Kindergeld, Prozesszinsen: Zahlt die Familienkasse während des Klageverfahrens das begehrte Kindergeld aufgrund eines außergerichtlichen Eilverfahrens vorläufig aus, beginnt die Frist für die Festsetzung von Prozesszinsen nicht mit Ablauf des Jahres der Auszahlung (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO), sondern erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch auf Prozesszinsen entsteht. Erlässt die Familienkasse im weiteren Verlauf des Verfahrens den beantragten Kindergeldbescheid, entsteht der Anspruch auf Prozesszinsen zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Rechtsstreit aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten erledigt (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO). - Urt.; BFH 25.1.2007, III R 85/06; SIS 07 61 23
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) beantragte am 28.1.2002 Kindergeld für seinen am
6.5.1975 geborenen Sohn T ab Januar 2002.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte
(Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5.2.2002 ab und
wies den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen
erhob der Kläger Klage beim Finanzgericht (FG), die dort am
14.5.2002 einging.
Auf seinen außerhalb des
Klageverfahrens gestellten Antrag zahlte die Familienkasse am
23.12.2002 im Wege der Aussetzung der Vollziehung an den
Kläger das Kindergeld für seinen Sohn T für die
Monate Januar 2002 bis Mai 2002 in Höhe von insgesamt 770 EUR
aus.
Mit Schriftsatz vom 25.4.2003 beantragte
der Kläger in dem Klageverfahren vorsorglich „für
den Fall meines Obsiegens“, ihm Prozesszinsen für das
begehrte Kindergeld zu bezahlen. Am 15.6.2005 hob die Familienkasse
den das Kindergeld ablehnenden Bescheid und die hierzu ergangene
Einspruchsentscheidung auf und bewilligte dem Kläger für
dessen Sohn T Kindergeld für die Monate Januar bis Mai 2002 in
Höhe von monatlich je 154 EUR, somit insgesamt 770 EUR.
Nachdem die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit
übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt
erklärt hatten, erlegte das FG durch Beschluss vom 2.9.2005
der Familienkasse die Kosten des Verfahrens auf.
Am 19.6.2005 beantragte der Kläger bei
der Familienkasse u.a. unter Hinweis auf seinen Schriftsatz vom
25.4.2003, ihm Prozesszinsen für den Zeitraum vom 14.5.2002
bis zum Zahlungseingang am 23.12.2002 auf den jeweils fälligen
Kindergeldbetrag zu zahlen. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse
mit Bescheid vom 18.10.2005 unter Hinweis darauf ab, dass
zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung nach § 239 Abs. 1
der Abgabenordnung (AO) eingetreten sei. Der Einspruch blieb
erfolglos.
Das FG wies die Klage ab (vgl. SIS 07 05 15).
In den Entscheidungsgründen seines
Urteils führte es im Wesentlichen aus, der Anspruch auf
Prozesszinsen sei verjährt. Nach § 239 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO habe die einjährige
Festsetzungsfrist für Prozesszinsen nach § 236 AO mit
Ablauf des Kalenderjahres begonnen, in dem das Kindergeld als
Steuervergütung ausbezahlt worden sei, mithin im Streitfall
nach der Auszahlung des Kindergeldes am 23.12.2002 mit Ablauf des
Kalenderjahres 2002, so dass der Anspruch auf Prozesszinsen am
1.1.2004 erloschen sei. Zwar seien die Vorschriften über die
Ablaufhemmung (§ 171 AO) auf die Festsetzung der Prozesszinsen
entsprechend anzuwenden. Aber die Voraussetzungen des § 171
Abs. 3 und § 171 Abs. 10 AO seien im Streitfall nicht
erfüllt.
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, das FG-Urteil und den
Bescheid vom 18.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
27.3.2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten,
Prozesszinsen in Höhe von 26 EUR festzusetzen.
Die Familienkasse beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Klagestattgabe
(§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG hat zu Unrecht den Anspruch des
Klägers auf Zahlung von Prozesszinsen in der geltend gemachten
Höhe verneint.
1. Ansprüche aus einem
Steuerschuldverhältnis werden verzinst, soweit dies gesetzlich
vorgeschrieben ist (§ 233 AO). Zu den Ansprüchen aus
einem Steuerschuldverhältnis gehört u.a. der
Steuervergütungsanspruch (§ 37 Abs. 1 AO), mithin auch
der Anspruch auf Kindergeld (§ 31 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes - EStG - ).
Ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen
i.S. von § 236 AO entsteht, wenn durch eine
rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer
solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder
eine Steuervergütung gewährt wird. Dies gilt
entsprechend, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder
Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass
des beantragten Verwaltungsakts erledigt hat (§ 236 Abs. 2 Nr.
