GrESt bei Anteilsvereinigung, EU-Recht: Es verstößt nicht gegen die Richtlinie 69/335/EWG, dass eine Anteilsvereinigung in der Hand einer Aktiengesellschaft, zu der es dadurch kommt, dass im Zuge einer Kapitalerhöhung Anteile an einer mittelbar oder unmittelbar grundbesitzenden Gesellschaft gegen Gewährung neuer Aktien eingebracht werden, nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerpflichtig ist. - Urt.; BFH 19.12.2007, II R 65/06; SIS 08 12 29
I. Die Rechtsvorgängerin der
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), zum
steuerlich maßgeblichen Zeitpunkt eine Aktiengesellschaft,
hielt 81 v.H. der auf den Inhaber lautenden Stückaktien an der
X-AG mit Sitz der Geschäftsleitung in M. Mit Vertrag vom
1.12.1999 brachte die Y-AG die von ihr bis dahin gehaltenen
restlichen 19 v.H. der Aktien an der X-AG in die
Rechtsvorgängerin der Klägerin gegen Gewährung von
neuen Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung ein. Die X-AG
ihrerseits hielt alle Anteile an der Z-GmbH; diese war
Eigentümerin von 14 in Deutschland belegenen
Grundstücken.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) sah im Vertrag vom 1.12.1999 den Tatbestand der
(mittelbaren) Vereinigung aller Anteile an einer grundbesitzenden
Gesellschaft in einer Hand gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1
des Grunderwerbsteuergesetzes in der im Jahre 1999 geltenden
Fassung (GrEStG) als erfüllt an und stellte gemäß
§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG mit Bescheid vom ...,
letztmals geändert durch Bescheid vom ..., die
Besteuerungsgrundlagen für die 14 Grundstücke in
Höhe von insgesamt ... DM gesondert fest.
Einspruch und Klage, mit denen die
Klägerin geltend gemacht hatte, § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
verstoße insoweit gegen die Richtlinie 69/335/EWG des Rates
vom 17.7.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung
von Kapital (Richtlinie 69/335/EWG) in der im Streitjahr geltenden
Fassung (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L
249, S. 25), als die Einbringung von Anteilen einer Gesellschaft,
zu deren Vermögen inländische Grundstücke
gehören, in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von
neuen Aktien Grunderwerbsteuer auslöse, blieben erfolglos
(vgl. SIS 06 09 35).
Diesen Rechtsstandpunkt verfolgt die
Klägerin mit der Revision weiter.
Sie beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und der Klage stattzugeben und regt an, die Rechtsfrage,
ob § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mit der Richtlinie 69/335/EWG
vereinbar ist, gegebenenfalls dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens
gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (EGV) vorzulegen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das Finanzgericht (FG) hat
rechtsfehlerfrei angenommen, dass der angefochtene
Feststellungsbescheid vom ...9.2001, der den vorausgegangenen
Bescheid vom ...2.2001 in seinen Regelungsgehalt aufgenommen hat
(vgl. Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 25.10.1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231 =
SIS 73 01 27, unter III.3.), nach deutschem Grunderwerbsteuerrecht
rechtmäßig ist (im Folgenden 1.). Der BFH hat aufgrund
der Rechtsprechung des EuGH keinen Zweifel daran, dass § 1
Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mit der Richtlinie 69/335/EWG vereinbar ist;
eine Vorlage gemäß Art. 234 EGV ist daher nicht geboten
(im Folgenden 2.).
1. Die Rechtsauffassung des FG, dass der
angefochtene Feststellungsbescheid vom ...9.2001
rechtmäßig ist, entspricht dem Gesetz.
a) Gehört zum Vermögen einer
Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt
gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG u.a. ein
Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines
oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, der
Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder
mittelbar alle Anteile (ab 1.1.2000: mindestens 95 v.H. der
Anteile) der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt
werden würden.
