Einlagekonto, Festschreibung, Voraussetzungen: Die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos wird nur dann gemäß § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 festgeschrieben, wenn mindestens einem Anteilseigner eine Bescheinigung i.S. von § 27 Abs. 3 KStG 2002 ausgehändigt wurde. Eine Festschreibung tritt nicht ein, wenn den Anteilseignern solche Bescheinigungen nicht erteilt wurden, weil die Kapitalgesellschaft irrtümlich davon ausging, es sei ausreichender ausschüttbarer Gewinn vorhanden. - Urt.; BFH 10.6.2009, I R 10/09; SIS 09 26 30
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft, die ein abweichendes
Wirtschaftsjahr vom 1. August bis 31. Juli hat. Durch Beschluss der
Hauptversammlung vom 6.11.2001 wurde das Grundkapital von 10 Mio.
DM auf 2,5 Mio. EUR herabgesetzt. Der Differenzbetrag von 2.612.919
EUR wurde der Kapitalrücklage zugeführt.
Alleinige Aktionäre der Klägerin
sind vier natürliche Personen. Am 15.11.2002 beschloss die
Hauptversammlung eine Gewinnausschüttung von 862.000 EUR, die
am 30.12.2002 ausgezahlt wurde. Die dementsprechende Anmeldung zur
Kapitalertragsteuer ging am 27.12.2002 beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) ein. Darin waren die
gesamten Kapitalerträge von 862.000 EUR als steuerpflichtige
Erträge angegeben und die hieraus resultierende
Kapitalertragsteuer mit 172.400 EUR errechnet. Die für die
Aktionäre ausgestellten Steuerbescheinigungen wiesen die
entsprechenden Dividenden ausschließlich als
Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) aus; die Zeile für
„Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto“ blieb
leer.
Der Bestand des Einlagekontos zum 31.7.2002
wurde mit 974.821 EUR festgestellt. Das FA erließ zum
31.7.2003 einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§
164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO - ) stehenden Bescheid über
die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, mit dem das
steuerliche Einlagekonto nach § 27 Abs. 2 Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) mit einem Betrag von
255.864 EUR festgestellt wurde. Das FA hatte darin die
Ausschüttung in Höhe von 862.000 EUR um den
ausschüttbaren Gewinn zum Schluss des vorangegangenen
Wirtschaftsjahres in Höhe von 143.043 EUR gemindert und den
Differenzbetrag von 718.957 EUR als Minderung des steuerlichen
Einlagekontos behandelt. Am 8.3.2006 erging ein
Änderungsbescheid, mit dem das Einlagekonto zum 31.7.2003 mit
974.821 EUR festgestellt wurde.
Die Klägerin reichte am 14.9.2005 eine
geänderte Kapitalertragsteueranmeldung 2002 ein. Darin wurden
nur noch 143.043 EUR als steuerpflichtige Kapitalerträge mit
einer hieraus folgenden Kapitalertragsteuer von 28.608,60 EUR
angemeldet. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach
der Anlage zum Feststellungsbescheid zum 31.7.2003 die Dividende in
Höhe von 718.957 EUR aus dem steuerlichen Einlagekonto
verwendet worden sei.
Den Empfängern der Kapitalerträge
wurden berichtigte Steuerbescheinigungen ausgestellt, die den
Einkommensteuer-Finanzämtern der Anteilseigner zugeleitet
wurden.
Das FA lehnte die Änderung der
Kapitalertragsteuerfestsetzung für Dezember 2002 ab. Es
vertrat die Auffassung, dass der vorgenommenen Änderung §
27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 entgegenstehe. Die in einer
Bescheinigung zugrunde gelegte Minderung des Einlagekontos werde
danach in dem bescheinigten Umfang festgeschrieben.
Die Klägerin erhob sowohl hiergegen
als auch gegen die geänderte Feststellung des steuerlichen
Einlagekontos zum 31.7.2003 Klage. Das Finanzgericht (FG)
Baden-Württemberg trennte das Verfahren wegen Feststellung des
steuerlichen Einlagekontos zum 31.7.2003 ab und gab der Klage
hinsichtlich der beantragten Änderung der
Kapitalertragsteuerfestsetzung mit in EFG 2009, 875 = SIS 09 10 39
abgedrucktem Urteil vom 15.12.2008 10 K 169/06 statt.
Mit seiner Revision rügt das FA eine
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt die Revision
als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet
zurückzuweisen.
