Schweizerische KapGes, KapSt auf Dividenden inländischer Tochtergesellschaft: 1. Die Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer setzt entweder den Erlass eines Freistellungsbescheids oder eine Änderung oder Aufhebung der Steueranmeldung voraus, auf der die Abführung der Steuer beruht. Der Freistellungsanspruch kann, wenn der Kapitalertrag weder der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht unterliegt, auf eine analoge Anwendung von § 50 d Abs. 1 EStG 2002 gestützt werden. Zuständig für die Entscheidung über dieses Freistellungsbegehren ist das FA (Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung). - 2. Die Körperschaftsteuer für Kapitalerträge i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 dem Steuerabzug unterliegen, ist bei einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als Bezieherin der Einkünfte nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 durch den Steuerabzug abgegolten. Dass die Kapitalerträge nach § 8 b Abs. 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens einer Kapitalgesellschaft außer Ansatz bleiben, ändert daran nichts. - 3. Der Einbehalt von Kapitalertragsteuer auf Dividenden einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft an eine in der Schweiz ansässige Kapitalgesellschaft verstößt nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit; eine etwaige doppelte Besteuerung ist nach Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971 durch entsprechende steuerliche Entlastungsmaßnahmen in der Schweiz zu vermeiden. - Urt.; BFH 22.4.2009, I R 53/07; SIS 09 21 85
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH schweizerischen
Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz, hielt im
Streitjahr 2002 als registrierte Aktionärin 507.512 Stück
von insgesamt 4,8 Mio. Stück (= rd. 10,573 v.H.) der
Namensaktien einer inländischen AG, der E-AG.
Die E-AG schüttete im Juni 2002 an die
Klägerin eine Bruttodividende von 634.390 EUR aus, von der
gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 43a Abs. 2
Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) Kapitalertragsteuer
in Höhe von 20 v.H. (126.878 EUR zzgl.
Solidaritätszuschlag in Höhe von 6.978,29 EUR)
einbehalten wurde. Die Klägerin stellte am 28.8.2002 beim
vormaligen Bundesamt für Finanzen (BfF), dem nunmehrigen
Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), einen Antrag auf
Erstattung dieser bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten
(Finanzamt - FA - ) angemeldeten und an diesen abgeführten
Abzugssteuern, dem das BfF (durch Bescheid vom 28.8.2003) nach
§ 50d Abs. 1 EStG 2002 wegen des in Art. 10 Abs. 2 Buchst. c
des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 11.8.1971 - DBA-Schweiz 1971 - (BGBl II 1972,
1022, BStBl I 1972, 519) bestimmten Quellensteuerhöchstsatzes
von 15 v.H. teilweise - in Höhe von 5 v.H. der gezahlten
Gewinnausschüttung - entsprach; der Klägerin wurden
Kapitalertragsteuer in Höhe von 31.719,50 EUR sowie
Solidaritätszuschlag in Höhe von 6.978,29 EUR erstattet.
Die beantragte weiter gehende Erstattung lehnte das BfF wegen
fehlender Zuständigkeit am 17. Mai und am 10.8.2004
ab.
Die Klägerin beantragte daraufhin am
23.9.2004 beim FA die Erstattung der restlichen Kapitalertragsteuer
in Höhe von 95.158,50 EUR. Sie vertrat die Auffassung, wegen
§ 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002)
unterfielen die in Rede stehenden Dividenden nicht der
beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst.
a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 (i.V.m. § 8 Abs. 1
KStG 2002). Folglich greife auch die Abgeltungswirkung des §
32 Abs. 1 KStG 2002 nicht ein.
Auch dieser Antrag blieb ebenso wie die
anschließende Klage erfolglos; das Urteil des Finanzgerichts
(FG) Baden-Württemberg vom 18.6.2007 6 K 31/06 ist in EFG
2008, 766 = SIS 08 16 00 abgedruckt.
