1
|
I. Die Beteiligten streiten über die
Rechtmäßigkeit der gesonderten Feststellung des
vortragsfähigen Gewerbeverlustes im Streitjahr (2001) in Folge
der rückwirkenden Anwendung von § 8 Nr. 5 des
Gewerbesteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung des
Unternehmenssteuerrechts vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I
2002, 35) - GewStG 1999 n.F. - zum 1.1.2001.
|
|
|
2
|
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein
Krankenversicherungsunternehmen in der Rechtsform einer AG. Im
Streitjahr hielt sie verschiedene Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften mit Sitz in der Europäischen Union in
ihrem Betriebsvermögen. Sie war am Nennkapital dieser
Unternehmen jeweils unter 10 v.H. beteiligt. Zwischen Februar und
Anfang Dezember 2001 erzielte die Klägerin aus diesen
Beteiligungen Dividendeneinnahmen, die für Zwecke der
Körperschaftsteuer nach § 8b Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 des
Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der
Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom
23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) - KStG 1999 n.F.
- im Ergebnis zu 95 v.H. freigestellt wurden.
|
|
|
3
|
Für die Ermittlung des
Gewerbesteuermessbetrages für das Streitjahr sowie für
die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen
Gewerbeverlustes/Fehlbetrages auf den 31.12.2001 wurde nach §
7 GewStG 1999 n.F. der Gewinn aus Gewerbebetrieb des Streitjahres
zugrunde gelegt. Zum Zwecke der Ermittlung des Gewerbeertrages
erfolgte zunächst eine Hinzurechnung zu diesem Gewinn nach
§ 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. in Höhe von 95 v.H. der
erzielten und nach dem Körperschaftsteuergesetz freigestellten
Dividenden. Der Gewerbeertrag erhöhte sich dementsprechend und
es kam daraufhin zum Verbrauch eines Verlustvortrages nach §
10a GewStG 1999 n.F. Insoweit minderte sich der hier streitige, auf
den 31.12.2000 gesondert festgestellte vortragsfähige
Gewerbeverlust zum 31.12.2001.
|
|
|
4
|
Die Klägerin war der Auffassung, dass
die Hinzurechnung der Dividenden aufgrund der ihrer Ansicht nach
verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung der
Neufassung des § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. rückgängig
zu machen sei.
|
|
|
5
|
Während des deswegen angestrengten
Klageverfahrens erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) einen geänderten
Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2001, in dem er u.a. die
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. auf 15.871 DM
reduzierte, so dass der vortragsfähige Verlust auf 40.304.856
DM festgestellt wurde.
|
|
|
6
|
Das Finanzgericht (FG) Köln wies die
Klage mit Urteil vom 1.6.2006 15 K 5537/03 (abgedruckt in EFG 2007,
1945 = SIS 07 30 87) ab. Es war der Auffassung, dass an der
Verfassungsmäßigkeit der durch § 36 Abs. 4 GewStG
1999 n.F. angeordneten uneingeschränkten rückwirkenden
Anwendung des § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. ab dem 1.1.2001 keine
Bedenken bestünden. Die Klägerin habe im
Erhebungszeitraum 2001 nicht auf die Gewerbesteuerfreiheit von
Streubesitzdividenden vertrauen dürfen.
|
|
|
7
|
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche
Rückwirkungsverbot.
|
|
|
8
|
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Bescheid über die gesonderte Feststellung des
vortragsfähigen Fehlbetrages auf den 31.12.2001 vom 20.10.2004
dahingehend abzuändern, dass die Ermittlung des
Gewerbeertrages für das Jahr 2001 ohne die Hinzurechnung von
Dividenden in Höhe von 15.871 DM nach § 8 Nr. 5 GewStG
1999 n.F. erfolgt.
|
|
|
9
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung
des angefochtenen Bescheids in dem begehrten Umfang (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist
zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass durch § 36 Abs. 4
GewStG 1999 n.F. die uneingeschränkte rückwirkende
Anwendung des § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. ab dem 1.1.2001
angeordnet wird. Die rückwirkende Hinzurechnung von
Gewinnanteilen bei Auslandsbeteiligungen verstößt gegen
die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit und
bleibt im Erhebungszeitraum 2001 unangewandt.
|
|
|
11
|
1. Besteuerungsgrundlage für die
Gewerbesteuer ist nach § 6 GewStG 1999 n.F. der Gewerbeertrag.
Gewerbeertrag ist nach § 7 Satz 1 GewStG 1999 n.F. der nach
den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des
Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus
Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den
dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu
berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den
§§ 8 und 9 GewStG 1999 n.F. bezeichneten Beträge.
