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I. Der VI. Senat ist seit 2009
gemäß A. VI. Senat Nr. 1 Buchst. d des
Geschäftsverteilungsplans des Bundesfinanzhofs (BFH) für
das Jahr 2013 und der entsprechenden Regelungen für die
Vorjahre für außergewöhnliche Belastungen i.S. der
§§ 33 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG)
zuständig, wenn nur diese streitig sind. Bis zum Jahr 2008 war
hierfür der III. Senat des BFH zuständig. Der III. Senat
hat mit Urteilen vom 13.3.1987 III R 301/84 (BFHE 149, 245, BStBl
II 1987, 495 = SIS 87 11 04) und vom 20.3.1987 III R 150/86 (BFHE
149, 539, BStBl II 1987, 596 = SIS 87 16 03) entschieden, dass
Aufwendungen für eine Adoption nicht als
außergewöhnliche Belastung gemäß § 33
EStG abgezogen werden können.
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Nach der derzeitigen
Geschäftsverteilung des BFH ist der III. Senat u.a. für
Einkommensteuer zuständig (vgl. A. III. Senat Nrn. 1 und 2 des
Geschäftsverteilungsplans für 2013). Er kann damit mit
Fragen der Anwendung der §§ 33 ff. EStG befasst werden,
wenn nicht nur diese streitig sind.
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II. Der Anrufung des Großen Senats
liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wurden im Streitjahr 2008 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten u.a. Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. In ihrer
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie
Aufwendungen für die Adoption eines in Äthiopien
geborenen Kindes, die erst in den Folgejahren vollzogen werden
konnte, in Höhe von 8.560,68 EUR als
außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG
geltend. Die Kosten setzen sich aus einer Vermittlungsgebühr
in Höhe von insgesamt 7.000 EUR sowie aus Aufwendungen
für Fahrten und Literatur zusammen. Wegen
Zeugungsunfähigkeit des Klägers haben die Kläger
keine eigenen Kinder. Künstliche Befruchtungsmethoden lehnen
sie aus ethischen und gesundheitlichen Gründen ab.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die für das Streitjahr
geltend gemachten Aufwendungen nicht als
außergewöhnliche Belastung, weil sie nicht
zwangsläufig entstanden seien. Nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage, die das
Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2012, 414 veröffentlichten
Gründen als unbegründet abwies.
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Mit der Revision machen die Kläger
geltend, die streitigen Aufwendungen seien einer heterologen
Insemination gleichzustellen und daher als
außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Der Ehemann sei
im Sinne eines pathologischen Zustands erkrankt. Sähen sich
Steuerpflichtige aus ethisch-religiösen Gründen nicht zu
einer heterologen Insemination in der Lage, sei die Adoption die
einzige Möglichkeit der Familiengründung.
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Die Kläger beantragen, das Urteil des
FG Baden-Württemberg vom 10.10.2011 6 K 1880/10 aufzuheben und
den Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 24.6.2009 in der
Fassung der Einspruchsentscheidung vom 16.4.2010 dahingehend zu
ändern, dass nach Abzug der zumutbaren Belastung
außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 393 EUR
anerkannt werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Es vertritt die Auffassung, der Entschluss
zu einer Adoption beruhe auf einer freien Willensentscheidung des
Steuerpflichtigen. Die Kläger hätten sich zur Adoption
entschlossen, obwohl sie auch zwischen einer künstlichen
Befruchtung und einem Leben ohne Kinder hätten wählen
können. Zwar könne Kinderlosigkeit ihre Ursache in einer
Krankheit haben. Die Adoption sei jedoch keine notwendige Folge
dieser Krankheit und daher auch nicht als medizinisch notwendige
auf den Betroffenen abgestimmte Heilbehandlung anzusehen.
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III. Der vorlegende Senat möchte unter
Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung
(BFH-Urteile in BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495 = SIS 87 11 04,
und in BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596 = SIS 87 16 03)
Aufwendungen für eine Adoption als außergewöhnliche
Belastung gemäß § 33 EStG anerkennen. Er hat durch
Beschluss vom 13.11.2012 beim III. Senat des BFH - vorbehaltlich
der Frage, ob dies überhaupt gesetzlich geboten ist -
angefragt, ob er an seiner Rechtsauffassung in den genannten
Urteilen festhält. Der III. Senat hat am 31.1.2013
beschlossen, einer Änderung der Rechtsprechung nicht
zuzustimmen.
