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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) wurden im Streitjahr 1998 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte
aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 508.453
DM, die Klägerin Verluste aus stiller Beteiligung an einer
GmbH in Höhe von ./. 17.500 DM sowie aus Vermietung und
Verpachtung in Höhe von ./. 226.302 DM. Die Einkommensteuer
1998 wurde bestandskräftig auf 81.910 DM festgesetzt.
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Im Veranlagungszeitraum 1999 erzielte der
Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit in Höhe von 160.033 DM sowie Verluste aus
Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 2.383.902 DM, die Klägerin
Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ./. 85.901
DM.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer 1999 mit 0 DM fest.
Ferner erließ das FA einen geänderten
Einkommensteuerbescheid für 1998, in dem es den 1999
entstandenen Verlust anteilig in Höhe von 110.425 DM in das
Streitjahr zurücktrug und die Einkommensteuer auf 33.360 DM
festsetzte. Dabei ermittelte es die Höhe des im Streitjahr zu
berücksichtigenden Verlustes unter entsprechender Anwendung
von § 2 Abs. 3 und § 10d Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002).
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Die hiergegen gerichtete Klage hatte
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die
Grundsätze der Mindestbesteuerung könnten für das
Streitjahr noch keine Geltung beanspruchen. Aus dem Wortlaut des
§ 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 und
nach dem Gesamtzusammenhang der Regelung setze die Vorschrift
erkennbar die vorherige Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 2 ff.
EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 voraus. Diese Norm sei aber
erst am 1.1.1999 in Kraft getreten und nach eindeutigem Wortlaut
des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Eine
Sonderregelung enthalte § 52 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 nicht. Dieses Ergebnis entspreche auch der in den
Gesetzesmaterialen zu § 52 Abs. 25 Satz 1 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/2002 festgehaltenen Absicht, bis zum Schluss des
Veranlagungszeitraums 1998 entstandene und noch nicht ausgeglichene
und zurückgetragene Verluste aus „verwaltungstechnischen
Gründen“ wie bisher unbegrenzt zum Abzug zuzulassen
(vgl. BTDrucks 14/443, 33). Dem würde es widersprechen,
nunmehr im Rahmen des § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 die Einkünfte des Streitjahres 1998 bereits
nach der komplizierten Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG
i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu ermitteln. Im Gegensatz hierzu
verdeutliche die Neuregelung des Verlustausgleichs und des
Verlustabzugs ab dem Veranlagungszeitraum 2004 in § 52 Abs. 25
Sätze 3 und 4 EStG, dass der Gesetzgeber eine gewollte
Rückwirkung für das Rücktragsjahr im Einzelfall auch
ausdrücklich anordne.
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Das Urteil des FG wurde dem FA am
13.10.2004 zugestellt. Hiergegen legte das FA mit einem an das FG
adressierten Schriftsatz vom 27.10.2004, eingegangenen beim FG am
29.10.2004, Revision ein und begründete diese mit Schriftsatz
vom 26.11.2004. Das FG übersandte die Revisionsschrift mit
Schriftsatz vom 18.11.2004, eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH)
am 3.12.2004. Auf entsprechenden Hinweis beantragte das FA -
fristgerecht - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Durch
Zwischenurteil vom 17.1.2007 XI R 50/04 = SIS 07 62 09 hat
der BFH entschieden, dass die Revision gegen das Urteil des FG vom
22.9.2004 rechtzeitig eingelegt wurde und mithin zulässig
ist.
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In der Sache begründet das FA seine
Revision damit, dass es sich bei den in das Streitjahr 1998
zurückzutragenden Verlusten um solche handele, die nach
Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
entstanden seien. Für diese gelte gemäß § 52
Abs. 1 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 die Regelung in § 2
Abs. 3 EStG i.d.F. dieses Gesetzes. Dies bedeute, dass bereits
für den Veranlagungszeitraum 1998 eine fiktive Rechnung nach
Maßgabe des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 anzustellen sei (vgl. R 115 Abs. 6 der
Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1999).
