Pflegestufe 0, Pflegeaufwendungen als ag. Belastung: Wer in einem Wohn- und Pflegeheim untergebracht ist, kann die ihm gesondert in Rechnung gestellten Pflegesätze, die das Heim mit dem Sozialhilfeträger für pflegebedürftige Personen der sog. Pflegestufe 0 vereinbart hat, als außergewöhnliche Belastung abziehen. - Urt.; BFH 10.5.2007, III R 39/05; SIS 07 25 17
I. Die 1927 geborene Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), die dauerhaft psychisch
krank war und nach dem Schwerbehindertenausweis seit 1988 einen
Grad der Behinderung von 90 v.H. hatte, zog im Jahr 1995 auf
Anraten ihres damaligen Nervenarztes in ein von einer
Ordensgemeinschaft betriebenes Alten- und Pflegeheim.
Die AOK wies den Antrag der Klägerin
auf Leistungen für vollstationäre Pflege nach dem Elften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) im September 1996 ab, weil der
Hilfebedarf nicht mindestens anderthalb Stunden täglich
betragen habe. Seit August 2002 übernahm die AOK aufgrund der
Feststellung der Pflegestufe I die Aufwendungen für Pflege,
medizinische Behandlungspflege und soziale Betreuung.
In der Einkommensteuererklärung 1999
machte die Klägerin - vertreten durch ihren Sohn, der im
März 2000 als Betreuer bestellt worden war - erstmals Kosten
für Pflegeleistungen in Höhe von 12.401 DM als
außergewöhnliche Belastung geltend, die sie neben den
Kosten für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von 14.981
DM an den Heimträger entrichtet hatte.
Die von den Heimbewohnern bzw. der
Pflegekasse zu zahlenden Beträge für Unterkunft,
Verpflegung und Pflegeleistungen beruhten im Streitjahr 1999 auf
den Vereinbarungen des Heimträgers mit den Pflegekassen und
dem Träger der Sozialhilfe vom 26.2.1998 und vom 24.6.1999
„gemäß § 85 und 87 SGB XI über die
Vergütung der Leistungen der vollstationären
Pflege“. Das von den Pflegebedürftigen zu tragende
Entgelt für Unterkunft und Verpflegung war mit 40,30 DM und ab
1.7.1999 mit 43,08 DM festgelegt. Der tägliche Pflegesatz
für die stationären Pflegeleistungen sowie für
medizinische Behandlungspflege und soziale Betreuung betrug
für die Pflegeklasse I 54,31 DM (ab 1.7.1999 60,89 DM),
für die Pflegeklasse II 76,03 DM (ab 1.7.1999 85,25 DM) und
für die Pflegeklasse III 114,05 DM (ab 1.7.1999.127,87
DM).
Durch Vereinbarungen des Heimträgers
mit dem Sozialhilfeträger „gemäß § 93
BSHG über die Vergütung der Versorgung von
Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern in der Pflegestufe 0“
ebenfalls vom 26.2.1998 und vom 24.6.1999 wurde die Vergütung
der stationären Pflegeleistungen, der medizinischen
Behandlungspflege und der sozialen Betreuung sowie die
Vergütung für Unterkunft und Verpflegung unterhalb der
Pflegestufe I des SGB XI (sog. Stufe 0) festgelegt. Der
tägliche Pflegesatz betrug 32,59 DM (ab 1.6.1999 36,53 DM).
Das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung entsprach den
Vergütungsvereinbarungen für Pflegebedürftige im
Leistungsbereich des SGB XI. Der Klägerin wurde neben dem
Entgelt für Unterkunft und Verpflegung in den monatlichen
Abrechnungen unter der Bezeichnung „Allgemeine
Vergütungsklasse“ ein Betrag in Rechnung gestellt, der
dem mit dem Sozialhilfeträger vereinbarten Pflegesatz für
die Pflegestufe 0 entsprach. Nach Auskunft des Heimträgers
werden damit pflegerische Leistungen mit einem Zeitaufwand von
unter 45 Minuten pro Tag abgegolten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die Aufwendungen nicht. Der
Einspruch blieb insoweit erfolglos. Das FA führte in der
Einspruchsentscheidung aus, die Klägerin habe die
Pflegebedürftigkeit nicht ausreichend nachgewiesen. Der
Nachweis der Pflegebedürftigkeit sei durch einen Bescheid der
Pflegekasse über die Feststellungen des Medizinischen Dienstes
zur Einstufung in eine Pflegestufe oder durch eine Bescheinigung
nach § 65 Abs. 2 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) zu führen
(R 188 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1999,
entspricht R 33.3 Abs. 1 EStR 2006).
