Tarifvertraglich vereinbarte Zukunftssicherungsleistungen, Steuerfreiheit: Beiträge zur Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, zu deren Leistung der Arbeitgeber aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG verpflichtet ist, sind steuerfrei (§ 3 Nr. 62 Satz 1 Alternative 3 EStG). - Urt.; BFH 13.9.2007, VI R 16/06; SIS 07 36 25
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betreibt einen landwirtschaftlichen Produktions-
und Handelsbetrieb. Sie führte in den Streitjahren 1998 bis
2001 für jeden Arbeitnehmer monatlich 10 DM an die
Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und
Forstwirtschaft (ZLA), einer Anstalt des öffentlichen Rechts,
im Auftrag des Zusatzversorgungswerkes für Arbeitnehmer in der
Land- und Forstwirtschaft (ZLF) e.V., ab. Die Klägerin, die
selbst nicht tarifgebunden ist, kam damit einer Verpflichtung aus
dem zwischen der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft
und den land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbänden
abgeschlossenen Tarifvertrag (TV) nach. Nach § 2 Abs. 3 i.V.m.
§ 3 Abs. 1 des Vertrags ist der Arbeitgeber verpflichtet,
einen Betrag von 10 DM monatlich für jeden ständig
beschäftigten Arbeitnehmer an das ZLF zu leisten. Der
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat die
Bestimmungen des erwähnten TV über das
Zusatzversorgungswerk gemäß § 5 des
Tarifvertragsgesetzes (TVG) für allgemeinverbindlich
erklärt.
Die Klägerin unterwarf die Leistungen
nicht der Lohnsteuer. Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung erfasste der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die Beträge als
steuerpflichtigen Arbeitslohn und erhob pauschal Lohnsteuer nach.
Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Steuerfreiheit
gemäß § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
in Anspruch nahm, blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2006, 1038 = SIS 06 22 18 veröffentlichten
Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung des § 3 Nr. 62 EStG.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung
des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet; sie war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Beitragsleistungen der
Klägerin an die ZLA sind nicht lohnsteuerpflichtig.
Die Beitragsleistungen sind gemäß
§ 3 Nr. 62 Satz 1 EStG steuerfrei.
a) Wie sich aus dem Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27.6.2006 IX R 77/01 (BFH/NV 2006, 2242
= SIS 06 44 66) ergibt, ist der Anwendungsbereich des § 3 Nr.
62 Satz 1 EStG aufgrund der Gesetzesänderung durch das
Steueränderungsgesetz 1992 deutlich erweitert worden. Zur
Steuerfreiheit führen nunmehr nicht nur eine
sozialversicherungsrechtliche, sondern auch eine andere gesetzliche
sowie eine auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende
Verpflichtung des Arbeitgebers, Ausgaben für die
Zukunftssicherung der Arbeitnehmer zu leisten. Das hat zur Folge,
dass auch Zwangsbeiträge, die aufgrund einer durch
vorkonstitutionelles Gesetz entstandenen und als Bundesrecht
fortgeltenden Tarifordnung geleistet werden, steuerfrei sind.
Entsprechendes gilt für Beiträge, zu deren Leistung der
Arbeitgeber aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung eines
Tarifvertrags gemäß § 5 TVG verpflichtet ist.
