Beschränkte Steuerpflicht, Steuerabzug, ausländischer Vergütungsschuldner, Haftung: 1. Ein im Ausland ansässiger Vergütungsschuldner kann zum Steuerabzug gemäß § 50 a Abs. 5 Satz 2 EStG 1990 i.d.F. des JStG 1996 verpflichtet sein. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Vergütungsschuldner um eine "zwischengeschaltete" beschränkt steuerpflichtige Person handelt und es damit um eine Abzugsverpflichtung auf der sog. zweiten Ebene geht. - 2. Die Haftung im Steuerabzugsverfahren begegnet im Jahr 1996 keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken (Anschluss an EuGH-Urteil vom 3.10.2006 Rs. C-290/04 "Scorpio", EuGHE 2006 I S. 9461 = SIS 06 44 26). Eine durch eine Haftung auf der sog. zweiten Ebene ggf. ausgelöste gemeinschaftsrechtswidrige Überbesteuerung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Haftende auf der Grundlage einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 50 d Abs. 3 EStG 1990 eine Erstattung in Höhe der auf der sog. ersten Stufe angefallenen Abzugsteuer erreichen kann. - Urt.; BFH 22.8.2007, I R 46/02; SIS 08 00 18
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kapitalgesellschaft
mit Sitz und Geschäftsleitung in Österreich, ist als
Konzertdirektion tätig. Eine Betriebsstätte in
Deutschland bestand im streitgegenständlichen
Haftungszeitraum, dem II. Quartal 1996, nicht. Im Rahmen ihrer
Geschäftstätigkeit organisierte die Klägerin die
Europatournee eines Gitarrenquartetts, dessen Mitglieder in den
Vereinigten Staaten von Amerika (USA) wohnten. Die Klägerin
hatte dabei dem inländischen Konzertveranstalter W auf der
Grundlage eines Werkvertrages die Darbietungen der Künstler
für ein Konzert zur Verfügung gestellt, das am 3.5.1996
in Deutschland stattfand.
W behielt von der mit der Klägerin
vereinbarten Vergütung für den Auftritt der Künstler
gemäß § 50a des Einkommensteuergesetzes 1990 i.d.F.
des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, 1250,
BStBl I 1995, 438) - EStG 1990 - Abzugsteuern ein und führte
diese an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - )
ab. Am 13.2.1998 erteilte das (seinerzeitige) Bundesamt für
Finanzen (BfF) der Klägerin gemäß § 50d Abs. 3
EStG 1990 eine die Zahlungen des W an die Klägerin betreffende
Freistellungsbescheinigung mit dem Hinweis, dass W berechtigt sei,
den Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 EStG 1990 zu
unterlassen.
Die Klägerin gab eine Steueranmeldung
(§ 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung -
EStDV 1990 - ) über einen Steuerabzug von den
Vergütungen, die sie den Künstlern für das Konzert
gezahlt hatte, nicht ab. Auch eine Freistellungsbescheinigung
für die an die Künstler gezahlten Vergütungen legte
die Klägerin trotz eines entsprechenden Hinweises des FA nicht
vor. Das FA schätzte daraufhin die Einnahmen der Künstler
(inländisches Konzert) auf insgesamt 12.307 DM (Netto-Honorar
9.000 DM zuzüglich von der Klägerin übernommene
Abzugsteuern 3.307 DM) und erließ gegenüber der
Klägerin gemäß § 50a Abs. 5 EStG 1990 einen
Haftungsbescheid über 3.077 DM Einkommensteuer und 230 DM
Solidaritätszuschlag.
Die Klage gegen den Haftungsbescheid war
erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom
23.5.2001 8 K 1045/97 E ist in EFG 2001, 1376 = SIS 02 79 24
abgedruckt.
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das FG-Urteil und den Haftungsbescheid
aufzuheben, hilfsweise, die Sache dem Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) vorzulegen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Das durch Beschluss des Senats vom
9.11.2005 I R 46/02 gemäß § 121 Satz 1 i.V.m.
§ 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzte
Revisionsverfahren ist durch Senatsbeschluss vom 22.11.2006
fortgeführt worden. Der Aussetzungsgrund war entfallen,
nachdem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
durch Urteil vom 3.10.2006 Rs. C-290/04 „Scorpio“ (EuGHE I 2006, 9461 = SIS 06 44 26)
über die ihm vom Senat durch den Beschluss vom 28.4.2004 I R
39/04 (BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878 = SIS 04 27 01) nach Art.