Die Vorschrift erfasst die infolge der
Vereinigung der Anteile einer Gesellschaft mit Grundbesitz in einer
Hand spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderte
Zuordnung von Grundstücken (vgl. BFH-Urteile vom 20.7.2005 II
R 30/04, BFHE 210, 375, BStBl II 2005, 839 = SIS 05 45 93; vom
12.1.1994 II R 130/91, BFHE 173, 229 = SIS 94 12 16, BStB1 II 1994,
408; vom 20.10.1993 II R 116/90, BFHE 172, 538 = SIS 94 05 27,
BStB1 II 1994, 121). Bei den in § 1 Abs. 3 GrEStG geregelten
Ersatztatbeständen fingiert das Gesetz - zivilrechtlich nicht
vorhandene - grundstücksbezogene Erwerbsvorgänge und
trägt damit dem Umstand Rechnung, dass demjenigen, der alle
Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in seiner Hand
vereinigt oder erwirbt, eine dem zivilrechtlichen Eigentum an einem
Grundstück vergleichbare Rechtszuständigkeit an dem
Gesellschaftsgrundstück zuwächst. Es geht dabei nicht um
die Besteuerung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge (vgl.
BFH-Beschluss vom 23.8.2004 II B 122/03, juris STRE200451141).
Vielmehr behandelt § 1 Abs. 3 GrEStG den Inhaber aller Anteile
so, als gehörten ihm die im Eigentum der Gesellschaft
stehenden Grundstücke (BFH-Urteil in BFHE 210, 375, BStBl II
2005, 839 = SIS 05 45 93). Stehen keine Grundstücke im
Eigentum der Gesellschaft, wird keine Grunderwerbsteuer
ausgelöst.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
gehört der Gesellschaft ein Grundstück, wenn ihr dieses
aufgrund eines unter § 1 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 GrEStG
fallenden Erwerbsvorgangs grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen
ist (vgl. Urteile vom 30.3.1988 II R 76/87, BFHE 153, 63, BStBl II
1988, 550 = SIS 88 14 05; vom 20.12.2000 II R 26/99, BFH/NV 2001,
1040 = SIS 01 67 29, und vom 29.9.2004 II R 14/02, BFHE 207, 59,
BStBl II 2005, 148 = SIS 04 39 55, m.w.N.). Daraus folgt, dass auch
Anteile an einer Gesellschaft zu erfassen sind, die ihrerseits
allein oder nunmehr zu mindestens 95 v.H. an einer grundbesitzenden
(Unter-)Gesellschaft beteiligt ist (BFH-Urteile vom 21.9.2005 II R
33/04, BFH/NV 2006, 609 = SIS 06 12 47; vom 5.11.2002 II R 23/00,
BFH/NV 2003, 505 = SIS 03 18 06; in BFHE 172, 538, BStBl II 1994,
121 = SIS 94 05 27; in BFHE 153, 63, BStBl II 1988, 550 = SIS 88 14 05). Dies gilt auch beim Erwerb aller Anteile an einer Gesellschaft
mit Grundbesitz durch eine Gesellschaft, deren
Alleingesellschafterin bereits vor der Anteilsvereinigung mittelbar
über eine weitere Untergesellschaft alle Anteile der
grundbesitzenden Gesellschaft hielt (BFH-Urteil vom 5.11.2002 II R
41/02, BFH/NV 2003, 507 = SIS 03 18 07).
c) Die Besteuerungsgrundlagen sind bei einer
Vereinigung aller Anteile in einer Hand (§ 1 Abs. 3 Nr. 1
GrEStG) nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG durch das
Finanzamt gesondert festzustellen, in dem sich der Sitz der
Geschäftsleitung der Gesellschaft befindet, wenn ein
außerhalb des Bezirks des Geschäftsleitungsfinanzamts
belegenes Grundstück betroffen ist. Gegenstand der gesonderten
Feststellung nach § 17 Abs. 3 GrEStG sind die
Besteuerungsgrundlagen. Zu diesen gehört in den Fällen
des § 1 Abs. 3 GrEStG auch die verbindliche Entscheidung
über die Steuerpflicht dem Grunde nach (vgl. BFH-Urteile vom
31.3.2004 II R 54/01, BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658 = SIS 04 22 14; vom 20.10.2004 II R 27/03, BFHE 207, 368, BStBl II 2005, 105 =
SIS 05 03 68; vom 20.10.2004 II R 32/02, BFH/NV 2005, 574 = SIS 05 16 16).