Ihre Revision stützt die Klägerin
auf Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt
(sinngemäß), das FG-Urteil aufzuheben und das FA zu
verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 11.11.2004 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.12.2005 einen
Erstattungsbescheid in Höhe von 95.158,50 EUR zu erlassen,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die folgende Rechtsfrage
zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist es mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach
Art. 56 des Vertrages von Nizza zur Änderung des Vertrages
über die Europäische Union, der Verträge zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger
damit zusammenhängender Rechtsakte (EG) vereinbar, dass
nationale Rechtsvorschriften eine gebietsfremde, in einem Staat
außerhalb der Europäischen Union (Schweiz)
ansässige Mutterkapitalgesellschaft mit einer definitiven
Steuer (Kapitalertragsteuer) auf Dividenden einer
gebietsansässigen (Deutschland) Kapitalgesellschaft belasten,
während entsprechende, von einer vergleichbaren
gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft erzielte
Dividenden, von der Besteuerung freigestellt sind und hierauf
gleichfalls einbehaltene Kapitalertragsteuern entweder erstattet
oder auf die Steuerschuld der gebietsansässigen
Mutterkapitalgesellschaft angerechnet werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das ebenfalls beigetretene
Finanzministerium Baden-Württemberg haben keine Anträge
gestellt. Sie haben sich in der Sache dem FA jedoch angeschlossen
und überdies ergänzende Erläuterungen zu einer
gesellschaftlichen (beherrschenden) Verbundenheit der Klägerin
und der E-AG gegeben.
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
2002 wird Kapitalertragsteuer bei Kapitalerträgen i.S. des
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 (Dividenden) erhoben, und zwar
gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 (bei
Körperschaften i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002)
ungeachtet des § 8b KStG 2002. Infolge dieser gesetzlichen
Anordnung kommt es darauf, dass die betreffenden
Kapitalerträge nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 bei der
Ermittlung des Einkommens der dividendenempfangenden
Kapitalgesellschaft außer Ansatz gelassen werden, für
die Erhebung der Kapitalertragsteuer nicht an. Gleichermaßen
spielt es nach § 50d Abs. 1 EStG 2002 für die Erhebung
der Kapitalertragsteuer keine Rolle, dass die Erträge nach
Art. 10 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971 nur mit einem niedrigeren
Steuersatz besteuert werden können.
2. Die Kapitalertragsteuer beträgt nach
§ 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 20 v.H. der geleisteten
Gewinnausschüttung. Sie reduziert sich gemäß Art.
10 Abs. 2 Buchst. c DBA-Schweiz 1971 auf 15 v.H. Der Klägerin
wurde der sich hiernach berechnende Unterschiedsbetrag
gemäß § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 vom BfF auf
Antrag erstattet.
3. Für eine weiter gehende Erstattung der
einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer durch das FA
fehlt die Rechtsgrundlage (vgl. z.B. von Beckerath in Kirchhof,
EStG, 8. Aufl., § 43 VZ 2008 Rz 13). Zwar hat, falls eine
Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, derjenige, auf
dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs.
2 der Abgabenordnung (AO) gegen den Leistungsempfänger einen
Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten
Betrags. Ein solcher Anspruch setzt jedoch im Zusammenhang mit der
Erstattung von Kapitalertragsteuer voraus, dass der
Steuerpflichtige entweder erfolgreich die Aufhebung oder
Änderung der Steueranmeldungen betreibt, die der
Abführung der Kapitalertragsteuer zugrunde liegen, oder den
Erlass eines Freistellungsbescheids i.S. des § 155 Abs. 1 Satz
3 AO erreicht (vgl. z.B. Senatsurteile vom 20.6.1984 I R 283/81,
BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828 = SIS 84 24 33; vom 19.12.1984 I R
31/82, BFHE 143, 416 = SIS 85 14 05; vom 28.6.2005 I R 33/04, BFHE
212, 37, BStBl II 2006, 489 = SIS 06 20 64; vom 28.6.2006 I R
47/05, BFH/NV 2007, 2 = SIS 06 47 85, jeweils m.w.N.). An beidem
fehlt es im Streitfall.
a) Die Kapitalertragsteuer auf die in Rede
stehende Dividende ist aufgrund einer wirksamen Steueranmeldung und
sonach nicht ohne rechtlichen Grund bezahlt worden. Die Anmeldung
der Kapitalertragsteuer ist von der Klägerin nicht angefochten
worden.
