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I. Streitig ist die für die
Entfernungspauschale maßgebliche Straßenverbindung,
wenn die kürzeste Strecke zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte mautpflichtig ist und mit dem vom Arbeitnehmer
tatsächlich benutzten Verkehrsmittel
straßenverkehrsrechtlich nicht befahren werden darf.
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der abhängig beschäftigte
Kläger nutzte im Streitjahr 2009 für die Fahrten zu
seiner Arbeitsstätte ein Moped. Die kürzeste Strecke
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beträgt 9 km und
verläuft auch durch einen mautpflichtigen Tunnel. Die durch
den Tunnel führende Teilstrecke ist eine Kraftfahrstraße
und darf nur mit Kraftfahrzeugen benutzt werden, deren durch die
Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit mehr als 60 km/h
beträgt. Das Moped des Klägers erreicht aufgrund seiner
Bauart diese Geschwindigkeit nicht. Daher nutzt der Kläger
eine Bundesstraße. Die Strecke zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte beträgt auf diesem Weg 27 km. Hierfür
benötigt der Kläger gegenüber der kürzeren
Verbindung über die Kraftfahrstraße eine längere
Fahrzeit.
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Für die Fahrten des Klägers zum
Arbeitsplatz machten die Kläger in der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 27 km als
Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
berücksichtigte dagegen nur 9 km für die kürzeste
Straßenverbindung.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung
führte es im Wesentlichen aus, für die
Entfernungspauschale sei nicht auf die kürzeste für den
Steuerpflichtigen individuell benutzbare Straßenverbindung
abzustellen. Denn die kürzeste Straßenverbindung sei
verkehrsmittelunabhängig zu bestimmen. Die von dem Kläger
tatsächlich genutzte Fahrtstrecke sei mangels Zeitersparnis
keine offensichtlich verkehrsgünstigere
Straßenverbindung.
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Mit ihrer Revision rügen die
Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragen, das Urteil des FG sowie die
Einspruchsentscheidung vom 17.2.2011 aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 14.4.2010
dahingehend abzuändern, dass zusätzliche Werbungskosten
in Höhe von 1.041 EUR berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht die Verbindung
über die Kraftfahrstraße als für die
Entfernungspauschale maßgebliche Straßenverbindung
zugrunde gelegt.
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1. Auf das Streitjahr 2009 ist nach § 52
Abs. 23d Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.4.2009 (BGBl I 2009,
774) anzuwenden. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 4 EStG
i.d.F. des Art. 1 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa und Buchst. d
des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der
Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom
20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) tritt nach dessen Art. 6 Satz 1 erst
am 1.1.2014 in Kraft.
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2. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
können Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen
Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit abgezogen werden. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Arbeitstag,
an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine
Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen.
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a) Für die Entfernungspauschale ist die
kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte maßgebend; eine andere als die
kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden,
wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom
Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Satz 4 EStG). Insoweit sind die kürzeste und die vom
Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte benutzte Straßenverbindung zu
vergleichen (Senatsurteil vom 16.11.2011 VI R 46/10, BFHE 236, 57,
BStBl II 2012, 470 = SIS 12 04 17).
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b) Als
„Straßenverbindung“ i.S. des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG ist die kürzeste Strecke zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte auf öffentlichen Straßen
i.S. des § 2 des Straßenverkehrsgesetzes, die dem
allgemeinen Kraftfahrzeugverkehr dienen, zugrunde zu legen. Dies
gilt auch dann, wenn diese über eine Bundesstraße
führt, die gemäß § 18 der
Straßenverkehrsordnung nur von Fahrzeugen befahren werden
darf, deren durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit
mehr als 60 km/h beträgt. Denn die „kürzeste
Straßenverbindung“ ist unabhängig vom
tatsächlich benutzten Verkehrsmittel für alle Fahrzeuge
einheitlich zu bestimmen.
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aa) Für diese Auslegung spricht
zunächst der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Sätze 2 und 4 EStG, die allein auf die
„Entfernung“ und die „kürzeste
Straßenverbindung“ zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte des Arbeitnehmers
abstellen, unabhängig davon, welches Verkehrsmittel benutzt
wird. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass für die
Bestimmung der Entfernung diejenige Straßenverbindung
zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte
maßgebend ist, die nach dem vom Arbeitnehmer gewählten
Verkehrsmittel die kürzeste ist, hätte er dies so ins
Gesetz aufgenommen.
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bb) Auch die Gesetzesmaterialien zeigen, dass
der Gesetzgeber die „kürzeste
Straßenverbindung“ für alle Verkehrsmittel
einheitlich bestimmen wollte. Denn danach soll es unerheblich sein,
ob die tatsächliche Kilometerentfernung bei Benutzung eines
Fahrrads oder eines öffentlichen Verkehrsmittels geringer oder
größer als die kürzeste Straßenverbindung
ist. Die einmal festgestellte Entfernung für die Verbindung
zwischen einer bestimmten Wohnung und Arbeitsstätte sei damit
grundsätzlich unabhängig von einem Wechsel des
Verkehrsmittels (BTDrucks 14/4242, S. 6; BTDrucks 14/4435, S. 9).