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IV. Der Große Senat wird zur
Klärung der im Leitsatz bezeichneten Frage angerufen, weil
diese im Streitfall entscheidungserheblich ist und zugleich
grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 11 Abs. 4 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) hat. Hilfsweise erfolgt die Anrufung
des Großen Senats zur erneuten Klärung der genannten
Rechtsfrage, weil der Senat aus den unter V. dargelegten
Gründen beabsichtigt, von den Entscheidungen des Großen
Senats vom 28.11.1988 GrS 1/87 (BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 =
SIS 89 02 09), vom 21.10.1985 GrS 2/84 (BFHE 145, 147, BStBl II
1986, 207 = SIS 86 05 43) und vom 15.11.1971 GrS 1/71 (BFHE 103,
433, BStBl II 1972, 68 = SIS 72 00 42) abzuweichen (§ 11 Abs.
2 FGO).
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1. Entscheidungserheblichkeit der
Vorlagefrage
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Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.
Der Senat teilt die Auffassung der Kläger, dass die
streitgegenständlichen Aufwendungen für die Adoption des
Kindes als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
Die Revision der Kläger wäre danach begründet, das
Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben. Wäre
dagegen trotz Übergangs der Zuständigkeit für
außergewöhnliche Belastungen auf den vorlegenden Senat
eine Änderung der Rechtsprechung nur mit Zustimmung des bisher
für die Materie zuständigen III. Senats möglich,
könnte der Senat nicht durcherkennen. Er müsste vielmehr,
da der III. Senat der Änderung seiner Rechtsprechung nicht
zugestimmt hat, dem Großen Senat des BFH gemäß
§ 11 Abs. 2 FGO zunächst die Frage vorlegen, ob Kosten
für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung
abziehbar sind.
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2. Grundsätzliche Bedeutung der
Vorlagefrage
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Der sonach entscheidungserheblichen Frage
misst der vorlegende Senat grundsätzliche Bedeutung i.S. des
§ 11 Abs. 4 FGO bei.
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a) Die Frage, ob eine Pflicht zur Anfrage bei
dem Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, für
den nunmehr primär zuständigen Senat auch dann besteht,
wenn der erkennende Senat - wie hier - für die streitige
Rechtsfrage zuständig geworden ist, „wenn nur diese
streitig“ ist, stellt sich nicht nur bei den
außergewöhnlichen Belastungen, sondern auch bei anderen
Materien des Ertragsteuerrechts. So ist z.B. nach A. III. Senat Nr.
4 des Geschäftsverteilungsplans 2013 der III. Senat des BFH
für Einkommensteuer betreffend Tariffragen, Entlastungsbetrag
und Kinderbetreuungskosten zuständig, wenn „nur diese
Fragen streitig sind“. Der X. Senat ist u.a.
gemäß A. X. Senat Nr. 3 Buchst. a des
Geschäftsverteilungsplans 2013 für Sonderausgaben
zuständig. Auch wenn hier der Zusatz fehlt, dass diese
Zuständigkeit begründet ist, wenn „nur diese
Fragen streitig sind“, können sich Fragen des
Sonderausgabenabzugs auch bei anderen für Ertragsteuern
zuständigen Senaten des BFH stellen, wenn daneben weitere
Punkte streitig sind oder der Sonderausgabenabzug nur hilfsweise
anstelle des Abzugs als Betriebsausgaben oder Werbungskosten
begehrt wird. Auch hier ist zweifelhaft, ob in Fällen, in
denen ein anderer Senat des BFH eine Rechtsfrage des
Sonderausgabenabzugs in bestimmter Weise entschieden hat (vgl. z.B.
das Urteil vom 20.11.2012 VIII R 29/10, BFHE 239, 417, BStBl II
2013, 344 = SIS 13 06 47), der X. Senat, wenn er von diesem Urteil
abweichen will, bei dem Senat anfragen muss, der als erster mit der
streitigen Frage befasst war.