b) Das FA ist nicht verpflichtet, der
Klägerin - als Grundlage für die begehrte Erstattung -
einen Freistellungsbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz
3 AO zu erteilen.
aa) Eine Erstattung der Kapitalertragsteuer
nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 scheidet aus. Denn das
setzt nach Satz 1 der Vorschrift voraus, dass die betreffenden
Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen,
nach § 43b EStG 2002 oder nach einem Abkommen zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren
Steuersatz besteuert werden können. Beides ist vorliegend
jedoch nicht der Fall; weder § 43b EStG 2002 noch ein Abkommen
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind insofern
einschlägig. Überdies wäre für einen solchen
Erstattungsantrag nicht das FA, sondern (erneut) das (frühere)
BfF und (nunmehrige) BZSt zuständig (s. dazu auch
Lüdicke/Wunderlich, IStR 2008, 411).
bb) § 50d Abs. 1 EStG 2002 kann der
Klägerin ebenfalls nicht in analoger Anwendung weiterhelfen.
Zwar hat der Senat wiederholt entschieden, dass die Vorschriften
über den Abzug und die Bemessung der Kapitalertragsteuer
hinter die Regelung über den Umfang der beschränkten
Steuerpflicht zurücktreten. Deshalb ist eine
Kapitalertragsteuer, die über die Steuerbarkeit von
Einkünften nach Maßgabe von § 49 EStG 2002
hinausgeht, ohne materiell-rechtlichen Grund erhoben und daher in
entsprechender Anwendung von § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 zu
erstatten; für diesen Antrag ist - entgegen der Annahme der
Vorinstanz - das FA zuständig (vgl. z.B. Senatsurteile in BFHE
143, 416 = SIS 85 14 05; in BFHE 212, 37, BStBl II 2006, 489 = SIS 06 20 64). Es entspricht zudem ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass von steuerbefreiten
Einnahmen keine Steuer abgezogen werden darf (Senatsurteil vom
27.7.1988 I R 28/87, BFHE 155, 479, BStBl II 1989, 449 = SIS 89 15 44). Weder über die eine noch über die andere solche
Situation ist im Streitfall jedoch zu urteilen, was wiederum die
abgeltende Wirkung des Kapitalertragsteuereinbehalts nach sich
zieht:
Einerseits gehören Bezüge i.S. des
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, welche nach § 8b Abs. 1 Satz
1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz
bleiben, unbeschadet dessen, ob dieses
„Außer-Ansatz-Lassen“ bei der Ermittlung
des Gewinns oder erst des Einkommens umgesetzt wird, bei der
beteiligten Kapitalgesellschaft (hier also der Klägerin) zu
den Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG 2002
(i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002). Die Bezüge sind bei dieser
Gesellschaft damit - und zwar bei Fehlen einer inländischen
Betriebsstätte mit abgeltender Wirkung, § 32 Abs. 1 Nr. 2
KStG 2002 - der beschränkten Steuerpflicht unterworfen. Darin
liegt der entscheidende Unterschied zu der Sach- und Rechtslage,
über die in dem von der Klägerin herangezogenen
Senatsurteil in BFHE 143, 416 = SIS 85 14 05 zu befinden war; die
dort der Kapitalertragsteuer unterworfenen verausgabten
Stückzinsen auf den Erwerb von Zinsscheinen erfüllten
nicht den Tatbestand des § 20 (Abs. 2 Nr. 3 Satz 2) i.V.m.
§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG in der seinerzeit
maßgeblichen Fassung. Folglich wichen dort die sachliche und
die persönliche beschränkte Steuerpflicht von vornherein
voneinander ab. Das aber ist in der hier zu beurteilenden Situation
anders; eine „materielle“ beschränkte
Steuerpflicht ist hier zunächst gegeben.
Andererseits greift der Grundsatz, dass
Kapitalertragsteuer von zwar steuerbaren, jedoch steuerbefreiten
Einnahmen nicht zu erheben ist, nur, soweit der Gesetzgeber die
steuerfreien Einnahmen nicht ausdrücklich in die
Bemessungsgrundlage für den Steuerabzug einbezieht. Das aber
hat der Gesetzgeber mit § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002
getan.
