1
|
I. Gegen einen Haftungsbescheid des
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) erhob der
Kläger und Revisionskläger (Kläger) nach Reduzierung
der Haftungssumme im ansonsten erfolglosen Einspruchsverfahren
Klage per E-Mail, die unsigniert bei der elektronischen Poststelle
des Finanzgerichts (FG) am Samstag, dem 17.5.2008 um 23:10 Uhr
einging. Nachdem der Eingang am 5.6.2008 festgestellt worden war,
wies das FG den Kläger am folgenden Tag darauf hin, dass die
von ihm erhobene Klage nicht mit einer Signatur versehen und wegen
dieses Formmangels nicht wirksam erhoben worden sei. Am 24.6.2008
übersandte der Kläger eine unterschriebene Klageschrift
und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der
Begründung, er habe keine Kenntnis von den Anforderungen an
eine elektronische Klageeinreichung gehabt. Insbesondere werde auf
der Webseite des Gerichts eine E-Mail-Adresse ausdrücklich
für Zwecke des elektronischen Gerichtsverkehrs angegeben, ohne
dass zugleich auf das Erfordernis einer elektronischen Signatur
hingewiesen werde. Durch diese Webseite habe er die E-Mail-Adresse
des Gerichts bekommen und von der Möglichkeit der
Klageerhebung per E-Mail erfahren. Als juristischer Laie sei ihm
hinsichtlich der gesetzlichen Anforderungen an eine elektronische
Klageerhebung kein Vorwurf zu machen. Zudem hätte das Gericht
die Möglichkeit gehabt, ihn auf die mangelnde Form der
Klageerhebung noch vor Ablauf der Klagefrist hinzuweisen. Die
Mitteilung über die Fristversäumung sei ihm nicht vor dem
10.6.2008 zugegangen, so dass die zweiwöchige
Wiedereinsetzungsfrist gewahrt sei.
|
|
|
2
|
Das FG wies die Klage als unzulässig
ab, da sie verfristet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
nicht zu gewähren sei. Der Kläger habe es schuldhaft
unterlassen, der E-Mail, mit der er Klage erhoben hat, eine
qualifizierte Signatur beizufügen, wie dies bei der gebotenen
Auslegung in § 2 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über den
elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg vom 28.1.2008 (ERVV HA
2008) i.V.m. § 52a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
vorgeschrieben sei. Während des Erörterungstermins habe
er zugegeben, dass ihm die Anforderungen an eine elektronische
Klageerhebung bekannt gewesen seien, insbesondere dass er sich
bewusst gewesen sei, dass es sich bei der elektronischen Signatur
um „eine komplexe Angelegenheit“ handele. Er habe nicht
erklären können, warum er seine Klage gleichwohl ohne
elektronische Signatur abgeschickt hat. Die Entscheidung des FG ist
in EFG 2010, 1333 = SIS 10 19 96 veröffentlicht.
|
|
|
3
|
Das Urteil ist dem Kläger am 20.4.2010
zugestellt worden. Am 6.5.2010 hat er Revision eingelegt. Auf
Antrag verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats die
Begründungsfrist bis zum 5.7.2010. Das
Telefax-Empfangsgerät des Bundesfinanzhofs (BFH) zeichnete die
5-seitige Revisionsbegründung auf. Die ersten drei Seiten
gingen nach dem Aufdruck auf jeder Seite am 5.7.2010 in der Zeit
zwischen 23:58 Uhr und 23:59 Uhr, Seite 4 und 5 am 6.7.2010 um
00:00 Uhr und 00:01 Uhr ein. Auf den Hinweis der
Senatsgeschäftsstelle, dass Teile der Revisionsbegründung
mit der Unterschrift verspätet eingegangen seien, beantragte
der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich
der versäumten Frist zur Revisionsbegründung.