d) Nach diesen Grundsätzen unterliegt,
wie das FG zu Recht angenommen hat, im Streitfall der Vertrag vom
1.12.1999 der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG). Der
Vertrag begründet für die Klägerin den Anspruch auf
Übereignung der restlichen 19 v.H. der Aktien an der X-AG.
Durch die Übertragung vereinigen sich alle Anteile an der X-AG
in der Hand der Klägerin. Sie führt damit zu einer
grunderwerbsteuerrechtlichen Veränderung der Zuordnung der der
X-AG zuzurechnenden Grundstücke auf die Klägerin. Dem
steht nicht entgegen, dass die Rechtsvorgängerin der
Klägerin eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Y-AG
war und bei dieser bereits alle Anteile an der X-AG teilweise
mittelbar, teilweise unmittelbar vereinigt waren.
2. Der BFH hat keinen Zweifel daran, dass die
sich aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ergebende Steuerpflicht auf
der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH mit Gemeinschaftsrecht
vereinbar ist; er ist daher nicht verpflichtet, die Rechtsfrage dem
EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl. EuGH-Urteil vom
6.10.1982 Rs. 283/81, Srl CILIFT und Lanificio di Gavardo SpA, Slg.
1982, I-3415). Die Erhebung der Grunderwerbsteuer fällt im
Streitfall nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 69/335/EWG
(im Folgenden a); unabhängig davon wäre die Erhebung
jedenfalls gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a oder b der
Richtlinie 69/355/EWG zulässig, weil die Grunderwerbsteuer
eine Besitzwechselsteuer ist (im Folgenden b).
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die
Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335/EWG dahin auszulegen, dass die
Mitgliedstaaten nicht befugt sind, von Gesellschaften,
Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck
i.S. des Art. 3 der Richtlinie 69/335/EWG - wie vorliegend die
Klägerin als Kapitalgesellschaft gemäß Art. 3 Abs.
1 der Richtlinie 69/335/EWG - andere Steuern oder Abgaben auf die
in Art. 10 und 11 genannten Vorgänge zu erheben als die
Gesellschaftsteuer und die in Art. 12 genannten Steuern und Abgaben
(EuGH-Urteile vom 25.5.1989 C-15/88, SpA Maxi Di, Slg. 1989,
I-1391; vom 2.2.1988 C-36/86, Ministeriet for Skatter og Afgifter,
Slg. 1988, I-409).
Art. 10 der Richtlinie 69/335/EWG verbietet
indirekte Steuern, die - ungeachtet ihrer Form - die gleichen
Merkmale aufweisen wie die Gesellschaftsteuer (EuGH-Urteil vom
11.6.1996 C-2/94, Denkavit International BV u.a., Slg. 1996, I-2827
= SIS 96 17 28). Gemäß Art. 10 Buchst. a und b der
Richtlinie 69/335/EWG gilt dies für Steuern und Abgaben auf
die in Art. 4 der Richtlinie 69/335/EWG genannten Vorgänge
bzw. auf Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Art. 4
der Richtlinie 69/335/EWG genannten Vorgänge. Somit
dürfen die Mitgliedstaaten auf die Erhöhung des Kapitals
einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art (Art. 4 Abs. 1
Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG), abgesehen von der
Gesellschaftsteuer und vorbehaltlich des Art. 12 der Richtlinie
69/335/EWG, keinerlei andere Steuer oder Abgabe erheben.
