Arbeitnehmerbeförderung, USt-Pflicht, Mindestbemessungsgrundlage: 1. Die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999 ist nur auf Leistungen anzuwenden, die bei einer unentgeltlichen Leistungserbringung nach § 3 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2, Abs. 9 a UStG 1999 i.V.m. § 10 Abs. 4 UStG 1999 steuerbar sind. - 2. Die Beförderung der Arbeitnehmer zur Arbeitsstätte ist keine Leistung aufgrund des Dienstverhältnisses i.S. von § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999, wenn für die Arbeitnehmer keine zumutbaren Möglichkeiten bestehen, die Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. - Urt.; BFH 15.11.2007, V R 15/06; SIS 08 17 94
I. Streitig ist, ob Leistungen eines
Unternehmers gegenüber seinen Arbeitnehmern der
Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) unterliegen.
Bei der Klägerin und
Revisionsbeklagten (Klägerin) handelt es sich um eine
Kommanditgesellschaft, die als Organträger nach § 2 Abs.
2 Nr. 2 UStG 1999 die Umsätze der S-GmbH versteuert. Die
S-GmbH übt ihre Tätigkeit in N aus, wo sie Lager-,
Betriebs- und Büroeinrichtungen herstellt und im Bereich der
Abfalltechnik tätig ist.
Die Arbeitnehmer der S-GmbH konnten
für die tägliche Fahrt von ihrer Wohnung zur
Arbeitsstätte in N von der S-GmbH angemietete Busse benutzen.
Hierfür hatten die Arbeitnehmer einen Fahrpreis von brutto 1
DM pro Arbeitstag zu zahlen. Die Arbeitnehmer entrichteten
Beförderungsentgelte von insgesamt 8.963,80 DM (1999) und
15.281,03 DM (2000), die die Klägerin mit dem Regelsteuersatz
von 16 v.H. versteuerte. Die der Klägerin für die
Beförderung ihrer Arbeitnehmer in Rechnung gestellten Kosten
beliefen sich in den Streitjahren auf netto 187.468,37 DM (1999)
und 179.383,44 DM (2000).
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts
(FG) bestanden für die Arbeitnehmer keine zumutbaren
Möglichkeiten, um die Betriebsstätte in N mit
öffentlichen Verkehrsmitteln bis zum Arbeitsbeginn um 6.00 Uhr
zu erreichen.
Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung, die sich auch auf die
Prüfung der Umsatzsteuer bei Sachzuwendungen und sonstigen
Leistungen an Arbeitnehmer bezog, ging der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) davon aus, dass die
Beförderung der Arbeitnehmer zur Arbeitsstätte verbilligt
erfolgt sei, da sich die entrichteten Entgelte nur auf ca. 8,5 v.H.
der Beförderungskosten beliefen. Da die Selbstkosten des
Arbeitgebers die von den Arbeitnehmern entrichteten Entgelte
überstiegen, seien nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999
i.V.m. § 10 Abs. 4 Nr. 3 UStG 1999 die Selbstkosten als
Bemessungsgrundlage anzusetzen.
Mit Bescheid vom 13.1.2003 änderte das
FA die Umsatzsteuerfestsetzung 1999 und mit Bescheid vom 6.1.2003
die Umsatzsteuerfestsetzung 2000 und besteuerte die gegenüber
den Arbeitnehmern erbrachten Beförderungsleistungen in dem von
der Außenprüfung festgestellten Umfang auf der Grundlage
der der GmbH entstandenen Beförderungskosten.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch
ein. Im Einspruchsverfahren stellte das FA fest, dass die
Aufwendungen für die Arbeitnehmerbeförderung im zweiten
Halbjahr 1999 bisher noch nicht vollständig und im ersten
Halbjahr überhaupt nicht erfasst waren. Nach Hinweis auf die
beabsichtigte Verböserung im Einspruchsverfahren, die die
Klägerin aber nicht zur Rücknahme ihres Einspruchs
veranlasste, wies das FA den Einspruch mit Einspruchsentscheidung
vom 5.8.2003 für das Streitjahr 2000 als unbegründet
zurück und verböserte, wie angedroht, die Festsetzung
für 1999.