234 Abs. 3 des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des
Vertrages über die Europäische Union, der Verträge
zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie
einiger damit zusammenhängender Rechtsakte - EG - (Amtsblatt
der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1997, Nr. C 340, 1)
zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen entschieden
hat.
III. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Der
Haftungsbescheid ist dem Grunde nach
rechtmäßig.
a) Die
Einkünfte der selbständig tätigen ausländischen
Künstler für das Konzert im Inland unterliegen
gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 der
beschränkten Steuerpflicht und dem Steuerabzug nach § 50a
Abs. 4 Nr. 2 EStG 1990. Die Klägerin war als
Vergütungsschuldnerin verpflichtet, den Steuerabzug für
Rechnung der Künstler vorzunehmen und die einbehaltene Steuer
an das FA abzuführen (§ 50a Abs. 5 Satz 2 EStG 1990). Da
sie diese Verpflichtung nicht erfüllt hat und deshalb für
die einzubehaltende und abzuführende Steuer haftet (§ 50a
Abs. 5 Satz 5 EStG 1990), war das FA berechtigt, die Steuer bei ihr
durch Haftungsbescheid anzufordern (§ 73g Abs. 1 EStDV
1990).
b) Dem Gesetz
lässt sich keine Einschränkung entnehmen, dass nur
Vergütungsschuldner, die im Inland über eine
Betriebsstätte oder eine vergleichbare Einrichtung
verfügen, zum Steuerabzug verpflichtet sind. Ausreichend ist
vielmehr, dass Entgelte an Künstler für einen Auftritt im
Inland entrichtet werden, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr.
3 EStG 1990 beschränkt steuerpflichtig sind. Das Anbieten
künstlerischer Veranstaltungen im Inland rechtfertigt die
Verpflichtung zum Steuerabzug für Rechnung der Künstler,
ohne dass Fragen der verwaltungstechnischen Abwicklung des
Steuerabzugs eine Rolle spielen. Die an
eine Betätigung im Inland anknüpfende beschränkte
Steuerpflicht des Vergütungsgläubigers stellt den
für die Verpflichtung zum Steuerabzug erforderlichen
Inlandsbezug her (z.B. Senatsbeschluss vom 17.5.2005 I B 108/04,
BFH/NV 2005, 1778 = SIS 05 40 35; FG München, Urteil vom
3.6.1998 1 K 3965/94, EFG 1998, 1266; Bundesministerium der
Finanzen - BMF -, Schreiben vom 23.1.1996, BStBl I 1996, 89 = SIS 96 10 49, Tz. 2.5, 3.1 und 6/Beispiel 4a; Frotscher, EStG, §
50a Rz 10; Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 50a Rz 39;
Hahn-Joecks, Zur Problematik der Besteuerung ausländischer
Künstler und Sportler, 1999, S. 253; Schmidt/Heinicke, EStG,
26. Aufl., § 50a Rz 15; Ramackers in Littmann/Bitz/Pust, EStG,
§ 50a Rz 30; Blümich/Wied, EStG, § 50a Rz 49, 75;
kritisch Schauhoff, IStR 1997, 5, 6; a.A. FG Münster,
Beschluss vom 1.4.2004 1 V 4857/03 E, IStR 2004, 349 = SIS 04 24 55; Grams, IStR 2002, 744 und IStR 2004, 350 f.; Hey, Recht der
Internationalen Wirtschaft 1999, 236; Maßbaum in
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 50a Rz 132; Nieland in
Lademann, EStG, § 50a Rz 274 ff.; Strunk in Korn, EStG, §
50a Rz 7).
