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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist seit 2002 von seiner früheren Ehefrau, mit
der er zwei gemeinsame Kinder hat, geschieden. Für das
Streitjahr 2004 wurde er einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. In
seiner Einkommensteuererklärung gab er in der Anlage
„Kind“ als Adresse der Kinder eine Anschrift an, die
mit der seiner geschiedenen Frau identisch war. Der Kläger
wurde erklärungsgemäß unter Berücksichtigung
von zwei Freibeträgen in Höhe von jeweils 2.904 EUR
(1.824 EUR Kinderfreibetrag und 1.080 EUR Freibetrag für den
Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf - BEA-Freibetrag
- ) veranlagt.
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Am 7.10.2005 ging beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) eine schriftliche Mitteilung
des Wohnsitzfinanzamts der geschiedenen Ehefrau ein, wonach die
BEA-Freibeträge für die beiden Kinder auf die Mutter
übertragen worden seien, weil die Kinder nicht in der Wohnung
des Vaters gemeldet seien. Der Kläger bestätigte die
melderechtliche Situation gegenüber seinem FA. Dieses
änderte daraufhin die Steuerfestsetzung und
berücksichtigte die BEA-Freibeträge nicht mehr. Einspruch
und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in
seinem in EFG 2007, 1245 = SIS 07 25 28 veröffentlichten
Urteil die Auffassung, dass die Vorschrift des § 32 Abs. 6
Satz 6 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr
geltenden Fassung (EStG), die die Übertragung des
BEA-Freibetrages regelt, verfassungsgemäß ist.
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Mit seiner Revision trägt der
Kläger vor, die Übertragung des BEA-Freibetrages beruhe
auf einer verfassungswidrigen Norm. Die voraussetzungslose
Entziehungsmöglichkeit des einem Elternteil zustehenden
BEA-Freibetrages durch den anderen Elternteil stelle einen Eingriff
in die Rechtsposition des benachteiligten Elternteils dar, für
die es keine sachliche Rechtfertigung gebe. Der BEA-Freibetrag sei
Bestandteil des familiären Existenzminimums und stehe dem
Grundsatz nach jedem Elternteil zu. Dies werde dem Umstand gerecht,
dass bei geschiedenen Eltern üblicherweise nur ein Elternteil
die regelmäßige Betreuung eines Kindes übernehmen
könne. Der andere Teil erbringe seinen Beitrag durch
Unterhaltsleistungen in Geld und wie zumeist zusätzlich durch
Übernahme des Kindes an Wochenenden oder in den Ferien. Nur
aufgrund der Barunterhaltsleistungen des einen Elternteils werde
bei dem Elternteil, welcher die ständige Betreuung
übernehme, Zeit für diese Betreuung freigesetzt,
ansonsten müsste letzterer mehr Zeit in eine
Erwerbstätigkeit investieren, die zeitlich zu Lasten der
Betreuung des Kindes gehen würde. Beide Elternteile
erbrächten damit den ihnen möglichen Anteil an der
Betreuung, der eine durch die tatsächlich ausgeübte
Betreuung, der andere durch die Unterhaltszahlungen als Surrogat
für die nicht praktisch ausübbare Betreuung. Der
Gesetzgeber gehe in § 1606 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) daher von der Gleichwertigkeit der Leistungen aus. Es sei
daher sachgerecht, jedem Elternteil einen Anspruch auf den
BEA-Freibetrag auch nach der Scheidung zu gewähren. Das Urteil
des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.5.2006 III R 71/04 (BFHE 214,
120, BStBl II 2008, 352 = SIS 06 37 82) habe sich nur mit dem
reinen Betreuungsfreibetrag auseinandergesetzt, die dort
aufgeführten Gründe seien für den im Streitjahr
geltenden BEA-Freibetrag nicht relevant. Der Freibetrag gehe
über die Betreuung hinaus. Erziehung und Ausbildung seien
nicht an den Haushalt geknüpft, in dem das Kind lebe. Die
entsprechenden Kosten würden nicht zwangsläufig vom
betreuenden Elternteil getragen. Selbst wenn dieser dem
äußeren Anschein nach die Kosten tragen würde, so
erhalte er vom anderen Elternteil dazu einen Beitrag in Form von
Unterhaltszahlungen. Ausbildung werde häufig durch dritte
Institutionen erbracht. Inwiefern daher der betreuende Elternteil
hierzu einen größeren Beitrag leiste, der seine
Bevorzugung in Bezug auf den Freibetrag rechtfertige, sei nicht
ersichtlich. Ausschlaggebend müsse somit wie bei der
Entziehung des hälftigen Kinderfreibetrages nach § 32
Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 EStG sein, dass der andere Elternteil
seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Die streitige
Übertragungsvorschrift müsse daher zumindest
verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass die Erfüllung
der Unterhaltspflicht maßgeblich sei.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, das FG-Urteil und den
Einkommensteueränderungsbescheid vom 3.11.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 26.1.2006 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass
der BEA-Freibetrag des Klägers gemäß § 32 Abs.
