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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war im Streitjahr (1995) als Rechtsanwalt tätig.
Er beriet über mehrere Jahre hinweg eine GmbH. Im Streitjahr
kam es zum Zerwürfnis, in dessen Folge eine Gesamtlösung
gesucht werden sollte, um gegenseitige Forderungen abzugelten. Zu
diesem Zweck erhielt der Kläger von der GmbH im Streitjahr
„vorbehaltlich des Zustandekommens der besprochenen
Vereinbarung“ einen Scheck über 230.000 DM, den er im
Streitjahr einlöste. Die Vereinbarung kam indes nicht
zustande, so dass die GmbH den Betrag im Oktober des Streitjahres
zurückforderte. Der Kläger zahlte aber nicht, so dass die
GmbH Klage erhob. Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts
... vom 1.2.1996 zur Zahlung von 230.000 DM nebst 4 % Zinsen seit
dem 18.10.1995 an die GmbH verurteilt.
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Der Kläger erklärte im Rahmen der
Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr Einkünfte
aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ohne
Berücksichtigung der erhaltenen 230.000 DM. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) setzte die
Einkommensteuer für das Streitjahr unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung antragsgemäß zunächst auf 0 DM
fest. Im Zuge einer Außenprüfung wurde festgestellt,
dass der Kläger, der seinen Gewinn im Streitjahr - abweichend
von Vorjahren (in denen er seinen Gewinn durch Bestandsvergleich
auswies) - durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß
§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres
(EStG) ermittelte, die 230.000 DM als durchlaufenden Posten
behandelt hatte. Diese Auffassung teilte das FA nicht, behandelte
den Zugang der 230.000 DM als gewinnerhöhende Einnahme und
setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr mit
Änderungsbescheid vom 22.4.2004 auf 91.578 DM (46.823,09 EUR)
fest.
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Die Klage war im Wesentlichen erfolgreich.
Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) in seinem in
EFG 2009, 466 = SIS 09 07 23 veröffentlichten Urteil aus, zwar
seien die dem Konto im Streitjahr gutgeschriebenen, im eigenen
Namen vereinnahmten 230.000 DM nach § 11 Abs. 1 EStG im
Streitjahr zu erfassen und nicht lediglich durchlaufende Posten
i.S. von § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG. Jedoch sei der im Jahr 1996
zurückgezahlte Betrag von 230.000 DM im Wege des
Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 EStG in das Streitjahr
zurückzutragen. Der Gesamtbetrag der Einkünfte für
den Veranlagungszeitraum 1996 (Verlustentstehungsjahr) betrage nach
dem bestandskräftigen und festsetzungsverjährten
Einkommensteuerbescheid vom 8.1.1998 insgesamt 12.818 DM, so dass
rechnerisch ein rücktragbarer Verlust von 217.182 DM
verbleibe. Dem Verlustrücktrag stehe die
Festsetzungsverjährung des Veranlagungszeitraums 1996 nicht
entgegen.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
die es auf Verletzung des § 10d Abs. 1 EStG stützt. Ein
Verlustrücktrag komme nicht in Betracht, wenn für das
Verlustentstehungsjahr Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Hätte der Gesetzgeber einen Verlust auch in diesem Fall
zurücktragen wollen, hätte er dies - wie für den
umgekehrten Fall mit der Vorschrift des § 10d Abs. 1 Satz 3
EStG - ausdrücklich geregelt.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Der Kläger hat keine Anträge
gestellt und sich zur Revision nicht geäußert.
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II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
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Zutreffend hat das FG negative Einkünfte
von 217.182 DM, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der
Einkünfte für das Jahr 1996 nicht ausgeglichen werden,
vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Streitjahres in Höhe
von 231.202 DM abgezogen.
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a) Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind
Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der
Einkünfte nicht ausgeglichen werden, in bestimmten, hier nicht
maßgeblichen Grenzen, soweit ein Abzug vom Gesamtbetrag der
Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen
Veranlagungszeitraums wie Sonderausgaben - hier wegen
Festsetzungsverjährung (vgl. § 10d Abs. 1 Satz 3, 2.
Halbsatz EStG) des Jahres 1994 - nicht möglich ist, wie
Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des ersten dem
Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum
abzuziehen.
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Im
Veranlagungszeitraum 1996 können nach den Feststellungen des
FG insgesamt 217.182 DM nicht ausgeglichen werden und sind deshalb
- weil für das Jahr 1994 bereits Festsetzungsverjährung
eingetreten war - in das Streitjahr zurückzutragen.
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b) Entgegen der Revision scheitert der
Verlustrücktrag im Streitjahr nicht daran, dass für den
Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung (1996) bereits
Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
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aa) Der Verlustrücktrag ist
unabhängig von dem in der Steuerfestsetzung des
Verlustentstehungsjahres ausgewiesenen Gesamtbetrag der
Einkünfte nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG in zutreffender
Höhe durchzuführen. Denn über Grund und Höhe
des rücktragbaren Verlusts wird nicht im Entstehungsjahr,
sondern in dem Jahr entschieden, in dem sich der
Verlustrücktrag steuerrechtlich auswirkt (vgl. die
ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteil vom 11.11.1993 XI
R 12/93, BFH/NV 1994, 710). Deshalb steht einem
Verlustrücktrag die Bestandskraft der Steuerfestsetzung
für das Verlustentstehungsjahr ebenso wenig entgegen wie die
Festsetzungsverjährung (§§ 169 bis 171 der
Abgabenordnung - AO - ) dieses Jahres. Die Bestandskraft erfasst
nur den festgesetzten Steuerbetrag, nicht indes die
Besteuerungsgrundlagen (so BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 710).
