Hausanschluss, ermäßigter USt-Satz: Die Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers (Legen eines Hausanschlusses) durch ein Wasserversorgungsunternehmen gegen gesondert berechnetes Entgelt fällt auch dann unter den Begriff "Lieferungen von Wasser" i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG und ist deshalb mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern, wenn die Anschlussleistung nicht an den späteren Wasserbezieher, sondern an einen Bauunternehmer oder Bauträger erbracht wird. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 7.4.2009, IV B 8 - S 7100/07/10024, BStBl 2009 I S. 531 = SIS 09 11 98) - Urt.; BFH 8.10.2008, V R 27/06 ; SIS 09 03 41
I. Streitig ist, ob das Legen von
Hausanschlüssen zur Versorgung mit Wasser durch ein
Wasserversorgungsunternehmen eine Leistung ist, die mit dem
Regelsteuersatz oder mit dem ermäßigten Steuersatz zu
versteuern ist, wenn die Anschlussleistung nicht an den
späteren Wasserbezieher, sondern an einen Bauunternehmer oder
Bauträger erbracht wird.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein kommunales Wasser-
und Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH.
Neben der laufenden Versorgung mit Wasser übernimmt sie auch
das Legen der Hausanschlüsse. Für das Legen der
Hausanschlüsse erhebt die Klägerin
Baukostenzuschüsse und Anschlussbeiträge.
Diese Leistungen (Legen der
Hausanschlüsse) unterwarf die Klägerin in ihren
Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1993 bis 1995
(Streitjahre) als unselbständige Nebenleistungen zu ihren
Wasserlieferungen dem ermäßigten Steuersatz
gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes
1993 (UStG) i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG, ohne danach zu
differenzieren, ob die Hausanschlussleistungen gegenüber
späteren Abnehmern von Wasserlieferungen oder gegenüber
anderen Personen erbracht wurden.
Dabei stützte die Klägerin sich
auf Tz. 92 Satz 1 Nr. 2 des Schreibens des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF) vom 27.12.1983 IV A 1 - S 7220 - 44/83 (BStBl I
1983, 567, 581 = SIS 84 02 28), wonach das Legen und Unterhalten
von Wasserleitungen einschließlich der Hausanschlüsse
als unselbständige Nebenleistung zu Umsätzen von Wasser
anzusehen ist, auch wenn dafür als Entgelt
Wasseranschlussbeiträge erhoben oder Baukostenzuschüsse
gefordert werden.
Im Rahmen einer Außenprüfung
vertrat der Prüfer im Bericht vom 28.11.2000 die Ansicht,
derartige Anschlussleistungen seien dann keine unselbständigen
Nebenleistungen zu steuerbegünstigten Wasserlieferungen, wenn
der Schuldner der Baukostenzuschüsse und
Anschlussbeiträge nicht mit dem Empfänger der
nachfolgenden Wasserlieferung identisch sei. Dies komme
insbesondere bei Bauträgern und Bauunternehmen, aber auch bei
Eigentümern vermieteter Ein- und Zweifamilienhäuser in
Betracht, wenn Wasser unmittelbar an die Mieter geliefert
werde.
Aufgrund von Unterlagen, die die
Klägerin im Rahmen der Außenprüfung vorgelegt
hatte, schätzte der Prüfer den Anteil der
Anschlussleistungen, bei denen Identität zwischen dem
Empfänger der Anschlussleistungen und dem Empfänger der
Wasserlieferungen gegeben war (ermäßigter Steuersatz)
auf 60 % und den Anteil der Anschlussleistungen, bei denen diese
Identität nicht gegeben war (Regelsteuersatz), auf 40 % der
Umsätze. Diese Schätzung wird von der Klägerin der
Höhe nach nicht angegriffen.
Dadurch erhöhte sich die Umsatzsteuer
für 1993 um … DM, für 1994 um … DM und
für 1995 um … DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen
für die Streitjahre durch Bescheide vom 1.8.2001
entsprechend.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg
(vgl. SIS 06 27 83). Das Finanzgericht (FG) führte zur
Begründung u.a. aus:
Bei den zu beurteilenden Entgelten handele
es sich um Baukostenzuschüsse und Anschlussbeiträge, die
solchen Auftraggebern berechnet worden seien, die von der
Klägerin gar kein oder allenfalls sehr geringe Mengen Wasser
bezogen hätten. Es habe sich dabei nahezu ausschließlich
um Bauunternehmen und Bauträger gehandelt.
Die an die Bauunternehmer und
Bauträger erbrachten Anschlussleistungen seien nicht mit dem
ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2
Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG zu versteuern, wonach
ebenso wie nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) i.V.m. Kategorie 2 des Anhangs H
dieser Richtlinie die Lieferung von Wasser dem
ermäßigten Steuersatz unterliege.