Der Vorschlag für eine Richtlinie des
Rates betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von
Kapital (Neufassung der Richtlinie 69/335/EWG; KOM(2006) 760
endgültig) enthält gegenüber dieser Rechtslage
insoweit keine Änderung.
aa) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl.
bereits für den Fall der Anteilsvereinigung durch
rechtsgeschäftlichen Erwerb von Anteilen: BFH-Beschluss vom
18.11.2005 II B 23/05 BFH/NV 2006, 612 = SIS 06 12 48) stellt die
Grunderwerbsteuer, die gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1
GrEStG bei Erwerb aller Anteile erhoben wird, keine
Gesellschaftsteuer dar. Die Grunderwerbsteuer wird nicht von der
Richtlinie erfasst.
bb) Eine Einlage von Aktien gegen
Gewährung neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung -
was im Streitfall zur Vereinigung aller Anteile in der Hand der
Rechtsvorgängerin der Klägerin führt - fällt
zwar unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG, der
die Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Gesellschaft
durch Einlagen jeder Art der harmonisierten Gesellschaftsteuer
unterwirft, ohne dabei in irgendeiner Weise auf die
wirtschaftlichen Folgen eines solchen Vorgangs für die
Beteiligten Bezug zu nehmen (EuGH-Urteile vom 30.3.2006 C-46/04,
Aro Tubi Trafilerie SpA, Slg. 2006, I-3009; vom 25.10.2007
C-240/06, Fortum Projekt Finance, Zeitschrift für Steuern und
Recht - ZSteu - 2007, R 989). Durch den hier in Frage stehenden
Steuertatbestand wird jedoch nicht eine Einlage im Sinne der
Richtlinie 69/335/EWG, die zu einer Kapitalerhöhung oder zu
einer Erhöhung des Gesellschaftsvermögens führt, als
solche besteuert (vgl. ebenso EuGH-Urteil vom 11.12.1997 C-42/96,
Immobiliare SIF, Slg. 1997, I-7089 = SIS 98 04 31, zur bei
Einbringung von Liegenschaften in Kapitalgesellschaften erhobenen
italienischen Wertzuwachssteuer). Gehört nämlich zum
Vermögen der Gesellschaft, deren Anteile sich unmittelbar oder
mittelbar in der Hand des Erwerbers vereinigen, kein
Grundstück, entsteht keine Grunderwerbsteuer.
Entstehungstatbestand ist also nicht der
gesellschaftsrechtliche Vorgang der Einlage, sondern die
Veränderung der Eigentumszuordnung von Grundstücken, die
sich im Gesellschaftsvermögen befinden (vgl. ebenso zu der
Frage, ob bei Verschmelzung durch Einlage und die dadurch
veränderte Eigentumszuordnung von Kfz im
Gesellschaftsvermögen eine französische Zulassungssteuer
erhoben werden darf, EuGH-Urteil vom 11.12.1997 C-8/96, Locamion,
Slg. 1997, I-7055 = SIS 98 04 32).
So unterliegt auch ein Rechtsgeschäft,
das zur Vereinigung aller Anteile in der Hand einer
natürlichen Person führen würde, der
Grunderwerbsteuer. Eine Einlage als gesellschaftsrechtlicher
Vorgang ist in einem solchen Fall aber nicht gegeben. Wenn
gleichwohl die gleiche Steuer entsteht, zeigt dies, dass
Entstehungstatbestand auch im Streitfall nicht der
gesellschaftsrechtliche Vorgang der Einlage ist.
Der hier in Frage stehende Steuertatbestand
beschreibt nur das auslösende Moment, nämlich die
Anteilsvereinigung, die nach der Wertung des deutschen Gesetzgebers
einer Grundstücksübertragung in Gestalt einer spezifisch
grunderwerbsteuerrechtlich veränderten Zuordnung von
Grundstücken gleichkommt (BFH-Urteile in BFHE 210, 375, BStBl
II 2005, 839 = SIS 05 45 93; in BFHE 173, 229, BStBl II 1994, 408 =
SIS 94 12 16; in BFHE 172, 538, BStBl II 1994, 121 = SIS 94 05 27).