6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG auf die Kindesmutter zu übertragen
war. Der Senat ist von der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung
nicht i.S. des Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
überzeugt.
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1. Bei minderjährigen Kindern wird der
dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist,
zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf
diesen übertragen (§ 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2
EStG).
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Diese Voraussetzungen für die
Übertragung des BEA-Freibetrages auf die geschiedene Ehefrau
des Klägers liegen vor, was zwischen den Beteiligten nicht
streitig ist.
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2. Der Senat hatte die genannte Vorschrift
anzuwenden, weil er sie nicht als verfassungswidrig ansieht.
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a) Der BFH hat die unter denselben
Voraussetzungen zulässige Übertragung des
Betreuungsfreibetrages gemäß § 32 Abs. 6 Satz 7
Halbsatz 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Familienförderung vom
22.12.1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) für
verfassungsgemäß erachtet (Urteil in BFHE 214, 120,
BStBl II 2008, 352 = SIS 06 37 82). Nach herrschender Meinung gilt
für die Übertragung des mit dem Zweiten Gesetz zur
Familienförderung vom 16.8.2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl I
2001, 533) eingeführten BEA-Freibetrages nichts anderes (neben
der Vorinstanz auch die Vorinstanz zum anhängigen
Revisionsverfahren III R 49/10 = FG Baden-Württemberg, Urteil
vom 16.1.2009 13 K 299/04, EFG 2011, 1703 = SIS 11 28 61;
Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I.
Kommentierung, § 32 Rz 134; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32 Rz 932;
Schmidt/Loschelder, EStG, 30. Aufl., § 32 Rz 92; Dürr in
Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 32 Rz 134; kritisch
Blümich/Selder, § 32 EStG Rz 231; Greite,
BFH-Rechtsprechung zum Kindergeld im Jahr 2006, Neue
Wirtschafts-Briefe, Fach 3a, 2465, 2476). Der Senat schließt
sich der herrschenden Meinung an.
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b) Nach dem Senatsurteil in BFHE 214, 120,
BStBl II 2008, 352 = SIS 06 37 82 darf der Gesetzgeber typisierend
davon ausgehen, dass das Kind in dem Haushalt des Elternteils, bei
dem es gemeldet ist, aufgenommen ist und von diesem Elternteil
umfassend betreut wird. Da dieser Elternteil im Regelfall einen
höheren Betreuungsaufwand hat als der andere Elternteil, der
das Kind ggf. an Wochenenden oder in den Schulferien betreut oder
der Fremdbetreuungsleistungen (mit-)finanziert, ist es sachgerecht,
den Betreuungsfreibetrag auf Antrag ausschließlich dem
Elternteil, bei dem das Kind allein gemeldet ist, zu gewähren.