|
|
|
4
|
Er versicherte an Eides statt, er habe die
Revisionsbegründung im Wesentlichen am 4.7.2010 erstellt und
die Arbeit am 5.7.2010 rechtzeitig abgeschlossen. Der rechtzeitige
Telefaxversand an den BFH sei daran gescheitert, dass sich bei dem
Versuch, das fertige Word-Dokument um 23:20 Uhr zu speichern,
herausgestellt habe, dass der Server nicht in Betrieb gewesen und
auch nach mehreren Startversuchen nicht wieder in Gang gekommen
sei. Um 23:45 Uhr habe er dann einen lokalen Drucker mit dem
dafür erforderlichen Treiber auf seinem Arbeitsplatzrechner
installiert. Das habe weitere zehn Minuten beansprucht, so dass der
Schriftsatz erst wenige Minuten vor Mitternacht gedruckt,
unterzeichnet und per Telefax an den BFH habe gesendet werden
können mit der Folge, dass die letzte Seite erst am 6.7.2010
dort eingegangen sei.
|
|
|
5
|
Zur weiteren Glaubhaftmachung
übersandte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung
des Netzwerkadministrators der Kanzlei des
Prozessbevollmächtigten.
|
|
|
6
|
Zur Begründung der Revision trägt
der Kläger vor, er habe form- und fristgerecht Klage beim FG
erhoben, weshalb ihm auf die am 24.7.2010 nachgereichte
schriftliche Klage Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen sei,
nachdem das FG ihm erst zwanzig Tage nach Zugang der E-Mail seine
Bedenken gegen die Form der Klageschrift mitgeteilt habe. Das
Urteil beruhe auf einer Verletzung der §§ 52a und 64 FGO
und der zu ihrer Durchführung erlassenen landesrechtlichen
Vorschriften. In Bezug auf die hamburgische Verordnung sei die
Frage entscheidend, ob die Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1
ERVV HA 2008 durch das FG mit § 52a FGO zu vereinbaren sei und
bundesrechtlichen Auslegungsregeln entspreche.
|
|
|
7
|
Beides sei zu verneinen. Entgegen der
Auffassung des FG sei eine qualifizierte elektronische Signatur der
per E-Mail übermittelten Klage weder in § 52a FGO noch in
§ 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HA 2008 vorgeschrieben. Bei der
Bestimmung in § 52a Abs. 3 Satz 1 FGO, wonach eine
qualifizierte Signatur vorzuschreiben sei, handele es sich nach
Auffassung des BFH (Beschluss vom
30.3.2009 II B 168/08, BFHE 224, 401, BStBl II 2009, 670 = SIS 09 15 25) um eine
Vorgabe an den Verordnungsgeber, nicht aber um eine von den
Verfahrensbeteiligten zu beachtende Vorschrift. Nach § 2 Abs.
3 Satz 1 ERVV HA 2008 bestehe eine Pflicht zur Verwendung einer
qualifizierten Signatur nur, soweit für eine Einreichung die
elektronische Form vorgeschrieben sei. Für die nach § 2
Abs. 3 Satz 1 ERVV HA 2008 ermöglichte weitere Form der
Klageerhebung neben der schriftlichen oder zu Protokoll erhobenen
Klage sei demnach die qualifizierte Signatur nicht zwingend
angeordnet. Dass der landesrechtliche Verordnungsgeber damit hinter
der Regelungsabsicht der Ermächtigung zurückbleibe,
erlaube dem FG nicht, § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HA 2008 gegen
seinen Wortlaut auch auf die elektronische Klageerhebung
anzuwenden, die nur als weitere Option zur Verfügung gestellt
sei. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob in Hamburg ein
rechtsförmliches Verfahren zur Signatur überhaupt
existiere, da in Hamburg nach § 3 ERVV HA 2008 entgegen der
Verordnungsermächtigung nicht die zuständige oberste
Landesbehörde, sondern die im Auftrag der Gerichte tätige
Betreiberin der elektronischen Poststelle „Dataport“
tätig geworden sei. Außerdem leite das FG die
Notwendigkeit einer elektronischen Signatur für eine
Klageerhebung per E-Mail auch deshalb zu Unrecht aus § 52a FGO
i.V.m. § 2 Abs. 3 ERVV HA 2008 ab, weil das dabei zu
beachtende Verfahren dort nur insoweit geregelt sei, als es auf
Bekanntmachungen verweise, die es unter der angegebenen
Internetadresse www.poststelle.justiz.hamburg.de nicht gebe,
während auf die „ERV-Bekanntmachungen“, die sich
in einem Untermenü der Webseite justiz.hamburg.de
befänden, in der Verordnung nicht hingewiesen werde. Mangels
verbindlicher Verfahrensvorschriften bleibe die elektronische
Klageeinreichung zum FG daher ohne Signatur möglich.
