Sonstige Glücksspiele, USt-Freiheit, AdV: 1. Es ist noch nicht geklärt, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 2005 i.d.F. des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung vom 28.4.2006 (BGBl 2006 I S. 1095, BStBl 2006 I S. 353) mit der Richtlinienbestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG insoweit vereinbar ist, als er "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz" im Sinne der Richtlinienbestimmung von der Steuerbefreiung ausnimmt. - 2. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage nicht im summarischen Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes zu entscheiden. - Urt.; BFH 9.8.2007, V B 96/07; SIS 07 31 79
I. Die Antragstellerin und
Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Gegenstand
ihres Unternehmens ist der Betrieb einer Spielhalle.
Mit ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für
das II. Kalendervierteljahr 2006 vom 10.8.2006 erklärte die
Antragstellerin ihre Umsätze aus Geldspielgeräten ab dem
7.5.2006 als steuerpflichtig aufgrund des Inkrafttretens der
Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes
2005 (UStG n.F.) durch das Gesetz zur Eindämmung
missbräuchlicher Steuergestaltung vom 28.4.2006 am 6.5.2006
(BGBl I 2006, 1095, BStBl I 2006, 353). Die Antragstellerin
ermittelte eine Umsatzsteuervorauszahlung von 20.252,81
EUR.
Gleichzeitig legte sie gegen diese
Umsatzsteuervoranmeldung unter Beifügung einer berichtigten
Umsatzsteuervoranmeldung für das II. Kalendervierteljahr 2006
Einspruch ein. In der berichtigten Umsatzsteuervoranmeldung
behandelte sie die Umsätze aus Geldspielgeräten unter
Berufung auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) als steuerfrei. Aufgrund der dadurch verminderten
abziehbaren Vorsteuerbeträge ermittelte sie eine
Umsatzsteuer-Vorauszahlung von 27,03 EUR.
In Höhe der Differenz von 20.225,78
EUR zwischen den jeweils erklärten
Umsatzsteuer-Vorauszahlungen beantragte sie beim Antragsgegner und
Beschwerdeführer (Finanzamt - FA - ) Aussetzung der
Vollziehung.
Mit Verfügung vom 24.8.2006 lehnte das
FA den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
Den hiergegen erhobenen Einspruch - ebenso
wie den Einspruch gegen die Umsatzsteuervoranmeldung für das
II. Kalendervierteljahr 2006 - wies das FA mit
Einspruchsentscheidungen vom 19.10.2006 als unbegründet
zurück.
Gegen die Einspruchsentscheidung betreffend
die Umsatzsteuervoranmeldung für das II. Kalendervierteljahr
2006 erhob die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) Klage,
über die das FG bisher noch nicht entschieden hat.
Gleichzeitig beantragte sie beim FG Aussetzung der Vollziehung. Der
Antrag hatte Erfolg (Beschluss vom 27.3.2007 5 V 4521/06 A(U), UR
2007, 455 = SIS 07 21 91).
Hiergegen richtet sich die vom FG
zugelassene Beschwerde des FA. Es trägt im Wesentlichen vor,
zur Aussetzung berechtigende ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes
lägen nicht vor. Nach der Gegenäußerung der
Bundesregierung in BTDrucks 15/5812 zur Ablehnung des Entwurfs
eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Umsatzsteuergesetzes (BRDrucks 326/05) verstoße § 4 Nr.
9 Buchst. b UStG n.F. nicht gegen Art. 13 Teil B Buchst. f der
Richtlinie 77/388/EWG. Die Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f
der Richtlinie 77/388/EWG sei als Ausnahme vom Grundsatz zu werten,
wonach jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt
erbringe, der Umsatzsteuer zu unterwerfen sei. Von diesem Grundsatz
werde zwar in der Bestimmung eine Ausnahme zugelassen, jedoch
dürften die Mitgliedstaaten diese Umsätze im Wege der
Rückausnahme gleichwohl besteuern. Ihnen sei ein weiter
Gestaltungsspielraum eingeräumt, wenn sie bestimmte
Glücksspiele mit Geldeinsatz der Umsatzsteuer unterwerfen
wollten.
Das FA beantragt sinngemäß, den
Beschluss des FG Düsseldorf vom 27.3.2007 5 V 4521/06 A(U) =
SIS 07 21 91 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller hat sich hierzu nicht
geäußert.
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist
unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Aussetzung der
Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch das FG ist
nicht zu beanstanden.
1. Das Gericht der Hauptsache kann
gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vollziehung eines
Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Gemäß
§ 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung
eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann
ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen
Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6.3.2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147
= SIS 00 11 86).
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind
anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen
Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die
Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige,
gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der
entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in
der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel
können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage
höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im
Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte
unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B.
BFH-Beschlüsse vom 18.10.1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426,
BStBl II 1990, 71 = SIS 89 24 10; in BFH/NV 2000, 1147 = SIS 00 11 86; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz
311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl.,
§ 69 Rz 87).
Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht
voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden
Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl.
z.B. BFH-Beschlüsse vom 25.11.2005 V B 75/05, BFHE 212, 176,
BStBl II 2006, 484 = SIS 06 04 04; vom 6.6.2002 V B 110/01, BFHE
199, 55, BFH/NV 2002, 1267 = SIS 02 84 99, unter II. 1.,
m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen sind im
Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Verwaltungsaktes zu bejahen.
Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass
der BFH bislang zu der streitigen und entscheidungserheblichen
Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b
UStG n.F. mit der Richtlinienbestimmung des Art. 13 Teil B Buchst.
f der Richtlinie 77/388/EWG insoweit vereinbar ist, als er
„sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz“ im
Sinne der Richtlinienbestimmung von der Steuerbefreiung ausnimmt.
Diese Rechtsfrage war im Gesetzgebungsverfahren und ist im
Schrifttum umstritten. Das Für und Wider hat das FG dargelegt
(die Richtlinienkonformität bejahen: Entwurf eines Zwanzigsten
Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BTDrucks
15/5558, Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks
15/5812; Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines
Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher
Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, 11, Begründung II.
Besonderer Teil, zu Art. 2; Entwurf eines Gesetzes zur
Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks
16/634, Gegenäußerung der Bundesregierung zur
Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 16/749, zu den Nummern 5
bis 7; Klenk in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz,
§ 4 Nr. 9 Rz 133.2, a.E.; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG,
§ 4 Nr. 9 Rz 14 und 15j; Dziadkowski, IStR 2006, 685, 688;
derselbe, der Umsatz-Steuer-Berater - UStB - 2007, 16;
Jahndorf/Oellerich, UR 2007, 457. Die Richtlinienkonformität
verneinen: Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Zwanzigsten
Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BRDrucks
326/05, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur
Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BRDrucks
937/05, Nr. 5, Zu Art. 2 Nr. 1; dem folgend Thill/Puls, UStB 2006,
166, 168 ff.; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher,
Umsatzsteuergesetz, E § 4 Nr. 9 Rz 211 ff.). Ferner hat das FG
Aussagen aus den Schlussanträgen zu einschlägigen
Verfahren des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
berücksichtigt und seine Zweifel darauf gestützt.
Dies genügt für die Annahme
ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69
FGO Rz 311, sowie Korf, IStR 2007, 519 - Anm. zum angefochtenen
FG-Beschluss).