Dasselbe gilt für die Verjährung. Nach § 47 AO
erlischt durch Verjährung der Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis. Das ist nach § 37 Abs. 1 AO der
Steueranspruch und damit - bezogen auf die hier gegebene
Konstellation - die im Verlustentstehungsjahr festgesetzte
Einkommensteuer. Demgegenüber bilden die „Verluste,
die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichen werden“ (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG) nur
eine Ausgangsgröße (Besteuerungsgrundlage i.S. des
§ 157 Abs. 2 AO) für die Ermittlung des in anderen
Veranlagungszeiträumen wirksam werdenden Verlustabzugs (s.
auch von Groll, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, §
10d Rz B 421; Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz 149).
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bb) Etwas anderes ergibt sich entgegen der
Revision nicht aus § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG.
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(1) Danach kann ein Steuerbescheid des
Rücktragsjahres im Zuge des Verlustrücktrags auch dann
geändert werden, wenn er unanfechtbar geworden ist; die
Verjährungsfristen enden insoweit nicht, bevor die
Verjährungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen
ist, in dem Verluste nicht ausgeglichen werden. Diese Norm ist
Bestandteil der in § 10d Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG
enthaltenen, gegenüber der Abgabenordnung eigenständigen
Korrekturvorschriften, deren Berichtigungsgrund - unbeschadet
seiner Ursache - allein ein fehlerhafter Verlustabzug ist und deren
Zweck es ist, den Verlustabzug richtig und vollständig zu
verwirklichen (vgl. die ständige Rechtsprechung, z.B.
BFH-Urteile vom 24.6.2008 IX R 64/06, BFH/NV 2008, 1676 = SIS 08 35 89, unter II. 2. a, und vom 17.9.2008 IX R 72/06, BFHE 222, 571,
BStBl II 2009, 639 = SIS 08 40 76, unter II. 1., jeweils m.w.N. aus
der Rechtsprechung).
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(2) Ist indes - wie im Streitfall - die
Veranlagung noch offen, weil z.B. über Rechtsbehelfe des
Steuerpflichtigen noch nicht abschließend entschieden wurde,
bedarf es in Konstellationen wie dem Streitfall keiner
eigenständigen Korrekturvorschrift, um den Verlustabzug zu
verwirklichen. Hier bilden die „Verluste, die bei der
Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen
werden“ (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG), die
Ausgangsgröße für die Ermittlung des in diesem Jahr
wirksam werdenden Verlustabzugs. Sie - die Verluste - sind wie
Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte in der noch
offenen Veranlagung abzuziehen.
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(3) Einer besonderen Verjährungsregelung
bedarf es entgegen der Revision ebenfalls nicht. Die im
Zusammenhang mit den Korrekturvorschriften des § 10d Abs. 1
Sätze 2 und 3 EStG eingefügte Verjährungsregelung
des § 10d Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz EStG (Ablaufhemmung) soll
verhindern, dass „Verluste in dem dem Verlustjahr
vorausgehenden Jahr infolge ... Verjährung des Steueranspruchs
unberücksichtigt bleiben müssen“ (so BTDrucks
7/4705, S. 4). Wenn das Gesetz den Ablauf der Festsetzungsfrist
für das Verlustrücktragsjahr bis zum Ablauf der
Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr hinausschiebt
und es deshalb ermöglicht, den Verlust auch dann noch zu
berücksichtigen, wenn für das Verlustentstehungsjahr die
Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, so trifft es lediglich
eine Aussage zur Verjährung des Jahres, in dem der Verlust
abzuziehen ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1676 = SIS 08 35 89,
unter II. 2. a a.E., m.w.N.; vgl. auch von Groll, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz B 434). Dies
ist notwendig, weil - insoweit ist der Revision beizupflichten -
der Verlustabzug in einen bereits (nach allgemeinen Vorschriften)
verjährten Veranlagungszeitraum ohne eine ausdrückliche
gesetzliche Regelung (hier § 10d Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz
EStG) nicht zulässig wäre. Daraus folgt entgegen der
Revision aber nicht, der Verlustrücktrag aus einem
verjährten Verlustentstehungsjahr sei ohne eine explizite
gesetzliche Regelung unzulässig. Allein im
Verlustrücktragsjahr als dem Abzugsjahr wird nämlich
materiell-rechtlich darüber entschieden, in welcher Höhe
„Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der
Einkünfte nicht ausgeglichen werden“ (§ 10d
Abs. 1 Satz 1 EStG), wie Sonderausgaben abzusetzen sind. Auf die
Festsetzungsverjährung des Verlustentstehungsjahres kommt es
dabei nicht an (s. oben unter b aa).
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