1
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I. Sachverhalt
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt) erhöhte aufgrund einer Außenprüfung die
Einnahmen der Kläger und Revisionskläger (Kläger)
aus Kapitalvermögen wegen bisher nicht erfasster Erträge
aus US-amerikanischen Investmentfonds unter Anwendung des § 18
Abs. 3 des Gesetzes über den Vertrieb ausländischer
Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge
aus ausländischen Investmentanteilen. Der Einspruch und die
anschließende Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben
erfolglos.
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3
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Das FG-Urteil ist dem Prozessvertreter der
Kläger, der in Sozietät mit zwei weiteren
Rechtsanwälten tätig war, durch Zustellungsurkunde
zugestellt worden. Auf der Zustellungsurkunde ist als Tag der
Zustellung Mittwoch, der 24.12.2008, nicht aber die Uhrzeit der
Zustellung vermerkt.
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Die Revision der Kläger ging beim
Bundesfinanzhof (BFH) am Dienstag, den 27.1.2009 ein.
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Nachdem die Geschäftsstelle des Senats
auf den verspäteten Eingang der Revision hingewiesen hatte,
haben die Kläger mit Schriftsatz vom 28.1.2009 der Annahme
einer Fristversäumnis widersprochen und zugleich (hilfsweise)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
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6
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Zur Begründung tragen sie vor, das
Urteil sei ihrem Prozessbevollmächtigten erst am 29.12.2008
zugegangen. Die Kanzlei sei vom 24. bis 28.12.2008 nicht besetzt
gewesen. Die Fachangestellte B des Prozessbevollmächtigten
habe die Sendung erst am 29.12.2008 im Kanzleibriefkasten
vorgefunden. Auf dem Briefumschlag, in dem sich das Urteil befunden
habe, fehle die Angabe des Tags der Zustellung.
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7
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Im Übrigen komme es für den
Fristbeginn auf den Tag an, an dem ihr Prozessbevollmächtigter
das zuzustellende Urteil in die Hand bekommen habe. Dies sei der
29.12.2008 gewesen. Danach sei die Revision rechtzeitig eingelegt
worden. Hilfsweise sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren; ein möglicher Fehler der Frau B bei der
Fristberechnung sei den Klägern nicht zurechenbar.
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8
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Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags haben
die Kläger einen Briefumschlag des FG für eine
förmliche Zustellung übersandt und beziehen sich im
Übrigen auf Versicherungen an Eides statt ihres
Prozessbevollmächtigten und der Frau B. Der Briefumschlag
enthält im Feld „zugestellt am“ keine Eintragung.
Handschriftlich ist auf dem Umschlag vermerkt: „Eingang am
Montag 29.12.08 laut Frau B... und Frau T...“.
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9
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Der vorlegende Senat hat Beweis erhoben
gemäß Beweisbeschluss vom 27.3.2012 durch Vernehmung des
Briefzustellers als Zeugen über die Frage, zu welcher
Tageszeit das Urteil des FG (am 24.12.2008) in den Briefkasten des
Prozessbevollmächtigten der Kläger eingeworfen worden
ist. Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist in der
Sitzungsniederschrift vom 29.5.2012 festgehalten worden.
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II. Stellungnahme des beschließenden
Senats zu der vorgelegten Rechtsfrage
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11
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Der beschließende Senat bejaht die
vorgelegte Rechtsfrage. Sie ist entscheidungserheblich, weil
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- nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das
zuzustellende FG-Urteil tatsächlich am Vormittag des
24.12.2008 in den Briefkasten des Bevollmächtigten der
Kläger eingeworfen worden ist und
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- nach Auffassung des vorlegenden Senats am
24. Dezember im Anschluss an die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH) zu Zustellungen an auf einen Werktag
fallenden Silvestertagen zumindest bis zum Mittag mit einer
Kenntnisnahme von Geschäftspost gerechnet werden kann.
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Dies hätte die Verfristung der Revision
zur Folge. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand sind nach Auffassung des vorlegenden Senats nicht
erfüllt (siehe im Einzelnen unter III.).
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1. Maßgebende Rechtsvorschriften
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a) Bei der Zustellung mit Zustellungsurkunde
(§§ 176 bis 182 der Zivilprozessordnung - ZPO - i.V.m.
§ 53 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) wird die
Zustellung im Regelfall durch die Übergabe des
Schriftstücks bewirkt (§§ 176, 177 ZPO); ersatzweise
kann sie u.a. durch Einlegen in den Briefkasten (§ 180 ZPO)
bewirkt werden. In diesem Fall gilt das Schriftstück mit der
Einlegung als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Der Zusteller
vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das
Datum der Zustellung (§ 180 Satz 3 ZPO) und hat dies ebenfalls
in der Zustellungsurkunde gesondert zu beurkunden (§ 182 Abs.
2 Nr. 6 ZPO). Lässt sich die formgerechte Zustellung eines
Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung
zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem
Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die
die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder
gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist (§
189 ZPO).
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15
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b) Die Vorschriften über die Zustellung
sind durch das Zustellungsreformgesetz vom 25.6.2001 (BGBl I 2001,
1206) grundlegend überarbeitet worden.
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16
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aa) Allgemeine Ziele der Reform des
Zustellungsrechts waren, das Zustellungsrecht zu vereinfachen, die
Auswahlmöglichkeiten zwischen mehreren Zustellungsformen zu
erweitern, die Zustellung durch Niederlegung soweit wie
möglich zu vermeiden und den zunehmenden Einsatz
elektronischer Kommunikationsmittel angemessen zu
berücksichtigen (BRDrucks 492/00, S. 23). Erstmalig sollte
für das Verfahren der ordentlichen Gerichte sowie das
Verfahren der Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und
Finanzgerichtsbarkeit ein einheitliches Zustellungsrecht geschaffen
werden, das dem Grunde nach in der ZPO geregelt ist; nur
gerichtszweigspezifische Ausnahmen sollten in den betreffenden
Verfahrensordnungen verbleiben (BRDrucks 492/00, S. 27).
