386
EUR) zurück.
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Den dagegen gerichteten Einspruch wies die
Familienkasse als unbegründet zurück, weil die Tochter
selbständig erwerbstätig gewesen und nicht bei einer
Agentur für Arbeit oder einem anderen zuständigen
Leistungsträger als arbeitsuchend gemeldet gewesen sei
(Einspruchsentscheidung vom 10.8.2009).
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Es entschied, für die Tochter könne kein Kindergeld nach
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
beansprucht werden, weil sie infolge ihrer gewerblichen
Tätigkeit in einem Beschäftigungsverhältnis
gestanden habe. Die Familienkasse sei auch nicht an der
Rückforderung des Kindergeldes gehindert gewesen.
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Die Klägerin trägt zur
Begründung ihrer Revision vor, die selbständige
Berufstätigkeit eines Kindes sei kein
Beschäftigungsverhältnis. Der Begriff bezeichne lediglich
nichtselbständige Beschäftigungsverhältnisse, nicht
aber eine gewerbliche oder selbständige Tätigkeit.
Kindergeld sei jedenfalls deshalb zu gewähren, weil die
selbständige Tätigkeit ihrer Tochter finanziell ohne
Erfolg geblieben sei.
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II. Die Familienkasse ... der Bundesagentur
für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss
des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom
18.4.2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des
Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur
für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, Seite 6 ff.) im Wege des
gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der
Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse ... eingetreten (vgl.
Senatsurteil vom 8.5.2014 III R 21/12, BFHE 246, 389, BStBl II
2015, 135 = SIS 14 28 13). Das Rubrum wurde entsprechend
angepasst.
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III. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Feststellungen des FG reichen
nicht aus, um den Kindergeldanspruch der Klägerin für
ihre Tochter beurteilen zu können.
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1. Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet
hat, wird nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG beim Kindergeld
berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr
vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis
steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als
Arbeitsuchender gemeldet ist.
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a) Das FG hat nicht festgestellt, ob die
Tochter sich - was von der Klägerin behauptet und von der
Familienkasse bestritten wurde - als Arbeitsuchende gemeldet und
diese Meldung nach Ablauf von jeweils drei Monaten erneuert hat
(vgl. dazu Senatsurteile vom 19.6.2008 III R 68/05, BFHE 222, 349,
BStBl II 2009, 1008 = SIS 08 31 15; vom 26.7.2012 III R 70/10,
BFH/NV 2012, 1971 = SIS 12 29 90, Rz 15). Dies wäre für
eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG
erforderlich, da die Neuregelung des § 38 des Dritten Buchs
Sozialgesetzbuch (SGB III), wonach die Vermittlungspflicht der
Arbeitsagentur nicht mehr automatisch nach Ablauf von drei Monaten
endet, erst ab 1.1.2009 und daher im Streitzeitraum noch nicht
anwendbar war (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
10.4.2014 III R 19/12, BFHE 245, 200, BStBl II 2015, 29 = SIS 14 19 34, und vom 26.8.2014 XI R 1/13, BFH/NV 2015, 15 = SIS 14 32 54).
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b) Der Senat kann aufgrund der Feststellungen
des FG auch nicht beurteilen, ob die Tochter in einem
Beschäftigungsverhältnis stand.
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aa) Der Begriff des
Beschäftigungsverhältnisses in § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 EStG ist sozialrechtlich zu verstehen. Ein Kind steht demnach
nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, wenn es
beschäftigungslos i.S. des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III
a.F. (jetzt § 138 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB III) ist
(vgl. Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG
Rz 90; Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 32 Rz 25;
Blümich/ Selder, § 32 EStG Rz 30; Dürr in
Frotscher/Geurts, EStG, § 32 Rz 57).
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Denn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG in der
für die Jahre 2000 bis 2002 geltenden Fassung hatte
ausdrücklich bestimmt, dass ein Kind zu berücksichtigen
ist, wenn es „arbeitslos im Sinne des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch“ ist (vgl. dazu BFH-Beschluss vom
10.1.2003 VIII B 81/02, BFH/NV 2003, 897 = SIS 03 32 49, Rz 5).
Dieser Verweis ist zwar ab dem Jahr 2003 entfallen (§ 32 Abs.
