Elektronischer Rechtsbehelf zum BFH, unbebautes Grundstück, Nachweis niedrigeren gemeinen Werts: 1. Rechtsmittel und andere bestimmende Schriftsätze können derzeit an den BFH elektronisch übermittelt werden, ohne dass die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur erforderlich ist. - 2. Es bedarf der Klärung in einem Revisionsverfahren, ob es für den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts von unbebauten Grundstücken für Bewertungsstichtage vor dem 1.1.2007 auf die Wertverhältnisse am Bewertungsstichtag oder am 1.1.1996 ankommt. - Urt.; BFH 30.3.2009, II B 168/08; SIS 09 15 25
I. Die Klägerin und
Beschwerdeführerin (Klägerin) erbte von ihrem im August
1999 verstorbenen Ehemann u.a. einen Anteil an einem unbebauten
Grundstück. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt)
legte der gesonderten Feststellung des Grundstückswerts dieses
Anteils den Bodenrichtwert auf den 1.1.1996 von 30 DM je qm
abzüglich eines Abschlags von 20 v.H. zugrunde. Der Einspruch
blieb erfolglos.
Im Klageverfahren legte die Klägerin
ein Sachverständigengutachten vor, in dem der gemeine Wert des
Anteils auf den Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls nach dem zum
31.12.1998 festgelegten Bodenrichtwert von 20 DM je qm
abzüglich eines Abschlags von 20 v.H. zu bestimmen ist. Das
Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab,
für die Ermittlung des gemeinen Werts des Anteils sei nach
§ 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 und 4 sowie § 145 Abs. 3
Sätze 2 und 3 des Bewertungsgesetzes in der im Jahr 1999
geltenden Fassung (BewG) der auf den 1.1.1996 festgelegte
Bodenrichtwert maßgebend; denn dieser rechne zu den
Wertverhältnissen. Der Bodenrichtwert auf den 31.12.1998
könne daher nicht berücksichtigt werden.
Die Klägerin reichte die Beschwerde
wegen Nichtzulassung der Revision einen Tag vor Ablauf der
Rechtsmittelfrist beim elektronischen Gerichts- und
Verwaltungspostfach des Bundesfinanzhofs (BFH) ein. Der
Beschwerdeschrift war eine elektronische „Visitenkarte“
des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, eines
Steuerberaters, beigefügt aber keine qualifizierte
elektronische Signatur. Die Senatsgeschäftsstelle wies den
Prozessbevollmächtigten nach Ablauf der Beschwerdefrist
telefonisch darauf hin, dass die Beschwerde nicht mit der
notwendigen qualifizierten Signatur versehen sei. Daraufhin
beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen der Versäumung der Beschwerdefrist. Ihr
Prozessbevollmächtigter sei wegen der fehlenden Abweisung der
Übermittlung von der Zulässigkeit der
Übermittlungsform und Zertifizierung ausgegangen. Wäre er
innerhalb der Beschwerdefrist auf den Mangel hingewiesen worden,
hätte er die Beschwerde noch fristgerecht per Fax einlegen
können.
Zur Begründung der Beschwerde bringt
die Klägerin vor, die Frage, ob für den Nachweis eines
niedrigeren gemeinen Werts der Bodenrichtwert auf den 1.1.1996 oder
auf den letzten Stichtag vor der Entstehung der Erbschaftsteuer
maßgebend sei, werde unterschiedlich beurteilt und
bedürfe daher der Klärung durch den BFH.
II. Die Beschwerde ist zulässig und
begründet. Sie führt zur Zulassung der Revision nach
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
1. Die Beschwerdeschrift ist dem BFH auf
zulässige Art und Weise zugegangen, da sie an das dafür
vorgesehene elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach
übermittelt und von der für den Empfang bestimmten
Einrichtung aufgezeichnet wurde. Der Zulässigkeit der
Beschwerde steht nicht entgegen, dass bei der Einreichung der
Beschwerde keine qualifizierte elektronische Signatur verwendet
wurde. Die Verwendung einer solchen Signatur ist für die
Einlegung von Rechtsmitteln beim BFH nicht vorgeschrieben.
a) Die Übermittlung elektronischer
Dokumente an die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit ist in §
52a FGO geregelt. Diese Vorschrift wurde durch das
Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 (BGBl I 2005, 837) mit
Wirkung ab 1.4.2005 in die FGO eingefügt. Zugleich wurde
§ 77a FGO aufgehoben. Diese Vorschrift war durch das Gesetz
zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer
Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom
13.7.2001 (BGBl I 2001, 1542) in die FGO eingefügt worden.
b) Nach § 52a Abs. 1 Sätze 1 bis 4
FGO können die Beteiligten dem Gericht elektronische Dokumente
übermitteln, soweit dies für den jeweiligen
Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung der
Bundesregierung oder der Landesregierung zugelassen worden ist. Die
Rechtsverordnung bestimmt den Zeitpunkt, von dem an Dokumente an
ein Gericht elektronisch übermittelt werden können, sowie
die Art und Weise, in der elektronische Dokumente einzureichen
sind. Für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden
Schriftstück gleichstehen, ist eine qualifizierte
elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes
vorzuschreiben. Neben der qualifizierten elektronischen Signatur
kann auch ein anderes sicheres Verfahren zugelassen werden, das die
Authentizität und die Integrität des übermittelten
elektronischen Dokuments sicherstellt. Ein elektronisches Dokument
ist nach § 52a Abs. 2 Satz 1 FGO dem BFH zugegangen, wenn es
in der nach § 52a Abs. 1 Satz 1 FGO bestimmten Art und Weise
übermittelt worden ist und wenn die für den Empfang
bestimmte Einrichtung es aufgezeichnet hat. Dies gilt ebenso wie
bereits für § 77a FGO sowohl für vorbereitende als
auch für bestimmende Schriftsätze (zu § 77a FGO
BFH-Urteil vom 26.10.2006 V R 40/05, BFHE 215, 53, BStBl II 2007,
271 = SIS 06 48 79).