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bb) Zustellungsmängel sollen nach der
Gesetzesbegründung unbeachtlich bleiben, wenn der
Zustellungszweck und damit die Verschaffung einer angemessenen
Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks sowie
die Dokumentation des Bekanntgabezeitpunktes erreicht waren. Bei
fehlendem Nachweis über eine formgerechte Zustellung oder bei
Verstoß der Zustellung gegen zwingende Formvorschriften
sollte das Schriftstück als zugestellt gelten, wenn der
Adressat es erhält und der Zustellungszweck erreicht ist.
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18
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Dies sollte erstmals auch in Fällen
gelten, in denen mit der Zustellung Notfristen in Gang gesetzt
werden (BRDrucks 492/00, S. 26).
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cc) § 180 ZPO hat danach folgenden
Wortlaut erhalten:
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„Ist die Zustellung nach § 178
Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das
Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem
Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine
ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat
für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein
üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist.
Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der
Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden
Schriftstücks das Datum der Zustellung.“
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20
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Nach der Einzelbegründung soll durch die
Vorschrift unter anderem der Zugang einer Sendung erleichtert, die
Zahl der Ersatzzustellungen durch Niederlegung verringert und damit
das Zustellungsverfahren beschleunigt werden (BRDrucks 492/00, S.
46).
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21
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Im Hinblick auf den Inhalt der
Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) geht die Einzelbegründung
davon aus, dass der vorgeschriebene Vermerk über das Datum der
Zustellung den Adressaten auf einen möglichen Fristbeginn
hinweisen soll. Dies sei wegen der umgehenden Rücksendung der
Zustellungsurkunde mit dem vermerkten Zustellungsdatum an den
Zustellenden erforderlich.
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22
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Das Fehlen des Datumsvermerks soll dabei nach
der Begründung im Regierungsentwurf nicht zur Unwirksamkeit
der Zustellung führen, sondern lediglich vom Gericht bei der
Prüfung berücksichtigt werden, ob und wann das
Schriftstück (i.S. des § 180 Satz 2 ZPO) als zugestellt
gilt (BRDrucks 492/00, S. 49).
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23
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dd) § 189 ZPO (Heilung von
Zustellungsmängeln) lautet:
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„Lässt sich die formgerechte
Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument
unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so
gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der
Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet
war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen
ist.“
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24
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Zu dieser Heilungsvorschrift führt die
Einzelbegründung aus, für die Formulierung
„tatsächlich zugegangen“ habe § 9 Abs.
1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) a.F. als Vorbild
gedient. Nach dieser Norm tritt die Heilung eines
Zustellungsmangels in dem Zeitpunkt ein, in welchem der Adressat
das Schriftstück nachweislich erhalten hat (vgl. BRDrucks
492/00, S. 55).
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2. Bisherige Rechtsprechung des BFH
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Der BFH hat sich in mehreren Entscheidungen
mit den Folgen für den Beginn von Rechtsmittelfristen befasst,
wenn bei einer Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten
das Datum auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks
fehlte (siehe unter II.2.a bis c). Zudem hat er sich mit der
Heilungsmöglichkeit im Fall einer Ersatzzustellung durch
Übergabe an eine Person im Ladengeschäft beschäftigt
(siehe unter II.2.d).
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27
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a) Mit Beschluss vom 19.1.2005 II B 38/04
(BFH/NV 2005, 900 = SIS 05 22 28) hat der II. Senat eine an einem
Samstag an eine Anwaltskanzlei förmlich zugestellte und in
deren Briefkasten eingelegte finanzgerichtliche Entscheidung wegen
fehlenden Vermerks über das Datum der Zustellung auf dem
Umschlag des zugestellten Schriftstücks als erst am folgenden
Montag bewirkt angesehen. Wegen des fehlenden Datumsvermerks
verstoße die Zustellung gegen zwingende
Zustellungsvorschriften. Für den Zeitpunkt der Heilung komme
es darauf an, wann das zuzustellende Schriftstück derart in
die Hände des Empfängers gelangt sei, dass dieser es habe
behalten und von seinem Inhalt habe Kenntnis nehmen können.
Dies sei erst am 15.3.2004 der Fall gewesen, da der Empfänger
(nach seinen Angaben) erst an diesem Tag das Schriftstück
vorgefunden habe.
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b) Ein Beschluss des VI. Senats vom 19.9.2007
VI B 151/06 (BFH/NV 2007, 2332 = SIS 08 01 58) betraf die
Zustellung eines Urteils, das nach der Zustellungsurkunde am
17.11.2006 in den Briefkasten des Klägers eingelegt worden
war. Auf dem Umschlag fehlte der Datumsvermerk. Auch der VI. Senat
nahm einen Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften
an. Für den Zeitpunkt der Heilung komme es darauf an, wann das
zuzustellende Schriftstück derart in die Hände des
Zustellungsadressaten gelangt sei, dass dieser es habe behalten und
von seinem Inhalt Kenntnis nehmen können. Dies sei erst am
23.11.2006 der Fall gewesen, weil der Kläger (nach seinen
Angaben) erst an diesem Tag das Schriftstück vorgefunden
habe.
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29
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c) Das Urteil des I. Senats vom 21.9.2011 I R
50/10 (BFHE 235, 255, BStBl II 2012, 197 = SIS 11 39 39) betrifft
die Zustellung eines finanzgerichtlichen Urteils durch
Zustellungsurkunde (mit Einlegung in den Briefkasten des
Prozessbevollmächtigen am Samstag, den 29.5.2010); auf dem
zugestellten Umschlag fehlte die Angabe des Datums. Der
Prozessbevollmächtigte hatte an Eides statt versichert, das
Urteil habe sich nicht in der am Samstagnachmittag aus dem
Briefkasten entnommenen Post, sondern erst in der am Montagmorgen
entnommenen Post befunden. Der I. Senat ging deshalb (unter
Bezugnahme auf den Beschluss des VI. Senats in BFH/NV 2007, 2332 =
SIS 08 01 58) davon aus, dass der tatsächliche Zugang
gemäß § 189 ZPO erst am Montag erfolgt sei.
Dafür spreche auch, dass das FG-Urteil mit dem Eingangsstempel
des Prozessbevollmächtigten vom Montag versehen worden
sei.