4 Satz 1 Nr. 1 EStG i.d.F. des Zweiten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 2002,
4621). Der Gesetzgeber wollte dadurch indessen nicht von den
Begrifflichkeiten des SGB III Abstand nehmen, sondern mit der
Gesetzesänderung lediglich erreichen, dass Kinder ohne
Beschäftigung sich nicht ausschließlich wegen des
Anspruchs auf Kindergeld beim Arbeitsamt arbeitslos melden
müssen (BTDrucks 15/26, S. 29).
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Nach der ständigen Rechtsprechung des
Senats bestimmt sich zudem die von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
EStG ferner vorausgesetzte Meldung als Arbeitsuchender bei der
Agentur für Arbeit nach § 38 SGB III (z.B. Senatsurteile
in BFHE 222, 349, BStBl II 2009, 1008 = SIS 08 31 15, und in BFHE
245, 200, BStBl II 2015, 29 = SIS 14 19 34). Dem würde es
widersprechen, den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG vom
Gesetzgeber verwendeten Begriff des
Beschäftigungsverhältnisses anders als ebenfalls im
sozialrechtlichen Sinne zu verstehen. Auf die von der Klägerin
aufgeworfene Frage, ob der gewöhnliche Sprachgebrauch unter
einem „Beschäftigungsverhältnis“
üblicherweise nur eine nichtselbständige Betätigung
versteht, kommt es daher nicht an.
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bb) Die Beschäftigungslosigkeit nach
§ 119 Abs. 1 SGB III a.F. wird gemäß § 119
Abs. 3 SGB III a.F. (jetzt § 138 Abs. 3 SGB III) u.a. durch
die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht
ausgeschlossen, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit weniger
als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen
von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Eine von
Gewinnerzielungsabsicht getragene (Öndül in: jurisPK-SGB
III, 1. Aufl. 2014, § 138 SGB III Rz 41) selbständige
oder gewerbliche Betätigung des Kindes steht der
Beschäftigungslosigkeit somit entgegen, wenn sie (nicht nur
ausnahmsweise) mindestens 15 Stunden wöchentlich umfasst.
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Das FG hat den Umfang der Tätigkeit der
Tochter nicht festgestellt. Angesichts der geringen Höhe der
von ihr daraus erzielten Einkünfte erscheint es als nicht
ausgeschlossen, dass sie regelmäßig weniger als 15
Stunden wöchentlich gearbeitet hat.
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cc) Die Höhe der aus der Tätigkeit
erzielten Einkünfte ist für § 119 Abs. 1 SGB III
a.F. ohne Bedeutung. Der fehlende finanzielle Erfolg der
Tätigkeit der Tochter vermag deshalb ihre
Beschäftigungslosigkeit nicht zu begründen.
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Die Verwaltung geht zwar davon aus, dass eine
geringfügige nichtselbständige Beschäftigung
gemäß § 8 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB
IV) oder § 8a SGB IV (Monatsentgelt im Streitzeitraum bis zu
400 EUR, derzeit bis zu 450 EUR) der Berücksichtigung nicht
entgegenstehe (Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem
Einkommensteuergesetz, BStBl I 2014, 922, unter A 13 Abs. 1 Satz
2). Das lässt sich aber nicht auf selbständige
Betätigungen übertragen, weil diese im Gegensatz zu
geringfügigen Arbeitsverhältnissen insbesondere in der
Anlaufphase häufig trotz geringer Einkünfte einen
erheblichen zeitlichen Einsatz erfordern.
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2. Im zweiten Rechtsgang wird im Hinblick auf
den Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 EStG sowohl die tatsächliche Meldung der Tochter als
Arbeitsuchende (vgl. dazu Senatsurteile vom 25.9.2008 III R 91/07,
BFHE 223, 354, BStBl II 2010, 47 = SIS 09 05 66; in BFH/NV 2012,
1971 = SIS 12 29 90) als auch der zeitliche Umfang ihrer
Tätigkeit zu prüfen sein.
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3. Die Kostenentscheidung wird dem FG
übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
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