Standardsoftware, Produktion im Ausland, Verlust aus Anteilsveräußerung: Auf einem Datenträger verkörperte Standardsoftware ist "Ware" i.S. des § 2 a Abs. 2 EStG. - Urt.; BFH 28.10.2008, IX R 22/08; SIS 08 44 60
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) erwarb im Jahr 2000 mehr als 9 % der Anteile an einer
in den USA ansässigen Kapitalgesellschaft, die bezweckte, eine
Internet-Infrastruktursoftware (Reality Server) zur Nutzung und
Ansicht von 3-D-Darstellungen zu entwickeln und zu vertreiben. Die
Anschaffungskosten betrugen insgesamt 318.097,68 EUR. Der
Kläger veräußerte die Anteile im Dezember des
Streitjahres (2002) für 28.820,08 EUR und machte den
Veräußerungsverlust, der unter Berücksichtigung des
Halbeinkünfteverfahrens 144.638 EUR betrug, in seiner
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr geltend. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) erkannte
diesen Verlust nach einer Außenprüfung im Hinblick auf
§ 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes i.d.F.
des Streitjahres (EStG) nicht mehr an.
Mit seinem Einspruch machte der Kläger
geltend, es handele sich um Verluste gemäß § 2a
Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 EStG, die keiner
Abzugsbeschränkung unterlägen. Zweck der in den USA
gewerblich tätigen Gesellschaft sei es gewesen,
Standardsoftware und damit eine „Ware“ i.S. des §
2a Abs. 2 Satz 1 EStG herzustellen und zu vertreiben. Der Einspruch
blieb ohne Erfolg. Die Klage war hingegen erfolgreich; das
Finanzgericht (FG) setzte die Einkommensteuer für das
Streitjahr unter Ansatz eines Verlustes in Höhe von 144.638
EUR fest. Zur Begründung führte es in seinem in EFG 2008,
1020 = SIS 08 19 29 veröffentlichten Urteil aus, § 2a
Abs. 2 Satz 2 EStG sei im Streitfall anwendbar, denn es handele
sich bei der Software, welche die amerikanische Gesellschaft
geplant habe und von der deutschen Erwerberin mittlerweile
produziert werde, um eine Ware. Standardsoftware sei als bewegliche
Sache anzusehen. Das FG habe sich davon überzeugt, dass
tatsächlich eine Standardsoftware habe entwickelt und
hergestellt werden sollen. Das Programm richte sich an eine
Vielzahl von Nutzern. Zwar erfordere der Zugriff auf den Reality
Server keine Installation des Programms auf dem Computer des
Endnutzers; das Programm werde vielmehr durch die Server der
Anbieter zur Verfügung gestellt.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
die es auf Verletzung von § 2a Abs. 2 Satz 2 EStG stützt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
zur Investitionszulage sei Standardsoftware als immaterielles
Wirtschaftsgut anzusehen, so dass es an einer Ware i.S. des §
2a Abs. 2 Satz 1 EStG, die nur bewegliche Sachen umfasse, fehle.
Überdies verstoße die Vorentscheidung auch insoweit
gegen Bundesrecht, als sie auf der positiven Annahme des Nachweises
der Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 2 EStG beruhe. Der
Steuerpflichtige müsse nachweisen, dass die ausländische
Gesellschaft die Herstellung oder Lieferung von Waren zum
Gegenstand gemacht habe. Hier indes liege ein Vertrieb vor, der
vergleichbar sei mit der „OEM“-Version und zur Folge
habe, dass das entwickelte Programm Dritten als Lizenzrecht zur
Nutzung überlassen werde.
Das FA beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG die Verluste aus der
Anteilsveräußerung berücksichtigt.
1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG
gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der
Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer
Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der
letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar
oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Anteile an einer
Kapitalgesellschaft sind nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG z.B.
Aktien oder ähnliche Beteiligungen. Diese Voraussetzungen
erfüllte der Kläger, indem er seine Anteile an der in den
USA ansässigen Kapitalgesellschaft mit Verlust verkaufte.