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30
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d) In der Entscheidung des vorlegenden Senats
vom 25.1.1994 VIII R 45/92 (BFHE 173, 213, BStBl II 1994, 603 = SIS 94 14 70) wurde die Heilung von Zustellungsmängeln (i.S. des
§ 9 Abs. 1 VwZG a.F.) verneint, weil das in jenem Verfahren
zuzustellende Schriftstück tatsächlich nicht an den
Empfänger selbst, sondern an dessen Sohn in dessen
Ladengeschäft übergeben worden war und der Empfänger
- unwiderlegbar - vorgetragen hatte, das Schriftstück
persönlich nicht erhalten zu haben. Nach dieser Entscheidung
kommt es für die Frage der Heilung von Zustellungsmängeln
nur darauf an, dass der Empfänger das Schriftstück
tatsächlich erhalten hat; der Zugang bei einem - mit dem
Adressaten nicht in einer Haushaltsgemeinschaft lebenden -
Empfangsboten genügt danach nicht.
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3. Rechtsprechung des BGH
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32
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Der BGH hat sich mit der Heilung von
Zustellungsmängeln in den nachfolgenden Entscheidungen
befasst.
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a) Das Urteil des BGH vom 21.3.2001 VIII ZR
244/00 (HFR 2001, 1200) betraf die Bekanntgabe eines Mahnbescheids
an einen Beklagten, der in einer Wohngemeinschaft lebte und dem der
Postbedienstete den Mahnbescheid nicht ausgehändigt hatte;
vielmehr hatte der Postbedienstete den Mahnbescheid einem Mitglied
der Wohngemeinschaft übergeben, das den Bescheid auf den
Küchentisch der Wohngemeinschaft legte. In dieser
Übergabe des Mahnbescheides an einen Mitbewohner sah der BGH
einen Zustellungsmangel, der mangels tatsächlichen Zugangs bei
dem Empfänger auch nicht geheilt worden sei. Ein
tatsächlicher Zugang setze nämlich voraus, dass das
Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelange,
dass er es behalten könne und von seinem Inhalt Kenntnis
nehmen könne. Nur dadurch werde dem Empfänger als
Ausprägung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör eine
zuverlässige Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück
verschafft. Die Ablage des Schriftstücks auf dem
Küchentisch der Wohngemeinschaft mit Zugriffsmöglichkeit
für sämtliche Mitbewohner gewährleiste dies nicht;
vielmehr hätte eine Heilung der Zustellungsmängel nur
angenommen werden können, wenn der Adressat das
Schriftstück in die Hand bekommen hätte.
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34
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b) In dem Urteil vom 15.3.2007 5 StR 536/06
(BGHSt 51, 257) hat der BGH entschieden, es fehle an der für
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes erforderlichen wirksamen
vollstreckbaren Anordnung gegenüber dem Angeklagten, da ihm
die einstweilige Verfügung nicht wirksam zugestellt worden
sei. Durch die mündliche Wiedergabe des Verfügungsinhalts
seien die Zustellungsmängel nicht geheilt worden. Eine Heilung
hätte nur eintreten können, wenn ihm das
Schriftstück ausgehändigt worden wäre.
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35
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4. Schrifttum
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36
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Im Schrifttum wird der tatsächliche
Zugang i.S. des § 189 ZPO überwiegend bejaht, wenn das
zuzustellende Schriftstück derart in den Machtbereich des
Adressaten gelangt, dass dieser es behalten kann und Gelegenheit
zur Kenntnisnahme von seinem Inhalt hat (Eichele in Saenger, ZPO,
5. Aufl., § 189 Rz 2; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 8 VwZG Rz 3
„Herrschaftsbereich“;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 71.
Aufl., § 189 Rz 5 „Besitz erhalten“). Nach
Auffassung von Wittschier in Musielak, ZPO, 10. Aufl., § 189
Rz 3, unter Verweis auf BGH-Urteil vom 21.3.2001 VIII ZR 244/00,
Der Deutsche Rechtspfleger 2001, 360; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22.
Aufl., § 189 Rz 7; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl.,
§ 189 Rz 4; Kessen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl.,
§ 189 Rz 4; Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 34. Aufl.,
§ 189 Rz 8; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 8
VwZG Rz 5, ist dies dann der Fall, wenn der Adressat das
Schriftstück „in die Hand bekommen“
hat.
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37
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MünchKommZPO/Häublein, 4. Aufl.,
§ 189 Rz 8 lässt die Möglichkeit der Kenntnisnahme
als Zugangszeitpunkt nur dann genügen, wenn unter
gewöhnlichen Umständen von dieser Möglichkeit
Gebrauch zu machen gewesen wäre.
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38
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Für Wieczorek/Schütze/Rohe, 4.
Aufl., § 189 ZPO Rz 26 sowie Zimmermann, ZPO, 8. Aufl., §
189 Rz 2 setzt der tatsächliche Zugang in § 189 ZPO die
gegenständliche Übernahme des Schriftstücks durch
den Adressaten selbst voraus. Der bloße Eintritt in den
Machtbereich genüge dagegen nicht. Denn das Recht auf
rechtliches Gehör müsse tatsächlich und nicht nur
potenziell gewahrt werden.
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39
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5. Auffassung des beschließenden
Senats
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40
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a) Mit der - soweit ersichtlich - einhelligen
Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht der Senat
zunächst davon aus, dass § 180 Satz 3 ZPO zu den
zwingenden Zustellungsvorschriften gehört, sodass bei seiner
Nichtbeachtung § 189 Alternative 2 ZPO erfüllt ist.
Rechtsfolge davon ist, dass die in § 180 Satz 2 ZPO
angeordnete Zustellungsfiktion nicht eingreift, denn sie setzt eine
Ersatzzustellung voraus, die nicht gegen zwingende
Zustellungsvorschriften verstößt.
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41
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aa) Diese Interpretation des Gesetzes
entspricht zwar nicht der Vorstellung des Gesetzgebers ausweislich
der Begründung des Regierungsentwurfs. Danach sollte das
Fehlen des Datumsvermerks nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung
führen. Das hier zugrunde gelegte Verständnis wird der
Bedeutung des Datumsvermerks jedoch besser gerecht, die sich auch
darin zeigt, dass die Beachtung von § 180 Satz 3 ZPO zum
notwendigen Inhalt der Zustellungsurkunde gemacht worden ist
(§ 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO).
