Anteilsbewertung, niedrigerer Preis nach Bewertungsstichtag: 1. Bei der Ableitung des gemeinen Werts aus stichtagsnahen Verkäufen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BewG) ist ein nach dem Bewertungsstichtag geminderter Kaufpreis maßgebend, wenn bereits am Bewertungsstichtag die Voraussetzungen eines Minderungsrechts objektiv vorhanden waren und die Minderung auch später tatsächlich vollzogen worden ist. - 2. § 103 Abs. 2 BewG findet auf die Ermittlung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 (Alt. 1) BewG keine Anwendung. - Urt.; BFH 22.1.2009, II R 43/07; SIS 09 14 82
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin
der G. Grundstücks GmbH (G-GmbH), an deren Stammkapital von
100.000 DM zum Feststellungszeitpunkt 31.12.1994 die Beigeladene zu
1, eine GmbH, mit 99 v.H. und eine weitere GmbH, deren Liquidator
der Beigeladene zu 2 ist, mit 1 v.H. beteiligt waren. Die G-GmbH
beantragte in ihrer Erklärung vom 15.3.1996 zur Feststellung
des gemeinen Werts nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften
auf den 31.12.1994, den gemeinen Wert für 100 DM des
Nennkapitals auf 29.798 DM festzustellen. Diesen Wert hatte sie auf
der Grundlage des Vertrags vom 22.6.1994, mit dem Gesellschafter
der G-GmbH Gesellschaftsanteile im Nennwert von 54.000 DM für
einen Kaufpreis von 16.091.304 DM an die Beigeladene zu 1
veräußert hatten, ermittelt. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) stellte den gemeinen Wert
der Anteile an der Klägerin auf den 31.12.1994
antragsgemäß durch unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO - )
ergangenen Feststellungsbescheid vom 29.3.1996 fest.
Die G-GmbH beantragte im Jahr 1997, den
Feststellungsbescheid dahin zu ändern, dass der gemeine Wert
der Anteile auf 78 DM je 100 DM des Stammkapitals herabgesetzt
wird. Sie verwies zur Begründung auf eine am 5.10.1995
zwischen den Parteien des Kaufvertrags vom 22.6.1994 vereinbarte
Reduzierung des Kaufpreises für die veräußerten
Gesellschaftsanteile um 5.257.074 DM. Da die Beigeladene zu 1
ferner mit dem Kaufvertrag vom 22.6.1994 einen
Gewinnausschüttungsanspruch in Höhe von 10.792.059 DM
erworben und in ihrer Bilanz auf den 31.12.1994 aktiviert habe, sei
der gezahlte Kaufpreis zur Vermeidung einer substanzsteuerlichen
Doppelbesteuerung gemäß § 103 Abs. 2 des
Bewertungsgesetzes (BewG) entsprechend zu vermindern. Diesen
Änderungsantrag lehnte das FA ab.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter
Hinweis auf die gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 (1.
Alternative) BewG zwingende Ableitung des gemeinen Werts aus
Verkäufen ab (vgl. SIS 08 12 78). Aus der Sicht eines
gedachten Erwerbers hätten zum Bewertungsstichtag keine
Erkenntnisse vorgelegen, die einen Abschlag auf den ermittelten
gemeinen Wert hätten rechtfertigen können. § 103
Abs. 2 BewG sei auf eine aus stichtagsnahen Verkäufen
abgeleitete Anteilsbewertung unanwendbar.
Mit der Revision rügt die
Klägerin Verletzung der §§ 11 Abs. 2, 103 Abs. 2
BewG.
Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom
17.11.2003 den Bescheid über die gesonderte und einheitliche
Feststellung des gemeinen Werts ihrer Gesellschaftsanteile auf den
31.12.1994 dahingehend zu ändern, dass der gemeine Wert der
Anteile auf 78 DM für je 100 DM des Nennkapitals herabgesetzt
wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine
Anträge.