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b) Die Rechtsfrage ist
klärungsbedürftig. Sie ist insbesondere noch nicht
entschieden.
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aa) Der Große Senat des BFH hat
allerdings mit Beschluss in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 = SIS 89 02 09 u.a. entschieden, dass eine Abweichung i.S. von § 11
Abs. 3 FGO auch dann vorliege, wenn zwar eine Änderung in der
Geschäftsverteilung eingetreten sei, der Senat, von dessen
Entscheidung abgewichen werden solle, aber trotz des Wechsels in
der Zuständigkeit jederzeit in die Lage kommen könne,
über die Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen (so
schon BFH-Beschlüsse in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 =
SIS 86 05 43, Rz 29 f.; in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 = SIS 72 00 42, Rz 15).
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Im damaligen Streitfall hatte der vorlegende
III. Senat des BFH, der aufgrund einer Änderung der
Geschäftsverteilung für außergewöhnliche
Belastungen zuständig geworden war, wenn nur diese streitig
waren, beim Großen Senat des BFH angefragt, ob
Unterhaltsleistungen eines Ehegatten an den von ihm nicht dauernd
getrennt lebenden, nicht unbeschränkt
einkommensteuerpflichtigen anderen Ehegatten als
außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a
Abs. 1 EStG abziehbar seien. Der III. Senat hatte die Anfrage auf
die grundsätzliche Bedeutung der Frage gestützt, obwohl
der VI. Senat hierzu in einem früheren Urteil eine andere
Auffassung vertreten hatte.
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Entgegen dieser Auffassung kam der Große
Senat des BFH in seiner Entscheidung in BFHE 154, 556, BStBl II
1989, 164 = SIS 89 02 09 zu der Überzeugung, dass eine
Abweichung bestehe, weil der VI. Senat trotz der seit 1985
eingetretenen Änderung in der Geschäftsverteilung
jederzeit in die Lage kommen könne, über die hier
streitbefangene Rechtsfrage erneut entscheiden zu müssen.
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bb) Der Große Senat hat mit dieser
Entscheidung und den BFH-Beschlüssen in BFHE 145, 147, BStBl
II 1986, 207 = SIS 86 05 43 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68
= SIS 72 00 42 die hier vorgelegte Rechtsfrage noch nicht
abschließend entschieden.
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aaa) Dies folgt zum einen daraus, dass sich
diese Entscheidung in erster Linie mit der Frage beschäftigt,
welchem Senat des BFH ein Entsendungsrecht an den Großen
Senat zusteht (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FGO in der Fassung vom
6.10.1965 - FGO a.F. - ). Zum anderen hatte der zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Großen Senats noch gültige § 11
FGO a.F. einen von dem derzeit gültigen § 11 FGO in der
Fassung des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes vom 17.12.1990
(BGBl I 1990, 2847, BStBl I 1991, 3) abweichenden Wortlaut. So
bestimmte § 11 Abs. 3 FGO a.F. nur:
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„Will in einer Rechtsfrage ein Senat
des Bundesfinanzhofs von der Entscheidung eines anderen Senats oder
des Großen Senats abweichen, so entscheidet der Große
Senat.“
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Die weiteren heute in § 11 Abs. 3 FGO
enthaltenen Sätze fehlten. Die Pflicht zur Anfrage bei dem
Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden sollte, ergab sich
nur aus § 2 Abs. 2 Satz 1 der Geschäftsordnung des
BFH.
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bbb) Gestützt wird diese Sicht des
vorlegenden Senats durch Entscheidungen anderer Senate des BFH im
Anschluss an die BFH-Beschlüsse in BFHE 154, 556, BStBl II
1989, 164 = SIS 89 02 09, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 =
SIS 86 05 43 und in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 = SIS 72 00 42, in denen in vergleichbaren Fällen ebenfalls der
Große Senat nicht angerufen wurde.
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25
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(1) Mit Urteil vom 19.5.1999 XI R 87/95
(BFH/NV 2000, 942 = SIS 00 57 12) entschied der XI. Senat zu der
gemäß § 10 Abs. 5 EStG 1990 erhobenen Nachsteuer
abweichend von der Entscheidung des X. Senats vom 1.6.1994 X R
90/91 (BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849 = SIS 94 19 01). Der XI.