Das von der
Klägerin hiergegen angeführte Senatsurteil vom 30.10.1973
I R 50/71 (BFHE 110, 536, BStBl II 1974, 107 = SIS 74 00 60) ist
zur Lohnsteuer ergangen und nicht einschlägig. Dies folgt aus
dem Umstand, dass der gesetzliche Pflichtenkreis beim Steuerabzug
nach § 50a Abs. 4 EStG 1990 (Führen von Aufzeichnungen;
Einbehalten, Anmelden und Abführen der Abzugsteuer;
§§ 73d, 73e EStDV 1990) weniger umfassend ist als beim
Lohnsteuerabzug und sich ausschließlich auf die
inländische Betätigung bezieht. Im Übrigen ist es im
Lohnsteuerbereich ebenfalls nicht völlig ausgeschlossen, einen
ausländischen Unternehmer in den Pflichtenkreis der
Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer einzubeziehen
(§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, eingefügt durch das
Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19.12.1985, BGBl I 1985, 2436,
BStBl I 1985, 735; s. dazu z.B. Senatsurteil vom 12.6.1997 I R
72/96, BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660 = SIS 97 22 91).
c) Die vorstehende
Auslegung zum Begriff des Vergütungsschuldners ist auch
maßgebend, wenn es (wie im Streitfall) um eine Haftung
für eine Abzugsteuer auf der sog. zweiten Ebene geht. Die
Zwischenschaltung der (ihrerseits gemäß § 49 Abs. 1
Nr. 2 Buchst. d EStG 1990 i.V.m. § 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1
des Körperschaftsteuergesetzes - KStG 1990 - beschränkt
steuerpflichtigen) Klägerin und zugleich das Vorhandensein
einer weiteren, unbeschränkt steuerpflichtigen Person (im
Streitjahr der Konzertveranstalter W) auf der sog. ersten Ebene,
die im Ergebnis ebenfalls eine Vergütung für die
Darbietung des Künstlers zahlt, beeinträchtigt den
Inlandsbezug für die Klägerin als mit den Künstlern
vertraglich verbundener Vergütungsschuldnerin nicht (so im
Ergebnis auch BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 89 = SIS 96 10 49, Tz.
3.1; a.A. FG Münster, Beschluss in IStR 2004, 349 = SIS 04 24 55). Denn die beschränkte Steuerpflicht des
Vergütungsgläubigers (Künstlers) als
maßgebender Anknüpfungspunkt für die
Inanspruchnahme ist davon nicht berührt. Dass es dadurch in
wirtschaftlicher Hinsicht zu einer Doppelinanspruchnahme auf beiden
Ebenen kommen kann, wirkt sich, wie nachfolgend unter 3.d
darzustellen ist, jedenfalls unter den Gegebenheiten des
Streitfalls nicht aus.
d) Der
Haftungsbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil er keine
Erwägungen darüber enthält, weshalb das FA die
Klägerin und nicht die Steuerschuldner herangezogen hat (s.
insoweit allgemein Senatsurteil vom 20.7.1988 I R 61/85, BFHE 154,
473, BStBl II 1989, 99 = SIS 88 23 57; Senatsbeschluss in BFH/NV
2005, 1778 = SIS 05 40 35; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50a Rz
56). Insbesondere kann der Haftungsinanspruchnahme der
Klägerin wegen der Unbestimmtheit eines Festsetzungserfolgs
nicht entgegengehalten werden, dass eine Festsetzung der Steuer
gegenüber den Künstlern aus Anlass eines nachfolgenden
inländischen Aufenthalts der Künstler erfolgen
könnte. Darüber hinaus hat das FA in seiner
Einspruchsentscheidung ausgeführt, dass die Inanspruchnahme
der Klägerin ermessensgerecht sei, „da sie in grobem
Maße ihre Mitwirkungspflicht verletzt ... (habe) und eine
Inanspruchnahme der Künstler mangels bekannten Aufenthalts im
Ausland ohne Aussichten auf Erfolg ist“. Dies reicht als
Begründung für die Auswahlentscheidung, die im
außergerichtlichen Vorverfahren nachgeholt werden kann
(§ 126 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung - AO - ; z.B. Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.8.2002 VI R 41/96, BFHE 200,
200, BStBl II 2003, 160 = SIS 03 07 76; Kruse in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 191 AO Rz 108,
m.w.N.), aus.
e) Ob Art. 17
Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und
einiger anderer Steuern vom 29.8.1989 - DBA-USA 1989 - (BGBl II
1991, 356, BStBl I 1991, 95) und Nr. 15 des Protokolls vom
29.8.1989 zum DBA-USA 1989 das
Besteuerungsrecht letztlich den USA als ausländischem
Wohnsitzstaat der Künstler zuweisen, hat wegen § 50d Abs.