Die hiergegen eingereichte Klage zum FG
hatte Erfolg (vgl. SIS 06 23 91). Das FG entschied, dass die
Arbeitnehmerbeförderung nur auf Grundlage der von den
Arbeitnehmern entrichteten Entgelte zu versteuern sei.
Mit der durch den Senat zugelassenen
Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts und dabei
im Wesentlichen, dass das FG § 10 Abs. 5 UStG 1999 hätte
anwenden müssen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Es handele sich um eine unentgeltliche
Leistung. Dem von den Arbeitnehmern aufgewendeten Betrag von 1 DM
komme nur symbolischer Charakter zu. § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG
1999 sei nur dann anwendbar, wenn auch eine unentgeltliche
Arbeitnehmersammelbeförderung der Umsatzsteuer unterliege, was
hier nicht der Fall sei.
II. Die Revision des
FA ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§
126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat
rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Voraussetzungen für
eine Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5
Nr. 2 UStG 1999 nicht vorliegen.
1. Nach § 10
Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999 unterliegen „Leistungen, die ein
Unternehmer an sein Personal oder dessen Angehörige aufgrund
des Dienstverhältnisses ausführt“ der
Mindestbemessungsgrundlage, wenn die Bemessungsgrundlage nach
§ 10 Abs. 4 UStG 1999 das durch den Arbeitnehmer entrichtete
Entgelt übersteigt.
§ 10 Abs. 5
UStG 1999 wurde als von der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) abweichende Sondermaßnahme i.S. des Art. 27 der
Richtlinie 77/388/EWG eingeführt. Wie der XI. Senat des
Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem zu § 10 Abs. 5 UStG 1980
ergangenen Vorlagebeschluss vom 13.12.1995 XI R 8/86 (BFHE 179, 457
= SIS 96 08 20) an den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) ausführte, hatte die Bundesregierung in
dem von ihr eingebrachten Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes vom
15.3.1978, durch den das Umsatzsteuerrecht an die Richtlinie
77/388/EWG angepasst werden sollte, im Rahmen der
Einzelbegründung zu § 10 Abs. 5 UStG ausgeführt:
„Die Regelung ist durch Art. 27 Abs. 1 der Sechsten
Richtlinie gedeckt“ (BTDrucks 8/1779, 38).
Wie der XI. Senat in
BFHE 179, 457 = SIS 96 08 20 weiter ausführte, setzte die
Bundesregierung mit Schreiben vom 12.2.1978 gemäß Art.
27 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG die Kommission über die
beabsichtigte Einführung der Sondermaßnahme in Kenntnis.
Die Maßnahme wurde damit begründet, dass bei Entrichtung
eines Leistungsentgelts das Entgelt als Bemessungsgrundlage
anzusetzen sei. Das gelte grundsätzlich auch dann, wenn das
Entgelt unangemessen niedrig sei, d.h. nicht dem Wert des
gelieferten Gegenstandes oder der erbrachten sonstigen Leistung
entspreche. In solchen Fällen lasse Art. 27 Abs. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG jedoch zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen den Ansatz einer
höheren Bemessungsgrundlage zu, um „eine von den
Mitgliedstaaten als ungerechtfertigt angesehene Minderung der
Bemessungsgrundlage zu verhindern (vgl. Protokollerklärung zu
Art. 27)“. Von dieser Möglichkeit werde in § 10
Abs. 5 UStG Gebrauch gemacht. Hiernach seien bei Lieferungen und
sonstigen Leistungen als Bemessungsgrundlage die sich aus § 10
Abs. 4 UStG ergebenden Werte anzusetzen, falls das tatsächlich
gezahlte Entgelt niedriger als diese Werte sei. Durch die
Einführung dieser Mindestbemessungsgrundlage werde
sichergestellt, dass Leistungen ohne angemessenes Entgelt ebenso
wie die entsprechenden unentgeltlichen Leistungen besteuert
würden und dass insoweit ein unbesteuerter Endverbrauch
ausgeschlossen werde. Nach bisherigem Recht unterliege nur das
tatsächlich gezahlte Entgelt der Umsatzsteuer.