Hiervon gehen das FG und die Beteiligten übereinstimmend
aus.
2. § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG
steht dem Verlustabzug nicht entgegen. Danach ist ein
Veräußerungsverlust nicht zu berücksichtigen,
soweit er auf Anteile entfällt, die entgeltlich erworben
worden sind und nicht innerhalb der gesamten letzten fünf
Jahre zu einer Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von Abs. 1
Satz 1 gehört haben. Indes gehörte die vom Kläger im
Jahr 2000 erworbene Beteiligung von über 9 % stets zu einer
Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, nämlich zu
einer solchen von mindestens 1 %. Dabei kommt es nicht darauf an,
dass nach dem Einkommensteuergesetz für 2000 eine wesentliche
Beteiligung von mindestens 10 % bestanden haben musste und der
Kläger diesen Beteiligungsumfang möglicherweise nicht
erreichte. Denn nach der hier maßgebenden Gesetzesfassung
durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001
(BGBl 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) verweist § 17 Abs. 2 Satz
4 Buchst. b EStG auf die „Beteiligung im Sinne von Abs. 1
Satz 1“ und setzt anders als die früheren Fassungen
des Gesetzes keine wesentliche Beteiligung innerhalb der gesamten
letzten fünf Jahre voraus. War diese Voraussetzung zuvor
veranlagungszeitraumbezogen auszulegen (BFH-Urteil vom 29.5.2008 IX
R 62/05, BStBl II 2008, 856 = SIS 08 31 48), so kommt es nach der
gegenwärtigen Fassung auf eine veranlagungszeitraumbezogene
Auslegung nicht mehr an: Es genügt vielmehr, wenn die
Beteiligung - wie hier - innerhalb der gesamten letzten fünf
Jahre zu einer Beteiligung gehört hat, die mindestens 1 %
betrug (vgl. eingehend dazu auch Blümich/Ebling, § 17
EStG Rz 241e, m.w.N.).
3. Auch § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG
steht dem Verlustabzug nicht entgegen. Danach dürfen in den
Fällen des § 17 EStG bei einem Anteil an einer
Kapitalgesellschaft, die weder ihre Geschäftsleitung noch
ihren Sitz im Inland hat, negative Einkünfte zwar nur mit
positiven Einkünften der jeweils selben Art aus demselben
Staat ausgeglichen werden. Dies gilt indes nicht, wenn der
Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus
einer gewerblichen Betriebsstätte der Körperschaft im
Ausland stammen, die ausschließlich oder fast
ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren zum
Gegenstand hat (§ 2a Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG).
Das FG hat diese Voraussetzungen im Streitfall
zutreffend bejaht. Denn bei der von der Kapitalgesellschaft
entwickelten Standardsoftware handelt es sich um eine
„Ware“ im Sinne dieser Vorschrift.
a) Waren i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG
sind entsprechend der früheren handelsrechtlichen Definition
in § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Handelsgesetzbuches a.F. jedenfalls
körperliche Gegenstände (§ 90 des Bürgerlichen
Gesetzbuches; so BFH-Urteil vom 18.7.2001 I R 70/00, BFHE 196, 248,
BStBl II 2003, 48 = SIS 02 03 33, und die h.M. im Schrifttum, vgl.
Mössner, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 2a
Rz C 9; Probst in Herrmann/Heuer/ Raupach - HHR -, § 2a EStG
Rz 166; Gosch in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 2a Rz 62; zum
Handelsrecht s. Karsten Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl., § 31
III. 1. c, m.w.N.).
b) Darunter fällt nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch die auf einem
Datenträger verkörperte Standardsoftware (vgl. z.B.