1 Satz 1 EStG 1990 keinen Einfluss auf die
Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides (s. auch
Senatsurteile vom 19.11.2003 I R 22/02, BFHE 205, 37, BStBl II
2004, 560 = SIS 04 18 31, und vom 21.5.1997 I R 79/96, BFHE 184,
281, BStBl II 1998, 113 = SIS 98 04 91; Senatsbeschluss in BFH/NV
2005, 1778 = SIS 05 40 35). Die Schwierigkeiten des
Steuergläubigers bei der Durchsetzung von Steuerforderungen
gegenüber ausländischen Künstlern für deren
inländische Auftritte rechtfertigen den
Steuerabzug.
2. Der
Haftungsbescheid ist auch der Höhe nach rechtmäßig.
Da die Höhe der an die Künstler zu zahlenden
Vergütung nicht feststeht, durfte das FA einen Betrag
schätzen (§ 162 Abs. 1 AO); zugleich durfte das FA, da
ein Steuereinbehalt durch die Klägerin nicht ersichtlich war,
die Übernahme der Ertragsteuer als weiteren Vorteil im
Zusammenhang mit der Vergütung der künstlerischen
Leistung werten. Beide Beträge werden von der Klägerin
auch nicht substantiiert angegriffen.
3. Der Umstand, dass
es sich bei der Klägerin um ein in Österreich
ansässiges Unternehmen handelt, ändert an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides auch
vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung des
Gemeinschaftsrechts nichts.
a) Zwar könnte
die Klägerin dadurch, dass sie der Abzugsteuer
gemäß § 50a Abs. 4 EStG 1990 in Höhe von 25 %
der Bruttovergütung unterfällt, schlechter gestellt sein
als ein vergleichbarer unbeschränkt Steuerpflichtiger. Denn
ein solcher Steuerpflichtiger ist keinem vergleichbaren Steuerabzug
unterworfen. Überdies bestimmt sich bei ihm die Höhe der
Ertragsteuer unter Abzug von Ausgabenpositionen.
b) Nach dem
EuGH-Urteil in EuGHE I 2006, 9461 (dort Leitsätze 1, 2 [3.
Spiegelstrich], 3) sind Art. 59 und 60 des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV - (jetzt:
Art. 49, 50 EG) jedoch dahin auszulegen, dass sie nationalen
Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen auf die
Vergütung eines Dienstleisters, der im Mitgliedstaat der
Leistungserbringung nicht ansässig ist, ein
Steuerabzugsverfahren Anwendung findet, während die
Vergütung eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen
Dienstleisters diesem Verfahren nicht unterliegt, und nach denen
der Dienstleistungsempfänger in Haftung genommen wird, wenn er
den Steuerabzug, zu dem er verpflichtet war, unterlassen hat.
Darüber hinaus sind Art. 59 und 60 EGV dahin auszulegen, dass
sie nicht verbieten, dass die Steuerbefreiung, die einem
gebietsfremden Dienstleister, der in Deutschland tätig
geworden ist, nach dem einschlägigen
Doppelbesteuerungsabkommen zusteht, entweder vom
Vergütungsschuldner im Rahmen des Steuerabzugsverfahrens oder
in einem späteren Freistellungs- oder Erstattungsverfahren
oder aber in einem gegen den Vergütungsschuldner eingeleiteten
Haftungsverfahren nur dann berücksichtigt werden kann, wenn
von der zuständigen Steuerbehörde eine
Freistellungsbescheinigung erteilt worden ist, derzufolge die
Voraussetzungen hierfür nach dem Abkommen erfüllt sind.
