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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob der Wegfall des zweijährigen Verlustrücktrags gegen
den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz
verstößt.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erzielte im Streitjahr (1998) als Rechtsanwalt
Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Er erwarb in
diesem Jahr und im Jahr 1999 zwei Vermietungsobjekte, übernahm
die Sanierungsverpflichtung und finanzierte diese Projekte mit
Fremd- und Eigenmitteln. Daraus erklärte er in den Jahren 1998
bis 2000 erhebliche Werbungskostenüberschüsse bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) im Wesentlichen
anerkannte. Im Anschluss an eine Außenprüfung setzte das
FA die Einkommensteuer für das Streitjahr im (geänderten)
Einkommensteuerbescheid vom 4.8.2003 auf 198.711 DM fest.
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Im Jahr 2000 setzte das FA im
(geänderten) Einkommensteuerbescheid für 2000 vom
4.8.2003 die Einkommensteuer auf 0 DM fest und stellte den
verbleibenden Verlustvortrag auf den 31.12.2000 fest. Die u.a.
hiergegen (Einspruch ferner gegen die Steuerfestsetzung 1999)
gerichteten Einsprüche, mit denen der Kläger neben
weiteren nicht mehr bedeutsamen Begehren den Verlustrücktrag
von 2000 in das Streitjahr beantragte, blieben erfolglos.
Einspruchsentscheidungen ergingen am 29.9.2003.
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Die hiergegen gerichtete Klage hatte zum
Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) zog in seinem in EFG 2012, 1251
= SIS 13 05 84 veröffentlichten Urteil den nicht
ausgleichsfähigen Verlust des Jahres 2000 (142.378 DM) in
Höhe von 137.840 DM vom Gesamtbetrag Einkünfte des Jahres
1999 ab, setzte die Einkommensteuer 1999 auf 0 DM fest und stellte
den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31.12.2000 in Höhe
von 4.538 DM fest. Einen Verlustrücktrag von 2000 in das Jahr
1998 lehnte das FG mangels gesetzlicher Grundlage ab. Eine
verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung liege in der
Regelung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/ 2002
vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) nicht. Der auf ein Jahr
gekürzte Verlustrücktrag wirke bezogen auf den Streitfall
nicht zurück; jedenfalls sei das Vertrauen des Klägers
auf den Fortbestand des zweijährigen Verlustrücktrags
weder allgemein noch im konkreten Einzelfall
schützenswert.
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Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers, die er auf die Verletzung des § 10d Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
stützt. Die Regelung führe zu einer echten
Rückwirkung. Die Einkommensteuer 1998 stünde unter dem
Vorbehalt des zweijährigen Verlustrücktrags. Der
Kläger habe damit eine Rechtsposition erworben, diese Steuer
durch einen Verlustrücktrag wieder zu mindern. Die
Möglichkeit ist im Veranlagungszeitraum des Rücktrags
(hier das Streitjahr) selbst angelegt; es werde lediglich technisch
an die Verlustentstehungsjahre angeknüpft. Selbst wenn man von
einer unechten Rückwirkung ausgehe, seien die im Streitjahr
durchgeführten Dispositionen des Klägers im Rahmen einer
Abwägung besonders schutzwürdig, während das Gesetz
maßgeblich aus Gründen der Haushaltssicherung
geändert worden sei.
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Der Kläger beantragt, den
Einkommensteuerbescheid 1998, zuletzt geändert durch Bescheid
vom 4.8.2003, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.9.2003
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der Maßgabe zu
ändern, dass die verbleibenden negativen Einkünfte des
Jahres 2000 in das Jahr 1998 zurückgetragen werden.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG einen
Verlustrücktrag gemäß § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG
in das Jahr 1998 abgelehnt.
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1. Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind
negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags
der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, bis zu
einem Betrag von 2 Mio. Deutsche Mark vom Gesamtbetrag der
Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen
Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben,
außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen
Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag). Ist diese
Regelung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG erstmals für
Verluste anzuwenden, die ab dem Veranlagungszeitraum 1999
entstanden sind, so ist ein Rücktrag von in den
Veranlagungszeiträumen ab 1999 erzielten Verlusten nach §
10d Abs. 1 Satz 1 EStG zu beurteilen (Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 9.3.2011 IX R 72/04, BFHE 233, 147, BStBl II 2011, 751 =
SIS 11 16 54, unter 3.).
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Das bedeutet im Streitfall: Der im Jahr 2000
entstandene Verlust ist lediglich - wie geschehen - in das Jahr
1999 zurückzutragen, nicht aber in das Streitjahr
rücktragbar.
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2. Diese Norm verletzt nicht die
verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes. Sie
wirkt nicht zurück.
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a) Vor dem Rechtsstaatsprinzip des
Grundgesetzes bedarf es besonderer Rechtfertigung, wenn der
Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit
zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend
ändert. Eine Rechtsnorm wirkt in dieser Weise zurück,
wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen
Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die
Norm gültig geworden ist. So liegt eine (grundsätzlich
unzulässige) echte Rückwirkung in der Anordnung, eine
Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der
Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten, während
eine unechte Rückwirkung nicht den zeitlichen, sondern den
sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Die Rechtsfolgen
eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren
Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor
Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind
(vgl. eingehend dazu die Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 3.12.1997 2 BvR 882/97,
BVerfGE 97, 67 = SIS 98 10 50, und vom 7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL
2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1 = SIS 10 22 45).