Gemäß § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. werden dem Gewinn
aus Gewerbebetrieb (u.a.) die nach § 8b Abs. 1 KStG 1999 n.F.
außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und die
diesen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus
Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder
Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes
nach Abzug der mit diesen Einnahmen, Bezügen und erhaltenen
Leistungen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden
Betriebsausgaben, soweit sie nach § 8b Abs. 5 KStG 1999 n.F.
unberücksichtigt bleiben, wieder hinzugerechnet, soweit sie
bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind. Die
Hinzurechnung erfolgt nur, soweit nicht die Voraussetzungen des
Schachtelprivilegs nach § 9 Nr. 2a oder 7 GewStG 1999 n.F.
erfüllt sind, das heißt nur bei Streubesitzbeteiligungen
von weniger als 10 v.H. (seit 2008 weniger als 15 v.H.).
|
|
|
12
|
Hiernach kann nicht fraglich sein, dass es
sich - wovon auch die Beteiligten einvernehmlich ausgehen - bei den
der Klägerin zwischen Februar und Anfang Dezember 2001
zugeflossenen Dividendeneinnahmen um „nach § 8b Abs.
1 des Körperschaftsteuergesetzes außer Ansatz
bleibende(n) Gewinnanteile (Dividenden)“ i.S. von §
8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. handelt.
|
|
|
13
|
2. Soweit die Anwendungsvorschrift in §
36 Abs. 4 GewStG 1999 n.F. bestimmt, dass § 8 Nr. 5 GewStG
1999 n.F. auf Dividendeneinnahmen aus Auslandsbeteiligungen im
Gegensatz zu Dividendeneinnahmen aus Inlandsbeteiligungen erstmals
für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden ist, widerspricht
diese Benachteiligung der Beteiligung an
Auslandskapitalgesellschaften allerdings der unionsrechtlich
verbürgten Freiheit des Kapitalverkehrs (Art. 56 des Vertrags
von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die
Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit
zusammenhängender Rechtsakte - EG -, Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften 1997, Nr. C-340, 1, jetzt Art. 63
des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags
über die Europäische Union und des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft - AEUV -,
Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C-115, 47). §
8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. ist im Ergebnis damit im Streitjahr
unangewandt zu belassen.
|
|
|
14
|
a) § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. und dessen
Anwendungsbestimmung in § 36 Abs. 4 GewStG 1999 n.F. stehen im
Zusammenhang mit dem im Zuge des körperschaftsteuerrechtlichen
Systemwechsels neu gefassten § 8b Abs. 1 KStG 1999 n.F., nach
dem bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften u.a. erhaltene
Gewinnausschüttungen bei der Ermittlung des Einkommens
außer Ansatz bleiben. § 8b Abs. 1 KStG 1999 n.F. ist
erstmals auf Bezüge anzuwenden, auf die bei der
ausschüttenden Körperschaft das KStG 1999 i.d.F. des
Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen
vom 14.7.2000 (BGBl I 2000, 1034, BStBl I 2000, 1192) nicht mehr
anzuwenden ist (§ 34 Abs. 6d Satz 1 Nr. 1 KStG 1999 n.F.,
jetzt § 34 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002). Bei offenen
Gewinnausschüttungen von inländischen Gesellschaften ist
§ 8b Abs. 1 KStG 1999 n.F. daher erstmals bei Abfließen
der Ausschüttung im Jahr 2002 anzuwenden (vgl. dazu Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 28.4.2003, BStBl I
2003, 292 = SIS 03 22 94, Tz. 61). Anders liegt der Fall bei
Gewinnausschüttungen ausländischer
Beteiligungsgesellschaften. Da die Anwendung von § 8b Abs. 1
KStG 1999 n.F. im Grundsatz einen Wegfall der Geltung des
„alten“ Körperschaftsteuerrechts für
die Besteuerung der ausschüttenden Gesellschaft voraussetzt,
für ausländische Beteiligungsgesellschaften aber der
körperschaftsteuerliche Systemwechsel nicht zum Tragen kommt,
enthält die Anwendungsbestimmung in § 34 Abs. 6d KStG
1999 n.F. für diese Form der Beteiligung keine besondere
Bestimmung. Für die erstmalige Anwendung ist vielmehr §
34 Abs. 1 KStG 1999 n.F. (jetzt § 34 Abs. 4 KStG 2002)
maßgeblich, der für den Streitfall damit eine erstmalige
Anwendung für den Veranlagungszeitraum 2001 anordnet (s.a.