Dies betrifft nach der zitierten EuGH-Entscheidung jedenfalls die
Zeit bis zur Geltung der (geänderten) Richtlinie 2001/44/EG
des Rates vom 15.6.2001 zur Änderung der Richtlinie 76/308/EWG
über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung
von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die
Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen
Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind,
sowie von Abschöpfungen und Zöllen und bezüglich der
Mehrwertsteuer und bestimmter Verbrauchsteuern -
EG-Beitreibungsrichtlinie - (ABlEG Nr. L 175, 17) i.V.m. dem Gesetz
zur Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie
(EG-Beitreibungsgesetz) i.d.F. vom 3.5.2003 (BGBl I 2003, 654) und
damit auch den streitgegenständlichen Zeitraum. Soweit der
Senat in seinem in jener Rechtssache „Scorpio“
ergangenen Schlussurteil vom 24.4.2007 I R 39/04 (abrufbar im
Internet unter www.bundesfinanzhof.de, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt) ebenso wie schon zuvor in seinem
Urteil vom 10.1.2007 I R 87/03 (DStR 2007, 891 = SIS 07 15 04, auch
zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) noch davon
ausgegangen ist, dass es insofern auf die Richtlinie 2002/94/EG der
Kommission vom 9.12.2002 zur Festlegung ausführlicher
Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der
Richtlinie 76/308/EWG über die gegenseitige Unterstützung
bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit bestimmten
Abgaben, Zöllen, Steuern und sonstigen Maßnahmen (ABlEG
Nr. L 337, 41) ankommen könne, stellt er dies hiermit richtig
(vgl. auch Kempermann, FR 2007, 842; Grams, IStR 2007,
408).
c) Der EuGH hat
damit die der Durchsetzung des Steuerabzugsverfahrens dienende
Haftungsregelung zum Nachteil des Dienstleistungsempfängers
als legitimes und geeignetes Mittel angesehen, um die steuerliche
Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des
Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen und um zu
verhindern, dass die betreffenden Einkünfte sowohl im
Wohnsitzstaat als auch im Staat der Leistungserbringung
unversteuert bleiben (s. bereits Senatsbeschluss in BFHE 206, 120,
BStBl II 2004, 878 = SIS 04 27 01). Die Beeinträchtigung der
(passiven) Dienstleistungsfreiheit ist damit gerechtfertigt.
Angesichts dessen muss es ebenfalls als legitimes Mittel angesehen
werden, eine zwischengeschaltete Person, die zivilrechtlich
Vergütungsschuldnerin des Dienstleisters ist, in die
Haftungsregelung einzubeziehen.
d) Die Haftung
„in zweiter (und weiterer) Stufe“ könnte
allerdings die Grenze der Angemessenheit des Mittels zur Erreichung
des als solchen gerechtfertigten Besteuerungszwecks verfehlen,
indem sie eine Belastung auslöst, obgleich der Sicherungszweck
für den inländischen Fiskus durch den Steuerabzug bzw.
die Haftung in der „ersten“ als der
vorhergehenden Stufe schon erreicht ist. Darüber hinaus kommt
es durch den Ansatz der jeweiligen Bruttobeträge als
Steuerbemessungsgrundlage in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer
Kumulation der Belastung („Kaskadeneffekt“; s.
z.B. Kramer, IStR 1998, 557, 560; Klimmer, Besteuerung
international tätiger Sportler in der Bundesrepublik
Deutschland, 2004, S. 308 ff.; s.a. Toifl in
Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer [Hrsg.], Die beschränkte
Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, 2004,
S. 211, 230 ff.; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50a Rz 18 a.E.).
Auch der Hinweis auf die anderweitige Möglichkeit einer den
jeweiligen Einzelfall betreffenden Billigkeitsmaßnahme, um
eine „Überbesteuerung“ auszuschließen
(s. insoweit BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 89 = SIS 96 10 49, Tz.
4.2), erscheint zweifelhaft. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH
lässt die Möglichkeit, im Einzelfall ein
Billigkeitsverfahren durchzuführen, nicht die
diskriminierenden Wirkungen der gesetzlichen Regelung als solche
entfallen (EuGH-Urteile vom 8.5.1990 Rs. C-175/88
„Biehl“, EuGHE I 1990, 1779 Rz 18; vom
26.10.1995 Rs. C-151/94 „Kommission/Luxemburg“,
EuGHE I 1995, 3685 = SIS 96 03 35 Rz 17 f.).
Im Streitfall
können diese Bedenken jedoch nicht durchgreifen. Denn nach den
revisionsrechtlich bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen
des FG hat das BfF der Klägerin gemäß §
50d Abs. 3 EStG 1990 eine Freistellungsbescheinigung erteilt. Auf
Grund dieser Bescheinigung konnte die Klägerin erreichen, dass
die zunächst von W gemäß § 50a Abs. 4 Nr. 2,
§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990 i.V.m. § 2 Nr. 1,
§ 8 Abs. 1, § 49 KStG 1990 einbehaltene und
abgeführte Körperschaftsteuer im Ergebnis an sie
erstattet wurde (vgl. dazu Senatsurteil vom 11.10.2000 I R 34/99,
BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291 = SIS 01 03 71; s.a.