Auf dieser Grundlage baut wiederum die in
§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 angeordnete Abgeltungswirkung der
Körperschaftsteuer, die im Wege des Steuerabzugs von den
Kapitaleinkünften einzubehalten ist, auf. Dieser
Abgeltungswirkung steht nicht entgegen, dass die betreffenden
Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommens einer
Kapitalgesellschaft nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 außer
Ansatz bleiben. Vielmehr greift die angeordnete Abgeltungswirkung
ausnahmslos; sie unterscheidet insbesondere nicht danach, ob die
Einkünfte nach innerstaatlichem Recht ganz oder teilweise
steuerbefreit sind. Eine Ausnahme davon macht aus innerstaatlicher
Sicht lediglich § 50d Abs. 1 EStG 2002 für die dort
spezifisch geregelten, im Streitfall indes nicht einschlägigen
Tatbestände.
c) Es scheidet schließlich eine von der
Klägerin noch erwogene Erstattung auf Basis von § 36 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG
2002 aus, weil die Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002
von der Sonderregelung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002
verdrängt wird. Ob ein Erstattungsanspruch, wie die
Klägerin überdies zu bedenken gibt, auf einen
Billigkeitserweis gemäß § 163, § 227 AO
gestützt werden könnte (vgl. auch Watermeyer in
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG Rz 21), ist in
diesem Verfahren, das auf eine Sachentscheidung gerichtet ist,
nicht zu klären.
4. Die beschriebene Regelungslage ist mit dem
europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar. Sie unterscheidet
in der „Technik“ der Steuererhebung nicht
danach, ob es sich bei der dividendenempfangenden
Muttergesellschaft um eine inländische oder um eine
ausländische Gesellschaft handelt; beide werden insoweit
gleichbehandelt. Allerdings hat sie zur Konsequenz, dass die
Kapitalertragsteuer bei der beschränkt steuerpflichtigen
Muttergesellschaft jedenfalls dann definitiv wird, wenn sie in
deren Ansässigkeitsstaat ihrerseits nicht oder nur teilweise
angerechnet oder erstattet wird. Darin kann eine Ungleichbehandlung
gegenüber solchen Steuerpflichtigen zu sehen sein, welche in
Deutschland ansässig sind und denen entweder eine Anrechnung
(§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG 2002) oder eine Erstattung
(§ 44b, § 44c EStG 2002) der einbehaltenen
Kapitalertragsteuer zugute kommt (vgl. z.B. Patzner/Frank, IStR
2008, 344; s. aber auch Baumgärtel/Lange, Die
Unternehmensbesteuerung 2008, 525, jeweils m.w.N.). Etwaige
gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegenüber dieser
Ungleichbehandlung schlagen für den Streitfall indes nicht
durch. Denn gegenüber der Schweiz als sog. Drittstaat
würde sich ein derartiger Gemeinschaftsrechtsverstoß nur
dann auswirken, wenn die Freiheit des Kapitalverkehrs nach Art. 56
ff. EG verletzt wäre. Das aber ist nicht der Fall. Die Frage,
ob - wie das FA und die beigetretenen Behörden annehmen - die
Kapitalverkehrsfreiheit unter den Gegebenheiten, insbesondere den
Beteiligungsverhältnissen, des Streitfalls ohnehin durch die
Niederlassungsfreiheit verdrängt ist (vgl. dazu zuletzt
Senatsurteil vom 26.11.2008 I R 7/08, IStR 2009, 244 = SIS 09 09 88, m.w.N.), kann deswegen dahinstehen.