Die unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen für die
Übertragung des Kinderfreibetrages einerseits und des
Betreuungsfreibetrages andererseits sind ebenfalls sachlich
gerechtfertigt (Senatsurteil in BFHE 214, 120, BStBl II 2008, 352 =
SIS 06 37 82). An seiner Bewertung hält der Senat nach
nochmaliger Überprüfung fest. Er ist weiter der
Auffassung, dass diese Gesichtspunkte auch die streitige
Übertragung des BEA-Freibetrages rechtfertigen.
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aa) Hinsichtlich des Betreuungsbedarfs kommen
die Grundsätze des Senatsurteils in BFHE 214, 120, BStBl II
2008, 352 = SIS 06 37 82 unmittelbar zum Tragen. Insbesondere
trifft das Vorbringen der Revision nicht zu, dass erst die
Barunterhaltszahlungen des einen Elternteils dem betreuenden
Elternteil die persönliche Betreuung ermöglichen. Denn
Letzteres hängt vom nachehelichen Unterhaltsanspruch des
geschiedenen Elternteils ab (vgl. § 1570 BGB), nicht vom hier
zur Beurteilung anstehenden Kindesunterhalt.
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bb) Darüber hinaus erscheint es auch
nicht sachwidrig, den auf den Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf
entfallenden Freibetragsanteil bei dem Elternteil zu
berücksichtigen, bei dem das Kind gemeldet ist. Die
Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfe eines Kindes
sind auf praktikable Weise kaum zu trennen, wie schon die
Formulierung in der Gesetzesbegründung zeigt, wonach der
zunächst überwiegende Betreuungsbedarf im Laufe der Zeit
durch den Erziehungsbedarf und für ältere Kinder durch
den Ausbildungsbedarf überlagert bzw. abgelöst wird
(BTDrucks 14/6160, S. 11). Der umfassend betreuende Elternteil wird
auch häufig überwiegend den nicht auf die Schule und
ähnliche Institutionen, sondern auf die Eltern selbst
entfallenden Ausbildungsbedarf eines minderjährigen Kindes,
also regelmäßig eines Schülers, etwa durch Hilfe
bei der Vorbereitung auf Klassenarbeiten, Hausaufgabenbetreuung,
Fahrten zur Schule, Teilnahme an Elternabenden, Organisation von
Nachhilfe u.ä., befriedigen. Es liegt in der
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Aufwand des Elternteils,
bei dem das Kind gemeldet ist und von dem es - typisierend
betrachtet - daher rund um die Uhr umfassend betreut und erzogen
wird, im Ergebnis sachlich höher zu gewichten als etwa die
Bezahlung von Nachhilfestunden oder Musikschulunterricht durch den
barunterhaltspflichtigen Elternteil. Damit ist kein sachwidriger
Ausschluss des barunterhaltspflichtigen Elternteils von
kindbedingten Steuerentlastungen verbunden (hierzu Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8.6.1977 1 BvR 265/75,
BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526 = SIS 77 02 93). Vielmehr wird
die Steuerentlastung bei dem Elternteil wirksam, der den im
BEA-Freibetrag erfassten Aufwand nach der gesetzgeberischen
Einschätzung im Großen und Ganzen überwiegend
trägt und dessen Belastungssituation mit einer lediglich
hälftigen Beteiligung an der kindbedingten Steuerentlastung
nicht ausreichend Rechnung getragen würde.
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cc) Schließlich sprechen
Praktikabilitätsgründe dafür, dass der Gesetzgeber
verfassungsrechtlich nicht gehalten war, vom Konzept eines
einheitlichen BEA-Freibetrages und der antragsabhängigen
ausschließlichen Berücksichtigung dieses Freibetrages
beim Elternteil, bei dem das Kind gemeldet ist, abzurücken.
