Grundbesitzwert, Bindungswirkung bestandskräftigen Feststellungsbescheids, Verjährung: 1. Ist ein Feststellungsbescheid nach Ablauf der für ihn geltenden Feststellungsfrist ohne den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO ergangen und bestandskräftig geworden, entfaltet der (rechtswidrige) Bescheid im Rahmen seiner Bestandskraft uneingeschränkte Bindungswirkung. - 2. War nach der freigebigen Zuwendung von Grundbesitz eine Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 138 BewG zunächst unterblieben und wird die Feststellung zum Zwecke der Zusammenrechnung des Werts dieses Erwerbs mit einem späteren Erwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG erforderlich, beginnt keine neue Feststellungsfrist. - Urt.; BFH 25.11.2008, II R 11/07; SIS 09 03 38
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres am 23.3.2003
verstorbenen Ehemannes (S). Dieser hatte von seiner Mutter (M) am
11.7.1996 ein Erbbaurecht geschenkt erhalten. Der Aufforderung zur
Abgabe einer Schenkungsteuererklärung durch den Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) war S 1998 nachgekommen.
Mit Bescheid vom 23.8.2000 hatte das FA die Schenkungsteuer auf 0
DM festgesetzt, ohne eine Bedarfswertfeststellung angefordert zu
haben.
Im Zuge der Bearbeitung des Erbfalls nach
der am 1.11.2000 verstorbenen M forderte das FA beim Lagefinanzamt
(FA-R) die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den
11.7.1996 an. Mit Bescheid vom 11.12.2002 stellte das FA-R den
Grundstückswert für das Erbbaurecht auf diesen Stichtag
„für Zwecke der Erbschaftsteuer“ in Höhe von
2.319.000 DM fest und gab dabei die Steuernummer an, unter der die
Schenkungsteuersache beim FA geführt wurde. Der Bescheid ist
bestandskräftig.
Aufgrund dieses Bescheids änderte das
FA den Schenkungsteuerbescheid vom 23.8.2000 gemäß
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und setzte
durch Bescheid vom 25.9.2003 gegen die Klägerin als
Gesamtrechtsnachfolgerin des S Schenkungsteuer in Höhe von
364.610 DM = 186.422,13 EUR fest.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Einspruch erhobenen Klage mit der Begründung
statt, der Feststellungsbescheid vom 11.12.2002 entfalte deswegen
keine Bindungswirkung für die Änderung des
Schenkungsteuerbescheids vom 23.8.2000, weil er ausdrücklich
für Zwecke der Erbschaftsteuer erlassen worden sei und deshalb
der Festsetzung von Schenkungsteuer nicht zugrunde gelegt werden
könne. Außerdem sei bei Erlass des
Änderungsbescheids im Jahr 2003 die Festsetzungsfrist
abgelaufen gewese (vgl. SIS 06 39 51)n.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung von § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG), § 138 Abs. 5 des
Bewertungsgesetzes in der für 1996 geltenden Fassung (BewG)
und von § 182 Abs. 1 AO.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet; sie war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat den angefochtenen
Schenkungsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung zu Recht
aufgehoben.
1. Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid
ist rechtswidrig. Für seinen Erlass gab es keine
Rechtsgrundlage. Er konnte weder auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO noch auf eine andere Änderungsvorschrift gestützt
werden. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein
Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit
ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung
für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder
geändert wird. Der Feststellungsbescheid vom 11.12.2002 stellt
keinen solchen Grundlagenbescheid für die Schenkungsteuer dar.
Der Bindungswirkung dieses Bescheids steht zwar seine
Rechtswidrigkeit nicht entgegen. Er kann aber nicht dahingehend
ausgelegt werden, dass er Bindungswirkung auch für die
Schenkungsteuer entfalten sollte.
a) Der Feststellungsbescheid vom 11.12.2002
ist rechtswidrig, da er nach Ablauf der für die Feststellung
des Grundstückswerts geltenden Feststellungsfrist ergangen ist
und den deshalb nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO erforderlichen
Hinweis nicht enthält, aber dennoch nach Maßgabe seines
bestandskräftig gewordenen Inhalts bindend ist.
aa) Für die gesonderte Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen gelten nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO
sinngemäß auch die Vorschriften über die
Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO). Die
Feststellungsfrist ist unabhängig von der Festsetzungsfrist
für die Folgesteuer(n) zu ermitteln (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27.4.1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392,
BStBl II 1994, 3 = SIS 93 24 20).
Gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG
gelten für die Feststellung von Grundbesitzwerten die
Vorschriften der AO über die Feststellung von Einheitswerten
des Grundbesitzes sinngemäß. Die Frist für die
gesonderte Feststellung von Einheitswerten des Grundbesitzes
beginnt nach § 181 Abs. 3 Satz 1 AO mit Ablauf des
Kalenderjahrs, auf dessen Beginn die Hauptfeststellung, die
Fortschreibung, die Nachfeststellung oder die Aufhebung eines
Einheitswerts vorzunehmen ist. Die Feststellungsfrist für die
Feststellung eines Grundbesitzwerts nach § 138 BewG beginnt
somit mit Ablauf des Kalenderjahrs, in das der Bewertungsstichtag
fällt. Auf den Beginn der Festsetzungsfrist für die
Folgesteuer(n) kommt es nicht an.
Hat das Lagefinanzamt nach § 138 Abs. 6
BewG eine Feststellungserklärung angefordert, führt dies
nach Maßgabe des § 181 Abs. 3 Satz 2 AO zu einer
Anlaufhemmung der Feststellungsfrist. Die Anforderung einer
Schenkungsteuer- oder Erbschaftsteuererklärung durch das
für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzamt bewirkt
demgegenüber keine Anlaufhemmung der Feststellungsfrist, und
zwar wegen der fehlenden Zuständigkeit für die
Feststellung auch dann nicht, wenn es zugleich Wertangaben zu dem
zu bewertenden Grundbesitz erbeten hat.
Keine neue Feststellungsfrist beginnt, wenn
nach der freigebigen Zuwendung von Grundbesitz eine Feststellung
des Grundbesitzwerts nach § 138 BewG zunächst
unterblieben war und die Feststellung auf den ursprünglichen
Bewertungsstichtag zum Zwecke der Zusammenrechnung des Werts dieses
Erwerbs mit einem späteren Erwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 1
ErbStG erforderlich wird. Wie bereits ausgeführt, kommt es
für den Beginn der Feststellungsfrist nicht auf den Beginn der
Festsetzungsfrist für die Folgesteuer(n) an. Ist die
Feststellungsfrist in solchen Fällen bereits abgelaufen,
ermöglicht § 181 Abs. 5 Satz 1 AO die Feststellung des
Grundbesitzwerts, solange die Festsetzungsfrist für die
Besteuerung des Letzterwerbs noch nicht abgelaufen ist (vgl.
Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 153 Rz 26;
Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 138 BewG Rz 92 f.;
R 124 Abs. 7 Satz 4 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003).
Allerdings ist dann der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO
erforderlich.
Der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO
hat nicht bloße Begründungsfunktion, sondern
Regelungscharakter, weil mit ihm der zeitliche Geltungsbereich der
getroffenen Regelung abweichend von § 182 Abs. 1 AO bestimmt
und dadurch rechtsgestaltend auf das Steuerrechtsverhältnis
eingewirkt wird (BFH-Urteile vom 18.3.1998 II R 45/96, BFHE 185,
348, BStBl II 1998, 426 = SIS 98 15 65, und vom 12.7.2005 II R
10/04, BFH/NV 2006, 228 = SIS 06 07 25, je m.w.N.). Fehlt der
Hinweis, ist der Feststellungsbescheid rechtswidrig (BFH-Urteile
vom 17.8.1989 IX R 76/88, BFHE 159, 398, BStBl II 1990, 411 = SIS 90 12 45, und vom 14.6.2007 XI R 37/05, BFH/NV 2007, 2227 = SIS 08 00 61, je m.w.N.), aber nicht nichtig. Wird der Bescheid nicht
angefochten, entfaltet er Bindungswirkung im Rahmen seiner
Bestandskraft (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 228 = SIS 06 07 25;
BFH-Beschluss vom 7.6.2006 II B 129/05, BFH/NV 2006, 1616 = SIS 06 33 84, je m.w.N.). Es bleibt dann bei der zeitlich
uneingeschränkten Bindungswirkung des Feststellungsbescheids
gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO. Der Hinweis ist nicht
Voraussetzung dafür, dass dem Feststellungsbescheid bindende
Wirkung zukommt.
bb) Der Bescheid vom 11.12.2002 ist danach
rechtswidrig, da bei seinem Erlass die Feststellungsfrist bereits
abgelaufen war und der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO
fehlt.