|
|
|
8
|
Sollte mit dem FG von der Formunwirksamkeit
der elektronisch erhobenen Klage auszugehen sein, müsse ihm
für seine später schriftlich vorgelegte Klage
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Ohne das
die 19 Tage verspätete Feststellung des E-Mail-Eingangs
auslösende Organisationsverschulden des FG hätte das
Gericht ihn rechtzeitig auf den Formmangel hinweisen und ihm die
Möglichkeit der formgerechten Klageerhebung vor Ablauf der
Klagefrist geben können. Im Übrigen fehle es an seinem
Verschulden schon deshalb, weil sich ihm die vom FG aus dem
systematischen Zusammenhang zwischen § 52a und § 64 FGO
mit der ERVV HA 2008 hergeleitete Notwendigkeit einer
elektronischen Signatur nicht habe aufdrängen müssen. Das
von der Landesjustizverwaltung und den Gerichten erwartete
Verfahren sei ihm im Einzelnen nicht bekannt gewesen und mangels
verbindlicher Verweisung auf eine funktionsfähige
Internet-Fundstelle habe er es auch nicht kennen können. Dass
er ausweislich des Protokolls des Erörterungstermins geahnt
habe, dass es sich dabei um „eine komplexe
Angelegenheit“ handele, ersetze diese Kenntnis vom Verfahren
nicht, da er sie auch bei größter Anstrengung auf dem
Weg, den die ERVV HA 2008 weise, nicht habe erlangen
können.
|
|
|
9
|
Das FA trägt vor, dem Kläger sei
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Revisionsbegründungsfrist nicht zu gewähren, da der
Prozessbevollmächtigte geeignete Maßnahmen habe
ergreifen müssen, um einem wahrscheinlich hitzebedingten
Ausfall seiner EDV-Anlage vorzubeugen. Im Übrigen sei die
Revision aber auch unbegründet, da die Klageerhebung mit
unsignierter E-Mail aus den vom FG aufgezeigten Gründen
unwirksam gewesen und dem Kläger Wiedereinsetzung wegen der
daraus folgenden Versäumung der Klagefrist zu Recht nicht
gewährt worden sei.
|
|
|
10
|
II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision
für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht
für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet
worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
|
|
|
11
|
1. Die Revision ist zulässig.
|
|
|
12
|
a) Zwar hat der Kläger die
(verlängerte) Begründungsfrist nicht eingehalten. Nach
§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei
Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich
zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist vom Vorsitzenden
des Senats gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO bis zum
5.7.2010 verlängert worden. Die Revisionsbegründung
hätte somit beim BFH bis zum Ablauf dieses Tages eingehen
müssen. Die vollständige Revisionsbegründungsschrift
des Klägers ist jedoch erst am 6.7.2010 eingegangen.
|
|
|
13
|
Ebenso wie für die Revision (§ 120
Abs. 1 Satz 1 FGO) ist auch für die Revisionsbegründung
Schriftform vorgeschrieben. Bei einem per Telefax dem Gericht
übermittelten Schriftsatz wird die erforderliche Schriftform
als gewahrt angesehen, wenn das Telefax nicht nur den Namen des
Prozessbevollmächtigten, sondern auch dessen auf dem Original
des per Telefax übersandten Schriftsatzes befindliche
Unterschrift erkennen lässt. Ein fristgebundener bestimmender
Schriftsatz, der dem Gericht per Telefax übermittelt wird,
geht daher nur dann fristgerecht beim Gericht ein, wenn er
innerhalb der Frist von dem Empfangsgerät vollständig,
d.h. einschließlich der Seite, welche die Unterschrift
trägt, aufgezeichnet worden ist (ständige Rechtsprechung,
vgl. Senatsbeschluss vom 25.11.2003 VII R 9/03, BFH/NV 2004, 519 =
SIS 04 11 40, m.w.N.).
