Wesentliche Beteiligung, VZ-bezogene Betrachtungsweise: Die Wesentlichkeit einer Beteiligung ist für die Berücksichtigungsfähigkeit eines Auflösungsverlustes i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b, Abs. 4 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 veranlagungszeitraumbezogen zu beurteilen. - Urt.; BFH 29.5.2008, IX R 62/05; SIS 08 31 48
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) gründete mit zwei weiteren Beteiligten im August
1996 die I-GmbH. Er übernahm von dem Stammkapital von 50.000
DM einen Geschäftsanteil in Höhe von 12.500 DM
(Beteiligung 25 %). Im Zuge der GmbH-Gründung gewährte
der Kläger der GmbH am 1.10.1996 ein Darlehen in Höhe von
50.000 DM (Verzinsung 6 % p.a., Laufzeit bis 31.12.1997).
Die vorgesehene Rückzahlung zum
Endfälligkeitstermin fiel aus, im Jahr 1998 erhielt der
Kläger lediglich 900 DM zurück. Am 13.1.2000 wurde das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH mangels
Masse abgelehnt. Die GmbH wurde am 15.3.2000 aus dem
Handelsregister gelöscht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erkannte im Einkommensteuerbescheid für
2000 (Streitjahr) als Verluste i.S. von § 17 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) lediglich die Stammeinlage an, nicht
aber die ausgefallene Darlehenssumme. Einspruch und Klage blieben
ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem
in EFG 2006, 270 = SIS 06 04 55, veröffentlichten Urteil, dass
der geltend gemachte Auflösungsverlust zwar grundsätzlich
anzuerkennen sei, da er in das Streitjahr falle und es sich auch um
ein Finanzplandarlehen handele, das nach einer Gesamtwürdigung
der im Zeitpunkt des Abschlusses von Gesellschafts- und
Darlehensvertrag vorliegenden Umstände von vornherein in die
Finanzplanung der Gesellschaft in der Weise einbezogen sei, dass
die zur Aufnahme der Geschäfte erforderliche
Kapitalausstattung durch eine Kombination von Eigen- und
Fremdfinanzierung erreicht werden sollte. Jedoch könne der
Verlust deswegen nicht berücksichtigt werden, weil der
Kläger bis zur Löschung der GmbH nicht in jedem
Veranlagungszeitraum der letzten fünf Jahre wesentlich an der
GmbH beteiligt gewesen sei. Denn die Höhe der jeweils
relevanten Beteiligung sei veranlagungszeitraumbezogen zu
beurteilen.
Mit der Revision macht der Kläger
geltend, im Liquidationszeitpunkt habe eine wesentliche Beteiligung
von 10 % vorgelegen (§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes - StEntlG - 1999/2000/2002 vom 24.3.1999,
BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304). Irrelevant sei, dass er bei
der Gründung der GmbH wie auch bis zum 31.12.1998 nicht
wesentlich beteiligt gewesen sei.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, unter Aufhebung der finanzgerichtlichen
Entscheidung den Einkommensteuerbescheid 2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 25.4.2002 dahingehend zu ändern,
dass weitere 49.100 DM als Veräußerungsverlust i.S. von
§ 17 EStG bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb
berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht eine
wesentliche Beteiligung des Klägers in der Zeit von der
Gründung der GmbH im Jahr 1996 bis zum 31.12.1998 und damit
innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre i.S. von § 17
Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1 EStG verneint. Schon deshalb war der
streitige Auflösungsverlust nicht zu berücksichtigen.
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb
gehört gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der
Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer
Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der
letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich
beteiligt war. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 4 EStG
entsprechend, wenn eine Kapitalgesellschaft aufgelöst wird.
Eine wesentliche Beteiligung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG
in der im Streitjahr geltenden Fassung des StEntlG 1999/2000/2002
gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft
zumindest 10 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt war.
a) Auflösungsgewinn i.S. von § 17
Abs. 2, 4 EStG ist der Betrag, um den der gemeine Wert des dem
Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten
Vermögens der Kapitalgesellschaft (Abs. 4 Satz 2) nach Abzug
der im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom
Steuerpflichtigen (persönlich) getragenen Aufwendungen
(Auflösungskosten entsprechend § 17 Abs. 2 EStG) seine
Anschaffungskosten übersteigt; Auflösungsverlust ist der
Betrag, um den die genannten Kosten den Wert des zugeteilten oder
zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft
übersteigen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
3.6.1993 VIII R 23/92, BFH/NV 1994, 459 = SIS 93 25 28). Zu den
Anschaffungskosten einer Beteiligung gehören auch
nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch
das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
noch Veräußerungskosten sind. Dazu zählt auch eine
Wertminderung des Rückzahlungsanspruchs aus einem der
Gesellschaft gewährten Darlehen (ständige Rechtsprechung,
BFH-Urteile vom 4.11.1997 VIII R 18/94, BFHE 184, 374, BStBl II
1999, 344 = SIS 98 04 27, unter 2. a, m.w.N.; vom 13.7.1999 VIII R
31/98, BFHE 189, 390, BStBl II 1999, 724 = SIS 99 19 15, unter 2.).
Nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b, Abs. 4 EStG in der im
Streitjahr geltenden Fassung ist jedoch ein Auflösungsverlust
nicht zu berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt,
die entgeltlich erworben worden sind und nicht innerhalb der
gesamten letzten fünf Jahre zu einer wesentlichen Beteiligung
des Steuerpflichtigen gehört haben.
b) Der BFH (Urteil vom 22.2.2005 VIII R 41/03,
BFH/NV 2005, 1518 = SIS 05 36 82) konnte bisher offenlassen, ob bei
unterschiedlichen Grenzen im Rahmen des § 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b EStG die im Zeitpunkt der Auflösung einer
Kapitalgesellschaft gültige Wesentlichkeitsgrenze auch
für die Vergangenheit maßgeblich ist
(Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 241e;
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 28. Aufl., § 17 Rz 199;
Herzig/Förster, DB 1999, 711; vgl. auch Strahl in Korn, §
17 EStG Rz 108; Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, §
17 EStG Rz 9, 13), oder ob sich die Wesentlichkeit der Beteiligung
stets nach der im jeweiligen Kalenderjahr gültigen
Gesetzesfassung richtet (Schneider, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 365).
c) Der Senat legt § 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b EStG dahingehend aus, dass die Wesentlichkeit einer
Beteiligung i.S. dieser Vorschrift - anders als die Wesentlichkeit
i.S. von § 17 Abs. 1 EStG (dazu BFH-Urteil vom 1.3.2005 VIII R
25/02, BFHE 209, 275, BStBl II 2005, 436 = SIS 05 18 67) -
veranlagungszeitraumbezogen zu bestimmen ist.
Die im Streitfall gemäß § 17
Abs. 1 Satz 4 EStG maßgebliche Wesentlichkeitsgrenze von 10 %
(StEntlG 1999/2000/2002; vgl. BFH-Beschluss vom 17.11.2004 VIII B
129/04, BFH/NV 2005, 540 = SIS 05 15 86; BFH-Urteil vom 20.4.2004
VIII R 52/02, BFHE 206, 98, BStBl II 2004, 556 = SIS 04 22 04,
unter 2.) kann schon angesichts des differenzierenden Wortlauts von
§ 17 Abs. 1 EStG („innerhalb der letzten fünf
Jahre“) und § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG
(„innerhalb der gesamten letzten fünf
Jahre“) nicht auf die Bestimmung der wesentlichen
Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG
übertragen werden. Anders als in der Fassung des
Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I
2001, 3858, BStBl I 2002, 35) verweist § 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b EStG in der im Streitjahr maßgeblichen - für
die in den Jahren 1996 bis 2001 entstandenen Verluste geltenden -
Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 nicht auf die
„Beteiligung im Sinne von Absatz 1 Satz 1“.
Vielmehr spricht § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG lediglich
von einer wesentlichen Beteiligung.
Im Übrigen wollte der Gesetzgeber durch
die Einschränkung des Verlustabzugs in § 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b EStG Gestaltungen verhindern oder erschweren, die es
bisher einem nicht wesentlich beteiligten Gesellschafter
ermöglichen, durch kurzfristigen Zukauf von Anteilen eine im
Privatvermögen entstandene Wertminderung in den steuerlichen
Verlustausgleich einzubeziehen (vgl. BTDrucks 13/901, S. 133 zu
Nummer 17). Er hat solche Sachverhalte als missbräuchlich
angesehen (vgl. BTDrucks 14/6877, S. 28 zu Buchstabe c (Absatz
34a)) und deshalb den Verlustabzug nur im Umfang derjenigen Anteile
zulassen wollen, die der Gesellschafter erworben hat, um seine
Beteiligung zu einer wesentlichen aufzustocken (vgl. BTDrucks
14/265, S. 180 zu Buchstabe b (Absatz 2 Satz 4)). Damit stellt
§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG mit dem Erfordernis einer
ununterbrochenen wesentlichen Beteiligung im Unterschied zur
wesentlichen Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 1 EStG
„innerhalb der letzten fünf Jahre“ einen
sachlichen Zusammenhang zwischen der Steuerverhaftung einer
Beteiligung und der Verlustberücksichtigung her (vgl. BTDrucks
14/23, 179). Dieser Zusammenhang kann nur durch die im jeweiligen
Berücksichtigungszeitraum maßgebliche Wesentlichkeit
einer Beteiligung vermittelt werden.
Andere Schlussfolgerungen für die
Höhe der wesentlichen Beteiligung ergeben sich auch nicht
daraus, dass § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG als Ausnahmeregelung
(„ist nicht zu berücksichtigen“) nach
allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zugunsten des
Steuerpflichtigen eng auszulegen ist.
d) Der veranlagungszeitraumbezogenen Auslegung
der Wesentlichkeitsgrenze im Rahmen von § 17 Abs. 2 Satz 4
Buchst. b EStG steht auch nicht die rückwirkende Geltung der
Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 selbst gemäß § 52 Abs. 34a EStG
entgegen. Denn hieraus ergibt sich keine Regelung zur Geltung auch
der Wesentlichkeitsgrenze. Für die Bestimmung der
Wesentlichkeit gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m.
§ 52 Abs. 34a Satz 1 1. Halbsatz EStG bzw. § 17 Abs. 1
Satz 4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 34a Satz 1 2. Halbsatz EStG ist
hingegen - worauf das FG zutreffend verweist - keine gesetzliche
Rückwirkung angeordnet (vgl. auch BFH-Urteil vom 1.3.2005 VIII
R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398 = SIS 05 18 68).
2. Nach diesen Grundsätzen war der
Kläger in den Vorjahren nach der bis zum 31.12.1998 geltenden
Fassung von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht wesentlich
beteiligt, weil seine Beteiligung 25 % nicht überstieg.
Die Sache ist spruchreif. Es kann dahinstehen,
ob der Ausfall des vom Kläger der I-GmbH gewährten
Darlehens zu einem Auflösungsverlust des Klägers
geführt hat. Denn ein solcher war gemäß § 17
Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1 EStG nicht zu
berücksichtigen.