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b) Der entscheidende Sachverhalt, der
„ins Werk gesetzt“ wird, d.h. das
maßgebende Verhalten des Steuerpflichtigen, an den der
Gesetzgeber die Rechtsfolgen knüpft, ist beim Verlustabzug die
Verlustentstehung.
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aa) Im Verlustentstehungszeitraum verwirklicht
der Steuerpflichtige den Steuertatbestand, an den das Gesetz die
Rechtsfolge des Verlustabzugs knüpft. Das
Verlustentstehungsjahr ist der Ausgangspunkt für das
Normverständnis des § 10d EStG; von dort aus sind die
Voraussetzungen des Verlustabzugs in § 10d Abs. 1 und Abs. 2
EStG konzipiert (vgl. dazu Heuermann in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz B 5). Es geht
beim Verlustrücktrag in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG um
„negative Einkünfte“ des Entstehungsjahres,
„die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der
Einkünfte im Entstehungsjahr nicht ausgeglichen
werden“. Die überperiodische Abziehbarkeit negativer
Ergebnisse ist mithin an die Verwirklichung eines
Steuertatbestandes i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG
gebunden. Allein die Verwirklichung dieses Tatbestandes entscheidet
auch über die zeitliche Zuordnung der Voraussetzungen des
Verlustabzugs, über die dadurch ausgelösten Rechtsfolgen
(also die Berücksichtigung in den Abzugsjahren) und bildet so
den Anknüpfungspunkt für die zeitliche Geltungsanordnung
von Gesetzesänderungen (Heuermann in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 10d Rz B 16). Denn mit der
tatbestandlichen Bestimmung und Abgrenzung der verschiedenen
Einkunftsarten und Einkünfte trifft der Gesetzgeber die
zentralen Ausgangsentscheidungen für die
einkommensteuerrechtliche Belastung (so BVerfG-Beschluss in BVerfGE
127, 1 = SIS 10 22 45, Rz 68).
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bb) Zwar wird im Rücktragsjahr über
Grund und Höhe des rücktragbaren Verlusts entschieden;
die negativen Einkünfte, „die bei der Ermittlung des
Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen
werden“, bilden eine Besteuerungsgrundlage i.S. des
§ 157 Abs. 2 der Abgabenordnung für die Ermittlung des
Verlustabzugs (BFH-Urteil in BFHE 233, 147, BStBl II 2011, 751 =
SIS 11 16 54, unter 3.). Dies ist aber lediglich die
verfahrensmäßige Ausprägung und Folge des im
Entstehungsjahr verwirklichten Steuertatbestandes.
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cc) Daraus folgt: Wenn der Gesetzgeber mit dem
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 den
Verlustrücktrag auf ein (das der Verlustentstehung unmittelbar
vorangegangene) Jahr beschränkt, bedeutet dies für den im
Jahr 2000 verwirklichten Steuertatbestand keine Rückwirkung.
Der Gesetzgeber änderte im Jahre 1999 mit dem neu
strukturierten Verlustabzug die Rechtsfolge eines erst der Zukunft
zugehörigen Verhaltens, des Verwirklichens eines
Steuertatbestandes im Jahr 2000.
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c) Wenn demgegenüber die Revision auf den
Veranlagungszeitraum des Verlustrücktrags abstellt und von der
Steuerfestsetzung des Jahres 1998 unter Vorbehalt einer durch
Verlustrücktrag geminderten Steuer spricht, verwechselt sie
Ursache und Wirkung. Das zu Verlusten führende und Vertrauen
in die Rechtslage reklamierende Verhalten ist allein das
Verwirklichen des Steuertatbestandes: Wenn der Steuerpflichtige
sich im Jahre 2000 steuerrechtlich bedeutsam betätigt und sein
Verhalten am Markt zu Verlusten führt, weiß er, dass er
diesen Verlust nur in das unmittelbar vorangegangene Jahr
zurücktragen kann, im Übrigen aber vortragen muss.
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Der positive Gesamtbetrag der Einkünfte
in den Verlustabzugsjahren bildet lediglich das
Verlustabzugspotential (vgl. dazu Heuermann in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 10d Rz A 39) für erst
im Entstehungsjahr erzielte und verwirklichte negative
Einkünfte. Mithin erlangt der Steuerpflichtige im potentiellen
Abzugsjahr mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte als
mögliche Kompensation für einen Verlustabzug keine
verfassungsrechtlich schützenswerte Rechtsposition. Das
Verlustabzugspotential besteht nicht per se, sondern allein in
Abhängigkeit von in anderen Veranlagungszeiträumen
erzielten negativen Einkünften. Deswegen wirkt das Gesetz
nicht zurück, wenn es für einen nach seiner
Verkündung beginnenden Veranlagungszeitraum den
Verlustrücktrag in ein vor seiner Verkündung abgelaufenes
Jahr nicht mehr gewährt.
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3. Nach diesen Maßstäben hat das FG
zutreffend bereits eine Rückwirkung des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 abgelehnt. Der Senat muss
deshalb nicht darauf eingehen, ob das Vertrauen des Klägers im
Streitjahr allgemein und im hier gegebenen Einzelfall
schutzwürdig war.
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