Haushaltsnahe Dienstleistungen, Baukindergeld: Die Steuerermäßigung des § 34 f Abs. 3 EStG (Baukindergeld) ist vor der Steuerermäßigung bei Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse des § 35 a EStG zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 30.1.2008, X R 1/07; SIS 08 16 52
I. Die miteinander verheirateten
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) machten in ihrer
Einkommensteuererklärung 2003 Aufwendungen von insgesamt
3.255,53 EUR für ein haushaltsnahes
Beschäftigungsverhältnis i. S. des § 35a Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Sie beantragten
außerdem für ihre beiden Kinder die
Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG in
Höhe von je 512 EUR. Dabei beantragten sie, bei der Berechnung
der Einkommensteuer zunächst die Ermäßigung nach
§ 35a EStG und erst dann diejenige nach § 34f Abs. 3 EStG
anzuwenden. In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom
20.7.2005 folgte der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) dieser Reihenfolge nicht, sondern zog
zunächst von der mit 676 EUR ermittelten tariflichen
Einkommensteuer der Kläger 676 EUR als
Kinderermäßigung nach § 34f EStG ab. Ein Abzug
einer Steuerermäßigung nach § 35a EStG erfolgte
sodann nicht mehr. Zur Begründung verwies das FA darauf, die
Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG sei
gemäß R 4 Nr. 8 bzw. 9 der Einkommensteuer-Richtlinien
2003 (EStR) vor derjenigen nach § 35a EStG abzuziehen.
Mit ihrer vor dem Finanzgericht (FG)
erhobenen Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter, die
Steuerermäßigung nach § 35a EStG vor derjenigen
nach § 34f Abs. 3 EStG abzuziehen. Zur Begründung
verwiesen sie darauf, nur durch diese Verfahrensweise bleibe ihnen
die Verrechnungsmöglichkeit erhalten, die § 34f Abs. 3
Sätze 3 und 4 EStG für den Fall vorsehe, dass - wie im
vorliegenden Fall - die dortigen Abzugsbeträge höher
seien als die ansonsten noch verbleibende tarifliche
Einkommensteuer. Wenn stattdessen zunächst der Abzugsbetrag
nach § 34f EStG angesetzt werde, verfalle ein noch
größerer Teil der Beträge nach § 34f Abs. 3
EStG. Demgegenüber sei der Gesetzeszweck dieser Vorschrift
gewesen, die volle Ausnutzung des Baukindergeldes sicherzustellen.
Dies werde durch das vom FA gewählte Verfahren
vereitelt.
Das FG gab der Klage mit dem in EFG 2007,
933 = SIS 07 14 07 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, dass sich
weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 34f Abs. 3
EStG ein „Nachrang-Befehl“ entnehmen lasse. Es sei
weiterhin zu berücksichtigen, dass § 35a EStG zeitlich
nach § 34f EStG in das Gesetz eingefügt worden sei.
Hätte der Gesetzgeber den „Nachrang-Befehl“ des
§ 34f Abs. 3 EStG auch auf § 35a EStG anwenden wollen,
hätte er dies durch eine zu § 34g EStG analoge Regelung
in § 35a EStG ausdrücken können, was aber nicht
geschehen sei.
Das FA stellt keinen ausdrücklichen
und bezifferbaren Antrag.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist zulässig und
begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben. Die Klage wird
abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Die Revision des FA ist zulässig,
obwohl kein ausdrücklicher Revisionsantrag gestellt wurde.
Zwar muss nach § 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO die
Revisionsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit
das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird. Ein
förmlicher Revisionsantrag in der Revisionsbegründung ist
aber entbehrlich, wenn sich aus dem Vorbringen des
Revisionsklägers eindeutig ergibt, inwieweit er sich durch das
angefochtene Urteil beschwert fühlt und inwieweit er dessen
Aufhebung oder Änderung erstrebt (vgl. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 53, m.w.N. aus der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - ). Das von dem FA mit
der Revision verfolgte Ziel ist eindeutig der
Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen, in der sich das FA
ausdrücklich gegen die dem Urteil zugrunde liegende
Rechtsauffassung des FG wendet und damit inzidenter die Aufhebung
des darauf beruhenden Urteils erreichen will.