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
der in EFG 2005, 1773 = SIS 05 46 50 veröffentlichten
Entscheidung statt. Es führte aus: Aufwendungen für die
durch Krankheit oder Pflegebedürftigkeit bedingte
Unterbringung in einem Altenpflegeheim stellten eine
außergewöhnliche Belastung i.S. von § 33 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) dar. Da die Klägerin schon seit
Jahrzehnten schwer an Depressionen erkrankt gewesen und auf
ärztlichen Rat wegen ihrer psychischen Erkrankung in das Heim
gezogen sei, seien die geltend gemachten Aufwendungen als
außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Für die
Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen
gemäß § 33 EStG genüge jeder objektive
Nachweis, der im Streitfall erbracht sei.
Mit der Revision trägt das FA im
Wesentlichen vor: Aufwendungen für die krankheits- oder
pflegebedingte Unterbringung in einem Heim seien nur dann als
außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn
die Pflegebedürftigkeit durch eine Bescheinigung der
Pflegekasse bzw. des Versicherers oder nach § 65 Abs. 2 EStDV
nachgewiesen sei. Die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit
anhand der sich aus § 14 SGB XI ergebenden Kriterien und der
Rückgriff auf die hierzu getroffenen Feststellungen des
Medizinischen Dienstes der Krankenkassen nach § 18 SGB XI
seien aus Gründen der Praktikabilität und
Objektivität sachgerecht. Da die Klägerin im Streitjahr
keiner Pflegestufe angehört habe und den Nachweis der
Pflegebedürftigkeit auch nicht nach § 65 Abs. 2 EStDV
erbracht habe, könnten die Aufwendungen nicht als
außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Die Klägerin sei erst mit Wirkung vom 1.8.2002 der Pflegestufe
I zugeordnet worden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat die der Klägerin in Rechnung
gestellten Pflegesätze im Ergebnis zu Recht als
außergewöhnliche Belastung berücksichtigt.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die
Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen
als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
erwachsen (außergewöhnliche Belastung).
Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) sind Aufwendungen
außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe,
sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des
Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der
Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den
Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des
§ 33 EStG ausgeschlossen.
Zu den üblichen Aufwendungen der
Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten
für die altersbedingte Unterbringung in einem Altenwohnheim.
Dagegen sind Aufwendungen für die Pflege eines
pflegebedürftigen Steuerpflichtigen ebenso wie
Krankheitskosten eine außergewöhnliche Belastung i.S.
des § 33 EStG. Ist der Steuerpflichtige in einem Heim
untergebracht, sind die tatsächlich angefallenen Pflegekosten
als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn sie von
den - zu den Kosten der üblichen Lebensführung rechnenden
- Kosten für die Unterbringung abgrenzbar sind (Senatsurteil
vom 12.11.1996 III R 38/95, BFHE 182, 64, BStBl II 1997, 387 = SIS 97 11 05). Sind mit dem von allen Heimbewohnern zu entrichtenden
Pauschalentgelt für die Heimunterbringung auch
Pflegeleistungen abgegolten, kann das Entgelt nicht in übliche
als Kosten der Lebensführung zu behandelnde
Unterbringungskosten und außergewöhnliche
Krankheits-/Pflegekosten aufgeteilt werden (Senatsurteile in BFHE
182, 64, BStBl II 1997, 387 = SIS 97 11 05, und vom 18.4.2002 III R
15/00, BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70 = SIS 02 85 76).
Ausnahmsweise sind nach der bisherigen
Rechtsprechung auch die Unterbringungskosten bzw. das
Pauschalentgelt - abzüglich einer Haushaltsersparnis - als
außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn
die Unterbringung in einem Altenheim durch eine Krankheit
veranlasst war, nicht dagegen, wenn der Steuerpflichtige
während des Aufenthalts erkrankt ist (Senatsurteil in BFHE
199, 135, BStBl II 2003, 70 = SIS 02 85 76, m.w.N.). Abweichend
hiervon lässt die Finanzverwaltung die Aufwendungen auch dann
zum Abzug zu, wenn die Krankheit oder Pflegebedürftigkeit erst
nach dem Einzug in das Heim eintritt (vgl. Nichtanwendungserlass
vom 20.1.2003, BStBl I 2003, 89 = SIS 03 11 40), jedoch nur wenn
mindestens ein Schweregrad der Pflegebedürftigkeit i.S. der
§§ 14, 15 SGB XI festgestellt ist (R 33.3 Abs. 1 EStR
2006).
