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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Vater von S und C, die sich im Jahr 2006 in
Ausbildung befanden. Im Mai 2006 verstarb die Mutter der
Söhne, die frühere Ehefrau des Klägers. Zum Nachlass
der Erblasserin, an dem die Söhne zu je 3/8 beteiligt waren,
gehörten zwei Eigentumswohnungen, Wertpapiere (ca. 140.000
EUR), Bausparguthaben (ca. 42.000 EUR), Lebensversicherungen sowie
Guthaben bei Kreditinstituten (ca. 31.000 EUR).
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Der Kläger bezog bis Juli 2007
Kindergeld für S. Im Mai 2007 beantragte er auch für C
Kindergeld für den Zeitraum Juni bis Dezember 2006. Bis Mai
2006 hatte die Mutter Kindergeld für C erhalten. Die Beklagte
und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag
für C durch Bescheid vom 2.1.2008 ab. Außerdem hob sie
durch Bescheid vom selben Tag die Kindergeldfestsetzung für S
für den Zeitraum Januar bis Dezember 2006 auf. Die
Familienkasse war der Ansicht, unter Berücksichtigung der
Erbschaft hätten die jeweiligen Einkünfte und Bezüge
von S und C den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR nach § 32 Abs.
4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2006
geltenden Fassung (EStG) überschritten. Die Einsprüche
des Klägers hatten keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) gab der
anschließend erhobenen Klage statt (Urteil vom 4.3.2010 10 K
128/08, EFG 2010, 1136 = SIS 10 16 55). Es hob den S betreffenden
Aufhebungsbescheid auf und verpflichtete die Familienkasse,
Kindergeld für C für den Zeitraum Juni bis Dezember 2006
zu gewähren. Es war der Ansicht, die Mittel aus der Erbschaft
seien nicht als Bezüge anzusehen. Die Familienkasse habe zu
Recht die Eigentumswohnungen außer Betracht gelassen.
Gleiches habe für die Wertpapiere, Lebensversicherungen und
Bausparverträge zu gelten, da diese als Kapitalanlage bzw.
Altersvorsorge dienten und nicht für den Lebensunterhalt
bestimmt seien. Die kurzfristig verfügbaren Mittel von S und C
auf Konten und Sparbüchern von jeweils mehr als 10.000 EUR
seien zwar zur Bestreitung des Unterhalts geeignet, sie seien
jedoch deshalb nicht anzusetzen, weil sie von einem
grundsätzlich kindergeldberechtigten und
unterhaltsverpflichteten Elternteil stammten und aus diesem Grund
nicht als Bezug in Betracht kämen. Wenn freiwillige
Zuwendungen von Eltern an ihre Kinder nicht zu den Bezügen zu
zählen seien, so müsse dies auch für Zuwendungen von
Todes wegen gelten.
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Zur Begründung der Revision trägt
die Familienkasse vor, die Grundsätze über die
kindergeldrechtliche Behandlung von Zuwendungen von Eltern an ihre
Kinder seien auf Erbschaften nach einem Elternteil nicht
anzuwenden. Der Gedanke der Praktikabilität, der dafür
spreche, Zuwendungen unter Lebenden außer Betracht zu lassen,
komme hier nicht zum Tragen. Da die Unterhaltsverpflichtung mit dem
Tod ende, könne eine Erbschaft keine Unterhaltsleistung mehr
sein.
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Die Familienkasse beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Es sei sachgerecht,
Vermögensverschiebungen zwischen Eltern und Kindern in einem
Raum zu belassen, der sich der staatlichen Einflussnahme entziehe.
Die besondere Eltern-Kind-Beziehung bestehe über den Tod der
Eltern oder eines Elternteils hinaus fort, gerade auch in seinen
finanziellen Aspekten. Es wäre mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 14
Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar, wenn freiwillige
Zuwendungen lebender Eltern an ihre Kinder bei der Ermittlung der
Einkünfte und Bezüge des Kindes außer Betracht
blieben, nicht aber der Vermögenszufluss aus der Erbschaft
nach einem verstorbenen Elternteil.
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II. Die Revision ist unbegründet und wird
deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat
zutreffend die Mittel, welche die Söhne des Klägers aus
der Erbschaft nach ihrer Mutter erlangten, nicht als Bezüge
i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beurteilt.
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1. Für ein nach § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 und 2 EStG zu berücksichtigendes Kind wird nur dann nach
§ 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 EStG Kindergeld gewährt,
wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des
Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind,
von nicht mehr als 7.680 EUR (Jahr 2006) hat (§ 32 Abs. 4 Satz
2 EStG).
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2. Einkünfte sind solche i.S. von §
2 Abs. 2 EStG, zu den Bezügen gehören alle Zuflüsse
in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der
einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden
(z.B. Senatsurteile vom 29.5.2008 III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664 =
SIS 08 35 78; vom 28.5.2009 III R 8/06, BFHE 225, 141, BStBl II
2010, 346 = SIS 09 25 64).
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a) Nicht einzubeziehen sind
Unterhaltsleistungen der Eltern an ihre Kinder (Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs 63.4.2.3.1 Abs. 3
Nr. 3, BStBl I 2009, 1030 = SIS 09 30 63; Schmidt/Loschelder, EStG,
30. Aufl., § 32 Rz 54). Ebenso wenig sind freiwillige,
über die gesetzliche Unterhaltspflicht hinausgehende
Leistungen eines Elternteils als Bezüge des Kindes anzusetzen.
Sie beeinflussen die Kindergeldberechtigung des anderen Elternteils
nicht. Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder
sind bei Ermittlung der Bezüge des Kindes i.S. des § 32
Abs. 4 Satz 2 EStG allgemein außer Betracht zu lassen,
anzusetzen sind allein Zuflüsse „von
außen“, sofern sie zur Bestreitung des Unterhalts
oder der Berufsausbildung geeignet oder bestimmt sind.
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b) Ein Zufluss von Vermögenswerten, der
bei einem Kind dadurch eintritt, dass er einen Elternteil beerbt,
ist für Zwecke der Freibetragsgewährung nach § 32
Abs. 6 EStG und des Kindergeldes nach § 62 Abs. 1, § 63
Abs. 1 EStG ebenso außer Betracht zu lassen wie Schenkungen
seitens der Eltern zu deren Lebzeiten. Auch im Erbfall nach einem
Elternteil liegt kein Zufluss von dritter Seite vor.
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c) Dieses Ergebnis vermeidet rechtliche und
tatsächliche Schwierigkeiten, die auftreten können, wenn
der Nachlass keine oder nur geringe liquide Mittel enthält,
die das Kind für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung
einsetzen könnte. Es braucht daher nicht im Einzelfall
entschieden zu werden, in welchem Umfang ein Kind gehalten ist,
ererbte liquide Mittel zu verbrauchen, ebenso wenig, ob es
verpflichtet ist, nicht liquide Nachlassgegenstände zu
verwerten. Zudem wäre es insbesondere dann, wenn der
überlebende kindergeldberechtigte Elternteil mit den Kindern
eine Erbengemeinschaft bildet, nicht sachgerecht, ihm die
Beteiligung seiner Kinder am Nachlass entgegenzuhalten.
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3. Im Streitfall führte die
Nachlassbeteiligung der Söhne des Klägers nicht zu einem
Überschreiten der Einkünfte- und Bezügegrenze nach
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Das FG hat zu Recht der Klage
stattgegeben.
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