|
|
|
14
|
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht
erfüllt, da nach dem auf jeder Seite der
Revisionsbegründungsschrift befindlichen Empfangsaufdruck die
Seite 5 mit der in Kopie wiedergegebenen Unterschrift des
Prozessbevollmächtigten am 6.7.2010, 00:01 Uhr, also erst nach
Fristablauf, von dem Telefaxgerät des BFH empfangen worden
ist. Der Eingangszeitpunkt bestimmt sich nach diesem
Uhrzeitaufdruck durch das Telefaxgerät des Gerichts (vgl.
Senatsbeschluss vom 2.3.2000 VII B 137/99, BFH/NV 2000, 1344 = SIS 00 60 22, m.w.N.). Die Zeiteinstellung des Telefaxgerätes des
BFH wird regelmäßig kontrolliert. Anhaltspunkte, dass
die Zeiteinstellung im hier maßgeblichen Zeitpunkt
unzutreffend war, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
|
|
|
15
|
Auch wenn die Fristüberschreitung im
Streitfall äußerst geringfügig gewesen ist, kann
sie gleichwohl nicht vernachlässigt werden, da ansonsten eine
klare Entscheidung über die Rechtskraft eines Urteils nicht
möglich wäre (BFH-Beschluss vom 2.12.1991 V B 116/91,
BFH/NV 1992, 532 = SIS 92 12 50).
|
|
|
16
|
b) Dem Kläger ist aber Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren, weil sein
Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich wie
eigenes Verschulden zurechnen lassen müsste (§ 155 FGO
i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), ohne Verschulden
verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten
(§ 56 Abs. 1 FGO).
|
|
|
17
|
Grundsätzlich darf eine Frist im
Interesse des Rechtsschutz suchenden Bürgers bis zuletzt
ausgeschöpft werden (vgl. BFH-Beschluss vom 28.9.2000 VI B
5/00, BFHE 193, 40, BStBl II 2001, 32 = SIS 01 02 20, m.w.N.).
Jedoch ist beim vollen Ausnutzen der Frist besondere Sorgfalt auf
die Fristwahrung zu verwenden. Wird ein fristwahrender Schriftsatz
erst kurz vor Fristablauf per Telefax an das Gericht
übermittelt und geht er dort verspätet ein, so ist die
Fristversäumung nur dann unverschuldet, wenn der Absender mit
der Übermittlung so rechtzeitig begonnen hat, dass er unter
gewöhnlichen Umständen mit dem Abschluss des
Übermittlungsvorgangs noch vor Fristablauf rechnen konnte
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.11.1999 2 BvR
565/98, NJW 2000, 574; Senatsbeschluss in BFH/NV 2004, 519 = SIS 04 11 40).
|
|
|
18
|
Der Prozessbevollmächtigte des
Klägers hat glaubhaft dargelegt, dass er mit der
Übermittlung der Revisionsbegründung am 5.7.2010 um 23:20
Uhr beginnen wollte und die rechtzeitige Übermittlung allein
an dem bis dahin nicht festgestellten Systemabsturz seiner
EDV-Anlage scheiterte. Sein durch die Angaben des
Netzwerkadministrators unterstütztes Vorbringen, dass es aus
unvorhersehbaren technischen Gründen zu dem Zeitverzug
gekommen sei, ist nachvollziehbar. Insbesondere ist dem
Prozessbevollmächtigten nicht vorzuwerfen, dass er zu
spät mit der Übermittlung begonnen hat. Zum einen reicht
ein Zeitraum von 40 Minuten auch unter Einberechnung möglicher
Besetztzeiten des Empfangsgeräts beim BFH
regelmäßig aus, einen 5-seitigen Schriftsatz per Telefax
zu versenden. Zum anderen hatte der Prozessbevollmächtigte bei
einer bis dahin fehlerfrei funktionierenden und fachgerecht
gewarteten EDV-Anlage keine Veranlassung, einen Ausfall
einzukalkulieren, den er nicht aus eigener Kraft rechtzeitig
würde beheben können. Letztlich zeigt sich das gerade
daran, dass die vom Prozessbevollmächtigten selbst gefundene
Lösung des Problems nur zu einer Verzögerung des
Telefaxzugangs beim BFH um eine Minute geführt hat.