Senat sah eine Anfrage beim X. Senat nicht als erforderlich an,
weil der XI. Senat seit dem 1.1.1999 für Einkommensteuer
betreffend Sonderausgaben gemäß § 10 EStG - von
nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - zuständig sei
(vgl. Rz 13 des Urteils in BFH/NV 2000, 942 = SIS 00 57 12).
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26
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Zwar ergab sich aus A. XI. Senat Nr. 2 des
Geschäftsverteilungsplans 1999 eine Zuständigkeit des XI.
Senats für Sonderausgaben gemäß §§ 10,
10b, 10c EStG, mit Ausnahme von Streitigkeiten, die nur § 10
Abs. 1 Nr. 1a oder Nr. 7 EStG oder nur Tarifvorschriften der
§§ 32 bis 32b EStG betreffen. Jedoch konnte der X. Senat
nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans 1999 im
Falle einer Streitigkeit mit mehreren Streitpunkten erneut in die
Lage kommen, über die Streitfrage entscheiden zu müssen,
nämlich dann, wenn in einem Rechtsstreit auch Einkünfte
aus Gewerbebetrieb einer natürlichen Person mit den
Anfangsbuchstaben A bis K streitig waren (Ergänzende
Regelungen, II. Nr. 1 Buchst. c i.V.m. A. X. Senat Nr. 1 des
Geschäftsverteilungsplans 1999).
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(2) Diese Ausführungen gelten für
das Urteil des XI. Senats vom 15.12.1999 XI R 53/99 (BFHE 190, 481,
BStBl II 2000, 292 = SIS 00 04 87) entsprechend (zur Abweichung vom
Urteil des X. Senats in BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849 = SIS 94 19 01, vgl. Rz 14 des Urteils in BFHE 190, 481, BStBl II 2000, 292
= SIS 00 04 87).
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(3) Mit Urteil vom 31.3.2004 X R 18/03 (BFHE
206, 68, BStBl II 2004, 1047 = SIS 04 22 34) entschied der X. Senat
über die Steuerbarkeit von Unterhaltsleistungen nach § 22
Nr. 1 EStG abweichend vom Urteil des VIII. Senats vom 27.9.1973
VIII R 77/69 (BFHE 111, 37, BStBl II 1974, 103 = SIS 74 00 56). Der
X. Senat begründete seine Auffassung, einer Anfrage beim VIII.
Senat bedürfe es nicht, zum einen damit, dass der Gesetzgeber
durch Einfügung des § 22 Nr. 1a EStG eine neue Rechtslage
geschaffen habe und die Entscheidung des Senats darauf beruhe.
Zudem führte der X. Senat aus, der VIII. Senat könne
wegen der zwischenzeitlichen Änderung des
Geschäftsverteilungsplans des BFH grundsätzlich nicht
mehr mit der im Streitfall zu entscheidenden Rechtsfrage befasst
werden. Denn der X. Senat sei nach A. X. Senat Nr. 2 des
Geschäftsverteilungsplans 2004 nunmehr für Einkünfte
i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuständig (vgl. Rz 40, 41 des
Urteils in BFHE 206, 68, BStBl II 2004, 1047 = SIS 04 22 34). Auch
für Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1a EStG sei nicht
der VIII., sondern der XI. Senat zuständig (A. XI. Senat Nr. 1
Buchst. e des Geschäftsverteilungsplans 2004).
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29
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Zwar ist der X. Senat mit Änderung des
Geschäftsverteilungsplans nach A. X. Senat Nr. 2 für
Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuständig
geworden. Jedoch könnte der VIII. Senat nach den Regelungen
des Geschäftsverteilungsplans 2004 dann in die Lage kommen,
über Fragen der Anwendung des § 22 Nr. 1 EStG entscheiden
zu müssen, wenn eine Streitigkeit mit mehreren Streitpunkten
vorliegt und einer von mehreren Streitpunkten die Einkünfte
aus Kapitalvermögen oder die Steuerbegünstigung des nicht
entnommenen Gewinns betrifft (Ergänzende Regelungen, II. Nr. 1
Buchst. d i.V.m. A. VIII. Senat Nr. 1 Buchst. b und c).