Mit dem Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in
dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er
die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile
sich in seiner Hand vereinigen (BFH-Beschluss vom 23.8.2004 II B
122/03, juris STRE200451141; BFH-Urteile vom 8.8.2001 II R 66/98,
BFHE 195, 427, BStBl II 2002, 156 = SIS 01 12 94; in BFH/NV 2003,
505 = SIS 03 18 06). Dies ergibt sich aus den objektiven Merkmalen
des § 1 Abs. 3 GrEStG und damit in europarechtskonformer
Qualifizierung (vgl. etwa EuGH-Urteile vom 13.2.1996 C-197/94 und
C-252/94, Sociéte Bautiaa, Slg. 1996 I-505; vom 15.7.1982
C-270/81, Felicitas Rickmers-Linie, Slg. 1982, I-2771).
cc) Ferner bestimmt sich die
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer nicht, wie dies Art. 5
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335/EWG verlangt, nach dem
tatsächlichen Wert der von den Gesellschaftern geleisteten
oder zu leistenden Einlagen, sondern allein nach dem Wert des
Grundstücks, das zum Vermögen der Gesellschaft
gehört, deren Anteile sich unmittelbar oder mittelbar in der
Hand des Erwerbers vereinigen. Dies ist gemäß § 8
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG der i.S. des § 138 Abs. 2 oder 3
des Bewertungsgesetzes (BewG) zu bemessende sog. Bedarfswert
(ebenso zur Bedeutung der Bemessungsgrundlage EuGH-Urteile in Slg.
1997, I-7089; in Slg. 1997, I-7055).
dd) Daraus ergibt sich, dass die
Gesellschaftsteuer im Sinne der Richtlinie 69/335/EWG und die
Grunderwerbsteuer für den hier in Frage stehenden
Steuertatbestand, beurteilt man beide nach ihren objektiven
Merkmalen und nicht nach Zufallskriterien (EuGH-Urteil in Slg.
1996, I-505), verschiedener Natur sind und in keinem Zusammenhang
stehen. Die Grunderwerbsteuer fällt nicht in den
Anwendungsbereich von Art. 10 der Richtlinie 69/335/EWG und steht
auch in keinem Zusammenhang mit Art. 11 der Richtlinie 69/335/EWG.
Sie wird somit nach Auffassung des BFH nicht von der Richtlinie
69/335/EWG erfasst.
b) Selbst wenn die Grunderwerbsteuer von der
Richtlinie 69/335/EWG erfasst werden würde, weil sie im
Streitfall als zumindest mittelbar durch eine Kapitalerhöhung
gegen Einlage von Aktien ausgelöst anzusehen wäre (so
Spengel/Dörrfuß, Verstößt die Erhebung von
Grunderwerbsteuer in Einbringungsfällen gegen Europarecht?,
DStR 2003, 1059), wäre sie nach Auffassung des BFH
gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a oder b der Richtlinie
69/335/EWG zulässig.
aa) Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der
Richtlinie 69/335/EWG können die Mitgliedstaaten pauschal oder
nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern erheben. Die
Vorschrift lässt die Erhebung einer Abgabe auf die
Übertragung von Aktien unabhängig davon zu, ob die
Gesellschaft, die diese Aktien ausgegeben hat, zum
Börsenverkehr zugelassen ist und ob die Aktienübertragung
über die Börse oder direkt zwischen dem
Veräußerer und dem Erwerber erfolgt (EuGH-Urteil vom
17.12.1998 C-236/97, Codan, Slg. 1998, I-8679 = SIS 99 06 31).
Danach stellt die Einlage von Aktien gegen Gewährung neuer
eigener Aktien - wie im Streitfall - eine solche Übertragung
von Wertpapieren dar. Die Erhebung einer Steuer hierauf wäre
daher nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der genannten Richtlinie
zulässig (vgl. EuGH-Urteile in ZSteu 2007, R 989; in Slg.
1998, I-8679).
bb) Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 69/335/EWG sind auch Besitzwechselsteuern auf die
Einbringung von Liegenschaften in eine Gesellschaft,
Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck
zulässig. Die Grunderwerbsteuer, die gemäß § 1
Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bei einer Anteilsvereinigung erhoben wird, ist
nach Auffassung des BFH eine solche Besitzwechselsteuer (a.A.