Grützner in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Anhang Rz 219).
Angesichts dieses Erstattungsanspruchs der Klägerin scheidet
eine Überbesteuerung aus; der Eintritt von
vorübergehenden Liquiditätsnachteilen ist als dem
Abzugsverfahren immanent hinzunehmen.
e) Ob (mit den
Honoraren in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehende)
Betriebsausgaben der Künstler die Bemessungsgrundlage der
Abzugsteuer entgegen dem Wortlaut des § 50a Abs. 4 EStG 1990
mindern könnten, kann schon deshalb offenbleiben, weil die
Klägerin Betriebsausgaben der Künstler bis heute nicht
dargelegt hat. Dass das Gemeinschaftsrecht es dem nationalen Recht
grundsätzlich verbietet, die Ausübung der durch die
Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch
unmöglich zu machen oder übermäßig zu
erschweren (sog. Effektivitätsgrundsatz), und dass die
Durchsetzung der Rechte des Gebietsfremden hiernach nicht weniger
günstig ausgestaltet werden darf als entsprechende rein
innerstaatliche Verfahren (sog. Äquivalenzgrundsatz. vgl.
EuGH-Urteil vom 8.3.2001 Rs. C-397/98 und C-410/98, EuGHE I 2001,
1727 = SIS 01 06 62
„Metallgesellschaft/Hoechst“), wirkt sich so
gesehen im Streitfall nicht aus. Im Übrigen trägt der
Verweis der Klägerin auf das EuGH-Urteil in EuGHE I
2006, 9461 = SIS 06 44 26 im Streitfall
auch insoweit nicht, als die Künstler als in den USA
ansässige Personen nicht Angehörige von
EU-Mitgliedstaaten sind. Es ist auch weder aus dem DBA-USA 1989
noch aus anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen mit den USA
ein allgemeines Meistbegünstigungsgebot des Inhalts
abzuleiten, dass in den USA ansässige Personen unter ansonsten
vergleichbaren Umständen nicht höher besteuert werden
dürfen als in Deutschland oder im Bereich der
Europäischen Union Ansässige (Senatsurteil in BFHE 205,
37, BStBl II 2004, 560 = SIS 04 18 31). Soweit die Klägerin
demgegenüber auf Art. XI Abs. 3 des Freundschafts-, Handels-
und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 -
Freundschaftsvertrag - (BGBl II 1956, 488) verweist, wird sie
selbst als in Österreich ansässige Haftungsschuldnerin
vom Schutzbereich dieser Regelung nicht erfasst.
f) Der Senat
erachtet im Streitfall die Gemeinschaftsrechtslage zur Frage der
Haftung im Steuerabzugsverfahren zwischenzeitlich in einer Weise
als eindeutig, dass er von der Vorlage an den EuGH gemäß
Art. 234 Abs. 3 EG absieht (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs.
283/81 „C.I.L.F.I.T.“, EuGHE 1982,
3415).
4. Die Inanspruchnahme der Klägerin
begegnet schließlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Inhaftungnahme nach der Verletzung der Pflicht zum Einbehalt
der Abzugsteuer ist nicht unverhältnismäßig.
Bilaterale Vollstreckungsmöglichkeiten, auf die die
Klägerin verweist, bestehen im Verhältnis zum
Wohnsitzstaat der Schuldner nicht. Außerdem ist ein Anspruch
auf eine Nettobesteuerung, den die Klägerin zur Vermeidung
einer Diskriminierung unter Hinweis auf den Freundschaftsvertrag
für sich reklamiert, angesichts der Verfahrenslage (fehlende
Geltendmachung von Betriebsausgaben; Schätzung einer
Nettovergütung) nicht ersichtlich.
5. Ein Verfahrensfehler des FG liegt nicht
vor. Es bestand in ausreichender Weise Gelegenheit, im
gerichtlichen Verfahren zur Höhe des Haftungsbetrages Stellung
zu nehmen.