II. A. Die Revision ist zulässig.
Der Revisionskläger hat gemäß
§ 120 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
die Revisionsgründe anzugeben. Dazu bedarf es zwar keiner
eingehenden und umfassenden Erörterung der streitigen
Rechtsfrage; jedoch muss die Begründungsschrift eindeutig
erkennen lassen, dass der Revisionskläger sein bisheriges
Vorbringen anhand der Gründe des Urteils des FG
überprüft hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung,
6. Aufl., § 120 Rz 59). Dies wiederum erfordert, dass er sich
mit den tragenden Gründen des FG-Urteils auseinandersetzt und
darlegt, weshalb er diese für unrichtig hält
(Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 31.10.2002 VII R 4/02,
BFH/NV 2003, 328 = SIS 03 14 29; vom 15.6.2004 VIII R 91/03,
juris). Das FA hat die Revision ausreichend begründet. Es hat
unter Hinweis auf Stimmen in der Literatur zu den Voraussetzungen
einer Festschreibung der Verwendungsreihenfolge nach § 27 Abs.
1 Satz 5 KStG 2002 vorgetragen und dargelegt, weshalb seiner
Auffassung nach das Urteil materielles Recht verletzt.
B. Die Revision ist jedoch unbegründet.
Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin die
Kapitalertragsteueranmeldung ändern konnte.
1. Die Anmeldung der einbehaltenen
Kapitalertragsteuer steht einer Steuerfestsetzung unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO). Die
ursprüngliche Kapitalertragsteueranmeldung kann demnach
geändert werden, wenn sie rechtswidrig war (§ 164 Abs. 2
Sätze 1 und 2 AO). In der zunächst eingereichten
Anmeldung waren die an die Anteilseigner ausgeschütteten
Erträge in vollem Umfange als kapitalertragsteuerpflichtig
erklärt worden. Diese Behandlung war fehlerhaft.
a) Gewinnanteile aus Aktien unterliegen als
Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002
dem Steuerabzug nach dem Kapitalertrag (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 EStG 2002), sofern dafür nicht das steuerliche Einlagekonto
als verwendet gilt; solche Bezüge gehören nicht zu den
Einnahmen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 2002). Nach § 27
Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft
mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital i.S. von §
28 Abs. 2 Satz 2 KStG 2002 das steuerliche Einlagekonto nur, soweit
die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den
Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten
ausschüttbaren Gewinn übersteigt. Als ausschüttbarer
Gewinn gilt das um das gezeichnete Kapital geminderte, in der
Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands
des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 1 Satz 4 KStG
2002).
b) Das steuerliche Einlagekonto der
Klägerin war zum 31.7.2002 mit 974.821 EUR festgestellt
worden. Das Eigenkapital laut Steuerbilanz zu diesem Stichtag
betrug 3.617.864 EUR, so dass abzüglich des Nennkapitals von
2,5 Mio. EUR und dem Stand des Einlagekontos in Höhe von
974.821 EUR ein ausschüttbarer Gewinn von 143.043 EUR
vorhanden war. Da die Klägerin 862.000 EUR an ihre
Anteilseigner ausgeschüttet hat, ergibt sich hieraus eine
Verwendung des steuerlichen Einlagekontos in Höhe von 718.957
EUR, so dass nur in Höhe von 143.043 EUR
kapitalertragsteuerpflichtige Einnahmen i.S. von § 20 Abs. 1
Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 vorliegen.
c) Der dem entsprechenden Änderung der
Kapitalertragsteueranmeldung steht § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG
2002 nicht entgegen.
aa) Diese Vorschrift bestimmt, dass die der
Bescheinigung zugrunde gelegte Verwendung in Fällen
unverändert bleibt, in denen für die Leistung der
Kapitalgesellschaft die Minderung des Einlagekontos bescheinigt
worden ist. Stellt sich nach Erteilung der Bescheinigung heraus,
dass entweder noch andere Eigenkapitalanteile vorhanden waren, aus
denen die Ausschüttung hätte finanziert werden
können, oder dass eine höhere
Einlagenrückgewähr vorliegt als bescheinigt, wird die
Verwendungsreihenfolge festgeschrieben. Die Festschreibung tritt
demnach ein, wenn die Verwendung des Einlagekontos entweder zu hoch
oder zu niedrig bescheinigt wurde, und zwar in dem Zeitpunkt, in
dem die Steuerbescheinigung erstellt und zumindest einem
Anteilseigner ausgehändigt worden ist (gl.A. Frotscher in
Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 27 KStG Rz 76 f.; Antweiler in
Ernst & Young, KStG, § 27 Rz 79; Danelsing in
Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 27 KStG Rz 41; zweifelnd
Förster/van Lishaut, FR 2002, 1205, 1212).
bb) Eine Festschreibung der
Verwendungsreihenfolge tritt jedoch nicht ein, wenn den
Anteilseignern keine Bescheinigungen i.S. des § 27 Abs. 3 KStG
2002 ausgehändigt wurden.
