Lohnsteuerbescheinigung, spätere Änderung der LSt: Eine Änderung der Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld (§§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) ist unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO auch nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung (§ 41 c Abs. 3 EStG) zulässig. - Urt.; BFH 30.10.2008, VI R 10/05; SIS 09 00 50
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) - eine GmbH - ist durch Umfirmierung aus der ...
(A) hervorgegangen.
Am 27.9.1999 übernahm A die Zahlung
einer Geldauflage in Höhe von 1,296 Mio. DM, die nach §
153a der Strafprozessordnung (StPO) gegen ihren
nichtselbständig tätigen Prokuristen (P) festgesetzt
worden war. Diesen Umstand teilte A dem zu jener Zeit
zuständigen Finanzamt (FA) mit Schreiben vom 28.9.1999 mit.
Als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelte A den Zahlbetrag in
ihrer Lohnsteuer-Anmeldung für September 1999 jedoch nicht.
Zur Begründung gab A bei Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung an,
dass es sich nicht um Arbeitslohn, sondern um Abwehrkosten handele,
die im überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse aufgewendet
worden seien. Das FA hingegen sah den Zahlbetrag als Arbeitslohn an
und forderte A auf, die Versteuerung unverzüglich nachzuholen
und die Abgabe einer berichtigten Lohnsteuer-Anmeldung zu
veranlassen. Nachdem A dieser Aufforderung nicht nachgekommen war,
setzte das FA mit Bescheid vom 21.12.1999 die Lohnsteuer für
September 1999 fest; es erhöhte die angemeldete Lohnsteuer um
25 % der übernommenen Geldauflage auf 542.417 DM. Der
Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Mit Bescheid vom
10.1.2000 wurde die Lohnsteuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2
der Abgabenordnung (AO) wegen eines Eingabefehlers berichtigt. Der
Vorbehalt der Nachprüfung blieb weiterhin bestehen. Am
24.1.2000 legte A gegen den Bescheid vom 10.1.2000 Einspruch ein.
Am 3.5.2000 begann bei A eine Lohnsteuer-Außenprüfung.
Der Prüfer bezog den strittigen Sachverhalt nicht in den
Prüfungsbericht ein, sondern teilte der Rechtsbehelfsstelle
des FA mit, dass der Bescheid vom 10.1.2000 fehlerhaft sei. Die
angemeldete Lohnsteuer von 218.418 DM sei um 686.880 DM für
den Arbeitnehmer P zu erhöhen. Der Kontrollmitteilung waren
eine Lohnsteuerberechnung und eine Gehaltsabrechnung für P
beigefügt. Mit nach § 164 Abs. 2 AO geändertem
Bescheid vom 11.4.2001 setzte das FA die Lohnsteuer für
September 1999 auf 905.298 DM fest. Mit Einspruchsentscheidung vom
2.1.2002 wies das zwischenzeitlich zuständig gewordene FA -
der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) - den Einspruch
der mittlerweile umfirmierten Klägerin als unbegründet
zurück.
Die Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) hob den Bescheid vom 11.4.2001 mit den in EFG
2005, 756 = SIS 05 14 94 veröffentlichten Gründen auf; im
Übrigen wies es die Klage ab. Das FG war der Auffassung, dass
dem aufgehobenen Änderungsbescheid die Vorschrift des §
41c Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entgegenstehe. Nach
dieser Vorschrift sei eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nur
bis zur Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig.
Nach diesem Zeitpunkt fehle es an einer Entrichtungsschuld des
Arbeitgebers. Für bisher weder angemeldete noch festgesetzte
Lohnsteuer könne der Arbeitgeber nicht mehr nach den
§§ 167, 168 AO in Anspruch genommen werden.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte
die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, das FG-Urteil aufzuheben,
soweit es den Erlass des Lohnsteueränderungsbescheids vom
11.4.2001 im Hinblick auf § 41c Abs. 3 EStG für
unzulässig erachtet, und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des Beklagten ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung in
dem angefochtenen Umfang und zur Abweisung der Klage (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
zu Unrecht den Änderungsbescheid vom 11.4.2001 unter Berufung
auf die Vorschrift des § 41c Abs. 3 EStG aufgehoben.
1. Die Fragen, ob die Übernahme der
Zahlung einer nach § 153a StPO gegen den Arbeitnehmer
verhängten Geldauflage im Streitfall zu Arbeitslohn
geführt hat und ob die Inanspruchnahme der Klägerin zu
Recht im Wege der Steuerfestsetzung nach den §§ 155, 167
Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfolgt
ist, bedürfen keiner Entscheidung, nachdem die Klägerin
das - insoweit klageabweisende - vorinstanzliche Urteil nicht
angefochten hat. Deshalb braucht der erkennende Senat im Streitfall
auch nicht dazu Stellung zu nehmen, ob Äußerungen in der
Literatur (vgl. Drüen, DB 2005, 299; Heuermann, Steuer und
Wirtschaft 2006, 332, jeweils m.w.N.; derselbe in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 167 AO Rz 9 f.) zur
bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu den
Voraussetzungen einer Steuerfestsetzung nach § 167 Abs. 1 Satz
1 AO (vgl. BFH-Urteile vom 13.9.2000 I R 61/99, BFHE 193, 286,
BStBl II 2001, 67 = SIS 01 02 45, und vom 7.7.2004 VI R 171/00,
BFHE 206, 562, BStBl II 2004, 1087 = SIS 04 37 80, und VI R 168/01,
BFH/NV 2005, 357 = SIS 05 12 47) dazu Anlass geben könnten,
ähnliche Ermessenserwägungen wie bei der Inanspruchnahme
des Arbeitgebers durch Lohnsteuer-Haftungsbescheid nach § 42d
EStG auch bei einer auf § 167 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten
Festsetzung der vom Arbeitgeber nach § 41a Abs. 1 EStG
anzumeldenden und abzuführenden Lohnsteuer - der sog.