2. Die Revision ist auch begründet. Zu
Recht hat das FA von der tariflichen Einkommensteuer zunächst
den Steuerermäßigungsbetrag des § 34f Abs. 3 EStG
(in der im Streitjahr gültigen Fassung) abgezogen, bevor es
den Steuerermäßigungsbetrag des § 35a EStG
berücksichtigen konnte.
a) Nach § 34f Abs. 3 EStG
ermäßigt sich bei Steuerpflichtigen, die die
Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 1, 2, 4 und 5 EStG in
Anspruch nehmen, die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die
sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 512 EUR
für jedes Kind des Steuerpflichtigen und seines Ehegatten, das
zu seinem Haushalt gehört. Als Besonderheit lässt §
34f Abs. 3 EStG zu, dass in den Fällen, in denen sich die
Steuerermäßigung aufgrund einer zu geringen Steuerschuld
nicht oder nicht vollständig steuerentlastend auswirkt, die
(verbleibende) Ermäßigung sowohl zunächst
zurückgetragen als auch danach vorgetragen werden kann (vgl.
§ 34f Abs. 3 Sätze 3 bis 5 EStG). Diese Regelung wurde
durch das Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze
vom 25.2.1992 (Steueränderungsgesetz 1992 - StÄndG 1992
-, BGBl I 1992, 297) in das EStG eingefügt. Die
gesetzgeberische Begründung war, dass „hierdurch ...
i.d.R. die volle Auszahlung des Baukindergeldes für alle
Einkommensbezieher bewirkt (werde) – soziale
Komponente“ (Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses zum Entwurf des StÄndG 1992, BTDrucks
12/1506, 172). Gleichzeitig wurde § 34g EStG geändert und
die Reihenfolge der beiden Steuerermäßigungen so
geregelt, dass die Ermäßigung des § 34f EStG erst
nach der Ermäßigung des § 34g EStG anzuwenden
ist.
Zwischenzeitlich eingetretene Änderungen
des Wortlauts des § 34f Abs. 3 EStG betrafen nur redaktionelle
Anpassungen aufgrund der Einführung des Euro und der Aufhebung
des § 35 EStG a.F. Der Zielsetzung, dem Baukindergeld eine
möglichst breite Berücksichtigung zukommen zu lassen,
wurde auch in den Folgejahren Rechnung getragen. So regelt §
35 EStG n.F. bei der seit 2001 gewährten
Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb
die Reihenfolge ausdrücklich so, dass die
Ermäßigung des § 34f Abs. 3 EStG erst an letzter
Stelle zu berücksichtigen ist und damit die größte
Wirkung erzielen kann.
b) Demgegenüber fehlt es insoweit an
einer entsprechenden gesetzlichen Regelung im Zweiten Gesetz
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002
(BGBl I 2002, 4621), als durch § 35a EStG die
Steuerermäßigung bei Aufwendungen für haushaltsnahe
Beschäftigungsverhältnisse eingeführt wurde. §
35a EStG normiert vielmehr, dass sich für haushaltsnahe
Beschäftigungsverhältnisse, die in einem
inländischen Haushalt des Steuerpflichtigen ausgeübt
werden, die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen
Steuerermäßigungen, auf Antrag in der näher
ausgeführten Art und Weise ermäßigt. Im Gegensatz
zu der Steuermäßigung des § 34f Abs. 3 EStG ist
jedoch weder ein Rück- noch ein Vortrag für den Fall
vorgesehen, dass die Steuerschuld geringer ist als die beantragte
Ermäßigung.
c) Bei den beiden
Steuerermäßigungen der §§ 34f Abs. 3 und 35a
EStG handelt es sich um zwei spezielle Steuervergünstigungen,
die prinzipiell nebeneinander stehen und kumulativ angewandt werden
können. Beide regeln für ihren Bereich abschließend
die Steuerfolgen. Sie unterscheiden sich zwar insofern durch die
Reichweite ihrer Steuerfolgen, da die Steuerermäßigung
gemäß § 34f Abs. 3 EStG eine zusätzliche Vor-
und Rücktragsmöglichkeit vorsieht. Dies ändert
jedoch nichts an ihrer systematischen Einordnung. In Bezug auf den
Rang ihrer Berücksichtigung ist der Wortlaut bei beiden
Vorschriften insoweit identisch; beide Vorschriften beanspruchen,
als letzte Steuervergünstigung in Ansatz gebracht zu
werden.
d) Im Gegensatz zur Auffassung des FG
enthält das Gesetz jedoch eine Anwendungsreihenfolge.