Mit Schreiben vom
15.9.1978 unterrichtete die Kommission die Bundesregierung, dass
sie das Verfahren gemäß Art. 27 Abs. 1 bis 4 der
Richtlinie 77/388/EWG durch Mitteilungen an die anderen
Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 12.6.1978 in Gang gesetzt habe.
Weder die Kommission noch ein Mitgliedstaat habe beantragt, die
Angelegenheit im Rat zu erörtern. Nachdem die in Art. 27 Abs.
4 der Richtlinie 77/388/EWG gesetzte Frist abgelaufen sei, gelte
somit der Beschluss, durch den der Rat die Bundesrepublik
Deutschland zu den beabsichtigten Sondermaßnahmen
ermächtige, als gefasst. Die hinsichtlich der
Mindestbemessungsgrundlage beabsichtigte Sondermaßnahme
könne eingeführt werden.
Abweichende
nationale Maßnahmen, die - wie § 10 Abs. 5 UStG 1999 -
Steuerhinterziehungen oder -umgehungen verhüten sollten, sind
eng auszulegen und dürfen von der in Art. 11 der Richtlinie
77/38/EWG geregelten Besteuerungsgrundlage nur insoweit abweichen,
als dies für die Erreichung dieses Ziels unbedingt
erforderlich ist (EuGH-Urteil vom 29.5.1997 Rs. C-63/96, Skripalle,
Slg. 1997, I-02847 = SIS 97 15 23 Randnrn. 22 ff.). Dies ist bei
der Auslegung zu beachten.
2. Die Klägerin
hat gegenüber ihren Arbeitnehmern entgeltliche
Beförderungsleistungen erbracht. Zwar ist im Streitfall die
von den Arbeitnehmern erbrachte Arbeitsleistung nicht als Entgelt
für die Beförderung anzusehen. Die vom Arbeitgeber ohne
rechtliche Verpflichtung erbrachte Personenbeförderung
wird vom Arbeitgeber nicht erbracht, um eine Arbeitsleistung zu
erhalten. Der Arbeitgeber kann mit der Personenbeförderung
nicht erstreben, was ihm ohnehin schon aufgrund der
arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (Arbeit gegen Lohn) zusteht
(BFH-Urteil vom 7.5.1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981,
495 = SIS 81 12 55).
Die Entgeltlichkeit der Leistung ergibt sich
aber aus den von den Arbeitnehmern
geleisteten Zahlungen von jeweils 1 DM je Arbeitstag. Entgegen der
Auffassung der Klägerin handelt es sich nicht um eine
symbolische Vergütung, der umsatzsteuerlich kein
Entgeltcharakter zukommt (vgl. hierzu auch EuGH-Urteil vom
20.1.2005 C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg.
2005, I-743, BFH/NV Beilage 2005, 90 = SIS 05 16 74 Randnr.
26), da sich die von den Arbeitnehmern zu
leistenden Zahlungen auf 8,5 v.H. der Beförderungskosten
beliefen.
3. Die
Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1999 (ab
1.4.1999: § 10 Abs. 4 Nr. 3 UStG 1999) überstieg das
durch den Arbeitnehmer entrichtete Entgelt. Es liegt aber keine
Leistung „aufgrund des Dienstverhältnisses“
i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999 vor.