1 AO). In diesem Fall ist der zu erstattende bzw. zu
vergütende Betrag grundsätzlich vom Tag der
Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen
(§ 236 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AO). Der Zweck der
Vorschrift besteht darin, dem Gläubiger eines
Erstattungsanspruches für die Vorenthaltung des Kapitals und
der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für
die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu
gewähren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
16.11.2000 XI R 31/00, BFHE 196, 1, BStBl II 2002, 119 = SIS 01 14 43).
2. Im Streitfall hat die Familienkasse mit
Verfügung vom 15.6.2005 dem Klagebegehren in vollem Umfang
entsprochen, indem sie den angefochtenen Bescheid vom 5.2.2002 in
Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung aufgehoben und
dem Kläger für die Monate Januar bis Mai 2002 Kindergeld
in Höhe von jeweils 154 EUR gewährt hat. Daraufhin haben
die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit für
erledigt erklärt. Mit dem Eingang der letzten
Erledigungserklärung war die Rechtshängigkeit beendet
(Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 138 Rz
11, m.w.N.).
Da dem Kläger das Kindergeld am
23.12.2002 (vorläufig) ausgezahlt worden war, ist ein Anspruch
auf Verzinsung des Kindergeldes ab 14.5.2002, dem Tag der
Rechtshängigkeit (§ 66 FGO), bis zum 23.12.2002
entstanden.
3. Entgegen der Auffassung des FG war der
Zinsanspruch des Klägers nicht verjährt.
a) Auf die Zinsen sind die für die
Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Die
Festsetzungsfrist beträgt ein Jahr (§ 239 Abs. 1 Satz 1
AO). Sie beginnt in den Fällen des § 236 AO mit Ablauf
des Kalenderjahres, in dem die Steuer erstattet oder die
Steuervergütung ausgezahlt worden ist (§ 239 Abs. 1 Satz
2 Nr. 4 AO).
b) Der Rechtsanspruch des Klägers auf
Prozesszinsen ist erst mit der Erledigung des Rechtsstreits durch
den Erlass der begehrten Kindergeldfestsetzung im Kalenderjahr 2005
entstanden (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO). Dieser Zeitpunkt ist auch
maßgeblich für den Beginn der Festsetzungsfrist. Der
noch im Kalenderjahr 2005 vom Kläger geltend gemachte
Zinsanspruch war mithin noch nicht verjährt.
Dem steht nicht entgegen, dass die
Familienkasse das Kindergeld im Wege der Aussetzung der Vollziehung
bereits im Dezember 2002 vorläufig ausbezahlt hat. Denn das
Kindergeld wurde nicht endgültig zur Erledigung des
Rechtsstreits i.S. von § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO, sondern
vorläufig aufgrund eines vom Kläger angestrengten
außergerichtlichen Verfahrens gewährt.
Nach der Rechtsprechung des BFH entsteht der
Rechtsanspruch auf Prozesszinsen i.S. von § 236 Abs. 2 Nr. 1
AO nur, wenn der erledigte Rechtsstreit ursächlich für
die Herabsetzung der Steuer war (BFH-Urteil vom 15.10.2003 X R
48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169 = SIS 04 05 35).
Dementsprechend ist auch der Wortlaut des § 239 Abs. 1 Satz 2
Nr. 4 AO - „in den Fällen des § 236“ -
dahingehend zu verstehen, dass für den Beginn der
Festsetzungsfrist ein kausaler Zusammenhang zwischen dem
Rechtsanspruch i.S. von § 236 AO und der Auszahlung der
Steuervergütung bestehen muss. Die Anwendung des § 239
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO setzt somit voraus, dass der Anspruch auf
Prozesszinsen bereits entstanden ist. Ist die Steuervergütung
tatsächlich - wie im Streitfall - bereits früher aus
anderen Gründen ausbezahlt worden, so hat dies lediglich
Bedeutung für die Dauer des Zinslaufs, nicht aber für den
Beginn der Festsetzungsfrist. Dadurch ist sichergestellt, dass die
einjährige Festsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr.
4 AO nicht vor dem Entstehen des Rechtsanspruchs auf Prozesszinsen
in Lauf gesetzt wird bzw. sogar ablaufen kann.
Es widerspräche im Übrigen auch dem
Sinn und Zweck der Regelung des § 236 AO, wenn durch eine
vorläufige Auszahlung des streitbefangenen Betrages im Wege
einer außergerichtlichen Eilentscheidung während eines
u.U. mehrere Jahre dauernden Klageverfahrens dem berechtigten
Anspruch auf Prozesszinsen die Grundlage entzogen werden
könnte.
4. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist aufzuheben. Die
Familienkasse wird verpflichtet, dem Antrag des Klägers
entsprechend Prozesszinsen in Höhe von 26 EUR
festzusetzen.