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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2006 zusammen
zur Einkommensteuer veranlagt. Sie wohnten in A und erzielten im
Streitjahr beide Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit.
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In der Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machte der Kläger bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte für 229 Tage geltend. Die
einfache Wegstrecke zu seinem Arbeitsplatz in B setzte er mit 56 km
an. Die Klägerin machte Fahrten zu ihrem Arbeitsplatz in C
für 220 Tage mit 54 km geltend. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte
bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit lediglich Fahrtkosten auf der
Grundlage einer einfachen Entfernung von 44 km.
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Die hiergegen erhobene Klage hatte z.T.
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erkannte für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte eine einfache Entfernung von 49 km
an. Weil es die Strecke bis zur Abfahrt 16 (Bovert) auf der A 57
für offensichtlich verkehrsgünstiger hielt als die vom FA
ermittelte Verbindung über die A 40, legte es seiner
Berechnung zunächst diesen Streckenanteil zugrunde. Weiter
führte es aus, nach den vom Kläger im Klageverfahren
eingereichten vergleichenden Fahrtstrecken betrage die restliche
Fahrtstrecke bis zur Arbeitsstätte bei Verlassen der A 57
schon an der Ausfahrt 16 (Bovert) nur 5,1 km bei einer Fahrtdauer
von ca. 6 Minuten, während die vom Kläger
tatsächlich gefahrene Route an der Ausfahrt 16 vorbei weiter
auf der A 57 und dann über die A 52 10,1 km lang sei und ca. 7
Minuten Fahrtdauer erfordere. Da die vom Kläger gewählte
Route danach nur bis zur Ausfahrt 16 (Bovert) als
„offensichtlich verkehrsgünstiger“ erscheine,
könne die bis zum Arbeitsplatz weiter zurückzulegende
Strecke nur teilweise berücksichtigt werden.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
Düsseldorf vom 31.8.2009 11 K 242/08 E aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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II. 1. Die Revision des FA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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2. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) können Aufwendungen des
Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte als Werbungskosten bei
den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen
werden. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden
Fassung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die
Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für
jeden vollen Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von
0,30 EUR anzusetzen. Für die Bestimmung der Entfernung ist die
kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte maßgebend; eine andere als die
kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden,
wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom
Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Satz 4 EStG).
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a) Nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH), der sich die Finanzverwaltung angeschlossen
hat, ist eine Straßenverbindung dann als
verkehrsgünstiger als die kürzeste Verbindung zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte anzusehen, wenn der Arbeitnehmer
eine andere - längere - Straßenverbindung nutzt und die
Arbeitsstätte auf diese Weise trotz gelegentlicher
Verkehrsstörungen in der Regel schneller und pünktlicher
erreicht (BFH-Urteil vom 10.10.1975 VI R 33/74, BFHE 117, 70, BStBl
II 1975, 852 = SIS 75 04 94; BFH-Beschluss vom 10.4.2007 VI B
134/06, BFH/NV 2007, 1309 = SIS 07 20 10; Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 11.12.2001 IV C 5 - S 2351 -
300/01, BStBl I 2001, 994 = SIS 02 02 80).
„Offensichtlich“ verkehrsgünstiger ist die
vom Arbeitnehmer gewählte Straßenverbindung dann, wenn
ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein
unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den
gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der
Strecke entschieden hätte.
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b) Zu vergleichen sind die kürzeste und
die vom Arbeitnehmer regelmäßig für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzte längere
Straßenverbindung. Weitere mögliche, tatsächlich
aber nicht benutzte Fahrtstrecken zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte bleiben dagegen unberücksichtigt.
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Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut des
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG. Der Gesetzeswortlaut
benennt für die Berücksichtigung einer „anderen
als der kürzesten Straßenverbindung“ zwei
Voraussetzungen: Sie muss offensichtlich verkehrsgünstiger als
die kürzeste Straßenverbindung und vom Arbeitnehmer
regelmäßig benutzt worden sein.
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Deshalb ist die vom Arbeitnehmer benutzte
Verbindung mit der nach dem Gesetz grundsätzlich als
maßgeblich angesehenen kürzesten Verbindung zu
vergleichen. Ist sie im angeführten Sinne
„offensichtlich verkehrsgünstiger“, ist sie
der Besteuerung zugrunde zu legen. Der Gesetzeswortlaut sieht
hingegen nicht vor, dass die vom Arbeitnehmer gefahrene Strecke
verkehrsgünstiger als alle übrigen möglichen
Verbindungen zwischen Wohn- und Arbeitsort sein muss, d.h. dass es
sich um die verkehrsgünstigste Strecke überhaupt handeln
muss.