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42
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bb) Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob
der Zeitpunkt der Zustellung durch die Eintragung in der
Zustellungsurkunde bewiesen wird oder ob ihr im Hinblick auf die
Verletzung von § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO insgesamt keine
Beweiskraft zukommt.
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43
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b) Für die Frage, ob der
Zustellungsmangel geheilt worden ist und zu welchem Zeitpunkt
gegebenenfalls die Zustellung als bewirkt gilt, kommt es danach
allein auf § 189 ZPO an.
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44
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aa) Es besteht kein Zweifel, dass der Mangel
der Zustellung im Streitfall geheilt worden ist, da der
Empfänger das Schriftstück unstreitig erhalten hat.
Streitig ist nur der für die Heilung maßgebliche
Zeitpunkt.
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45
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bb) § 189 ZPO stellt auf den Zeitpunkt
ab, in dem das Dokument dem Zustellungsadressaten
„tatsächlich zugegangen“ ist. Wann dies der
Fall ist, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht
eindeutig entnehmen. § 189 ZPO ist deshalb auszulegen.
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46
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c) Der Senat legt § 189 ZPO für die
vorliegend zu beurteilende Fallgruppe dahin aus, dass das
zuzustellende Schriftstück im Zeitpunkt des Einwurfs in den
Briefkasten „tatsächlich zugegangen“ ist,
wenn zu diesem Zeitpunkt mit der Kenntnisnahme unter Beachtung des
gewöhnlichen Geschehensablaufs gerechnet werden konnte. Dabei
hat sich der Senat von folgenden Überlegungen leiten
lassen:
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47
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aa) Der Wortlaut des § 189 ZPO selbst
enthält ebenso wenig wie die ZPO im Übrigen eine
eigenständige Definition des Zugangs.
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48
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Deshalb ist auf den allgemeinen Zugangsbegriff
in § 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)
zurückzugreifen. Danach ist eine Erklärung dem
Empfänger zugegangen, wenn sie so in seinen Machtbereich
gelangt ist, dass er unter normalen Verhältnissen die
Möglichkeit hat, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (vgl.
BGH-Urteile vom 26.11.1997 VIII ZR 22/97, NJW 1998, 976, 977; vom
21.1.2004 XII ZR 214/00, NJW 2004, 1320 = SIS 04 28 96; Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 16.3.1988 7 AZR 587/87, NJW 1989, 606;
BGH-Urteil vom 3.11.1976 VIII ZR 140/75, BGHZ 67, 271, 275;
MünchKommBGB/Einsele, 6. Aufl., § 130 Rz 9;
Staudinger/Rolfs, BGB, 2003, § 542 Rz 29; Palandt/Ellenberger,
Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., § 130 Rz 5).
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49
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Dieser allgemeine Zugangsbegriff enthält
sowohl tatsächliche als auch normative Elemente. Normativ wird
die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht nach den
individuellen, sondern nach den gewöhnlichen Umständen
beurteilt. Tatsächlich muss die Erklärung in den Bereich
des Empfängers gelangt sein. Vor diesem Hintergrund wirkt der
Ausdruck „tatsächlich zugegangen“ in §
189 ZPO tautologisch. Jedenfalls ergibt sich aus ihm nicht, ob der
tatsächliche Zugang i.S. von § 189 ZPO über die
tatsächlichen Elemente des allgemeinen Zugangsbegriffs hinaus
zusätzliche tatsächliche Voraussetzungen erfüllen
muss und welche dies sind.
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50
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bb) Der Gesetzesbegründung sind
Anhaltspunkte für einen abweichenden Zugangsbegriff nicht zu
entnehmen.
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51
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Soweit dort auf § 9 VwZG a.F. verwiesen
wird, ist nicht erkennbar, welche konkreten Voraussetzungen dadurch
in Bezug genommen werden sollen, zumal die Heilung von
Zustellungsmängeln nach § 9 VwZG a.F. nicht davon
abhängt, dass das zuzustellende Schriftstück
„tatsächlich zugegangen“ ist, sondern dass
es der Empfänger „nachweislich erhalten“
hat. Der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen,
wie der Gesetzgeber dieses Merkmal in § 9 VwZG a.F. verstanden
hat und wie er demnach § 189 ZPO verstanden wissen wollte. Im
Übrigen ist die Heilungsvorschrift ebenfalls neu gefasst
worden (jetzt § 8 VwZG) und entspricht nun ihrem Wortlaut nach
§ 189 ZPO.
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52
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cc) Bei der systematischen Auslegung ist zu
bedenken, dass § 189 ZPO für ganz unterschiedliche
Fallgruppen fehlerhafter und deswegen unwirksamer Zustellungen
Heilungsmöglichkeiten anbieten soll, nämlich zumindest
einerseits für die Fälle, in denen sich die formgerechte
Zustellung nicht nachweisen lässt sowie andererseits für
die Fälle, in denen das Dokument unter Verletzung zwingender
Zustellungsvorschriften zugegangen ist (vgl. § 189 ZPO).
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53
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Dies schließt Fälle ein,
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- in denen der Zustellungsempfänger das
Schriftstück zunächst tatsächlich nicht erhalten
hat, weil es nicht in seinen, sondern den Machtbereich einer
anderen Person gelangt ist
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- wie auch Fälle der vorliegenden Art, in
denen das Schriftstück unzweifelhaft sogleich in den
Machtbereich des Empfängers gelangt ist.
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Es liegt auf der Hand, dass diese
unterschiedlichen Fallgruppen unterschiedliche Anforderungen an die
Heilung der Zustellungsmängel stellen.
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54
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§ 189 ZPO ist danach fallgruppenbezogen
auszulegen.
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55
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dd) Bei der Auslegung ist maßgeblich vom
Zweck der Zustellungsvorschriften auszugehen. Auch nach der
Vorstellung des Gesetzgebers soll die Heilung eintreten, wenn der
Zweck der Zustellung erfüllt ist.
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56
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(1) In erster Linie dient die Zustellung dazu,
dem Empfänger die sichere Möglichkeit der Kenntnisnahme
von einem Schriftstück zu ermöglichen. Das ergibt sich
bereits aus der Definition des Begriffs in § 166 Abs. 1 ZPO.