2. Im Streitfall hat die Klägerin kein
Pauschalentgelt entrichtet, das auch Pflegeleistungen umfasst,
sondern getrennt ausgewiesene Kosten für Unterkunft und
Verpflegung sowie Pflegesätze der Pflegestufe 0. Diese
Pflegesätze gelten nach Auffassung des Senats tatsächlich
erbrachte Pflegeleistungen sowie medizinische Behandlungspflege ab,
so dass diese Aufwendungen unabhängig davon als
außergewöhnliche Belastung abziehbar sind, ob der Umzug
der Klägerin in das Alten- und Pflegeheim krankheitsbedingt
war - wie das FG annimmt - und ob für den Nachweis einer
krankheitsbedingten Unterbringung privatärztliche Atteste
ausreichen.
a) Nach § 82 Abs. 1 SGB XI erhalten
zugelassene Pflegeheime bei stationärer Pflege eine
leistungsgerechte Vergütung für die allgemeinen
Pflegeleistungen (Pflegevergütung) und ein angemessenes
Entgelt für Unterkunft und Verpflegung. Die
Pflegevergütung ist von den Pflegebedürftigen oder deren
Kostenträgern zu tragen. Für Unterkunft und Verpflegung
hat der Pflegebedürftige selbst aufzukommen.
Die Pflegevergütungen (Pflegesätze)
umfassen die voll- oder teilstationären Pflegeleistungen, die
medizinische Behandlungspflege und die soziale Betreuung (§ 84
Abs. 1 SGB XI).
Die Pflegesätze und die Entgelte für
Unterkunft und Verpflegung werden zwischen dem Träger des
Pflegeheims, den Pflegekassen und in der Regel mit dem für den
Sitz des Pflegeheims zuständigen Träger der Sozialhilfe
vereinbart (§ 85 Abs. 1 und 2, § 87 SGB XI).
Die Pflegesätze müssen
leistungsgerecht sein und sind nach dem Versorgungsaufwand, den der
Pflegebedürftige nach Art und Schwere seiner
Pflegebedürftigkeit benötigt, in drei Pflegeklassen
einzuteilen, wobei in der Regel die Pflegestufen nach § 15 SGB
XI zugrunde zu legen sind (§ 84 Abs. 2 Satz 1 bis 3 SGB XI).
Die Pflegesätze sind für alle Heimbewohner nach
einheitlichen Grundsätzen zu bemessen (§ 84 Abs. 3 SGB
XI).
Nach dem Sozialhilferecht (für das
Streitjahr § 93 Abs. 7 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -
) können die Sozialhilfeträger mit den
Pflegeeinrichtungen nach den Vorschriften des Achten Kapitels des
SGB XI (§§ 82 bis 92b) auch Pflegesätze für
Pflegeleistungen unterhalb der Pflegestufe I vereinbaren. Mit dem
Sozialhilfeträger ausgehandelte Pflegesätze der
Pflegestufe 0 sind von Pflegebedürftigen, die keinen Anspruch
auf Sozialhilfe haben, selbst zu tragen. Die Pflegekassen
übernehmen diese Aufwendungen nicht.
Der Pflegestufe 0 werden Personen zugeordnet,
die auf Pflegeleistungen angewiesen sind, deren
Pflegebedürftigkeit aber (noch) nicht den in §§ 14,
15 SGB XI für die Zuordnung zur Pflegestufe I festgelegten
Umfang erreicht.
Werden einem Heimbewohner nach diesen
Grundsätzen ausgehandelte Pflegesätze in Rechnung
gestellt, ist davon auszugehen, dass er pflegebedürftig war
und das Heim entsprechend erforderliche Pflegeleistungen erbracht
hat. Für die Abziehbarkeit dieser Pflegesätze als
außergewöhnliche Belastung bedarf es in der Regel keines
weiteren Nachweises.
b) Im Streitfall hat der Heimträger mit
den Leistungsträgern i.S. des § 85 Abs. 2 SGB XI
entsprechende Vereinbarungen gemäß § 85 und §
87 SGB XI über das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung
und die Pflegesätze für stationäre Pflegeleistungen
einschließlich medizinische Behandlungspflege und soziale
Betreuung in den Pflegeklassen I bis III getroffen. Zusätzlich
hat der Heimträger mit dem Träger der Sozialhilfe
Vereinbarungen gemäß § 93 BSHG über die
Vergütung der Versorgung in der Pflegestufe 0 getroffen, die
Pflegeleistungen mit einem Zeitaufwand von unter 45 Minuten pro Tag
abgelten.
Dass mit diesen Pflegesätzen - ebenso wie
mit den Pflegesätzen für die Pflegestufen I bis III -
neben den stationären Pflegeleistungen und der medizinischen
Behandlungspflege auch die soziale Betreuung vergütet wird,
steht der Abziehbarkeit nicht entgegen. Im Allgemeinen steht die
soziale Betreuung mit den zu erbringenden Pflegeleistungen in einem
untrennbaren Zusammenhang. Darüber hinaus gehende soziale
Betreuungsleistungen sind im Regelfall von untergeordneter
Bedeutung. Für eine andere Bewertung liegen im Streitfall
keine Anhaltspunkte vor.