Spengel/Dörrfuß, a.a.O.). Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der
Richtlinie 69/335/EWG macht keinen Unterschied zwischen
verschiedenen Besitzwechselsteuern, die die Mitgliedstaaten erheben
können. Die Vorschrift ermächtigt die Mitgliedstaaten
allgemein, neben der Gesellschaftsteuer Steuern zu erheben, deren
Entstehungstatbestand objektiv im Zusammenhang mit der
Übertragung des Eigentums an Grundstücken steht
(EuGH-Urteile vom 15.6.2006 C-264/04, Badischer Winzerkeller, Slg.
2006, I-5275; in Slg. 1997, I-7089 = SIS 06 29 75). Die im
Streitfall erhobene Grunderwerbsteuer steht objektiv im
Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an
Grundstücken. Denn sie setzt das Vorhandensein einer
Gesellschaft mit Grundbesitz voraus.
Als „Einbringung“ im Sinne
der Richtlinienregelung müssen dabei auch solche Vorgänge
gelten, die objektiv erkennbar an eine Veränderung der
Eigentumszuordnung anknüpfen, wie dies bei der hier in Frage
stehenden Änderung der spezifisch grunderwerbsteuerrechtlichen
Eigentumszuordnung durch Anteilsvereinigung der Fall ist.
In der Sache wird ein fiktiver Besitzwechsel
am Grundstück besteuert. Besitzwechselsteuern erfassen nicht
nur förmliche Übertragungen, sondern auch diesen im
Ergebnis gleichkommende wirtschaftliche Übertragungen, wie die
Tatbestände des § 1 Abs. 2 und 2 a GrEStG zeigen.
Dieses Verständnis liegt auch dem
Vorschlag einer Richtlinie über die indirekten Steuern auf
Geschäfte mit Wertpapieren (vgl. Deutscher Bundestag 7.
Wahlperiode, BTDrucks 7/5082) zugrunde. Nach dessen Art. 10 Abs. 2
Buchst. b sollten Besitzwechselsteuern auf Grundstücke
zulässig sein, „wenn der Erwerber infolge von
Geschäften mit Beteiligungspapieren an Gesellschaften, Fonds,
Vereinigungen oder anderen juristischen Personen, deren
Vermögen ganz oder teilweise aus in ihrem Hoheitsgebiet
gelegenen Grundstücken besteht, das gesamte Vermögen oder
eine solche Stellung erlangt, dass er diese Gesellschaften, Fonds,
Vereinigungen oder sonstigen juristischen Personen beherrscht. In
diesem Fall wird die Besitzwechselsteuer nur auf den entsprechend
den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Wert der
Grundstücke erhoben“ (vgl. auch Geänderter
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die
indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren KOM(87) 139
endg., BRDrucks 203/87).
cc) Die Erhebung der Grunderwerbsteuer durch
den hier in Frage stehenden Steuertatbestand entspricht auch Art.
12 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 69/335/EWG. Danach dürfen die
nach Abs. 1 der Vorschrift zulässigen Steuern und Abgaben
nicht höher sein als diejenigen, die im erhebenden
Mitgliedstaat für gleichartige Vorgänge erhoben werden.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache des nationalen
Gerichts zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist
(EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-5275).
Die Grunderwerbsteuer ist im Streitfall nicht
höher als die Steuer, die für gleichartige Vorgänge
in Deutschland erhoben wird. Sie bemisst sich bei einem
einheitlichen Steuersatz (§ 11 GrEStG) gemäß §
8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung oder - soweit eine
Gegenleistung nicht oder schwierig zu ermitteln ist -
gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 GrEStG nach den Werten i.S.
des § 138 Abs. 2 oder 3 BewG (sog. Bedarfswert). Im Streitfall
bemisst sich die Grunderwerbsteuer wie bei gleichartigen
Vorgängen nach diesen letztgenannten Werten.