Grundstücksbewertung, niedrigerer gemeiner Wert, Nachweis: 1. Legt der Steuerpflichtige zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts das Gutachten eines Sachverständigen für Grundstücksbewertung vor und gelangt der Gutachter nach einer Wertermittlung sowohl im Sachwert- als auch im Ertragswertverfahren mit zutreffender Begründung dazu, dass das Grundstück ausschließlich im Ertragswertverfahren zu bewerten ist, handelt das FA rechtswidrig, wenn es den Grundstückswert ohne weitere Begründung auf den Mittelwert beider Werte feststellt. - 2. Fehlt als letzter Schritt einer Grundstücksbewertung nach der WertV die Anpassung an die Marktverhältnisse gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 WertV, ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts (noch) nicht geführt. Die Preisbildung am Grundstücksmarkt richtet sich nicht nur nach den Ertragserwartungen der Nachfrager. - 3. Beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 146 Abs. 7 BewG i.d.F. vor 2007 war auf die Wertverhältnisse vom Bewertungsstichtag abzustellen. - Urt.; BFH 3.12.2008, II R 19/08; SIS 09 09 52
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erbten am 31.10.2003 je zur Hälfte den
hälftigen Miteigentumsanteil ihrer Mutter an dem gewerblich
genutzten und bebauten Grundstück in … . Der Beklagte
und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) stellte mit Bescheid
vom 20.5.2005 über die gesonderte und einheitliche
Feststellung des Grundbesitzwerts auf den Todestag der Mutter
diesen Wert auf 1.958.000 EUR fest, so dass auf den jeweils
erworbenen 1/4-Anteil am Grundstück ein Teilbetrag von 489.500
EUR entfiel. Der Wert war gemäß § 146 Abs. 2
Sätze 1 und 2 des Bewertungsgesetzes in der zum
Bewertungsstichtag geltenden Fassung (BewG) ermittelt.
Gegen den Bescheid legten die Kläger
unter Vorlage des Privatgutachtens eines öffentlich bestellten
und vereidigten Sachverständigen für
Grundstücksbewertung Einspruch ein mit dem Begehren, den
Grundstückswert niedriger - nämlich auf 1.180.000 EUR
(1/4-Anteil 295.000 EUR) - festzustellen. Der Gutachter hatte
für das gesamte Grundstück einen Sachwert von 1.697.000
EUR und einen Ertragswert von 1.180.000 EUR ermittelt und die
Ansicht vertreten, im Streitfall sei ausschließlich die
Ertragswertmethode sachgerecht.
Das FA gab dem Begehren mit
Einspruchsentscheidung vom 27.10.2005 lediglich teilweise statt,
indem es den Grundstückswert auf 1.438.500 EUR minderte und
damit den anteiligen Grundstückserwerb der Kläger nunmehr
mit jeweils 359.625 EUR bewertete. Dabei handelte es sich um den
Mittelwert aus den vom Gutachter bestimmten Sach- und
Ertragswerten.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, ein niedrigerer gemeiner
Wert des Grundstücks als durch die Einspruchsentscheidung
festgestellt, sei nicht nachgewiesen. Es sei unter keinem
Gesichtspunkt gerechtfertigt, den festgestellten Sachwert
völlig unberücksichtigt zu lassen. Das Urteil ist in EFG
2007, 1746 = SIS 07 36 84 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger
fehlerhafte Anwendung des § 146 Abs. 7 BewG. Das FG habe ohne
eigene Sachkenntnis die Ausführungen des Privatgutachters zur
Maßgeblichkeit des Ertragswertverfahrens übergangen und
die Mittelwertmethode des FA gebilligt. Damit habe es seine
Sachaufklärungspflicht und das Recht auf Gehör
verletzt.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung
der Vorentscheidung den Bescheid über die Feststellung des
Grundbesitzwerts auf den 31.10.2003 vom 20.5.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 27.10.2005 dahin zu ändern, dass
der Grundbesitzwert auf 1.180.000 EUR (anteilig 295.000 EUR)
festgestellt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Es sei Sache des FG, Privatgutachten
eigenständig zu prüfen. Dies habe das Gericht getan, ohne
das Gutachten insgesamt als unschlüssig zurückzuweisen.
Es habe lediglich die Beschränkung auf den Ertragswert
missbilligt.