Dies ist Voraussetzung für die Gewährung rechtlichen
Gehörs und ein rechtsstaatlichen Grundsätzen
entsprechendes Verfahren. Darüber hinaus sollen die
Zustellungsvorschriften einen sicheren Nachweis für die
Zustellung und den Zeitpunkt der Zustellung schaffen. Dies dient
allgemein der Rechtssicherheit und gewährleistet die
verfahrensrechtliche Chancengerechtigkeit.
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57
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(2) Auch der BFH hat bereits mehrfach
hervorgehoben, dass die Zustellungsvorschriften nicht Selbstzweck
sind, sondern dazu dienen, die Tatsache des Zugangs eines
Schriftstücks und dessen Zeitpunkt sicher nachweisen zu
können und dem Adressaten der Zustellung eine
zuverlässige Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück
zu vermitteln (vgl. BFH-Urteil vom 12.1.2011 II R 30/09, BFH/NV
2011, 755 = SIS 11 12 29, m.w.N.). Hieran hat sich durch die
Neuordnung des Zustellungsrechts nichts geändert.
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58
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(3) Diese Zwecke sind auch bei der Auslegung
der Heilungsvorschrift zu beachten, denn § 189 ZPO fingiert
als Rechtsfolge die Zustellung.
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59
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Dieser Fiktion kann nur der Regelungswille
entnommen werden sicherzustellen, dass dem Adressat das
Schriftstück ungeachtet etwaiger Zustellungsmängel auch
tatsächlich - in der vom Zustellenden in den Verkehr gegebenen
verkörperten Form - zugänglich gemacht wurde. Dafür
spricht, dass der Gesetzgeber ersichtlich im Bereich des
Ersatzzustellungsrechts generell keine weitergehenden - über
die Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB hinausgehenden -
strengeren Anforderungen an den Zugang gestellt hat.
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60
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Dies zeigt schon die für eine fehlerfreie
Ersatzzustellung in § 180 Satz 2 ZPO getroffene Regelung, dass
das Schriftstück „mit der Einlegung ... als
zugestellt (gilt)“ und es danach mithin nicht auf eine
tatsächliche Kenntnisnahme von dem zuzustellenden
Schriftstück, sondern allein auf die mit der Einlegung
geschaffene Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt.
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61
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Auf dieser Grundlage kann dem Erfordernis
eines tatsächlichen Zugangs in § 189 ZPO lediglich der
Regelungswille des Gesetzgebers entnommen werden, die Adressaten
fehlerhaft zugestellter Schriftstücke nicht schlechter zu
stellen als die Adressaten ordnungsgemäß zugestellter
Dokumente. Ein Anlass oder eine Absicht, sie darüber hinaus
gegenüber Adressaten verfahrensfehlerfreier Ersatzzustellungen
besser zu stellen, indem sie anders als letztere erst ab dem - im
Übrigen regelmäßig objektiv kaum verifizierbaren -
Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme die mit der
Zustellung verbundenen verfahrens- und materiell-rechtlichen Folgen
gegen sich gelten lassen müssten, ist ersichtlich nicht
gegeben.
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ee) Bei der Auslegung muss auch
berücksichtigt werden, dass die Mitteilung des Zustelldatums
auf dem zuzustellenden Umschlag dem Zustellungsempfänger
ermöglichen soll, für ihn geltende Fristen bestimmen zu
können. Die Anordnung in § 180 Satz 3 ZPO dient eindeutig
dem Schutz des Adressaten. Ihr Gewicht wird dadurch unterstrichen,
dass die Mitteilung in der Zustellungsurkunde beurkundet werden
muss.
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ff) Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat
unter den Umständen des Streitfalls die objektiv-rechtlichen
Zwecke der Zustellungsvorschriften höher als den Schutz des
Adressaten.
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(1) Dafür spricht zunächst, dass der
Hauptzweck der Zustellung, dem Empfänger die sichere
Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen, unter den
Umständen des Streitfalls von Anfang an erfüllt war. Mit
dem Einwurf des Schriftstücks in den Kanzleibriefkasten war
das Urteil so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass
er sicher von seinem Inhalt Kenntnis nehmen konnte. Dementsprechend
geht auch das Schrifttum zu Recht davon aus, dass § 189 ZPO
die tatsächliche Kenntnisnahme nicht voraussetzt
(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 189 Rz 5).
Zwar ist der Empfänger durch die fehlende Mitteilung über
den Zeitpunkt der Zustellung benachteiligt. Der Hauptzweck der
Zustellung, dem Empfänger die Möglichkeit der
Kenntnisnahme zu verschaffen, wird dadurch jedoch nicht
berührt.
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(2) Für die normative Bestimmung des
Heilungszeitpunkts spricht vor allem, dass nur sie dem objektiven
Zustellungszweck zum Durchbruch verhilft, den Zeitpunkt der
Zustellung auch im Fall der Heilung einer zunächst
fehlgeschlagenen Zustellung rechtssicher bestimmen zu
können.
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(3) Die Interessen des
Zustellungsempfängers sieht der Senat bei dieser Sachlage noch
ausreichend gewahrt. Denn ihm obliegt es und er hat es in der Hand,
den durch das Fehlen des Datumsvermerks hervorgerufenen Zweifel
über das Datum der Zustellung gegebenenfalls durch einen Anruf
bei Gericht zu beseitigen (vgl. unten unter III.1.b bb).
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(4) Dieser Auslegung kann nicht
entgegengehalten werden, dass § 189 ZPO leer liefe. Bei der
wirksamen Ersatzzustellung nach § 180 ZPO tritt die Zustellung
bereits mit dem Einwurf in den Briefkasten ein (§ 180 Satz 2
ZPO). Ob die Kenntnisnahme zu diesem Zeitpunkt erwartet werden
konnte, ist unerheblich. Demgegenüber kommt es nach der
Auffassung des Senats für die Heilung unter den Umständen
des Streitfalls zusätzlich darauf an, ob die Kenntnisnahme
erwartet werden konnte. Darin liegt ein erheblicher Unterschied. In
den Fällen der ursprünglich fehlgeleiteten Zustellung
tritt die Heilung ohnehin erst zu einem anderen Zeitpunkt ein als
bei wirksamer Ersatzzustellung. Für diese - hier nicht
einschlägige Fallgruppe - führt die Anwendung von §
189 ZPO auch nach Auffassung des Senats zu anderen Ergebnissen.
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gg) Für eine Auslegung von § 189
ZPO, die das Interesse des Empfängers einseitig in den
Vordergrund stellt, besteht keine Veranlassung. Soweit im
Schrifttum Formulierungen aus den zitierten BGH-Entscheidungen
verallgemeinert werden, indem generell für den Zeitpunkt der
Heilung auf das physische In-Händen-Halten des Empfängers
abgestellt wird, kann sich der Senat dem nicht anschließen.