Ist aber die konkret mit einem Fahrrad oder einem öffentlichen
Verkehrsmittel zurückgelegte Entfernung ohne Bedeutung und hat
der Wechsel des Verkehrsmittels keinen Einfluss auf die
festgestellte Entfernung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz
4 EStG, kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Steuerpflichtige
wegen des von ihm benutzten Verkehrsmittels nicht die kürzeste
Straßenverbindung zu seiner Arbeitsstätte fahren kann,
sondern einen Umweg nehmen muss. Andernfalls würde das
gesetzgeberische Ziel verfehlt, eine verkehrsmittelunabhängige
Entfernungspauschale zu schaffen.
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cc) Diese Auslegung entspricht
schließlich auch dem Vereinfachungsgedanken, der jeglicher
Pauschalierung - so auch derjenigen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
4 EStG (vgl. Gesetzentwurf vom 10.10.2000, BTDrucks 14/4242, S. 6
„Zu Buchstabe b“; vgl. Senatsurteil in BFHE 236,
57, BStBl II 2012, 470 = SIS 12 04 17; Senatsbeschluss vom
11.9.2003 VI B 101/03, BFHE 203, 166, BStBl II 2003, 893 = SIS 03 46 58) - innewohnt. Würde man den Begriff der
„Straßenverbindung“ zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte von dem im Einzelnen vom Steuerpflichtigen
benutzten Verkehrsmittel abhängig machen, so hätte dies
umfangreiche Ermittlungen der Finanzbehörde und ggf. der
Finanzgerichte zur Folge, und zwar nicht nur betreffend die
„kürzeste Straßenverbindung“, sondern
auch hinsichtlich der nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 2.
Halbsatz EStG im Einzelfall zu berücksichtigenden
„offensichtlich verkehrsgünstigeren“
Straßenverbindung. Legt man demgegenüber
verkehrsmittelunabhängig die kürzeste
Straßenverbindung zugrunde, so bleibt der
Vereinfachungsgedanke der Norm erhalten.
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3. Eine andere als die kürzeste
Straßenverbindung ist auch nicht allein deshalb
„offensichtlich verkehrsgünstiger“, weil
die kürzeste Straßenverbindung nicht mit dem vom
Steuerpflichtigen gewählten Verkehrsmittel befahren werden
darf. Vielmehr müssen die allgemeinen Voraussetzungen
erfüllt sein, unter denen eine Straßenverbindung als
„offensichtlich verkehrsgünstiger“
anzusehen ist.
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a) Die von dem Arbeitnehmer tatsächlich
benutzte Straßenverbindung ist dann verkehrsgünstiger
als die kürzeste Straßenverbindung, wenn mit ihrer
Benutzung eine Zeitersparnis oder sonstige Vorteile aufgrund von
Streckenführung, Schaltung von Ampeln o.Ä. verbunden sind
(z.B. Senatsurteil vom 16.11.2011 VI R 19/11, BFHE 236, 65, BStBl
II 2012, 520 = SIS 12 04 16).
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b) Für die Beurteilung der
Verkehrsgünstigkeit der anderen Straßenverbindung ist
insbesondere unerheblich, dass bei der Benutzung der kürzesten
Strecke Straßenbenutzungsgebühren anfallen.
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Denn ausweislich des Wortlauts der hier
streitbefangenen Norm ist nur auf die Verkehrsgünstigkeit als
solche abzustellen. Dies umfasst lediglich die Prüfung der
Vorteilhaftigkeit einer Strecke mit Blick auf den Ablauf des
Straßenverkehrs, ohne dass hierbei finanzielle Aspekte zu
berücksichtigen sind. Hinzu kommt, dass die
Entfernungspauschale unabhängig von den tatsächlich
entstandenen Kosten gelten soll (vgl. Senatsurteil vom 18.4.2003 VI R 29/12, BFHE 240, 570, BStBl II
2013, 735 = SIS 13 18 02, m.w.N.),
weshalb deren Höhe nicht mittelbar durch die Wahl
gebührenfreier Straßenverbindungen beeinflusst werden
kann.
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4. Nach diesen Grundsätzen ist für
die im Streitfall anzusetzende Entfernungspauschale eine Entfernung
von 9 km maßgeblich. Nach den das Revisionsgericht bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ist dies die
kürzeste Straßenverbindung zwischen der Wohnung des
Klägers und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte.
Die von dem Kläger tatsächlich befahrene Strecke ist im
Vergleich dazu nicht verkehrsgünstiger. Denn sie ist
zeitaufwendiger; sonstige im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
4 Satz 4 2. Halbsatz EStG relevanten Vorteile sind nicht
ersichtlich.
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