II. Die Revision ist begründet. Die
Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Das FG hat zu Unrecht angenommen, bei der Ableitung des gemeinen
Werts nicht notierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft aus
stichtagsnahen Verkäufen gemäß § 11 Abs. 2
Satz 2 (1. Alternative) BewG sei eine nach dem Bewertungsstichtag
vollzogene Kaufpreisminderung nur zu berücksichtigen, wenn der
Erwerber am Bewertungsstichtag Erkenntnisse über die eine
Kaufpreisreduzierung rechtfertigenden Umstände hatte.
1. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind
Anteile an Kapitalgesellschaften mit dem gemeinen Wert anzusetzen.
Nach Satz 2 (1. Alternative) der Vorschrift ist der gemeine Wert in
erster Linie aus Verkaufsfällen abzuleiten, die weniger als
ein Jahr zurückliegen. Die Ermittlung des gemeinen Werts
aufgrund von Verkäufen hat Vorrang vor der Schätzung i.S.
des Satzes 2 2. Alternative (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 23.2.1979 III R 44/77, BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618 = SIS 79 03 12; vom 5.3.1986 II R 232/82, BFHE 146, 460, BStBl II 1986,
591 = SIS 86 13 23; vom 5.2.1992 II R 185/87, BFHE 167, 166, BStBl
II 1993, 266 = SIS 92 09 27). Der Sinn und Zweck des § 11 Abs.
2 Satz 2 BewG besteht darin, dieses Rangverhältnis der beiden
Methoden der Ermittlung des gemeinen Werts im Sinne des Vorrangs
der Ableitung des gemeinen Werts aus der Wertbestätigung am
Markt zu regeln (BFH-Urteil in BFHE 146, 460, BStBl II 1986, 591 =
SIS 86 13 23).
a) Maßgebend ist gemäß §
11 Abs. 2 Satz 2 (1. Alternative) BewG der Preis, der bei einer
Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr
(§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG) tatsächlich erzielt wurde
(BFH-Entscheidungen in BFHE 146, 460, BStBl II 1986, 591 = SIS 86 13 23, und vom 22.8.2002 II B 170/01, BFH/NV 2003, 11 = SIS 03 06 30). Gewöhnlicher Geschäftsverkehr i.S. des § 9 Abs.
2 Satz 1 BewG ist der Handel, der sich nach den
marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage
vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht
aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu
handeln in der Lage ist (BFH-Entscheidungen in BFHE 128, 254, BStBl
II 1979, 618 = SIS 79 03 12, und in BFH/NV 2003, 11 = SIS 03 06 30,
m.w.N.). Der gemeine Wert kann auch aus einem einzigen Verkauf
abgeleitet werden, wenn Gegenstand des Verkaufs nicht nur ein
Zwerganteil ist (BFH-Urteil in BFHE 146, 460, BStBl II 1986, 591 =
SIS 86 13 23). Bei der Ableitung des Werts nicht notierter Anteile
aus Verkäufen müssen grundsätzlich Verkäufe
nach dem Stichtag außer Betracht bleiben (BFH-Urteil vom
30.1.1976 III R 74/74, BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280 = SIS 76 01 47). Eine Ausnahme ist nur für Sachverhalte zuzulassen, bei
denen zwar der eigentliche Vertragsabschluss kurz (d.h. innerhalb
einer nach Wochen zu bemessenden Zeitspanne) nach dem
Bewertungsstichtag stattfand, die Einigung über den Kaufpreis
aber bereits vorher herbeigeführt war (BFH-Entscheidungen vom
2.11.1988 II R 52/85, BFHE 155, 121, BStBl II 1989, 80 = SIS 89 01 15; vom 16.5.2003 II B 50/02, BFH/NV 2003, 1150 = SIS 03 36 82).