a) Zur Frage, welche
Leistungen „aufgrund des
Dienstverhältnisses“ unentgeltlich erbracht werden
(§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1980) hat der EuGH mit
Urteil vom 16.10.1997 C-258/95, Fillibeck (Slg. 1997, I-5577, UR
1998, 61 = SIS 97 23 47 Randnrn. 26 ff.) und im Anschluss hieran
der erkennende Senat mit Urteil vom 9.7.1998 V R 105/92 (BFHE 186,
157, BStBl II 1998, 635 = SIS 98 18 43) entschieden, dass bei
Arbeitnehmern die Beförderung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte zum privaten Bedarf gehört. Unerheblich ist
dabei, dass die Zurücklegung dieser Strecke notwendige
Voraussetzung der Arbeitsausübung ist. Eine Leistung aufgrund
des Dienstverhältnisses liegt daher dann vor, wenn Leistungen
des Arbeitgebers zwar aus betrieblichem Anlass erfolgen, die
Leistung jedoch den privaten Bedarf der Arbeitnehmer wie z.B. die
Beförderung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
befriedigt. Anders ist es, wenn besondere Umstände wie z.B.
das Fehlen geeigneter öffentlicher Verkehrsmittel oder Fahrten
zu wechselnden Arbeitsstätten vorliegen und die
Beförderung deshalb durch betriebliche Erfordernisse bedingt
ist (bereits BFH-Urteil vom 10.6.1999 V R 104/98, BFHE 188, 466,
BStBl II 1999, 582 = SIS 99 17 23). Es handelt sich dann nicht um
eine Leistung „aufgrund des
Dienstverhältnisses“ i.S. des § 10 Abs.
5 Nr. 2 UStG 1999.
b) Auch für
Zwecke des § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999 kommt es für das
Vorliegen einer Leistung „aufgrund des
Dienstverhältnisses“ darauf an, ob die Leistung
einen privaten Bedarf des Arbeitnehmers befriedigt oder
besondere Umstände wie z.B. das Fehlen geeigneter
öffentlicher Verkehrsmittel oder Fahrten zu wechselnden
Arbeitsstätten vorliegen. Hierfür spricht bereits der
Zweck der Vorschrift, nach dem die Besteuerung unentgeltlicher
Leistungen nicht durch die Vereinbarung unangemessen niedriger
Entgelte unterlaufen werden soll (s. oben II. 1.). Eine Leistung
unterliegt daher nur dann der Mindestbemessungsgrundlage nach
§ 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG 1999, wenn sie ohne Entgeltvereinbarung
als unentgeltliche Leistung nach § 1
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG in der bis zum 31.3.1999 geltenden
Fassung (UStG 1993) steuerbar wäre.
4. Das Urteil der
Vorinstanz lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das FG hat
für die Anwendung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1999 zu
Recht darauf abgestellt, ob mit Ausnahme der Unentgeltlichkeit die
Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1993
vorliegen. Die Würdigung des FG, dass dies unter
Berücksichtigung des EuGH-Urteils Fillibeck nicht der Fall
ist, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn nach den
Feststellungen des FG bestanden für die Arbeitnehmer keine
zumutbaren Möglichkeiten, den Arbeitsort rechtzeitig mit
öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Dies rechtfertigt
die Annahme besonderer Umstände, die nach dem EuGH-Urteil
Fillibeck dazu führen, dass die Beförderung dem
unternehmerischen Interesse und nicht dem privaten Bedarf der
Arbeitnehmer dient.
5. Die Revision ist
auch hinsichtlich der ab 1.4.1999 bestehenden Rechtslage
unbegründet. Der eigenständige Besteuerungstatbestand
nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1993 wurde mit Wirkung ab
1.4.1999 durch die Fiktion einer entgeltlichen Leistung nach §
3 Abs. 9a UStG 1999 ersetzt. Die Rechtsänderung hatte keine
Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 Nr. 2
UStG 1999. Denn auch unter Geltung des § 3 Abs. 9a UStG 1999
sind die Grundsätze des EuGH-Urteils Fillibeck zu
beachten.
6. Der Senat kann
offen lassen, ob die Beförderungsleistungen dem
ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG
1999 als Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen, zu dem auch die
Beförderungen von Berufstätigen zwischen Wohnung und
Arbeitsstelle gehören (Abschn. 173 Abs. 6 Satz 7 der
Umsatzsteuer-Richtlinien), unterliegen. Denn einer Änderung
der in diesem Verfahren angefochtenen Umsatzsteuerbescheide durch
den erkennenden Senat steht die Bindung an die Anträge
(§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO)
entgegen.