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Aus diesen Entscheidungen ist ersichtlich,
dass offenbar auch andere Senate des BFH der Auffassung sind, dass
denjenigen Senat, der primär für ein Rechtsgebiet
zuständig ist, keine Pflicht zur Anfrage wegen Divergenz an
den Großen Senat trifft, wenn er von einer Entscheidung eines
anderen Senats abweichen will, der nach wie vor im Zusammenhang mit
anderen Streitpunkten mit der streitgegenständlichen
Rechtsfrage befasst werden kann. Den Entscheidungen des
Großen Senats in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 = SIS 89 02 09, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 = SIS 86 05 43 und in
BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 = SIS 72 00 42 wird demnach
für die heute geltende Fassung des § 11 FGO keine
Bedeutung beigemessen.
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3. Hilfsweise erneute Anrufung des
Großen Senats
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Sollte demgegenüber der Große Senat
der Auffassung sein, durch die Beschlüsse des Großen
Senats in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 = SIS 89 02 09, in BFHE
145, 147, BStBl II 1986, 207 = SIS 86 05 43 und in BFHE 103, 433,
BStBl II 1972, 68 = SIS 72 00 42 sei auch für die jetzige
Fassung des § 11 FGO entschieden, dass eine Divergenz zur
Entscheidung eines anderen Senats des BFH auch dann vorliege, wenn
ein Senat zwar für ein Rechtsgebiet zuständig geworden
sei, der andere Senat aber nach wie vor mit der Frage befasst
werden könne, legt der Senat die im Leitsatz bezeichnete Frage
dem Großen Senat zur erneuten Klärung vor. Denn der
vorlegende Senat möchte aus den unter V. dargelegten
Gründen von den Beschlüssen des Großen Senats in
BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 = SIS 89 02 09, in BFHE 145, 147,
BStBl II 1986, 207 = SIS 86 05 43 und in BFHE 103, 433, BStBl II
1972, 68 = SIS 72 00 42 abweichen (§ 11 Abs. 2 FGO) und die im
Ausgangsverfahren streitige Frage, ob Kosten für eine Adoption
als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind, nicht dem
Großen Senat des BFH vorlegen.
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33
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Die Vorlage - unterstellt, die Voraussetzungen
des § 11 Abs. 2 FGO lägen vor - ist nicht deshalb
unzulässig, weil der Große Senat bereits über die
aufgeworfene Rechtsfrage entschieden hat. Zwar ist nach der
Rechtsprechung des Großen Senats eine erneute Vorlage
derselben Rechtsfrage an ihn nur zulässig, falls in der
Zwischenzeit neue rechtliche Gesichtspunkte aufgetreten sind, die
bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt
werden konnten, und/oder neue Rechtserkenntnisse eine andere
Beurteilung der entschiedenen Rechtsfrage rechtfertigen
könnten (BFH-Beschlüsse vom 18.1.1971 GrS 4/70, BFHE 101,
13, BStBl II 1971, 207 = SIS 71 01 21; vom 24.6.1985 GrS 1/84, BFHE
144, 124, BStBl II 1985, 587 = SIS 85 20 37).
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Ungeachtet der gegen diese Auffassung
vorgebrachten Einwände (vgl. BFH-Beschluss vom 20.2.2013 GrS
1/12, BStBl II 2013, 441 = SIS 13 11 96), die der Senat für
durchgreifend hält, ist eine erneute Entscheidung des
Großen Senats deshalb erforderlich, weil sich seither §
11 FGO seinem Wortlaut nach geändert hat, erhebliche Zeit
verstrichen ist und - wie aufgezeigt - andere Senate des BFH
offenbar der Auffassung sind, dass die Gründe der
Entscheidungen des BFH in BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164 = SIS 89 02 09, in BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 = SIS 86 05 43 und
in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 = SIS 72 00 42 nicht auf die
derzeit gültige Fassung des § 11 FGO übertragbar
sind.