II. Die Revision ist begründet. Die
Annahme des FG, das FA habe zu Recht den Grundstückswert auf
den Mittelwert aus dem gutachterlich bestimmten Sachwert und
Ertragswert festgestellt, ist durch keine rechtlichen oder
tatsächlichen Erwägungen untermauert. Sie ist nicht das
Ergebnis einer freien Beweiswürdigung des vorliegenden
Privatgutachtens, sondern stellt eine bloße Rechtsbehauptung
dar. Andererseits ist das beigebrachte Gutachten nicht geeignet,
den von den Klägern für zutreffend gehaltenen niedrigeren
gemeinen Wert des Grundstücks nachzuweisen. Um den
Klägern zu ermöglichen, den Nachweis - etwa durch
Nachbesserung des Gutachtens - noch zu führen, wird die
Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Gemäß § 146 Abs. 7 BewG ist
für bebaute Grundstücke ein niedrigerer
Grundstückswert festzustellen, wenn der Steuerpflichtige
nachweist, dass der gemeine Wert des Grundstücks niedriger ist
als der nach den Absätzen 2 bis 6 der Vorschrift ermittelte
Wert. Der Nachweis kann u.a. durch Vorlage des Gutachtens eines
Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken
geführt werden. Ob das Gutachten den geforderten Nachweis
erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des FA und
ggf. der Gerichte (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
10.11.2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259 = SIS 05 08 28). Der Nachweis ist erbracht, wenn die Behörde und ggf.
das Gericht dem Gutachten ohne Einschaltung bzw. Bestellung
weiterer Sachverständiger folgen kann. Einem
Sachverständigengutachten, das bei Fehlen
bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der
Wertermittlungsverordnung (WertV) vom 6.12.1988 (BGBl I 1988, 2209)
entspricht und plausibel ist, wird regelmäßig zu folgen
sein.
a) Dazu muss das Gutachten zunächst auf
den zutreffenden Bewertungsstichtag abstellen. Dies ist vorliegend
der Tag der Steuerentstehung (§ 9 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes) als Besteuerungszeitpunkt i.S. des §
138 Abs. 1 Satz 2 BewG. Maßgebend sind sowohl die
tatsächlichen Verhältnisse zu diesem Stichtag als auch
die Wertverhältnisse. Letzterem steht § 138 Abs. 1 Satz 2
BewG nicht entgegen, wonach bezüglich der
Wertverhältnisse auf den 1.1.1996 abzustellen ist. Dies ist
jedoch in den nachfolgenden Vorschriften der §§ 140 ff.
BewG bei der Bewertung der einzelnen wirtschaftlichen Einheiten nur
zum Teil umgesetzt worden. So stellt der hier maßgebliche
§ 146 BewG in seinem Kernbereich - nämlich in der
Anknüpfung an den Durchschnitt der in den letzten drei Jahren
vor dem Besteuerungszeitpunkt erzielten Jahresmieten - gerade nicht
auf den 1.1.1996 ab (vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll,
Bewertungsgesetz, Kommentar, Stand Oktober 2007, § 138 Rz 18).
Ist aber bereits der nach § 146 Abs. 2 BewG ermittelte
Grundstückswert nicht an den Wertverhältnissen vom
1.1.1996 ausgerichtet, verfälschte es den vorzunehmenden
Wertvergleich, dies im Rahmen des Abs. 7 der Vorschrift zu tun
(vgl. auch R 177 Abs. 1 Satz 1 der Erbschaftsteuer-Richtlinien
2003, a.A. Christoffel in Gürsching/ Stenger, Bewertungsrecht,
Stand August 2008, § 146 BewG Rz 365).
b) Auch das angewandte
Wertermittlungsverfahren muss für das zu bewertende
Grundstück geeignet sein. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 WertV
sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren,
das Ertragswertverfahren, das Sachwertverfahren oder mehrere dieser
Verfahren heranzuziehen. Das dabei gewonnene Ergebnis ist
gemäß Satz 2 der Vorschrift unter Berücksichtigung
der Lage auf dem Grundstücksmarkt zu überprüfen und
ggf. an diese anzupassen. So hat der Senat für das
Ertragswertverfahren wiederholt darauf hingewiesen, dass die
Renditeerwartungen potentieller Kaufinteressenten nicht das allein
Bestimmende für den Wert eines Grundstücks sind. Vielmehr
muss hinzukommen, dass die Grundstückseigentümer auch
bereit sind, ihre Grundstücke zu einem diesen Erwartungen
entsprechenden Preis zu verkaufen (BFH-Urteile vom 20.10.2004 II R
34/02, BFHE 207, 345, BStBl II 2005, 256 = SIS 05 08 27, unter
II.3.b sowie vom 5.12.2007 II R 70/05, BFH/NV 2008, 757 = SIS 08 17 30, unter II.2.c bb).
Die Bewertungsverfahren sind gemäß
§ 7 Abs. 2 WertV nach der Art des Gegenstandes der
Wertermittlung unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und der sonstigen
Umstände des Einzelfalls zu wählen; die Wahl ist zu
begründen. Werden mehrere Verfahren herangezogen, ist
gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 WertV der Verkehrswert aus
den Ergebnissen der angewendeten Verfahren unter Würdigung
ihrer Aussagefähigkeit zu bemessen.