Denn nach mittlerweile gefestigter
Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urteil vom 12.12.2006 C-374/04, Test
Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Slg. 2006,
I-11673 = SIS 07 03 01, Rz 52 ff., 57 f., m.w.N.) lässt sich
im Hinblick auf die Anwendung der Steuervorschriften des
Mitgliedstaats, in dem die ausschüttende Gesellschaft ihren
Sitz hat, die Situation eines dividendenbeziehenden Anteilseigners,
der in diesem Mitgliedstaat ansässig ist, nicht mit der eines
dividendenbeziehenden Anteilseigners, der in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig ist, vergleichen. Sind nämlich die
dividendenausschüttende Gesellschaft und der
dividendenbeziehende Anteilseigner nicht im selben Mitgliedstaat
ansässig, so befindet sich der Mitgliedstaat des Sitzes der
ausschüttenden Gesellschaft, d.h. der Mitgliedstaat der Quelle
der Gewinne, in Bezug auf die Vermeidung oder Abschwächung der
mehrfachen Belastung und der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung
nicht in der gleichen Lage wie der Mitgliedstaat, in dem der
dividendenbeziehende Anteilseigner ansässig ist. Deshalb - so
der EuGH (ebenda Rz 59) - lässt sich vom Sitzstaat der
ausschüttenden Gesellschaft nicht verlangen, dass er in
derartigen Situationen Abhilfe schafft. Andernfalls entzöge
man diesem Staat sein Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das
durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche
Tätigkeit erzielt wurde. Diese Betrachtungsweise des EuGH geht
Hand in Hand damit, dass nach dessen ebenfalls gefestigter
Rechtsprechung „in Ermangelung gemeinschaftlicher
Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die
Mitgliedstaaten dafür zuständig bleiben, die Kriterien
für die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens
festzulegen, um die Doppelbesteuerung gegebenenfalls im
Vertragswege zu beseitigen“ (vgl. Urteile vom 3.10.2006
C-290/04, FKP Scorpio Konzertproduktionen, Slg. 2006, I-9461 = SIS 06 44 26, Rz 54; in Slg. 2006, I-11673 = SIS 07 03 01, Rz 52, und
vom 18.7.2007 C-231/05, Oy AA, Slg. 2007, I-6373 = SIS 07 28 57, Rz
52; vom 14.12.2006 C-170/05, Denkavit International und Denkavit
France, Slg. 2006, I-11949 = SIS 07 02 97; vom 8.11.2007 C-379/05,
Amurta, Slg. 2007, I-9569 = SIS 08 04 16, Rz 79).
Es ist vor diesem Hintergrund in der Situation
des Streitfalles, in der der inländische Beteiligungsertrag
„direkt“ durch Ausschüttung und nicht - mit
der Folge einer anderweitigen abkommensrechtlichen Zuteilung des
Besteuerungszugriffs (vgl. dazu Art. 7 Abs. 1 des Musterabkommens
der Organisation for Economic Cooperation and Development -
OECD–MustAbk - ; s. auch Lüdicke in Schön [Hrsg.],
Einkommen aus Kapital, Veröffentlichungen der Deutschen
Steuerjuristischen Gesellschaft [DStJG], Bd. 30 [2007], S. 289,
306) - „indirekt“ über eine
inländische Betriebsstätte als Unternehmensgewinn erzielt
wird, der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft, den in
erster Linie die Pflicht trifft, „eine mehrfache Belastung
zu vermeiden, indem (dieser) entweder diese Gewinne nicht besteuert
oder im Fall einer Besteuerung zulässt, dass die
Muttergesellschaft den Steuerteilbetrag, den die
Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten
Gewinne entrichtet, und gegebenenfalls die Quellensteuer, die der
Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft erhebt, anrechnen
kann“ (EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-11673 = SIS 07 03 01,
Rz 60). Genau diesen Weg haben Deutschland und die Schweiz denn
auch eingeschlagen, indem sie in dem zwischen ihnen geschlossenen
Doppelbesteuerungsabkommen in Einklang mit international
üblichen Gepflogenheiten - zum einen - vereinbart haben, dass
Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige
Gesellschaft an eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige
Person zahlt, in dem anderen Staat besteuert werden können
(Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971), dass - zum anderen - jedoch
diese Dividenden auch in dem Vertragsstaat, in dem die die
Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht
dieses Staates in einem näher festgelegten Umfang besteuert
werden können (Art. 10 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971).
Schließlich haben die Vertragsstaaten in dem sog.
Methodenartikel vereinbart, dass es Sache der Schweiz als
Ansässigkeitsstaat ist, dadurch ausgelöste
Doppelbesteuerungen im Wege einer (ihrerseits näher
umschriebenen und begrenzten) Steueranrechnung (Art. 24 Abs. 2 Nr.