Bei der in § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO
vorgesehenen Regelung, wonach für die dort genannten Dokumente
eine qualifizierte elektronische Signatur vorzuschreiben ist,
handelt es sich nach dem klaren Wortlaut um eine Vorgabe an den
Verordnungsgeber (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
§ 52a FGO Rz 83; ebenso zum wortgleichen § 55a Abs. 1
Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, Rudisile in
Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 55a Rz 32),
nicht aber um eine von den Verfahrensbeteiligten unmittelbar zu
beachtende Vorschrift.
Der Verordnungsgeber hat die Vorgabe des
§ 52a Abs. 1 Satz 3 FGO bisher nicht umgesetzt. Die Verordnung
über den elektronischen Rechtsverkehr beim
Bundesverwaltungsgericht und beim BFH vom 26.11.2004 (BGBl I 2004,
3091), durch die die Einreichung elektronischer Dokumente beim BFH
ab dem 1.12.2004 zugelassen wurde, enthält nach ihrem Wortlaut
und ihrer Entstehungsgeschichte keine Vorschrift, die die
Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur zwingend
vorschreibt.
Die Verordnung sieht zwar in § 2 Abs. 3
vor, dass die qualifizierte elektronische Signatur einem näher
bestimmten Standard entsprechen muss und das ihr zugrunde liegende
Zertifikat durch das Gericht prüfbar sein muss. Eine Pflicht
zur Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur ist
hingegen nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht vorgesehen.
Für die Einführung einer solchen
Verpflichtung durch Rechtsverordnung hätte es beim Erlass der
Verordnung vom 26.11.2004 auch keine dem Art. 80 Abs. 1 Sätze
1 und 2 des Grundgesetzes entsprechende Ermächtigungsgrundlage
gegeben. Die Rechtsverordnung wurde für den BFH auf der
Grundlage des seinerzeit geltenden § 77a Abs. 2 Satz 1 FGO
erlassen. Danach bestimmten die Bundesregierung und die
Landesregierungen für ihren Bereich durch Rechtsordnung den
Zeitpunkt, von dem an elektronische Dokumente bei den Gerichten
eingereicht werden können sowie die für die Bearbeitung
der Dokumente geeignete Form. Eine Ermächtigung, für die
elektronische Einreichung bestimmter Dokumente die Verwendung einer
qualifizierten elektronischen Signatur vorzuschreiben, enthielt die
Vorschrift nicht. Eine solche Verpflichtung hätte § 77a
Abs. 1 Satz 2 FGO widersprochen. In dieser Vorschrift war bestimmt,
dass die verantwortende Person das Dokument mit einer
qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz
versehen „soll“. Die Verwendung einer solchen
Signatur stellte demgemäß kein zwingendes Erfordernis
elektronischer Erklärungen dar; bei § 77a Abs. 1 Satz 2
FGO handelte es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift
(BFH-Urteil in BFHE 215, 53, BStBl II 2007, 271 = SIS 06 48 79,
m.w.N.; offen BFH-Urteil vom 18.10.2006 XI R 22/06, BFHE 215, 47,
BStBl II 2007, 276 = SIS 07 00 35, unter II.2.e).
Die vom Verordnungsgeber bisher unterlassene
Anpassung der Verordnung vom 26.11.2004 an § 52a Abs. 1 Satz 3
FGO kann durch die Rechtsprechung nicht ersetzt werden. Es
genügt daher nach wie vor, wenn sich aus dem elektronischen
Dokument in Verbindung mit den es begleitenden Umständen keine
Zweifel über den Aussteller und seinen Willen ergeben, das
Dokument in den Rechtsverkehr zu bringen (vgl. BFH-Urteil in BFHE
215, 53, BStBl II 2007, 271 = SIS 06 48 79).
c) Da sich aus der elektronisch eingereichten
Beschwerde in Verbindung mit der beigefügten Visitenkarte des
Prozessbevollmächtigten keine Zweifel über den Aussteller
und seinen Willen ergeben, die Beschwerde in den Rechtsverkehr zu
bringen, genügt die Beschwerde den gesetzlichen
Formerfordernissen.
2. Die Klägerin hat in einer den
Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Art
und Weise dargelegt, dass der Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zukomme.
3. Die Beschwerde ist begründet. §
138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 BewG, wonach es für Feststellungen
von Grundbesitzwerten bis zum 31.12.2006 auf die
Wertverhältnisse zum 1.1.1996 ankommt, ist zwar ausgelaufenes
Recht. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage hat aber noch
für eine Vielzahl von Verfahren Bedeutung und ist noch nicht
abschließend geklärt. Der BFH hat mit dem Urteil vom
3.12.2008 II R 19/08 (DStR 2009, 573 = SIS 09 09 52) entschieden,
dass es beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts von bebauten
Grundstücken nicht auf die Wertverhältnisse vom 1.1.1996,
sondern auf diejenigen im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer
ankommt. Ob dies auch für den Nachweis eines niedrigeren
gemeinen Werts von unbebauten Grundstücken nach § 145
Abs. 3 Satz 3 BewG gilt, ist noch offen und
klärungsbedürftig.