(eigenen) Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers (vgl. z.B.
Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), Grundfragen des Lohnsteuerrechts,
Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft, Köln 1986, 377, 387;
Schmidt/Drenseck, EStG, 27. Aufl., § 41a Rz 6, m.w.N.; zum
Begriff auch z.B. BFH-Urteil in BFHE 193, 286, BStBl II 2001, 67 =
SIS 01 02 45, unter II.3.b) - zu fordern. Offen bleiben kann
insoweit auch, ob dem entgegenstünde, dass der Gesetzgeber
ausweislich der Gesetzesmaterialien zum Steuerreformgesetz 1990
(BTDrucks 11/2157, 194) die beiden Möglichkeiten, den
Steuerpflichtigen im Wege einer Steuerfestsetzung nach § 167
AO oder durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen,
selbständig nebeneinanderstellen wollte, um so auch die
Anwendung der Änderungsvorschrift des § 164 AO zu
eröffnen.
2. Ob nach Abgabe einer Lohnsteuer-Anmeldung
durch den Arbeitgeber deren Änderung im Wege einer
Steuerfestsetzung nach den §§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 AO
zulässig ist, richtet sich nach den allgemeinen
Korrekturvorschriften. Eine solche Änderung ist insbesondere
zulässig, solange noch ein Vorbehalt der Nachprüfung
(§ 164 AO) besteht. Nach § 168 Satz 1 AO steht
nämlich die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter
Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden unmittelbar an
die Steuererklärung die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung
geknüpft. Solange der Vorbehalt der Nachprüfung besteht,
kann die Steuerfestsetzung gemäß § 164 Abs. 2 Satz
1 AO jederzeit aufgehoben oder geändert werden (vgl. auch z.B.
Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 41a Rz 3). Unter diesen
Voraussetzungen kann das FA auch die Festsetzung einer abweichenden
Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers in einer Summe und ohne
die Zuordnung zu bestimmten Sachverhalten vornehmen. Bei
Änderung einer auf § 167 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten
Festsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO wird dann der gesamte
Sollbetrag der nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vom
Arbeitgeber einzubehaltenden Lohnsteuer festgesetzt. Dies
schließt indes nicht aus, dass die von der
Lohnsteuer-Anmeldung abweichende Festsetzung auf neue
tatsächliche Erkenntnisse oder eine andere Rechtsauffassung
des FA gestützt wird.
3. Eine (geänderte) Festsetzung nach den
genannten Vorschriften ist ungeachtet der sich aus § 41c Abs.
3 EStG ergebenden Rechtsfolgen möglich. Zwar ist
gemäß § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG die Änderung
des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder
Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig. Nach der
Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer
eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen,
denn diese ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so
wie er tatsächlich stattgefunden hat (vgl. BFH-Urteil vom
13.12.2007 VI R 57/04, BFHE 220, 124, BStBl II 2008, 434 = SIS 08 14 84, m.w.N.). Indes ist der tatsächliche Lohnsteuerabzug im
Zusammenhang mit einer Lohnsteuer-Anmeldung oder einem an deren
Stelle tretenden Festsetzungsbescheid nicht von Bedeutung. Bei der
darin festgesetzten, mit der Zahlung des Arbeitslohns entstehenden
Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers handelt es sich
nämlich um einen gesetzlich bestimmten
„Sollbetrag“ (vgl. z.B. Blümich/Heuermann,
§ 41a EStG Rz 20, m.w.N.; Thomas, DStR 1992, 837, 839) und
nicht um einen durch den tatsächlichen Lohnsteuerabzug
bestimmten „Istbetrag“.
4. Selbst wenn man - was der Senat (wie
bereits erwähnt) im Streitfall offen lassen kann - davon
ausginge, dass es sich bei der Inanspruchnahme nach den
§§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 AO in materiell-rechtlicher
Hinsicht nicht nur um die Geltendmachung der durch § 41a Abs.
1 Satz 1 EStG bestimmten Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers
handelt, sondern um die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 193, 286, BStBl II 2001, 67 = SIS 01 02 45, unter II.3.c), stünde § 41c Abs. 3 EStG einer
Steuerfestsetzung nach den genannten Vorschriften nicht entgegen.
Denn nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber u.a.
auch für die Lohnsteuer, die er nach den gesetzlichen
Vorschriften einzubehalten und abzuführen hat. Deshalb kommt
es auch insoweit nicht darauf an, wie der Lohnsteuerabzug
tatsächlich durchgeführt worden ist.
5. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat zu Unrecht angenommen,
dass dem Bescheid vom 11.4.2001 die Vorschrift des § 41c Abs.
3 EStG entgegenstehe.
Die Sache ist spruchreif. Der dem
Änderungsbescheid zugrunde liegende Sachverhalt ist nach den
Feststellungen des FG zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Danach bestand bei Erlass des streitigen Bescheids der Vorbehalt
der Nachprüfung - ungeachtet der nach dem Einspruch der
Klägerin bestehenden Möglichkeit der Verböserung
nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO - weiter fort. Deshalb war der
Beklagte nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO befugt, den
Änderungsbescheid vom 11.4.2001 zu erlassen. Unter Beachtung
der vorstehenden Rechtsgrundsätze hat der Beklagte in seinem
Bescheid vom 11.4.2001 die gesamte Entrichtungssteuerschuld der
Klägerin auch zutreffend bemessen.