|
|
|
19
|
2. Die Revision ist unbegründet.
|
|
|
20
|
Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO kann die
Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene
Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Das Urteil des FG
verletzt entgegen der Auffassung des Klägers Bundesrecht
nicht.
|
|
|
21
|
a) Das FG hat seine Entscheidung, dass die vom
Kläger per E-Mail übermittelte Klage mangels einer
qualifizierten Signatur nicht wirksam erhoben worden sei, auf
§ 52a Abs. 1 Satz 3 FGO i.V.m. § 2 Abs. 3 ERVV HA 2008
gestützt.
|
|
|
22
|
In § 52a Abs. 1 FGO werden die
Bundesregierung und die Landesregierungen ermächtigt, durch
Rechtsverordnung zu bestimmen, dass und auf welche Art und Weise
elektronische Dokumente dem Gericht übermittelt werden
können. In § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO heißt es:
„Für Dokumente, die einem schriftlich zu
unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, ist eine
qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des
Signaturgesetzes vorzuschreiben.“ Die konkreten
Anforderungen an die formwirksame Übermittlung eines
elektronischen Dokuments an das Gericht ergeben sich danach
unmittelbar aus der Durchführungsverordnung. Denn wie der BFH
bereits entschieden hat, ergibt sich allein aus § 52a Abs. 1
FGO keine Pflicht zur Verwendung einer qualifizierten
elektronischen Signatur. Bei der in § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO vorgesehenen
Regelung, wonach für die dort genannten Dokumente eine
qualifizierte elektronische Signatur vorzuschreiben ist, handelt es
sich nach dem klaren Wortlaut um eine Vorgabe an den
Verordnungsgeber (BFH-Beschluss in
BFHE 224, 401, BStBl II 2009, 670 = SIS 09 15 25).
|
|
|
23
|
Von der Verordnungsermächtigung hat das
Land Hamburg durch Erlass der ERVV HA 2008 Gebrauch gemacht und
dort in § 2 Abs. 3 Satz 1 die Regelung getroffen, dass
elektronische Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen
Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes zu versehen sind,
„sofern für Einreichungen die elektronische Form
vorgeschrieben ist“.
|
|
|
24
|
aa) Die Bedenken des Klägers gegen die
Wirksamkeit der Regelung, dass nämlich nach § 3 ERVV HA
2008 entgegen der Verordnungsermächtigung nicht die
zuständige oberste Landesbehörde, sondern die im Auftrag
der Gerichte tätige Betreiberin der elektronischen Poststelle
„Dataport“ tätig geworden sei, sind
unbegründet. Die ERVV HA 2008 ist von der Justizbehörde
erlassen worden, auf die gemäß § 1 Nr. 11 der
Weiterübertragungsverordnung vom 1.8.2006 (Hamburgisches
Gesetz- und Verordnungsblatt 2006, 455) die Ermächtigung zum
Erlass von Rechtsverordnungen nach § 52a Abs. 1 FGO
übertragen worden ist. In § 3 ERVV HA 2008 hat die
Justizbehörde lediglich - in zulässiger Weise - den
Betreiber der elektronischen Poststelle der Gerichte und
Staatsanwaltschaften mit der „Bekanntgabe der
Bearbeitungsvoraussetzungen“, die in dieser Verordnung in
allgemeiner Form vorgegeben werden, beauftragt.
|
|
|
25
|
Ob diese Bekanntmachungen unter der
angegebenen Internetadresse www.poststelle.justiz.hamburg.de
für den Kläger auffindbar waren, ist nicht
entscheidungserheblich. Denn entgegen der Darstellung des
Klägers handelt es sich nicht um verbindliche
Verfahrensvorschriften für die elektronische Klageeinreichung
zum FG, sondern - wie sich bereits aus § 3 ERVV HA 2008 ergibt
- es werden lediglich technische Einzelheiten zu den
Bearbeitungsvoraussetzungen erläutert. Die nach § 52a
Abs. 1 Satz 2 FGO durch Rechtsverordnung zu bestimmende
„Art und Weise, in der elektronische Dokumente
einzureichen sind“, ergibt sich unmittelbar aus § 2
Abs. 3 Satz 1 ERVV HA 2008.