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c) Diese Auslegung des Gesetzes nach dem
Wortlaut wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm und die
Gesetzesmaterialien bestätigt. Der in Streit stehende zweite
Halbsatz des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG wurde durch
Art. 1 Nr. 8 Buchst. b des Steueränderungsgesetzes 2001 vom
20.12.2001 (BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4) nachträglich
angefügt. Nach den Gesetzesmaterialien sollte für die
Bestimmung der maßgeblichen Entfernung die kürzeste
(benutzbare) Straßenverbindung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte zugrunde zu legen sein (Gesetzentwurf vom
10.10.2000, BTDrucks 14/4242, S. 6). Da der Gesetzeswortlaut von
der „kürzesten Straßenverbindung“ und
nicht mehr wie zuvor von der „kürzesten benutzbaren
Straßenverbindung“ sprach, kamen Zweifel auf, ob
diese Formulierung eine längere Strecke noch zum Abzug
zugelassen hätte. Da der Gesetzgeber eine solche
Verschlechterung für Kraftfahrzeugbenutzer nicht
beabsichtigte, stellte er mit der Ergänzung des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG um dessen zweiten Halbsatz klar, dass
die bis 2000 geltende Rechtslage weiter fortbestehen sollte
(Bericht des Finanzausschusses vom 8.11.2001, BTDrucks 14/7341, S.
10). Diese Rechtslage wiederum gründete sich wesentlich auf
die Rechtsprechung des erkennenden Senats (BFH-Urteil in BFHE 117,
70, BStBl II 1975, 852 = SIS 75 04 94), die in Fällen, in
denen zur Ableitung der Verkehrsströme längere, aber
zeitlich günstigere Verkehrsverbindungen durch Schnell- oder
Ringstraßen geschaffen worden waren, denjenigen
Arbeitnehmern, die solche Verkehrsadern auch tatsächlich
regelmäßig nutzten, den Abzug der hierdurch entstehenden
höheren Aufwendungen ermöglichen wollte. Diese Auslegung
des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 zweiter Halbsatz EStG ist
mithin auch für die neu gefasste Regelung maßgeblich
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1309 = SIS 07 20 10).
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Danach hatte der Gesetzgeber bei der
Einfügung des zweiten Halbsatzes der im Streitfall
anzuwendenden Norm die tatsächliche Nutzung
verkehrsgünstigerer Strecken durch Arbeitnehmer im Blick. Dies
spricht für eine Auslegung des Gesetzes, die der
kürzesten Straßenverbindung eine tatsächlich
genutzte ggf. verkehrsgünstigere gegenüberstellt, nicht
hingegen eine weitere, die vom Arbeitnehmer aber tatsächlich
nicht genutzt wurde.
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d) Diese Auslegung entspricht
schließlich auch dem Vereinfachungsgedanken, der jeglicher
Pauschalierung - so auch derjenigen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
4 EStG (vgl. Gesetzentwurf vom 10.10.2000, BTDrucks 14/4242, S. 6
„Zu Buchstabe b“) - innewohnt. Nach der
gesetzlichen Regelung der Entfernungspauschale für die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sollte grundsätzlich
die kürzeste Verbindung zwischen beiden Orten maßgeblich
sein. Aus den genannten Gründen ließ der Gesetzgeber
eine Ausnahme für eine vom Arbeitnehmer regelmäßig
benutzte verkehrsgünstigere Verbindung zu. Würde man -
wie die Vorentscheidung - zusätzlich verlangen, dass die vom
Arbeitnehmer tatsächlich benutzte Fahrtstrecke die
verkehrsgünstigste überhaupt sein muss, so hätte
dies die Notwendigkeit umfangreicher Ermittlungen durch die
Finanzbehörden und ggf. die Finanzgerichte
einschließlich etwaiger Beweiserhebungen zur Folge. In jedem
Einzelfall müsste unter Einbeziehung sämtlicher
Streckenvarianten geprüft werden, welche Verbindung als am
verkehrsgünstigsten anzusehen ist. Vergleicht man
demgegenüber lediglich die - leicht feststellbare -
kürzeste Verbindung mit der tatsächlich benutzten,
hinsichtlich der der Steuerpflichtige Auskunft geben kann, so
bleibt der Vereinfachungsgedanke der Norm erhalten.
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3. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war danach
aufzuheben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Die Feststellungen des
FG ermöglichen keine abschließende Entscheidung des
Streitfalls.
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Zum einen wird das FG feststellen, ob der
Kläger die Verbindung, deren steuerliche Berücksichtigung
er begehrt, tatsächlich regelmäßig zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte zurückgelegt hat. Insbesondere ist
festzustellen, ob er tatsächlich regelmäßig die
längere Strecke bis Ausfahrt 17 gewählt hat oder ob dies
nur gelegentlich, z.B. in Fahrgemeinschaft mit der in C
tätigen Klägerin, der Fall war.
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Sodann wird es unter Zugrundelegung der
tatsächlich regelmäßig gefahrenen Strecke
feststellen, ob die Verbindung im Sinne der angeführten
Rechtsgrundsätze offensichtlich verkehrsgünstiger war als
die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte.
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Sollte auch die für die Klägerin
anzusetzende Entfernung weiterhin streitig bleiben, so wird das FG
entsprechende Feststellungen hinsichtlich dieser Fahrtstrecken
treffen und die kürzeste Straßenverbindung mit
derjenigen vergleichen, die die Klägerin regelmäßig
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurückgelegt hat.
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4. Angesichts dessen braucht der Senat nicht
zu entscheiden, ob dem FG die von der Revision gerügten
Verfahrensfehler unterlaufen sind (Senatsurteil vom 11.2.2010 VI R
65/08, BFHE 228, 421, BStBl II 2010, 628 = SIS 10 08 18,
m.w.N.).
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