b) Für die Steuerbefreiung nach § 3
Nr. 62 Satz 1 EStG ist eine auf gesetzlicher Grundlage beruhende
Verpflichtung des Arbeitgebers, Ausgaben für die
Zukunftssicherung des Arbeitnehmers zu erbringen, erforderlich
(BFH-Urteil vom 18.5.2004 VI R 11/01, BFHE 206, 158, BStBl II 2004,
1014 = SIS 04 23 50). Leistungen, die aufgrund einer freiwillig
begründeten Rechtspflicht erbracht werden, sind nicht
steuerbefreit. Es kann hier dahinstehen, ob Leistungen des
Arbeitgebers, zu denen er tarifgebunden verpflichtet ist (vgl. dazu
§ 4 TVG), in diesem Sinne freiwillig erbracht und deshalb von
der Steuerbefreiung nicht erfasst werden (so von Beckerath, in:
Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 62 Rz B 62/35
unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 6.11.1970 VI 385/65, BFHE 100,
320, BStBl II 1971, 22 = SIS 71 00 13 zu § 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz
6 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - ). Denn
§ 3 Nr. 62 Satz 1 EStG kommt zumindest für den
Arbeitgeber in Betracht, der nicht tarifgebunden und aufgrund der
Allgemeinverbindlicherklärung eines TV gemäß §
5 TVG zur Zahlung verpflichtet ist. Dies ergibt sich aus den
Besonderheiten, die die autonome Ordnung des Arbeitslebens durch
die Tarifparteien auszeichnet.
aa) Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG)
gewährleistet eine Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens,
bei der der Staat seine Zuständigkeit zur Rechtsetzung
weitgehend zurückgenommen und die Bestimmung der
regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrags
grundsätzlich den Tarifparteien überlassen hat. Der
Gesetzgeber hat den Tarifparteien auf der Grundlage der Bedeutung
des Grundrechts der Koalitionsfreiheit im TVG das Mittel des
Tarifvertrags an die Hand gegeben. Bei der Normsetzung durch die
Tarifparteien handelt es sich um Gesetzgebung im materiellen Sinne,
die Normen im rechtstechnischen Sinne erzeugt (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 24.5.1977 2 BvL 11/74,
BVerfGE 44, 322, 341).
Die
„Normsetzungsprärogative“ der Tarifparteien
gilt nicht schrankenlos. Es ist Sache des subsidiär für
die Ordnung des Arbeitslebens weiterhin zuständigen
staatlichen Gesetzgebers, die Betätigungsgarantie der
Tarifparteien in einer den besonderen Erfordernissen des jeweiligen
Sachbereichs entsprechenden Weise näher zu regeln. In diesem
rechtlichen Zusammenhang steht die
Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG.
Soweit ein öffentliches Interesse daran besteht, dass im
Geltungsbereich eines TV alle Arbeitsverhältnisse in ihren
Mindestbedingungen inhaltlich gleich gestaltet sind, bewirkt sie,
dass die von den Tarifparteien ausgehandelten Rechtsnormen auch
für Nichtverbandsmitglieder durch staatlichen Hoheitsakt
verbindlich werden. Dieser staatliche Hoheitsakt hat nicht nur die
Bedeutung einer bloßen unselbständigen
Zustimmungserklärung zur autonomen Normsetzung der
Tarifparteien auch gegenüber sog. Außenseitern. Vielmehr
handelt es sich um einen dem Staat vorbehaltenen Geltungsbefehl,
der die Außenseiter an die Tarifnorm bindet (BVerfG in
BVerfGE 44, 322, 346).
bb) Zwar ist die
Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen kein
Gesetz im formellen Sinn, also auch keine Rechtsverordnung.
Vielmehr ist sie im Verhältnis zu den ohne sie nicht
tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt
eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher
Rechtsetzung, der seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art.
9 Abs. 3 GG findet (BVerfG in BVerfGE 44, 322, 338 f.; Beschluss
vom 15.7.1980 1 BvR 24/74 und 439/79, BVerfGE 55, 7, 20; Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 28.3.1990 4 AZR 536/89, DB 1991, 180).
Dies steht jedoch der Steuerbefreiung nicht entgegen.
Maßgeblich ist, dass der nicht tarifgebundene Arbeitgeber
materiell gesetzlich verpflichtet ist, Zukunftssicherungsleistungen
zu erbringen. Es ist nicht gerechtfertigt, die insoweit gesetzlich
auferlegten Zwangsbeiträge aus dem Anwendungsbereich der
Befreiungsvorschrift auszuschließen.