b) Da § 11 Abs. 2 Satz 2 (1. Alternative)
BewG die Ermittlung des Werts nicht notierter Anteile an der
Wertbestätigung am Markt ausrichtet, ist bei der Ableitung des
gemeinen Werts aus stichtagsnahen Verkäufen eine nach
Abschluss des Kaufvertrags noch im Jahr vor dem Stichtag
eingetretene, d.h. vollzogene Kaufpreisminderung zu
berücksichtigen. Die Minderung des Kaufpreises führt -
bei Fortbestand des Kaufvertrags mit allen Rechten und Pflichten im
Übrigen - zu einer Herabsetzung des vereinbarten Kaufpreises
auf den Betrag, um den der Mangel den Wert des Kaufgegenstands
mindert (§ 472 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB
- a.F.; § 441 Abs. 1 BGB n.F.). Damit ist erst der geminderte
Kaufpreis derjenige, aus dem eine endgültige
Wertbestätigung am Markt entnommen werden kann.
c) Auch soweit der vereinbarte Kaufpreis nach
dem Bewertungsstichtag gemindert wird, kann der geminderte
Kaufpreis zur Ableitung des gemeinen Werts gemäß §
11 Abs. 2 Satz 2 (1. Alternative) BewG heranzuziehen sein.
Voraussetzung hierfür ist, dass bereits am Bewertungsstichtag
die Voraussetzungen eines Minderungsrechts objektiv vorhanden waren
und die Minderung auch tatsächlich später vollzogen
wurde. Insoweit kann daher - entgegen der Meinung des FG - nicht
auf den Erkenntnisstand des Erwerbers abgestellt werden. Die
Maßgeblichkeit eines am Bewertungsstichtag objektiv
vorhandenen Minderungsgrundes folgt aus der bei der Ermittlung des
gemeinen Werts der Anteile an einer Kapitalgesellschaft gebotenen
Heranziehung objektivierter Wertmaßstäbe (BFH-Urteil vom
14.2.1969 III 88/65, BFHE 95, 334, BStBl II 1969, 395 = SIS 69 02 52). Der Erwerber trägt die Feststellungslast für die das
objektive Vorhandensein eines Minderungsrechts am
Bewertungsstichtag begründenden Tatsachen sowie den
tatsächlichen Vollzug der Minderung. Soweit dieser Nachweis
nicht gelingt, verbleibt es bei der Ableitung des gemeinen Werts
aus dem vereinbarten Kaufpreis.
Da das FG von anderen Grundsätzen
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Das FG hat im zweiten Rechtsgang die
erforderlichen Feststellungen zu treffen, ob für die
Beigeladene zu 1 am Bewertungsstichtag die Voraussetzungen eines
Minderungsrechts objektiv vorhanden waren und die Minderung
später auch tatsächlich vollzogen worden ist. War dies
der Fall, so ist der gemeine Wert der Anteile aus dem geminderten
Kaufpreis abzuleiten. Andernfalls bleibt es für die Ermittlung
des gemeinen Werts bei der Maßgeblichkeit des vereinbarten
Kaufpreises.
b) In keinem Fall kann der (ggf. geminderte)
Kaufpreis bei der Ableitung des gemeinen Werts in Anwendung des
§ 103 Abs. 2 BewG um den Betrag gekürzt werden, den die
Beigeladene zu 1 in ihrer Steuerbilanz auf den 31.12.1994 als
Gewinnausschüttungsanspruch gegen die G-GmbH aktiviert hat.
Regelungsgegenstand des § 103 Abs. 2 BewG ist allein die
Ermittlung des Betriebsvermögens der beherrschten
Gesellschaft. Die von der Klägerin herausgestellte Problematik
einer Doppelbelastung, die sich bei der Ermittlung des
Betriebsvermögens ohne die Regelung des § 103 Abs. 2 BewG
ergäbe, stellt sich auf der Ebene der Ermittlung des gemeinen
Werts der GmbH-Anteile gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2
BewG hingegen nicht. Daher kommt mangels Regelungslücke auch
eine analoge Anwendung des § 103 Abs. 2 BewG nicht in
Betracht. Ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr gebildeter
Kaufpreis für den Kauf von GmbH-Geschäftsanteilen umfasst
auch ein Entgelt dafür, dass der Käufer die Auszahlung
seines Gewinnanteils beanspruchen kann.