Die Feststellungsfrist begann gemäß
§ 138 Abs. 5 Satz 3 BewG i.V.m. § 181 Abs. 3 Satz 1 AO
mit Ablauf des Jahres 1996, an dessen 11. Juli die freigebige
Zuwendung ausgeführt wurde und die Schenkungsteuer
demgemäß mit der Folge entstand (§ 9 Abs. 1 Nr. 2
ErbStG), dass die Grundstücksbewertung auf diesen Stichtag
vorzunehmen war (§§ 11, 12 Abs. 3 ErbStG). Der Anlauf der
Feststellungsfrist war nicht nach § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG
i.V.m. § 181 Abs. 3 Satz 2 AO gehemmt. Das FA-R hat
nämlich von der Möglichkeit, eine
Feststellungserklärung anzufordern (§ 138 Abs. 6 BewG),
keinen Gebrauch gemacht. Dass das FA eine
Schenkungsteuererklärung und dabei auch Wertangaben zu dem
Erbbaurecht angefordert hatte, spielt keine Rolle, da es für
die Feststellung des Grundstückswerts und somit auch für
die Anforderung der Feststellungserklärung nicht
zuständig war.
cc) Die Rechtswidrigkeit des
Feststellungsbescheids steht seiner zeitlich uneingeschränkten
Bindungswirkung nach Maßgabe seines bestandskräftig
gewordenen Inhalts nicht entgegen.
b) Der Bescheid vom 11.12.2002 kann aber nicht
dahingehend ausgelegt werden, dass er Bindungswirkung nicht nur
für die Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Erbfall
M, sondern darüber hinaus auch für die Schenkungsteuer
entfalten soll.
aa) Ein Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt
wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2
AO). Hierbei ist der Regelungsinhalt im Wege der Auslegung zu
ermitteln und § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
als eine auch für öffentlich-rechtliche
Willensbekundungen geltende Auslegungsregel zu berücksichtigen
(vgl. BFH-Urteile vom 15.11.2005 VII R 55/04, BFHE 212, 297 = SIS 06 06 77; vom 30.11.1999 IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678 = SIS 00 55 05; vom 16.2.1990 VI R 40/86, BFHE 160, 120, BStBl II 1990, 565 =
SIS 90 14 58, jeweils m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, was
die Finanzbehörde mit ihrer Erklärung gewollt hat.
Entscheidend ist nach ständiger Rechtsprechung (z.B.
BFH-Urteile in BFHE 212, 297 = SIS 06 06 77; vom 27.11.1996 X R
20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791 = SIS 97 14 63, m.w.N.)
vielmehr, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen
den materiellen Gehalt der Erklärung unter
Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Dabei
gehen Unklarheiten zulasten der Behörde (BFH-Urteil vom
28.11.1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293 = SIS 86 06 48); im Zweifel ist das den Steuerpflichtigen weniger belastende
Auslegungsergebnis vorzuziehen (BFH-Beschlüsse vom 28.6.2005 X
R 54/04, BFH/NV 2005, 1749 = SIS 05 40 14; vom 25.8.1981 VII B
3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34 = SIS 82 04 43).
Die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt
hat, ist vom BFH als Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit
zu beantworten (BFH-Urteil vom 24.3.1998 I R 83/97, BFHE 186, 67,
BStBl II 1998, 601 = SIS 98 19 88, m.w.N.).
bb) Dem Bescheid vom 11.12.2002 lässt
sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen, dass dem
für das Erbbaurecht auf den 11.7.1996 festgestellten
Grundstückswert entgegen dem in dem Bescheid angegebenen
Verwendungszweck Bindungswirkung nicht nur für Zwecke der
Erbschaftsteuer, nämlich die Festsetzung der Erbschaftsteuer
im Erbfall M, bei der dieser Grundstückswert im Rahmen der
Zusammenrechnung des Erwerbs von Todes wegen mit Vorerwerben
gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG anzusetzen ist,
sondern auch für die Schenkungsteuer zukommen soll.
Aus der Angabe der Steuernummer, unter der die
Schenkungsteuersache beim FA geführt wurde, lässt sich
nicht ausreichend klar entnehmen, dass die Feststellung auch das
erneute Aufrollen der bereits durch einen bestandskräftigen
Schenkungsteuerbescheid abgeschlossenen Steuerfestsetzung für
die freigebige Zuwendung des Erbbaurechts ermöglichen sollte;
denn diese Zuwendung ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG als
Vorerwerb bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer im Erbfall M zu
berücksichtigen, und zwar mit ihrem früheren Wert, also
dem Wert zum 11.7.1996. Die Angabe der o.g. Steuernummer kann auch
in diesem Zusammenhang gesehen werden.
Diese Unklarheiten gehen zulasten des FA.