Bei Preisgabe des Konzepts wären nämlich zahlreiche
aufwändige Ausdifferenzierungen nach den verschiedenen
Bedarfsarten (Betreuung, Erziehung, Ausbildung) und Altersstufen
(Kleinkinder mit höherem [Fremd-]Betreuungsbedarf,
Schulkinder, Auszubildende u.ä.) sowie ggf. eine Ermittlung
und Gewichtung der von den jeweiligen Elternteilen erbrachten
Leistungen - materieller wie immaterieller Art - zur Befriedigung
der jeweiligen Bedarfe erforderlich gewesen (z.B. Bewertung der vom
barunterhaltspflichtigen Elternteil übernommenen
Kindergartengebühren und der Eigenbetreuungsleistungen des
anderen Elternteils für die übrige Zeit). Die damit
einhergehende erhebliche Verkomplizierung der Rechtsanwendung
widerstreitet dem Ziel der Praktikabilität und der Einfachheit
des Rechts, das besonders auf dem Gebiet der steuerrechtlichen
Massenverwaltung Geltung beansprucht (z.B. BVerfG-Beschlüsse
vom 8.6.2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 = SIS 04 36 31, BGBl I
2004, 2570; vom 27.7.2010 2 BvR 2122/09 = SIS 10 22 42, HFR 2010,
1109). Außerdem entspräche sie auch nicht der Aussage
des BVerfG, die dieses speziell im Hinblick auf die
verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung des Betreuungs-
und Erziehungsbedarfs getroffen hat. Danach kann nämlich im
Interesse der Einfachheit und Klarheit der gesetzlichen Regelungen
die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit
in einem vereinheitlichten Entlastungstatbestand des Betreuungs-
und Erziehungsbedarfs berücksichtigt werden, dessen
Voraussetzungen allein durch die Angabe familienbezogener Daten vom
Steuerpflichtigen dargelegt werden können (BVerfG-Beschluss
vom 10.11.1998 2 BvR 1057/91 u.a., BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999,
182 = SIS 99 04 06). Einen Anlass, von diesem
„Vereinfachungsauftrag“ abzuweichen und gerade
in Trennungsfällen aufwändige Ausdifferenzierungen
vorzunehmen, sieht der Senat nicht.
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c) Die Anknüpfung an die Eintragung im
Melderegister ist sachlich zu rechtfertigen und damit ebenfalls
verfassungsrechtlich unbedenklich. Zur näheren Begründung
verweist der Senat auf sein Urteil in BFHE 214, 120, BStBl II 2008,
352 = SIS 06 37 82 (vgl. ferner BFH-Beschluss vom 26.1.2001 VI B
250/00, BFH/NV 2001, 779 = SIS 01 65 76, m.w.N.). Ob, wie teilweise
vertreten wird, das Merkmal der Haushaltszugehörigkeit
sachgerechter wäre (z.B. Heuermann, DStR 2000, 1546), kann
dahinstehen. Denn bei der Überprüfung einer gesetzlichen
Regelung am Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht zu
untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder
gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die
verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit
überschritten hat (z.B. BVerfG-Beschluss vom 8.10.1991 1 BvL
50/86, BVerfGE 84, 348 = SIS 91 24 36, BGBl I 1991, 2170,
m.w.N.).
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d) Dass der Gesetzgeber nunmehr mit dem
Steuervereinfachungsgesetz - StVereinfG - 2011 vom 1.11.2011 (BGBl
I 2011, 2131) dem Anliegen des Klägers der Sache nach Rechnung
trägt, da der Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist,
der Übertragung widersprechen kann, weil er
Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind
regelmäßig in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut
(§ 32 Abs. 6 Satz 9 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011),
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Mit der Neuregelung
trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass in
zunehmendem Maße in Trennungsfällen beide Elternteile
den Betreuungs- und Erziehungsbedarf ihres Kindes sicherstellen
(BTDrucks 17/6146, S. 19). Der Gesetzgeber hat also die
gesellschaftliche Entwicklung beobachtet und seine
Einschätzung den veränderten Realitäten angepasst.
Damit hat er aber mitnichten zum Ausdruck gebracht, dass seine
frühere Einschätzung einer aus seiner Sicht noch anders
gelagerten gesellschaftlichen Situation unvertretbar gewesen
sei.
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