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Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung
des angefochtenen Urteils als unbegründet abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen. Sie verweisen im
Wesentlichen auf die ihrer Auffassung nach zutreffende Entscheidung
des FG.
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Der BFH hat das Revisionsverfahren durch
Beschluss vom 19.2.2007 XI R 50/04 = SIS 07 62 09 bis zum
Ergehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
in dem Vorlageverfahren 2 BvL 59/06 ausgesetzt. Nach Abschluss
dieses Verfahrens (s. BVerfG-Beschluss vom 12.10.2010 2 BvL 59/06,
BFH/NV 2010, 2387 = SIS 10 36 58) hat der Senat das
Revisionsverfahren mit Beschluss vom 18.1.2011 IX R 72/04 wieder
aufgenommen.
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II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen;
das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei einem nach §
10d EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu beurteilenden
Rücktrag eines 1999 erzielten Verlustes in das Streitjahr
§ 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nicht
anzuwenden ist.
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1. Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/2000/ 2002 sind negative Einkünfte, die bei
der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 2 Mio. DM vom
Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen
Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben,
außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen
Abzugsbeträgen abzuziehen. Dieser Grundsatz wird durch Abs. 1
Sätze 2 und 3 der Vorschrift dahin eingeschränkt, dass
die negativen Einkünfte zunächst von den positiven
Einkünften derselben Einkunftsart abzuziehen sind, die
„nach der Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG
verbleiben“. Soweit in diesem Veranlagungszeitraum
„durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz
3“ oder einen Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 Satz
3 EStG die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft
sind, mindern die nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/ 2002 verbleibenden negativen Einkünfte die
positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem
Betrag von 100.000 DM, darüber hinaus bis zur Hälfte des
100.000 DM übersteigenden Teils der Summe der positiven
Einkünfte aus anderen Einkunftsarten.
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2. Die in § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/2002 in Bezug genommene Regelung in § 2 Abs.
3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist nach § 52 Abs. 1
EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erstmals für den
Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Eine abweichende, den
Veranlagungszeitraum 1998 erfassende Anwendungsregelung ist auch
§ 52 Abs. 25 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
nicht zu entnehmen; dieser erfasst lediglich den auf den am Schluss
des Veranlagungszeitraums 1998 festgestellten verbleibenden
Verlustabzug, d.h. vor 1999 erzielte Verluste. § 2 Abs. 3 EStG
i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist auch nicht - erst recht nicht
„mittelbar“ - deshalb im Rahmen der
Berücksichtigung von (zurückgetragenen) Verlusten im
Streitjahr 1998 anzuwenden, weil die ab 1999 geltende Neufassung
des § 10d Abs. 1 Sätze 2 ff. EStG durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hierauf Bezug nimmt. Nach
der dem Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Systematik regelt
ausschließlich § 52 EStG den zeitlichen
Anwendungsbereich von Gesetzesänderungen.
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Die Anwendung von
Verlustrücktragsregelungen auf frühere
Veranlagungszeiträume hat der Gesetzgeber bisher stets
ausdrücklich geregelt. So bestimmt etwa § 52 Abs. 25 Satz
3 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der
Protokollerklärung der Bundesregierung zur
Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom
22.12.2003 (BGBl I 2003, 2840) ausdrücklich, dass auf den
Verlustrücktrag aus dem Veranlagungszeitraum 2004 in den
Veranlagungszeitraum 2003 § 10d Abs. 1 EStG in der für
den Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung anzuwenden ist.