Widersprechen sich - wie hier - Normen der
gleichen Rangstufe, so ist die Normenkollision nach den
hergebrachten und in der Rechtslehre anerkannten Grundsätzen
zu lösen. Dabei ist anerkannt, dass Rechtssätze
außer durch förmliche Aufhebung oder durch Zeitablauf
auch durch Kollision mit einer nachträglich entstandenen Norm
gleichen oder höheren Ranges ihre Geltung verlieren
können (BFH-Urteil vom 29.9.1992 VII R 56/91, BFHE 169, 564,
m.w.N.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2.
Aufl., S. 572; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO
Rz 365). Wird eine neue Vorschrift erlassen, deren gleichzeitige
Anwendung mit der älteren logisch unmöglich ist, bringt
der Gesetzgeber damit grundsätzlich zum Ausdruck, dass die
spätere Regelung gelten soll. Die damit zwangsläufig
verbundene Nichtanwendbarkeit der älteren Norm muss vom
Gesetzgeber dagegen nicht ausdrücklich ausgesprochen
werden.
Bei der hier vorliegenden Normenkonkurrenz ist
ein Nebeneinander nicht denkbar: Nur eine der beiden
Steuerermäßigungen kann als Letzte in Ansatz gebracht
werden. Nach dem gerade beschriebenen Grundsatz „lex
posterior derogat legi priori“ geht die spätere Norm
(hier: § 35a EStG) der früheren Norm (hier: § 34f
EStG) vor. Das zeitlich spätere Gesetz entscheidet damit, dass
die neu eingeführte Steuervergünstigung für
haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse erst
gewährt wird, nachdem alle anderen Steuervergünstigungen
berücksichtigt worden sind. Auf eine korrespondierende
Berichtigung der anderen Steuertatbestände konnte verzichtet
werden, da das spätere gesetzgeberische Diktum den Vorrang
hat.
e) Durch dieses Auslegungsergebnis wird der
gesetzgeberische Auftrag, die volle Auszahlung des sog.
Baukindergeldes für alle Einkommensbezieher zu bewirken, nicht
eingeschränkt. Das sog. Baukindergeld wird in derselben
Höhe steuerlich berücksichtigt, in der es auch ohne die
Steuervergünstigung der haushaltsnahen Beschäftigungen
gewährt worden wäre. Es wird nur keine weitere
Konservierung der Baukindergeld-Steuerermäßigung durch
die neue Steuerermäßigung ermöglicht. Diese
zusätzliche Privilegierung des Baukindergeldes sieht das
Gesetz in § 35a EStG ausdrücklich nicht vor, es
gewährt die Steuerermäßigung wegen der
haushaltsnahen Beschäftigungen vielmehr erst und nur dann,
wenn alle anderen Steuervergünstigungen ihre
Berücksichtigung gefunden haben.
f) Diese Auslegung führt auch nicht zu
einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Bei der Prüfung
einer Norm am Maßstab des Gleichheitssatzes ist zunächst
davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber eine weitgehende
Gestaltungsfreiheit zukommt (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8.12.1970 1 BvR 95/68,
BVerfGE 29, 327, 335). Ob und ggf. in welcher Form und welchem
Umfang steuerliche Erleichterungen gewährt werden sollen,
steht in seinem Ermessen (BVerfG-Beschluss vom 6.2.1968 1 BvL 7/65,
BVerfGE 23, 74, BStBl II 1968, 133 = SIS 68 00 94). Der Gesetzgeber
ist ebenso grundsätzlich frei, Steuervergünstigungen
entsprechend auszugestalten. Er ist vor allem nicht verpflichtet,
eine aus bestimmten wirtschaftspolitischen Gründen
gewährte Steuervergünstigung so auszugestalten, dass eine
andere, aus davon unabhängigen sozialpolitischen Gründen
gewährte Steuervergünstigung noch besser genutzt werden
kann (vgl. auch BFH-Urteil vom 7.5.1987 IV R 125/86, BFHE 150, 22,
BStBl II 1987, 530 = SIS 87 14 48, in Bezug auf den Abbau von
Steuervergünstigungen). Deshalb ist den diesbezüglichen
Erörterungen des FG nicht zu folgen.