Dabei brauche der Senat (des FG) vorliegend
nicht darüber zu befinden, ob der Anschluss an das
öffentliche Wasserversorgungsnetz einschließlich der
Hauswasseranschlüsse in der Regel eine selbständige
umsatzsteuerpflichtige Hauptleistung darstelle oder als
unselbständige Nebenleistung zur Lieferung des Wassers
anzusehen sei. Diese Frage stelle sich nur, wenn der Empfänger
der Anschlussleistungen mit dem Empfänger der
Wasserlieferungen identisch sei. Denn gegenüber verschiedenen
Personen erbrachte Leistungen könnten zueinander generell
nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung stehen
(Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18.7.2002
V R 44/01, BFHE 200, 93, BStBl II 2003, 730 = SIS 03 05 54). Nach
den Ausführungen im Außenprüfungsbericht
beträfen die vorliegend streitigen Entgelte aber Fälle,
in denen die Empfänger der Anschlussleistungen kein Wasser
bezogen hätten.
Die an die Bauunternehmer und
Bauträger erbrachten Anschlussleistungen stellten aber auch
dann keine Nebenleistung zu einer Hauptleistung „Lieferungen
von Wasser“ dar, wenn die Bauunternehmer und Bauträger
geringfügige Wassermengen in Anspruch genommen haben sollten,
wofür das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung sprechen könne. Denn aus der maßgeblichen
Sicht eines Durchschnittsverbrauchers hätten die
Bauunternehmer und Bauträger die fraglichen Anschlüsse
nicht legen lassen, um während der Bauzeit selbst Wasser
beziehen zu können, sondern um ihren Kunden an das
öffentliche Versorgungsnetz angeschlossene Häuser liefern
zu können.
Die gegebenenfalls unterschiedliche
steuerrechtliche Behandlung von Anschlussleistungen, die an
Bauunternehmer und Bauträger erbracht werden, und solchen, die
an die späteren Wasserbezieher erbracht werden, verstoße
nicht gegen den Neutralitätsgrundsatz.
Jedenfalls im vorliegenden Verfahren
könne die Klägerin sich nicht mit Erfolg auf Tz. 92 Satz
1 Nr. 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 1983, 567, 581 = SIS 84 02 28
berufen. Dabei könne dahinstehen, ob diese
Verwaltungsanweisung unter dem (stillschweigenden) Vorbehalt stehe,
dass die jeweiligen Leistungsempfänger identisch sein
müssten. Denn allgemeinen Verwaltungsanweisungen komme auch
unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche
Wirkung zu, wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft für
den Einzelfall. Auch die im BMF-Schreiben vom 4.7.2000 IV D 1 - S
7100 - 81/00 (BStBl I 2000, 1185 = SIS 00 09 91) enthaltene
Übergangsregelung könne allenfalls unter
Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 163, 227 der
Abgabenordnung - AO - ) von Bedeutung sein.
Das Urteil ist in EFG 2006, 938 = SIS 06 27 83 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die
Klägerin Verletzung materiellen Rechts und macht im
Wesentlichen geltend:
Die im BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185
= SIS 00 09 91 behauptete eigenständige Leistung
„Verschaffung der Möglichkeit zum Anschluss an das
Versorgungsnetz“ gebe es nicht. Der BFH habe dem Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Beschluss vom
3.11.2005 V R 61/03 (BFHE 212, 168, BStBl II 2006, 149 = SIS 06 03 68) die Frage vorgelegt, ob das Legen von Hausanschlüssen als
„Lieferungen von Wasser“ im Sinne der Kategorie 2 des
Anhangs H der Richtlinie 77/388/EWG zu betrachten sei. Falls der
EuGH diese Frage bejahen sollte, so sei es nicht mehr von
Bedeutung, wer Empfänger der Anschlussleistung sei. Denn aus
dem EuGH-Urteil vom 8.5.2003 C-384/01, Kommission/Frankreich (Slg.
2003, I-4395, BFH/NV Beilage 2003, 161, UR 2003, 408 = SIS 03 27 14) ergebe sich, dass keine steuerrechtliche Abhängigkeit der
Anschlussleistung von den späteren Wasserlieferungen bestehe.
Dementsprechend könne es auch nicht darauf ankommen, ob
Leistungs- und Lieferungsempfänger identisch seien oder
nicht.
Unabhängig davon hätte das FG der
Klage nach Auffassung der Klägerin schon wegen des durch das
BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 567, 581 = SIS 84 02 28 geschaffenen
Vertrauensschutzes stattgeben müssen.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer um … DM
(1993), … DM (1994) und … DM (1995)
herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
Es tritt dem Vorbringen der Klägerin
entgegen.
II. Die zulässige Revision der
Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der
Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Festsetzung der
Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Die Auffassung des FG, die streitigen
Leistungen seien mit dem Regelsatz zu besteuern, kann nach dem
EuGH-Urteil vom 3.4.2008 Rs. C-442/05, Zweckverband zur
Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien
(BFH/NV Beilage 2008, 212, UR 2008, 432 = SIS 08 20 62) nicht
aufrechterhalten werden.