Senatsurteil vom 22.4.2009 I R 57/06, BFHE 231, 35, BStBl II 2011,
66 = SIS 10 38 99). Dies hat zur Folge, dass es sich bei
Dividendeneinnahmen aus Auslandsbeteiligungen um bereits im
Erhebungszeitraum 2001 „nach § 8b Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes außer Ansatz bleibende(n)
Gewinnanteile (Dividenden)“ i.S. von § 8 Nr. 5
GewStG 1999 n.F. handelt und damit für diesen Fall § 36
Abs. 4 GewStG 1999 n.F. bestimmt, dass § 8 Nr. 5 GewStG 1999
n.F. erstmals für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden ist.
Für Dividendeneinnahmen aus Inlandsbeteiligungen bleibt es
dagegen bei der erstmaligen Anwendung für den
Erhebungszeitraum 2002 (vgl. hierzu Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10.10.2012 1 BvL 6/07,
DStR 2012, 2322 = SIS 12 29 53, Rz 54).
|
|
|
15
|
b) Die rechtliche Ausgangssituation des
Streitfalls ist insoweit vergleichbar mit dem vom Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften, jetzt Gerichtshof der
Europäischen Union, - EuGH - entschiedenen Fall des
Abzugsverbots für Teilwertabschreibungen bei
Auslandsbeteiligungen nach § 8b Abs. 3 (i.V.m. Abs. 1) KStG
1999 n.F. (EuGH-Urteil vom 22.1.2009 C-377/07, „STEKO
Industriemontage“, Slg. 2009, I-299 = SIS 09 08 64).
|
|
|
16
|
aa) Hier wie dort geht es um Beteiligungen mit
weniger als 10 v.H. an einer ausländischen
Kapitalgesellschaft. Damit ist der Anwendungsbereich der
Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV) im
Grundsatz eröffnet. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG,
jetzt Art. 49 AEUV) ist nicht einschlägig, da es sich bei den
hier in Rede stehenden Beteiligungen durchgängig um sog.
Streubesitz von unter 10 v.H. der jeweiligen Anteile handelt.
|
|
|
17
|
bb) Hier wie dort geht es um
Anwendungsvorschriften, die dazu führen, dass für
Auslandsbeteiligungen eine belastende Regelung (dort § 8b Abs.
3 KStG 1999 n.F., hier § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F.) zeitlich
früher zur Anwendung kommt als im Fall der Inlandsbeteiligung.
Die Vorschrift des § 36 Abs. 4 GewStG 1999 n.F. führt
dabei ihrem Wortlaut nach zunächst nicht zu einer
unmittelbaren Diskriminierung ausländischer
Kapitalbeteiligungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit,
da nicht dahingehend differenziert wird, ob eine Hinzurechnung nach
§ 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. bei Dividendeneinnahmen aus einer
inländischen oder ausländischen Kapitalbeteiligung
erfolgt. Allerdings setzt § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F.
„nach § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes
außer Ansatz bleibende(n) Gewinnanteile
(Dividenden)“ voraus und knüpft somit für die
Anwendung im Erhebungszeitraum 2001 mittelbar an eine Beteiligung
an einer ausländischen Gesellschaft an. Nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH verbietet der Grundsatz der
Gleichbehandlung, der ein Begriff des Unionsrechts ist, nicht nur
offensichtliche, sondern - wie im Streitfall - auch versteckte
Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit,
die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale
tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (vgl. dazu
z.B. EuGH-Urteil vom 12.9.1996 C-278/94, Kommission/Belgien, Slg.
1996, I-4307, Rn. 27 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
|
|
|
18
|
cc) Diese Benachteiligung der Beteiligung an
Auslandskapitalgesellschaften verstößt gegen die
Kapitalverkehrsfreiheit (EuGH-Urteil in Slg. 2009, I-299). Dies
entspricht der mittlerweile ständigen Spruchpraxis des Senats,
auf welche, um Wiederholungen zu vermeiden, zu verweisen ist (vgl.
Senatsurteile in BFHE 231, 35, BStBl II 2011, 66 = SIS 10 38 99,
und vom 28.10.2009 I R 27/08, BFHE 227, 73, BStBl II 2011, 229 =
SIS 10 02 04; Senatsbeschlüsse vom 8.6.2010 I B 199/09, BFH/NV
2010, 1863 = SIS 10 27 69, sowie vom 23.5.2011 I B 11/11, BFH/NV
2011, 1698 = SIS 11 29 51). Die Finanzverwaltung hat sich dem
prinzipiell angeschlossen (BMF-Schreiben vom 16.4.2012, BStBl I
2012, 529 = SIS 12 09 92).
|
|
|
19
|
Dem kann nach der Rechtsprechung des EuGH
nicht entgegengehalten werden, dass die für
Gewinnausschüttungen einer Auslandsbeteiligungsgesellschaft
auf den Erhebungszeitraum 2001 vorgezogene Hinzurechnung der
Dividenden nach § 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. im Zusammenhang mit
dem Vorteil der vorgezogenen Anwendung von § 8b Abs. 1 KStG
1999 n.F. steht. Diese Erwägung lässt der EuGH
ausdrücklich nicht zu, da er keinen unmittelbaren Zusammenhang
zwischen dem steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils
zu erkennen vermag und auch eine enge Wechselwirkung nicht vorliegt
(EuGH-Urteil in Slg. 2009, I-299, Rz 52f).