Eine Kapitalgesellschaft muss ihren
Anteilseignern Leistungen, die nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG
2002 als Abgang auf dem steuerlichen Einlagekonto zu
berücksichtigen sind, nach amtlich vorgeschriebenem Muster
nach Maßgabe des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002
bescheinigen. Liegt eine beim Anteilseigner in vollem Umfang
steuerpflichtige Ausschüttung vor, ist die Kapitalgesellschaft
hingegen nicht verpflichtet, eine Bescheinigung i.S. des § 27
Abs. 3 KStG 2002 zu erstellen; es genügt vielmehr eine
„allgemeine“ Kapitalertragsteuerbescheinigung
i.S. des § 45a Abs. 2 EStG 2002, die keine Angaben zur
Verwendung des Einlagekontos enthält. Auf eine solche
Bescheinigung bezieht sich § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 nicht.
Eine Zusammenschau beider Vorschriften ergibt vielmehr, dass die
Rechtsfolge des § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 nach dem Willen
des Gesetzgebers nur eintreten soll, wenn zumindest einem
Anteilseigner die von § 27 Abs. 3 KStG 2002 geforderte
Bescheinigung ausgehändigt wurde (gl.A. Förster/van
Lishaut, FR 2002, 1205; Schumacher in Schaumburg/Rödder,
Unternehmenssteuerreform 2001, S. 594; Frotscher in Frotscher/Maas,
a.a.O., § 27 KStG Rz 77; Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl.,
§ 27 KStG Rz 46c, 48; a.A. Antweiler in Ernst & Young,
a.a.O., § 27 KStG Rz 80; Lornsen/Veit/Odenbach in Erle/Sauter,
Körperschaftsteuergesetz, 2. Aufl. § 27 Rz 71;
Köster in Herrmann/Heuer/Raupach, Steuerreform II, § 27
KStG Rz R 13; differenzierend Dötsch in
Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 27
KStG Rz 192).
Für diese Sicht spricht auch, dass §
27 Abs. 5 Satz 2 KStG 2002 i.d.F. durch das Gesetz über
steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der
Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer
steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7.12.2006 (BGBl 2006,
3310, BStBl I 2007, 4) ausdrücklich bestimmt, dass in
Fällen, in denen den Anteilseignern keine Bescheinigung
erteilt wurde, der Betrag der Einlagenrückgewähr als mit
Null bescheinigt gilt. Hieraus kann im Umkehrschluss gefolgert
werden, dass vor der Gesetzesänderung mangels einer
entsprechenden Regelung eine Verwendungsfestschreibung nur
eingetreten ist, wenn den Anteilseignern tatsächlich
Bescheinigungen erteilt wurden.
cc) Im Streitfall haben nach den
Feststellungen des FG die ursprünglichen Bescheinigungen keine
Angaben zu einer Berührung des steuerlichen Einlagekontos
enthalten. Dies beruht ersichtlich auf der Annahme der
Klägerin, dass die Ausschüttung für die
Anteilseigner insgesamt steuerpflichtig sei. Vor diesem Hintergrund
hätte eine Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG 2002
genügt. Die Feststellungen des FG legen zwar nahe, dass die
Klägerin ein Formular für die Bescheinigung nach §
27 Abs. 3 KStG 2002 verwendet hat (vgl. BStBl I 2001, 237); dies
allein kann jedoch nicht die Rechtsfolge des § 27 Abs. 1 Satz
5 KStG 2002 auslösen. Dazu bedürfte es vielmehr zumindest
irgendwelcher Angaben, die sich auf das steuerliche Einlagekonto
beziehen. Daran fehlt es jedoch im Streitfall, so dass nicht von
einer „Bescheinigung der Minderung des
Einlagekontos“ gesprochen werden kann. Ob es anders
wäre, wenn die Bescheinigung ausdrücklich eine Minderung
in Höhe von Null ausgewiesen hätte, kann im Streitfall
offenbleiben.
2. Das FA hat danach die gemäß
§ 168 Satz 2 AO erforderliche Zustimmung zur geänderten
Steueranmeldung zu Unrecht verweigert. Da die Zustimmung mit der
Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) zu verfolgen ist (vgl.
Buciek in Beermann/Gosch, AO § 168 Rz 51), kann die Klage
nicht unmittelbar zur Änderung der
Kapitalertragsteuerfestsetzung führen, sondern nur zur
Verpflichtung des FA, die Zustimmung zu erteilen. Der Tenor des
angefochtenen Urteils war demnach entsprechend zu ändern.