1. Nach § 12
Abs. 2 Nr. 1 UStG in der in den Streitjahren 1993 bis 1995
geltenden Fassung ermäßigt sich die Steuer auf 7 %
für die Lieferungen, die Einfuhr und den
innergemeinschaftlichen Erwerb der in der Anlage bezeichneten
Gegenstände.
Nr. 34 der Anlage zum UStG (jetzt: Anlage 2
zum UStG) lautet:
|
-
|
Trinkwasser, einschließlich
Quellwasser und Tafelwasser, das in zur Abgabe an den Verbraucher
bestimmten Fertigpackungen in den Verkehr gebracht wird,
|
|
-
|
Heilwasser und
|
|
-
|
Wasserdampf (aus Unterposition 2201
9000)“.
|
2. Die Steuerermäßigung nach §
12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG für die
„Lieferungen von Wasser“ steht im Einklang mit
Art. 12 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie
77/388/EWG, wonach „Lieferungen von Wasser“ mit
einem ermäßigten Satz besteuert werden dürfen.
3. Der EuGH hat in dem Urteil in BFH/NV
Beilage 2008, 212, UR 2008, 432 = SIS 08 20 62 entschieden, dass
Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie
77/388/EWG dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff
„Lieferungen von Wasser“ das Legen eines
Hausanschlusses fällt, das wie im Streitfall in der Verlegung
einer Leitung besteht, die die Verbindung des
Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks
ermöglicht (Leitsatz 2, Satz 1).
a) Zur Begründung hat der EuGH in Rdnr.
40 seines Urteils ausgeführt, da der Hausanschluss, wie sich
aus Rdnr. 34 des Urteils ergebe, für die Wasserversorgung der
Allgemeinheit unentbehrlich sei, falle er unter den Begriff
„Lieferungen von Wasser“ in Anhang H Kategorie 2
der Richtlinie 77/388/EWG. In Rdnr. 34 des Urteils heißt es,
es stehe fest, dass ohne den Hausanschluss dem Eigentümer oder
Bewohner des Grundstücks kein Wasser bereitgestellt werden
könnte; der Anschluss sei also für die
Wasserbereitstellung unentbehrlich.
b) Der EuGH verwendet somit zur
Begründung seiner Entscheidung nicht Begriffe wie
„Hauptleistung“ oder
„unselbständige Nebenleistung“, sondern
subsumiert das Legen des Hausanschlusses unter den Begriff
„Lieferungen von Wasser“ (vgl. auch Wagner, UVR
2008, 189 f.).
c) Da der nationale Gesetzgeber in § 12
Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG ebenfalls den
Begriff „Lieferungen von Wasser“ verwendet und
dieser Begriff gemeinschaftsrechtlich ausgelegt werden muss,
fällt das Legen eines Hausanschlusses somit unter den Begriff
„Lieferungen von Wasser“ im Sinne dieser
Vorschrift, so dass auf diese Leistung der ermäßigte
Steuersatz anzuwenden ist (zutreffend Tehler,
EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38).
Auf die vom FG für maßgebend
erachteten Voraussetzungen einer Nebenleistung - insbesondere die
Identität des Empfängers der Hauptleistung und der
(fraglichen) Nebenleistung - kommt es nach dem EuGH-Urteil nicht
an. Vielmehr fällt danach das Legen von Hausanschlüssen
(ohne weiteres) unter den Begriff „Lieferungen von
Wasser“ i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr.
34 der Anlage zum UStG.
Deshalb ist unerheblich, ob die
Voraussetzungen zur Annahme einer Nebenleistung vorliegen,
insbesondere, ob der Empfänger des Hausanschlusses identisch
ist mit dem Empfänger der Wasserlieferungen (vgl. Tehler,
EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38).
d) Allerdings hat der EuGH in dem Urteil in
BFH/NV Beilage 2008, 212, UR 2008, 432 = SIS 08 20 62 ferner
entschieden, die Mitgliedstaaten könnten konkrete und
spezifische Aspekte der „Lieferungen von Wasser“
- wie das im Streitfall fragliche Legen eines Hausanschlusses - mit
einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen,
vorausgesetzt, sie beachteten den Grundsatz der steuerlichen
Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde
liege (Leitsatz 2, Satz 2).
Diese Ausführungen rechtfertigen aber
keine andere Entscheidung des vorliegenden Streitfalls. Denn ein
Ausschluss des Legens eines Hausanschlusses durch „die
Mitgliedstaaten“ von der für Wasserlieferungen
geltenden Steuerermäßigung (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und
Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, § 12 Abs. 2
Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG) kann nur aufgrund
einer gesetzlichen Regelung geschehen (zutreffend Tehler,
EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38, 39). Diese fehlt.
Zur Begründung verweist der Senat auf
sein Urteil vom 8.10.2008 V R 61/03 = SIS 08 41 75
(Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil in UR 2008, 432, BFH/NV
Beilage 2008, 212 = SIS 08 20 62).