2 Satz 2 Buchst. a DBA-Schweiz 1971), einer pauschalen
Ermäßigung der auf die Dividenden entfallenden Schweizer
Steuer (Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b DBA-Schweiz 1971)
oder einer vollständigen oder teilweisen Freistellung von der
schweizerischen Besteuerung (Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c
DBA-Schweiz 1971) zu vermeiden. Wird hiernach infolge des - von der
Vorinstanz im Übrigen nicht festgestellten (vgl. § 118
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) - innerstaatlichen
Steuerrechts der Schweiz eine mögliche Doppelbesteuerung
gleichwohl im Wege der Anrechnung oder Pauschalbesteuerung nicht
vollständig ausgeglichen oder bleibt die
Quellensteuerbelastung als solche erhalten, weil der andere
Vertragsstaat sein ihm abkommensrechtlich zugewiesenes
Besteuerungsrecht in der Weise wahrnimmt, dass er die Dividenden
von der Besteuerung - ebenso wie in Deutschland - gänzlich
freistellt, so wären solche Unschärfen hinzunehmen; auch
sie sind - bei innergemeinschaftlichen Fallgestaltungen - dem
gegenwärtigen Stand der gemeinschaftlichen Vereinheitlichung
oder Harmonisierung auf dem Gebiet der direkten Steuern und der
dadurch nach wie vor bedingten unterschiedlichen Ausgangslage
einerseits bei rein innerstaatlichen und andererseits bei
grenzüberschreitenden Situationen geschuldet. Das gilt
jedenfalls dann, wenn die beiden Vertragsstaaten - wie vorliegend
Deutschland und die Schweiz, jedoch (ausweislich des dort
mitgeteilten Sachverhalts) abweichend von der Regelungs- und
Abkommenslage zwischen den Niederlanden und Frankreich in der vom
EuGH entschiedenen Rechtssache Denkavit (Slg. 2006, I-11949 = SIS 07 02 97, dort Rz 46 ff.) - sich darauf verständigen, die
andernfalls drohende wirtschaftliche Doppelbesteuerung (alternativ
auch) durch die volle Befreiung der Dividenden von der
schweizerischen Steuer zu beseitigen. Die Steuerfreistellung nach
Maßgabe des Schweizer Rechts stellt dann
vereinbarungsgemäß gerade das wechselseitig aufeinander
abgestimmte Mittel dar, um die Auswirkung einer durch die deutsche
Quellensteuer ausgelösten Beschränkung der
Kapitalverkehrsfreiheit zu neutralisieren, und die Anwendung des
Abkommens läuft infolgedessen insoweit auch nicht leer.
Unabhängig davon bleibt darauf hinzuweisen, dass sich
ansonsten auch genau der gegenteilige Effekt einer
Meistbegünstigung ergeben könnte, nämlich dann, wenn
sowohl der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft aus
abkommensrechtlicher Sicht als auch der Ansässigkeitsstaat der
Tochtergesellschaft aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zur
Anrechnung bzw. Erstattung verpflichtet wären. Genau das
wollten die Vertragsstaaten des Abkommens zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung ausschließen.
Der Senat erachtet die aufgezeigte
Gemeinschaftsrechtslage in Anbetracht des gegenwärtigen Stands
der Rechtsprechung des EuGH als eindeutig. Sie entspricht den
Aussagen der zitierten EuGH-Urteile und war insoweit bereits
Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof. Sie ergibt sich
überdies zweifelsfrei aus dem EG-Vertrag. Soweit über die
Frage nach der unzulässigen Beschränkung und
Diskriminierung infolge eines „Definitivwerdens“
der in Deutschland als Quellenstaat erhobenen Kapitalertragsteuer
nach wie vor gestritten wird und seitens der Kommission der
Europäischen Union zwischenzeitlich beschlossen worden ist
(vgl. Kommission der Europäischen Union, dortiges Az.
2004/4349; Pressemitteilung vom 19.3.2009 IP/09/435; abrufbar im
Internet unter http://europa.eu/rapid/
pressReleasesAction.do?reference=IP/09/435&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en),
Klage gegen Deutschland vor dem EuGH zu erheben (vgl. dazu auch den
ursprünglichen Regierungsentwurf zu einem Jahressteuergesetz
2009, dort zu einem neuen § 8b Abs. 4 KStG 2002 und dem danach
vorgesehenen Anwendungsausschluss des § 8b Abs. 1 und 2 KStG
2002 für sog. Streubesitzdividenden), geht es nicht um jene
Situation einer wechselseitigen abkommensrechtlichen
Besteuerungszuordnung, wie sie im Streitfall in Rede steht. Einer
Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG bedurfte es
deshalb ebensowenig (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81
„C.I.L.F.I.T.“, EuGHE 1982, 3415) wie einer
Verfahrensaussetzung (vgl. § 74 FGO), bis der EuGH über
die besagte Klage der Kommission gegen Deutschland entschieden
hat.