BGH-Urteile vom 15.11.2006 XII ZR 120/04, NJW 2007, 2394, und vom
22.12.1999 VIII ZR 299/98, BGHZ 143, 307, NJW 2000, 1415, jeweils
m.w.N.; zum Verhältnis zum Urheberrecht BFH-Urteil vom
13.3.1997 V R 13/96, BFHE 182, 423, BStBl II 1997, 372 = SIS 97 12 02).
Dieser Auslegung ist auch für das
Steuerrecht zu folgen (so auch HHR/Probst, § 2a EStG Rz 166;
a.A. Blümich/Wied, § 2a EStG Rz 98). Obschon bei dem
Erwerb einer Standardsoftware das Programm als Werk mit geistigem
Inhalt und damit ein immaterieller Wert im Vordergrund steht (in
diese Richtung BFH-Urteil vom 3.7.1987 III R 7/86, BFHE 150, 259,
BStBl II 1987, 728 = SIS 87 18 35, unter 4. c a.E.), ist Gegenstand
des Warenumschlags stets die verkörperte geistige Leistung,
wobei es ohne Bedeutung ist, auf welchem Informationsträger
das Computerprogramm verkörpert ist. Entscheidend ist
vielmehr, dass es verkörpert und damit nutzbar ist.
Vergleichbar mit dem elektronischen Datenträger ist das Buch.
Auch ein Buch, dem unbestritten die Qualität als Sache
zukommt, ist das Ergebnis einer schöpferischen
Geistestätigkeit und wird ausschließlich wegen seines
geistigen Inhalts und nicht wegen seines Informationsträgers -
des Papiers - gehandelt (vgl. dazu BGH-Urteil in NJW 2007, 2394,
unter 2. b, m.w.N.).
c) Mit seiner Auslegung des Begriffs der Ware
i.S. des § 2a Abs. 2 EStG weicht der erkennende Senat nicht
von der Rechtsprechung des BFH zu den Investitionszulagengesetzen
ab. Wenn der BFH in diesem Zusammenhang auch eine Standardsoftware
als immaterielles Wirtschaftsgut behandelt, für dessen
Anschaffung keine Investitionszulage gewährt wird (eingehend
BFH-Urteil in BFHE 150, 259, BStBl II 1987, 728 = SIS 87 18 35), so
ist fraglich, ob diese Entscheidung vor dem (geänderten)
zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Hintergrund überhaupt
noch zeitgemäß ist. Das kann der erkennende Senat aber
unerörtert lassen; denn im vorliegenden Fall geht es allein um
die Auslegung des Begriffs „Ware“ und nicht
darum, ob und inwieweit Computerprogramme zu immateriellen
Wirtschaftsgütern im Sinne der Fördergesetze zählen.
Insoweit hat bereits der BFH in seinem im Urteil in BFHE 150, 259,
BStBl II 1987, 728 = SIS 87 18 35 (unter 4. c a.E.) implizit
dargelegt, dass der Begriff der Ware anders auszulegen sei.
4. Nach diesen Maßstäben konnte das
FG zu dem Ergebnis gelangen, dass der Reality Server, um den es
hier geht, eine verkörperte Standardsoftware ist, deren
Produktion (Herstellung) die Kapitalgesellschaft zum Gegenstand
hat. Er wird nach den Feststellungen des FG, die den Senat nach
§ 118 Abs. 2 FGO binden, kaufweise überlassen. Die
Gegenleistung entgilt den Erwerb der auf einen Datenträger
kopierten Software. Dabei hatte die Tätigkeit der
Kapitalgesellschaft nach den Feststellungen des FG die Herstellung
der Software „reality server“ zum Gegenstand und
nicht lediglich die Überlassung von Nutzungsrechten. Anders
als die Revision vorträgt, liegt nach den tatrichterlichen
Feststellungen kein Vertrieb nach der sog.
„OEM“-Version vor (vgl. zu dieser Vertriebsform
auch BGH-Urteil vom 6.7.2000 1 ZR 244/97, BGHZ 145, 7, NJW 2000,
3571). Denn die Kapitalgesellschaft selbst und nicht durch sie
autorisierte andere Unternehmer sollte die Software
produzieren.