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35
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V. Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist
die Vorlagefrage zu verneinen. Der Senat, der aufgrund einer
Änderung des Geschäftsverteilungsplans primär
für ein bestimmtes Rechtsgebiet zuständig geworden ist,
kann ohne vorherige Anfrage beim zuvor zuständigen Senat oder
einem anderen Senat des BFH von deren bisheriger Rechtsprechung
abweichen. Eine Pflicht zur Vorlage an den Großen Senat
besteht nicht.
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1. Der Große Senat dient neben der
Rechtsfortbildung (so insbesondere in Fällen des § 11
Abs. 4 FGO) der Einheitlichkeit der Rechtsprechung innerhalb des
BFH. Es sollen einander widersprechende Entscheidungen verhindert
werden. Daher entscheidet gemäß § 11 Abs. 2 FGO der
Große Senat, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der
Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats
abweichen will. Eine Vorlage an den Großen Senat ist jedoch
nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung
abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats
erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält
(§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO). Schließt sich der Senat, von
dessen Entscheidung abgewichen werden soll, der Meinung des
anfragenden Senats an, erfordert die Einheitlichkeit der
Rechtsprechung eine Entscheidung des Großen Senats des BFH
nicht mehr.
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2. Die Pflicht, den Großen Senat im Fall
einer Abweichung von der Entscheidung eines anderen Senats des BFH
anzurufen, entfällt auch dann, wenn der erkennende Senat
aufgrund einer Änderung in der Geschäftsverteilung
ausschließlich für die streitige Rechtsfrage
zuständig geworden ist (allgemeine Auffassung, z.B.
BFH-Urteile vom 15.6.2010 VIII R 10/09, BFHE 230, 47, BStBl II
2010, 906 = SIS 10 22 55, Rz 34; vom 19.12.2002 IV R 47/01, BFHE
201, 241, BStBl II 2003, 507 = SIS 03 18 32; vom 9.10.2001 VIII R
77/98, BFHE 197, 43, BStBl II 2002, 460 = SIS 02 01 27, Rz 28;
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 13.2.1968 GrS 5/67,
BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365 = SIS 68 02 42, Rz 11). Die Gefahr
einander widerstreitender Urteile besteht dann künftig nicht
mehr. Dies gilt auch dann, wenn der bisherige Senat oder andere
Senate durch die Änderung der Geschäftsverteilung
künftig nur noch gelegentlich in die Lage kommen können,
über die Rechtsfrage entscheiden zu müssen, weil die
Zuständigkeit, soweit nur diese Rechtsfrage streitig ist, auf
einen anderen Senat übergegangen ist (gl. A. BFH-Urteile in
BFHE 190, 481, BStBl II 2000, 292 = SIS 00 04 87, Rz 14; in BFH/NV
2000, 942 = SIS 00 57 12, Rz 13; wohl auch BFH-Urteil in BFHE 206,
68, BStBl II 2004, 1047 = SIS 04 22 34, Rz 41; a.A. BFH-Urteil vom
21.3.1995 XI R 85/93, BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732 = SIS 95 17 54, Rz 30; BFH-Beschluss vom 29.3.2000 I R 76/99, BFHE 191, 353,
BStBl II 2000, 622 = SIS 00 09 18; Sunder-Plassmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 11 FGO Rz 42, 60
ff., 66 ff.; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rz 5; Müller-Horn in
Beermann/Gosch, FGO, § 11 Rz 10; Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 9; Pust, HFR 2001,
1084; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011, unter C. VIII., wohl
auch Kempermann, FR 2002, 154
a.E.).
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a) Durch die Zuweisung eines Rechtsgebiets an
einen bestimmten Senat wird diesem Senat die Rechtsfortbildung
hierfür übertragen. Auch wenn der bislang zuständige
Senat in seltenen Fällen weiterhin mit Rechtsfragen aus diesem
Rechtsgebiet befasst werden kann, wird er sich nach dem
Zuständigkeitswechsel mit fortschreitender Zeit von der
Rechtsmaterie entfernen. Dies spricht dafür, die Entscheidung
über Streitfragen demjenigen Senat zuzuweisen, der vornehmlich
für dieses Rechtsgebiet zuständig geworden ist. Die
Gefahr widerstreitender Urteile ist gering, weil ein Senat, der
sich nur gelegentlich mit der Materie eines anderen Senats befassen
muss, in aller Regel der Rechtsprechung dieses Senats folgen
wird.