Auch früher wurde die zeitliche Rückanknüpfung einer
Neuregelung des Verlustrücktrags gesetzlich ausdrücklich
in § 52 EStG angeordnet (vgl. z.B. § 52 Abs. 18a EStG
i.d.F. des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22.12.1981, BStBl I
1982, 235, zur Erweiterung des Verlustrücktrags auf zwei
Veranlagungszeiträume; § 52 Abs. 13d EStG i.d.F. des
Standortsicherungsgesetzes vom 13.9.1993, BStBI I 1993, 774, zum
Wahlrecht zwischen Verlustrück- und -vortrag). Dies zeigt,
dass der Gesetzgeber die Rückanknüpfung einer
Änderung des Ver1ustrücktrags nicht bereits durch §
10d Abs. 1 EStG als gewährleistet ansieht. Aus dem Umstand,
dass eine vergleichbare Regelung in § 52 Abs. 25 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/2000/2002 fehlt, schließt der Senat, dass
die Änderungen in § 10d Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG
i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002 noch nicht für den
Rücktrag von Verlusten in den Veranlagungszeitraum 1998,
sondern nur für den Rücktrag von Verlusten in den
Veranlagungszeitraum 1999 gelten sollten (ebenso Hallerbach in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 10d EStG Rz R 4; Seifert,
Steuer und Bilanzen 1999, 355, 356; zu abweichenden
Lösungsansätzen s. zusammenfassend Ritzer, Die
Mindestbesteuerung nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/
2002, 120 ff., m.w.N.). Nicht zu folgen ist der in diesem
Zusammenhang von der Finanzverwaltung in R 115 Abs. 6 EStR 1999
vertretenen Auffassung, wonach für Zwecke des Rücktrags
der 1999 nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte bei der
Veranlagung für 1998 die Regelungen des § 2 Abs. 3
Sätze 2 ff. EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zugrunde zu
legen seien (sog. „Schattenveranlagung“). Dies
folgt schon daraus, dass die dort genannten
Betragsgrößen im Veranlagungszeitraum 1998 nicht, wie
dies § 10d Abs. 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002
für die Veranlagungszeiträume ab 1999 vorsieht,
förmlich festgestellt sind (so auch HHR/Hallerbach, § 10d
EStG Rz R 4; Raupach/Böckstiegel, FR 1999, 487, 497; ohne
Begründung a.A. Schmidt/Heinicke, EStG, 19. Aufl. 2000, §
10d Rz 11).
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3. Dieser rechtliche Befund führt im
Ergebnis dazu, dass ein Rücktrag von im Veranlagungszeitraum
1999 erzielten Verlusten in den Veranlagungszeitraum 1998
ausschließlich nach § 10d Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 5
EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 zu beurteilen ist. Dies
entspricht auch dem in der ständigen Rechtsprechung des BFH
entwickelten Grundsatz, dass über Grund und Höhe des
rücktragbaren Verlustes nicht im Entstehungsjahr, sondern in
dem Jahr entschieden wird, in dem sich der Verlustrücktrag
steuerrechtlich auswirkt. Die „negativen Einkünfte,
die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichen werden“ (s. § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG
i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002), bilden insoweit nur eine
Ausgangsgröße (Besteuerungsgrundlage i.S. des § 157
Abs. 2 der Abgabenordnung) für die Ermittlung des im
Streitjahr wirksam werdenden Verlustabzugs (vgl. BFH-Urteil vom
27.1.2010 IX R 59/08, BFHE 228, 301, BStBl II 2010, 1009 = SIS 10 13 18).
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Auf die Frage, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.F.
des StEntlG 1999/ 2000/2002 verfassungswidrig ist (so BFH-Beschluss
vom 6.9.2006 XI R 26/04, BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 = SIS 06 44 12) oder ob die Regelung auf der Basis ihrer
„rechensystematischen Grundstruktur“ dann doch
irgendeiner - nachgerade beliebigen - Auslegung zugänglich
sein könnte (so wohl BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2010, 2387 =
SIS 10 36 58), kommt es danach nicht mehr an.
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4. Die Sache ist spruchreif. Die Höhe der
im Streitfall maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen sind nicht
streitig. Unter Berücksichtigung des von den Klägern
beantragten Verlustrücktrags in Höhe von 243.062 DM
ergibt sich im Streitjahr ein zu versteuerndes Einkommen in
Höhe von 0 DM. Das FG hat daher die Einkommensteuer zutreffend
auf 0 DM festgesetzt.
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