Könnte die Heilung einer fehlerhaften Ersatzzustellung in
jedem Fall erst in dem Zeitpunkt eintreten, in dem der
Empfänger das zuzustellende Schriftstück nach seinen
nicht überprüfbaren Angaben tatsächlich in die
Hände genommen hat, wäre ein angemessener Ausgleich
zwischen den Interessen des Zustellungsempfängers und des
Zustellenden nicht gewährleistet und der objektiv-rechtliche
Zweck, den Zeitpunkt der Zustellung rechtssicher bestimmen zu
können, würde verfehlt. Nicht zuletzt würde dadurch
auch das mit der Neuordnung des Zustellungsrechts verfolgte Ziel
des Gesetzgebers verfehlt, die Zustellung zu beschleunigen.
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(1) Käme es für die Heilung
über die normativ zu bestimmende Möglichkeit der
Kenntnisnahme hinaus darauf an, wann der Empfänger das
Schriftstück tatsächlich in die Hand nimmt, hätte er
es in der Hand, den Zeitpunkt der Heilung hinauszuzögern und
einseitig zu beeinflussen. Denn über den dann
maßgeblichen Zeitpunkt könnte allein er Auskunft
erteilen. Die Angaben wären für keinen anderen jemals
überprüfbar. Das ist jedoch nicht damit zu vereinbaren,
dass die Zustellungsvorschriften auch objektiv dazu dienen, den
Zeitpunkt der Zustellung - für alle Beteiligten
gleichermaßen - rechtssicher zu bestimmen.
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(2) Dies entspräche auch nicht dem Willen
des Gesetzgebers. Zwar sollten die Adressaten von fehlerhaft
zugestellten Schriftstücken ersichtlich nicht schlechter
gestellt werden als die Empfänger ordnungsgemäß
zugestellter Schriftstücke. Der Gesetzgeber hatte aber - wie
bereits ausgeführt - erkennbar weder Anlass noch die Absicht,
erstere besser zu stellen.
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(3) Ergänzend ist zu
berücksichtigen, dass eine einseitige Bevorzugung des
Zustellungsempfängers auch deshalb nicht gerechtfertigt
erscheint, weil der Zeitpunkt der Zustellung auch für den
Zustellenden von Interesse sein kann. Das gilt jedenfalls, soweit -
wie im Streitfall - weder der Zustellende noch der
Zustellungsempfänger das Fehlverhalten des Zustellers zu
vertreten haben. Ein Interesse des Zustellenden an der alsbaldigen
Heilung der Zustellung besteht, soweit daran materielle
Rechtsfolgen geknüpft sind. Zwar ordnet § 167 ZPO
regelmäßig die Rückwirkung der Zustellung an, wenn
durch sie eine Frist gewahrt, die Verjährung neu beginnen oder
gehemmt werden soll. Ob die Vorschrift auch bei Heilung einer
zunächst fehlerhaften Zustellung Anwendung findet, bedarf hier
keiner Entscheidung. Zumindest für die Entstehung von
Prozesszinsen kommt es aber auf den Zeitpunkt der Zustellung an.
Der Beginn der Verzinsung liegt grundsätzlich im Interesse des
Zustellenden. Eine alle Interessen berücksichtigende Auslegung
muss auch diese Gesichtspunkte in den Blick nehmen, da das
Zustellungsrecht nach der Vorstellung des Gesetzgebers in allen
Verfahrensordnungen einheitlich ausgestaltet sein soll.
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d) In Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des BGH geht der Senat davon aus, dass die
Möglichkeit der Kenntnisnahme bei einer Rechtsanwaltskanzlei
erwartet werden kann, wenn das zuzustellende Schriftstück am
Vormittag des Heiligabends in den Briefkasten eingeworfen wird und
wenn dieser Tag ein Werktag ist.
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Dem kann der Zustellungsempfänger nicht
mit Erfolg entgegenhalten, er sei an diesem Tag nicht im Büro
gewesen. Wenn sich der Zustellungsempfänger während der
üblichen Geschäftszeiten nicht in seinem Büro
aufhält und den Briefkasten nicht leert, hat er die Folgen zu
tragen. Daran ändert das Fehlen des Vermerks gemäß
§ 180 Satz 3 ZPO nichts. Der Vermerk soll den Empfänger
über das Datum der Zustellung unterrichten, nachdem er eine
Abschrift der Zustellungsurkunde nicht mehr erhält. Das Fehlen
des Vermerks befreit den Zustellungsempfänger aber nicht von
der Obliegenheit, diejenigen Schriftstücke, die bereits in
seinen Machtbereich gelangt sind, während der üblichen
Geschäftszeiten auch zur Kenntnis zu nehmen. Andernfalls muss
er sich die nach objektiven Kriterien zu bestimmende
Möglichkeit der Kenntnisnahme als für den Fristbeginn
maßgeblichen Zeitpunkt entgegenhalten lassen.
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6. Keine Abweichung von der Rechtsprechung des
BGH
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Mit dieser Beurteilung weicht der vorlegende
Senat nicht von den Entscheidungen des BGH in HFR 2001, 1200 und in
BGHSt 51, 257 ab. Die Sachverhaltskonstellationen, über die
der BGH zu entscheiden hatte, betrafen jeweils andere Arten der
Ersatzzustellung, welche zudem die Mitwirkungshandlung weiterer
Personen erforderten. Sie unterscheiden sich damit wesentlich von
der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten.