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Nach der seit 2009 geltenden
Geschäftsverteilung liegt die Zuständigkeit für
außergewöhnliche Belastungen schwerpunktmäßig
beim vorlegenden Senat. Er ist damit in erster Linie für die
Auslegung der §§ 33 ff. EStG und damit für die
Fortbildung des Rechts auf diesem Gebiet und die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung berufen. Die dem (vorlegenden) Senat
für das Rechtsgebiet der außergewöhnlichen
Belastungen zugewiesene Aufgabe der Rechtsfortbildung und das
Interesse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, das durch die
Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Senat in den
gesetzlich vorgesehenen Fällen gewahrt werden soll (vgl. unter
V.1.), stehen insoweit in einem Spannungsverhältnis.
Müsste der VI. Senat in jedem Fall, in dem er von der
Rechtsprechung der anderen Ertragsteuersenate des BFH auf dem
Gebiet der außergewöhnlichen Belastung abweichen will,
bei dem vormals zuständigen III. Senat oder einem anderen
Ertragsteuersenat des BFH anfragen, ob dieser der
Rechtsprechungsänderung zustimmt, so würde dies dem
Interesse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung auch in den
Fällen den Vorrang einräumen, in denen der Senat, von
dessen Entscheidung abgewichen werden soll, eine früher
bestehende schwerpunktmäßige Zuständigkeit verloren
hat. Dem für die betreffenden Rechtsfragen nunmehr in erster
Linie zuständigen Senat hingegen würde die Wahrnehmung
seiner Aufgaben im Bereich der Rechtsentwicklung und Fortbildung
des Rechts deutlich erschwert (vgl. auch Sunder-Plassmann in HHSp,
§ 11 FGO Rz 60a). In den Fällen des Übergangs der
primären Zuständigkeit erscheint dies unangemessen, so
dass keine Pflicht zur Anfrage und auch keine Verpflichtung zur
Vorlage an den Großen Senat anzunehmen ist.
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b) Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2
FGO steht diesem Regelungsverständnis nicht entgegen, denn er
ist mehrdeutig. Die Formulierung „Kann der Senat, von
dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer
Änderung des Geschäftsverteilungsplans mit der
Rechtsfrage nicht mehr befasst werden,...“ in § 11
Abs. 3 Satz 2 FGO könnte zwar dafür sprechen, dass eine
Anfrage nur dann zu unterbleiben hat, wenn der Senat, von dessen
Entscheidung abgewichen werden soll, überhaupt nicht mehr mit
der Frage befasst werden kann. Der weitere Wortlaut des § 11
Abs. 3 Satz 2 FGO, nach dem bei dem Senat angefragt werden muss,
der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in
dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre,
lässt jedoch auch die gegenteilige Deutung zu. Wäre
für die Entscheidung des Falles, von dem abgewichen werden
soll, nunmehr ein anderer Senat zuständig, ist bei diesem
anzufragen. Da in Fällen, in denen nur
außergewöhnliche Belastungen streitig sind, seit 2009
ausschließlich der VI. Senat zuständig ist, müssten
demnach in allen Entscheidungen, in denen der III. Senat über
außergewöhnliche Belastungen entschieden hat und nur
diese Fragen streitig waren, andere Senate des BFH, die von
Entscheidungen des III. Senats zu außergewöhnlichen
Belastungen abweichen wollen, beim VI. Senat anfragen, ob dieser
der Abweichung zustimmt. Der vorlegende Senat wäre demnach
auch für die Sachverhalte, die den Urteilen des III. Senats in
BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495 = SIS 87 11 04 und in BFHE 149,
539, BStBl II 1987, 596 = SIS 87 16 03 zugrunde lagen und die nur
außergewöhnliche Belastungen betrafen, der Senat
geworden, der nach der gegenwärtigen Geschäftsverteilung
für die Fälle zuständig wäre und bei dem
gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO anzufragen ist. Eine
Zustimmung des III. Senats ist damit nicht mehr erforderlich.
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