|
|
|
20
|
3. Der Senat erachtet die aufgezeigte
Unionsrechtslage in Anbetracht des zwischenzeitlichen Stands der
Rechtsprechung des EuGH als eindeutig. Sie entspricht den Aussagen
des zitierten EuGH-Urteils und war somit bereits Gegenstand der
Auslegung durch den Gerichtshof. Einer abermaligen Vorlage an den
EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV bedurfte es deshalb
nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81, C.I.L.F.I.T.,
Slg. 1982, 3415).
|
|
|
21
|
4. Angesichts dieser unionsrechtlichen
Beurteilung des Streitfalls bedurfte es im Hinblick auf die Frage,
ob § 36 Abs. 4 GewStG 1999 n.F. mit dem Grundsatz des
Vertrauensschutzes vereinbar ist oder gegen Art. 20 Abs. 3 des
Grundgesetzes (GG) verstößt, soweit er die Anwendung des
§ 8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. auf den Erhebungszeitraum 2001 auch
mit Wirkung vor der Verkündung des Gesetzes am 24.12.2001 im
Bundesgesetzblatt (BGBl I 2001, 3858) erstreckt und dabei vorher
beschlossene und zugeflossene Ausschüttungen von
Auslandsbeteiligungen erfasst, keiner Vorlage an das BVerfG nach
Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.
|
|
|
22
|
Das BVerfG hat zwar § 36 Abs. 4 GewStG
1999 n.F. als mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbar
angesehen (BVerfG-Beschluss in DStR 2012, 2322 = SIS 12 29 53),
aber die Nichtigerklärung der Vorschrift ausdrücklich auf
Dividendenvorabausschüttungen an Minderheitsgesellschafter
beschränkt, die von der ausschüttenden Gesellschaft vor
dem 12.12.2001 verbindlich beschlossen wurden und der mit weniger
als 10 v.H. beteiligten Körperschaft vor diesem Zeitpunkt
zugeflossen sind. Der vorliegende Streitfall der
Dividendenausschüttung von einer
Auslandsbeteiligungsgesellschaft ist damit von der
Nichtigerklärung nicht erfasst (§ 78 Satz 1 i.V.m. §
82 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht). Die
Frage der Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz ist jedoch
nicht mehr entscheidungserheblich, wenn das Gesetz - wie im
Streitfall - schon im Hinblick auf einen Verstoß gegen das
Unionsrecht unangewandt bleibt (vgl. zur Zulässigkeit einer
konkreten Normenkontrolle bei einem Unionsrecht umsetzenden Gesetz
BVerfG-Beschluss vom 4.10.2011 1 BvL 3/08, BVerfGE 129, 186 = SIS 11 35 90). Der Senat konnte daher von einer (erneuten) Vorlage des
§ 36 GewStG 1999 n.F. an das BVerfG absehen.
|
|
|
23
|
5. Die Vorinstanz hat im Ergebnis eine hiervon
abweichende Rechtsauffassung vertreten. Ihr Urteil ist deswegen
aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Bescheid über die
gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes
auf den 31.12.2001 ist dahingehend zu ändern, dass die
Ermittlung des zugrunde zu legenden Gewerbeertrages ohne die
Hinzurechnung von Dividenden in Höhe von 15.871 DM nach §
8 Nr. 5 GewStG 1999 n.F. erfolgt. Eine noch weiter gehende
Erhöhung des Gewerbeverlustes auch um die nach § 8b Abs.
5 KStG 1999 n.F. i.V.m. § 7 Satz 1 GewStG 1999 n.F. als
nicht-abzugsfähig behandelten Betriebsausgaben in Höhe
von 5 v.H. der gemäß § 8b Abs. 1 KStG 1999 n.F.
steuerfrei bleibenden Gewinnanteile scheidet aus, obschon diese
Behandlung im Streitjahr ihrerseits gegen die unionsrechtlich
verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstieß (vgl. dazu
zuletzt Senatsurteil vom 29.8.2012 I R 7/12, BFHE 239, 45, BStBl II
2013, 89 = SIS 12 30 32, m.w.N.); die Klägerin hat die
Anwendung von § 8b Abs. 5 KStG 1999 n.F. im Rahmen ihrer
Klageanträge akzeptiert. Die Berechnung des festzustellenden
vortragsfähigen Gewerbeverlustes wird gemäß §
121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA
übertragen.
|