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Ist nämlich - anders als im Streitfall -
der tatsächliche Erhalt eines Schriftstücks als solcher
bestritten und haben zudem dritte Personen, die keine Vertreter des
Adressaten sind, Zugriff auf das zuzustellende Schriftstück,
kann es letztlich für eine Heilung von Zustellungsmängeln
nur auf den Zeitpunkt ankommen, in welchem der Adressat das
Schriftstück physisch erlangt. Denn die Übergabe des
zuzustellenden Schriftstücks an Mitbewohner oder Empfangsboten
kann für die Annahme eines
„tatsächlichen“ Zugangs i.S. des § 189
ZPO nicht genügen, weil die Mitwirkung dritter Personen
für die mit der Heilung einer fehlerhaften Zustellung
unterstellte Möglichkeit der Kenntnisnahme des
Zustellungsempfängers nicht hinreichend sicher zu bejahen ist.
Ob der BGH die Formel vom
„In-den-Händen-halten“ in diesen
Fällen deshalb nur als Verbildlichung für das nach §
130 BGB erforderliche Gelangen in den Machtbereich verstanden
wissen wollte, dass das zunächst fehlgeleitete
Schriftstück tatsächlich in den Zugriffsbereich des
Adressaten gelangt sein muss, kann hier auf sich beruhen. Der
Streitfall liegt in tatsächlicher Hinsicht anders. Wenn der
Empfänger - wie hier - den Brief nur aus seinem Briefkasten
nehmen muss, steht dem tatsächlichen Zugriff nichts entgegen.
Die Möglichkeit der Kenntnisnahme ist damit sicher.
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III. Entscheidungserheblichkeit der
vorgelegten Rechtsfrage
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Die dem Großen Senat vorgelegte
Rechtsfrage ist für das vom vorlegenden Senat in Aussicht
genommene Urteil entscheidungserheblich.
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1. Entscheidung im Fall der Bejahung der
Vorlagefrage
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Bejaht man die Vorlagefrage, ist die Revision
der Kläger unzulässig. Die Kläger hätten das
Rechtsmittel nicht fristgerecht eingelegt (siehe unter III.1.a).
Auch wäre eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu
gewähren (siehe unter III.1.b).
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a) Die Revision der Kläger wäre
verspätet beim BFH eingelegt worden.
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aa) Das Urteil des FG wäre dem
Prozessbevollmächtigten danach am 24.12.2008 zugestellt
worden. Das ergibt sich im Streitfall nicht aus § 180 Satz 2
i.V.m. § 182 Abs. 1 ZPO, sondern aus § 189 ZPO.
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(1) Im Streitfall ist das Schriftstück
nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde zwar am 24.12.2008
ersatzweise in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten der
Kläger eingeworfen worden. Die Ersatzzustellung war auch
zulässig, weil das Büro des Prozessbevollmächtigten
am 24.12.2008 nicht besetzt war. Der Senat hat auch keine Zweifel,
dass der Umschlag tatsächlich an diesem Tag in den Briefkasten
eingelegt worden ist.
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Gleichwohl ist im Streitfall nicht der durch
die Zustellungsurkunde nachgewiesene Zeitpunkt der Einlegung in den
Briefkasten des Zustellungsempfängers maßgeblich, denn
die Zustellung verstieß gegen zwingende
Zustellungsvorschriften. Die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO,
die den Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den
Briefkasten dazu verpflichtet, auf dem Umschlag des zuzustellenden
Schriftstücks einen Vermerk über das Datum der Zustellung
anzubringen, gehört auch nach der Reform der ZPO zu den
zwingenden Zustellungsvorschriften i.S. des § 189 ZPO
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 900 = SIS 05 22 28). Im Streitfall
hat der Zusteller das Datum der Einlegung in den Briefkasten auf
dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks nicht
vermerkt.
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(2) Nach den dargestellten
Maßstäben würde das FG-Urteil gemäß
§ 189 ZPO als am 24.12.2008 zugestellt gelten. An diesem Tag
ist es unstreitig in den Briefkasten des
Prozessbevollmächtigten eingelegt und dadurch derart in dessen
Machtbereich gelangt, dass er jederzeit von seinem Inhalt Kenntnis
nehmen konnte. Mit der tatsächlichen Kenntnisnahme konnte auch
am 24.12.2008 noch gerechnet werden, denn nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme ist der Umschlag bereits am Vormittag in den
Briefkasten eingelegt worden.
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(a) Der 24. Dezember (Heiligabend) ist ein
Werktag, an dem üblicherweise gearbeitet wird. Nach der
Verkehrsanschauung kann deshalb am 24. Dezember bis zur Mittagszeit
damit gerechnet werden, dass ein in den Briefkasten einer
Anwaltskanzlei gelangtes Schriftstück noch zur Kenntnis
genommen wird (vgl. BGH-Urteil vom 5.12.2007 XII ZR 148/05, NJW
2008, 843 = SIS 08 14 96, zum Zugang von Willenserklärungen am
Nachmittag des 31. Dezember in Bürobetrieben). Auf eine
abweichende individuelle betriebliche Übung kann es im
Interesse der Klarheit der Fristenberechnung nicht ankommen.
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(b) Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der
zuzustellende Umschlag am Vormittag des 24.12.2008 in den
Briefkasten der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der
Kläger eingelegt worden ist. Der als Zeuge einvernommene
Postzusteller, der erkennbar kein eigenes Interesse am Ausgang des
Verfahrens hatte, hat glaubhaft bekundet, dass die Kanzlei des
Klägervertreters am Beginn seiner täglichen
Zustellungstour gelegen habe. Er sei sich deshalb, auch wenn er
sich an den einzelnen Vorgang nicht erinnere, ganz sicher, dass er
die Post für die Kanzlei des Klägervertreters stets
vormittags in den Briefkasten eingeworfen habe.
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bb) Aufgrund der Zustellungsfiktion am
24.12.2008 hätte die einmonatige Frist für die Einlegung
der Revision gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO am
25.12.2008 zu laufen begonnen und wäre, da der 24.1.2009 ein
Samstag war, am Montag, den 26.1.2009 abgelaufen. Die Revision, die
erst am 27.1.2009 beim BFH einging, wäre verspätet.
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b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
Versäumung der Revisionseinlegungsfrist war nicht zu
gewähren.