|
|
|
26
|
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers
ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG die
Unzulässigkeit einer ohne qualifizierte Signatur per E-Mail
übermittelten Klage aus § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HA 2008
ableitet. Bei der Auslegung von Landesrecht durch das FG hat der
BFH lediglich zu überprüfen, ob diese Auslegung mit
(höherrangigem) Bundesrecht übereinstimmt und ob die
Auslegung durch das FG bundesrechtlichen Auslegungsregeln
entspricht (vgl. BFH-Entscheidungen vom 19.1.2000 II R 1/98, BFH/NV
2000, 859 = SIS 00 56 47; vom 18.3.2003 I B 97/02, BFH/NV 2003,
1190 = SIS 03 37 24, m.w.N.).
|
|
|
27
|
Dies ist vorliegend zu bejahen. Es begegnet
keinen Bedenken, wenn das FG den Wortlaut „sofern für
Einreichungen die elektronische Form vorgeschrieben ist“
für auslegungsbedürftig ansieht. Es stützt sich
insoweit zutreffend auf den systematischen Zusammenhang der ERVV HA
2008 mit den Regelungen in den §§ 52a und 64 FGO. Aus
diesen Vorschriften ergibt sich zweifelsfrei, dass Klagen nur auf
dreierlei Art und Weise erhoben werden können: schriftlich,
zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder
aber elektronisch. Wenn das FG auf dieser Grundlage zu der
Auslegung gelangt, dass die elektronische Form für die
Erhebung einer Klage im finanzgerichtlichen Verfahren demnach als
eine von drei Möglichkeiten i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 1
ERVV HA 2008 „vorgeschrieben“ sei, vermag der
Senat darin keinen Anhaltspunkt für die Verletzung
bundesrechtlicher Auslegungsregeln zu erkennen. Darauf, ob die
Auslegung durch das FG zwingend ist, kommt es nicht an. Dem
erkennenden Senat ist es daher verwehrt, diese Auslegung
seinerseits zu überprüfen.
|
|
|
28
|
b) Das FG hat - abgesehen davon, dass der
Kläger insoweit nichts vorgetragen hat - auch zu Recht nicht
weiter geprüft, ob sich aus der E-Mail oder begleitenden
Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in
den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Zwar kann nach
der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Beschluss des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
5.4.2000 GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160 = SIS 00 10 34) bei Vorliegen
dieser Voraussetzungen auf eine eigenhändige Unterschrift
selbst bei bestimmenden Schriftsätzen verzichtet werden, wenn
diese mittels Computerfax bei Gericht eingehen. Ausdrücklich
gründet sich diese Auffassung aber darauf, dass beim
Computerfax - wie schon bei der von der Rechtsprechung gebilligten
und zum Gewohnheitsrecht erstarkten Übung der telefonischen
Telegrammaufgabe - eine eigenhändige Unterzeichnung nicht
möglich ist. Für den Rechtsverkehr per E-Mail ist aber
gerade eine die Schriftform ersetzende elektronische Signatur
eingeführt worden. Für eine erweiternde Anwendung der
o.g. Rechtsprechungsgrundsätze auf die Übermittlung
bestimmender Schriftsätze per E-Mail besteht mithin keine
Veranlassung (a.A. Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung,
7. Aufl., § 52a Rz 6; gl.A. Thürmer in
Hübschmann/Hepp/Spittaler, § 52a FGO Rz 83; vgl. auch
Senatsbeschluss vom 14.9.2005 VII B 138/05, BFH/NV 2006, 104 = SIS 06 03 11).
|
|
|
29
|
c) Revisionsrechtlich ist auch nicht zu
beanstanden, dass das FG die Voraussetzungen für die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) verneint hat.
Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Entscheidung
insoweit auf der Verletzung von Bundesrecht i.S. des § 118
Abs. 1 Satz 1 FGO beruht.
|
|
|
30
|
aa) Wiedereinsetzung kann der Kläger
nicht schon deshalb beanspruchen, weil ihn das FG nicht
unverzüglich nach Eingang der E-Mail über die
Formunwirksamkeit der Klage wegen Fehlens der qualifizierten
elektronischen Signatur informiert hat, wie dies § 52a Abs. 2
Satz 3 FGO grundsätzlich gebietet.
|
|
|
31
|
Die E-Mail des Klägers ist am 17.5.2008,
einem Samstag, um 23:10 Uhr im elektronischen Postfach des FG
eingegangen. Da die Einspruchsentscheidung dem Kläger am
17.4.2008 zugestellt worden war, ist die Klagefrist am Montag, dem
19.5.2008, dem ersten Werktag nach dem letzten Tag der Klagefrist,
abgelaufen. Frühestens an diesem Tag hätte das Gericht
von der E-Mail Kenntnis nehmen können. Selbst bei strengster
Auslegung kann unter „unverzüglicher
Information“ aber nicht verstanden werden, dass noch am
Tag der frühestmöglichen Kenntnisnahme von der E-Mail
bereits die Mitteilung des Formfehlers an den Absender herausgehen
muss. Ausgehend von einer geordneten Bearbeitung eingehender
E-Mail-Schriftsätze bedarf es keiner näheren
Begründung, dass weder die zuständige
Geschäftsstelle, geschweige denn der zuständige Richter
verpflichtet sind, noch am Tag des Eingangs einen Schriftsatz auf
Formfehler zu überprüfen und ggf. eine Fehlerinformation
an den Kläger herauszugeben.
|
|
|
32
|
Da der Kläger auch bei
unverzüglicher Mitteilung über das Fehlen der Signatur
die Klagefrist nicht hätte wahren können, kommt es nicht
darauf an, dass das FG den Eingang der E-Mail erst am 5.6.2008
festgestellt und den Kläger dementsprechend erst am 6.6.2008
informiert hat. Wiedereinsetzung wegen Verletzung der Pflicht zur
unverzüglichen Information nach § 52a Abs. 2 Satz 3 FGO
scheidet daher aus.
|
|
|
33
|
bb) Soweit der Kläger sich darauf beruft,
ihn treffe kein eigenes Verschulden an der ungenügenden Form
der elektronischen Klage, weil er der Regelung des § 2 Abs. 3
ERVV HA 2008 - selbst wenn er sie gekannt hätte - die erst
durch Auslegung des FG gefundene Notwendigkeit der elektronischen
Signatur nicht hätte entnehmen können und es auf die
sonstigen Veröffentlichungen der Justizverwaltung mangels
rechtlicher Grundlage nicht ankomme, verkennt er, dass das FG sein
Verschulden bejaht hat, weil er während des
Erörterungstermins eingeräumt hat, dass ihm die
Anforderungen an eine elektronische Klageerhebung bekannt gewesen
seien, insbesondere dass er sich bewusst gewesen sei, dass es sich
bei der elektronischen Signatur um „eine komplexe
Angelegenheit“ handele, und er nicht hat erklären
können, warum er seine Klage gleichwohl ohne elektronische
Signatur abgeschickt hat. Angesichts dieses vom Kläger nicht
in Frage gestellten Sachverhalts kommt es nicht darauf an, ob der
Kläger § 2 Abs. 3 Satz 1 ERVV HA 2008 hätte
entnehmen müssen, dass eine elektronisch erhobene Klage mit
einer elektronischen Signatur zu versehen ist.
|
|
|
34
|
Das Verschulden des Klägers sieht das FG
damit zu Recht letztlich darin, dass er trotz der ihm bekannten
Problematik der elektronischen Klageerhebung nichts unternommen
hat, die zu gewärtigende Fristversäumnis durch geeignete
Maßnahmen - wie etwa persönliches Einwerfen der
Klageschrift in den Postbriefkasten des Gerichts - zu
verhindern.
|
|
|