Hat der Sachverständige zunächst
sowohl einen Ertragswert als auch einen Sachwert ermittelt, dann
aber den Verkehrswert des Grundstücks unter Angabe der
dafür maßgeblichen Gründe ausschließlich nach
dem Ertragswert bemessen, können die Behörde und ggf.
auch die Gerichte zwar diese Gründe überprüfen und
dabei auch zu dem Ergebnis kommen, dass eine Verbindung beider
Bewertungsverfahren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 WertV
vorzuziehen ist; sie müssen dies aber in Auseinandersetzung
mit der Auffassung des Sachverständigen ihrerseits
begründen und können nicht einfach den Mittelwert der im
Ertragswert- und im Sachwertverfahren gefundenen Werte als
Verkehrswert ansehen. Es ist nicht sachgerecht, den Verkehrswert
schematisch durch Mittelung von Ertragswert und Sachwert zu
bestimmen (so Simon/ Kleiber, Schätzung und Ermittlung von
Grundstückswerten, 7. Aufl. 1996, Rz 1.141). Da die
Vorentscheidung auf dieser schematischen Mittelung beruht, war sie
aufzuheben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das von den
Klägern vorgelegte Gutachten genügt den Anforderungen an
den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nicht.
a) Soweit der Sachverständige den
Verkehrswert anhand des Ertragswerts ermittelt hat, hat er dies
allerdings zutreffend begründet. So ist richtig, dass bebaute
Grundstücke für Produktions- und Dienstleistungszwecke
regelmäßig im Ertragswertverfahren sachgerecht bewertet
sind (Simon/Kleiber, a.a.O., Rz 1.133 und 1.134). Es fehlt aber die
Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt wie
§ 7 Abs. 1 Satz 2 WertV sie für alle Bewertungsverfahren
vorsieht (vgl. zur Angleichung des Ertragswerts an den Verkehrswert
Simon/Kleiber, a.a.O., Rz 4.17). Unter „Lage auf dem
Grundstücksmarkt“ ist dabei gemäß §
3 Abs. 3 WertV die Gesamtheit der am Wertermittlungsstichtag
(Besteuerungszeitpunkt) für die Preisbildung von
Grundstücken im gewöhnlichen Geschäftsverkehr
für Angebot und Nachfrage maßgebenden Umstände zu
verstehen. Hervorzuheben ist, dass danach die Maßgeblichkeit
der Umstände nicht nur aus der Sicht der Nachfrager und deren
Ertragserwartungen, sondern auch aus der Sicht der Anbieter zu
beurteilen ist. Dieser letzte Schritt jeder
Grundstücksbewertung - und zwar auch nach der WertV - ist im
Streitfall unterblieben.
b) Zum Liegenschaftszinssatz, der bislang mit
6 v.H. als Hilfswert gemäß Nr. 3.5.4 Abs. 2 Satz 4 der
Wertermittlungs-Richtlinien 2002 vom 20.12.2002 (Bundesanzeiger Nr.
238a) angesetzt worden ist, fehlt die Angabe, ob ein
veröffentlichter Liegenschaftszinssatz nicht vorhanden oder
ein marktüblicher Liegenschaftszinssatz nicht feststellbar
gewesen ist. Weiter ist erklärungsbedürftig, weshalb bei
den Bewirtschaftungskosten an die oberste Grenze des
„entsprechend heutigen Mietverträgen“
Üblichen gegangen worden ist.
c) Schließlich ist auch der Abschlag vom
Bodenwert wegen der Bebauung des Grundstücks nicht ausreichend
begründet. Ein derartiger Abschlag ist nur möglich, wenn
er sich objektivierbar und grundstücksbezogen begründen
lässt, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern auch
hinsichtlich der Höhe. Er wird etwa dann in Betracht kommen,
wenn sich die bau(planungs)rechtlichen Vorgaben für das
Grundstück wegen der vorhandenen Bebauung nicht voll ausnutzen
lassen oder im Bewertungszeitpunkt die nach außen
hervorgetretene Absicht bestand, zur Wiedererlangung der
Entscheidungsfreiheit über die Art der Bebauung bauliche
Veränderungen - z.B. einen Abbruch - vorzunehmen.
3. Die Sache ist an das FG
zurückzuverweisen, um den Klägern die Gelegenheit zu
geben, das Gutachten in den zu II.2. genannten Punkten
nachzubessern. Dazu kann ihnen das FG eine angemessene Frist
setzen. Sollte die Nachbesserung zu II.2.a unterbleiben, wäre
der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nicht geführt.
Sollte die Nachbesserung zu II.2.c misslingen, wäre der
vorgenommene Abschlag zu streichen. Bezüglich der
Bewirtschaftungskosten wäre ggf. an die untere Grenze des
Üblichen zu gehen.