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aa) War jemand ohne Verschulden verhindert,
eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56
Abs. 1 FGO). Verschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn die
gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer
Acht gelassen wird, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt
(BFH-Beschluss vom 22.8.2011 III B 168/10, BFH/NV 2011, 2086 = SIS 11 36 71). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das
auch in einem Organisationsmangel liegen kann (vgl. BFH-Beschluss
vom 19.3.1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818), ist dem
Rechtsmittelführer nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2
ZPO zuzurechnen. Ein Prozessbevollmächtigter muss insbesondere
die Arbeitsabläufe in seinem Büro so organisieren, dass
Fehlerquellen bei der Berechnung und der Überwachung von
Fristen nahezu ausgeschlossen sind (Urteil des Bundessozialgerichts
vom 27.5.2008 B 2 U 5/07 R, Neue Zeitschrift für Sozialrecht
2009, 413).
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bb) Im Streitfall haben die Kläger die
Revisionseinlegungsfrist nicht ohne Verschulden versäumt. Denn
sie müssen sich ein Verschulden ihres Bevollmächtigten
zurechnen lassen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger
kann sich im Streitfall auch nicht auf ein Versehen seiner
Büroangestellten Frau B berufen.
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(1) Zwar kann der Prozessbevollmächtigte
die routinemäßige Berechnung und Kontrolle der in seinem
Büro gängigen Fristen einer zuverlässigen,
sorgfältig ausgewählten und überwachten
Bürokraft übertragen. Er bleibt aber verpflichtet, den
Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die
Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung
vorgelegt wird (BFH-Beschluss vom 8.4.1992 II R 73/91, BFH/NV 1992,
829, m.w.N.). Im Falle von Zustellungen von Amts wegen nach
§§ 166 ff. ZPO ist es erforderlich, dass der
Prozessbevollmächtigte die Fristberechnung anhand des auf dem
Zustellungskuverts angebrachten Zustellungsvermerks des
Postbediensteten selbst nachprüft. Fehlt der Datumsvermerk, so
muss er sich auf andere Weise, z.B. durch Rückfrage beim FG,
über das Zustellungsdatum erkundigen (BFH-Beschluss in BFH/NV
1992, 829; vgl. auch BGH-Beschluss vom 24.4.2007 AnwZ (B) 93/06,
NJW 2007, 2186 = SIS 07 21 13, m.w.N.).
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(2) Nach diesen Grundsätzen hätte
der Klägervertreter spätestens am 22.1.2009, als er die
Akte erneut vorgelegt bekam, die Fristberechnung seiner
Angestellten kontrollieren und, weil der Vermerk über den Tag
der Zustellung fehlte, eigene Erkundigungen anstellen müssen.
Die Zweifel hätten durch einen Anruf beim FG behoben werden
können. Dies ist indes unterblieben. Der Klägervertreter
durfte auch nicht deshalb von eigenen
Aufklärungsbemühungen absehen, weil seine
Büroangestellte Frau B auf dem Umschlag den 29.12.2008 als
Eingangsdatum vermerkt hatte. Auf die Richtigkeit des Vermerks
durfte der Klägervertreter nicht ohne Weiteres vertrauen;
zumindest hätte er sich bei Frau B über den Hintergrund
des Vermerks erkundigen müssen, da die Kanzlei zwischen dem
24. und dem 28.12.2008 nicht besetzt war und folglich niemand
wissen konnte, ob die am 29.12.2008 im Briefkasten vorgefundene
Post nicht bereits am 24. oder am 27.12.2008 eingelegt worden
war.
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2. Entscheidung im Fall der Verneinung der
Vorlagefrage
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Bei Verneinung der Vorlagefrage wäre die
Revision der Kläger zulässig. Der Beginn der
Revisionsfrist hätte sich nicht nach dem in der
Zustellungsurkunde ausgewiesenen Datum des Einwurfs gerichtet,
sondern es wäre auf den Zeitpunkt des tatsächlichen
Zugangs i.S. des § 189 ZPO abzustellen. Die fehlerhafte
Zustellung wäre in diesem Fall jedoch erst am Montag, den
29.12.2008, geheilt worden. Denn erst an diesem Tag, an welchem die
Kanzlei erstmalig nach dem Weihnachtsurlaub wieder besetzt war, hat
der Bevollmächtigte der Kläger das FG-Urteil in den
Händen gehalten. Das FG-Urteil ist zudem mit dem
Eingangsstempel der Kanzlei vom 29.12.2008 versehen. Die
Bürokraft Frau B legte es dem Bevollmächtigten der
Kläger nach seinem und ihrem Vortrag, an deren Richtigkeit der
Senat keine Zweifel hat, auch an diesem Tag vor. Die Frist zur
Revisionseinlegung hätte folglich erst am 30.12.2008 zu laufen
begonnen und am 29.1.2009 geendet. Die am 27.1.2009 beim BFH
eingegangene Revision wäre fristgemäß.
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IV. Rechtsgrund der Vorlage
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Die Vorlage ist gemäß § 11
Abs. 2 und Abs. 4 FGO geboten.
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1. Die Klärung der vorgelegten
Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung. Wegen der
unterschiedlichen Auffassungen der mit der Rechtsfrage bisher
befassten BFH-Senate I, II, VI und VIII sowie den verschiedenen
Ansichten in der Literatur ist eine Entscheidung durch den
Großen Senat erforderlich, um eine einheitliche
Rechtsauslegung für die Zukunft zu gewährleisten.
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2. Mit der oben dargelegten Auslegung des
Merkmals „tatsächlich zugegangen“ des
§ 189 ZPO weicht der vorlegende Senat von dem Beschluss des
VI. Senats in BFH/NV 2007, 2332 = SIS 08 01 58 ab. Auf Anfrage des
vorlegenden Senats hat der VI. Senat mit Beschluss vom 13.11.2012
VI ER-S 3/12 mitgeteilt, dass er einer Abweichung von seiner
Rechtsauffassung nicht zustimme. Der Adressat müsse zur
Wahrung seines Rechts auf rechtliches Gehör in die Lage
versetzt werden, die Fristberechnung sicher vornehmen zu
können. Nur dann sei der Zustellungszweck erreicht. Der
Zustellende bedürfe dagegen keines besonderen Schutzes. Denn
er könne jederzeit eine erneute - ordnungsgemäße -
Zustellung veranlassen.
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Weitere Anfragen nach § 11 Abs. 3
Sätze 1 und 3 FGO waren mangels Entscheidungserheblichkeit
nicht erforderlich.
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