USt, Berechnung einer Haftungsquote: Bei der Ermittlung der Haftungsquote für die Umsatzsteuer sind die im Haftungszeitraum getilgten Lohnsteuern weder bei den Gesamtverbindlichkeiten noch bei den geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 27.2.2007, VII R 60/05; SIS 07 24 95
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war zunächst alleiniger
Geschäftsführer einer GmbH und von 1984 bis 1994 deren
Alleingesellschafter. 1992 wurde er als Geschäftsführer
der GmbH abberufen und S zum allein vertretungsberechtigten
Geschäftsführer bestellt. Der Kläger wurde als
kaufmännischer Betriebsleiter mit den Obliegenheiten
Kundenbetreuung und kaufmännische Auftragsabwicklung
eingestellt.
Aufgrund einer Betriebsprüfung bei der
GmbH ergingen geänderte Umsatzsteuerbescheide 1993 bis 1995,
jeweils vom August 1998. Hierdurch entstanden Zahllasten in
Höhe von 1993: ca. 205.000 DM, 1994: ca. 6.600 DM und 1995:
ca. 128.000 DM. Aufgrund des Umsatzsteuerbescheides 1996 vom August
1998 ergab sich eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von ca.
9.900 DM. Zahlungen darauf wurden nicht geleistet.
Am 14.1.1999 zahlte die GmbH 70.000 DM auf
rückständige Lohnsteuer 1993. Am 2.2.1999 wurde Antrag
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der GmbH gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am
1.4.1999 eröffnet.
Mit Haftungsvoranfrage vom August 1999
teilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
dem Kläger mit, er hafte als faktischer
Geschäftsführer der GmbH gemäß §§
34, 35 i.V.m. § 69 der Abgabenordnung (AO) neben dem nominell
bestellten Geschäftsführer für Umsatzsteuerschulden
der GmbH aus 1993 bis 1996 sowie November 1998, nebst Zinsen und
Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt ...
DM.
Nachdem der Kläger den
Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungsquote und Haftungssumme
für den Zeitraum 28.9.1998 bis 1.4.1999 nicht vorgelegt hatte,
erließ das FA am 16.9.1999 entsprechend seiner
Ankündigung einen Haftungsbescheid.
Der Einspruch des Klägers gegen den
Haftungsbescheid vom 16.9.1999 blieb erfolglos. Mit der Klage
wandte sich der Kläger gegen seine Inanspruchnahme als
faktischer Geschäftsführer und im Hinblick darauf, dass
er bei der nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom
22.1.2004 IX ZR 39/03 (BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59) gebotenen
Berücksichtigung der Lohnsteuerzahlungen im Haftungszeitraum
die Gesamtverbindlichkeiten - wie sich aus dem beigefügten
Berechnungsbogen ergebe - im möglichen Rahmen anteilig
befriedigt habe. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch
Reduzierung der Haftungsquote auf 21,8 % teilweise statt, weil das
FA zu Unrecht eine Pflichtverletzung des Klägers auch wegen
der Abgabe unzutreffender Voranmeldungen in den Jahren 1993 bis
1995 bejaht und deshalb die Liquiditätslage in diesem Zeitraum
in die Berechnung der Haftungsquote einbezogen habe. Die auf die
rückständige Lohnsteuer gezahlten 70.000 DM dagegen hielt
es bei dieser Berechnung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) nicht für
berücksichtigungsfähig.
Das Urteil des FG ist in EFG 2006, 241 =
SIS 06 06 20 veröffentlicht.
Die Revision stützt der Kläger
darauf, dass bei der Ermittlung der Umsatzsteuer-Haftungsquote auch
die im Januar 1999 gezahlte Lohnsteuer berücksichtigt werden
müsse. Im Ergebnis seien dann die Lohn- und
Umsatzsteuerforderungen des FA im betroffenen Haftungszeitraum
nicht in geringerem Maße getilgt worden als die fälligen
Forderungen anderer Gläubiger. Die Haftungsquote betrage dann
0 %. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BFH sei die
Berücksichtigungsfähigkeit der gezahlten Lohnsteuer eine
Konsequenz aus der Entscheidung des BGH in BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59, weil danach der haftungsmäßigen Sonderstellung
der Lohnsteuer grundsätzlich der Boden entzogen sei.
Die Tilgungsquote, für die der
Geschäftsführer dem FA einzustehen habe, sei durch eine
schlichte Gegenüberstellung sämtlicher im
Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen und Gesamtverbindlichkeiten
zu ermitteln. Eine Privilegierung von Lohnsteuer-Verbindlichkeiten
sei nicht zu rechtfertigen, eine rechtliche Grundlage für die
Differenzierung nach der Steuerschuld gebe es nicht. Für die
Umsatzsteuerhaftung folge daraus, dass alle seine Zahlungen
einschließlich der 70.000 DM Lohnsteuer zusammenzurechnen und
den Gesamtverbindlichkeiten gegenüberzustellen seien.
II. Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m.
§ 34 Abs. 1 und § 35 AO haften die gesetzlichen Vertreter
und die Verfügungsberechtigten - unter anderem faktische
Geschäftsführer - einer GmbH, soweit Ansprüche aus
dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder
grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten
nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden
sind. Danach trifft den Geschäftsführer einer GmbH die
Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung
der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuer zu sorgen.
1. Nach den mit der Revision nicht
angegriffenen und damit den Senat bindenden tatsächlichen
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
- FGO - ) war der Kläger im Haftungszeitraum faktischer
Geschäftsführer der GmbH. Die Heranziehung als
Haftungsschuldner für rückständige Umsatzsteuern der
GmbH ist demnach dem Grunde nach berechtigt.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
beschränkt sich die Haftung nach § 69 Satz 1 AO dem
Umfang nach auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder
grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht
rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Höhe
der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des
Verschuldens grundsätzlich allein aus der Ursächlichkeit
der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen
Vermögensschaden. Danach ist die Haftung nach § 69 AO dem
Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der
Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Stehen zur
Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht
zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte
Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur
in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den
anderen Gläubigern benachteiligt hat (vgl. Senatsurteil vom
1.8.2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 = SIS 00 14 29, m.w.N.). Rückständige Umsatzsteuer ist danach vom
Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen
Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber
anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im
Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden
Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für
die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen
hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das FA unter
Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die
Haftungsquote zu ermitteln oder - soweit der Sachverhalt nicht
aufgeklärt werden kann - im Schätzungswege die Quote
festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt
(§ 162 AO). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom
Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner
wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuer in Anspruch nehmen will,
die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte
über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige
Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90
Abs. 1 AO, vgl. Senatsbeschluss vom 31.3.2000 VII B 187/99, BFH/NV
2000, 1322 = SIS 00 60 01, m.w.N.).
3. Der Kläger
hat nicht in Frage gestellt, dass die auf der Grundlage dieser
Rechtsprechung vom FG bestätigte quotale Heranziehung zur
Haftung wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuern
grundsätzlich berechtigt war. Er wendet sich allein dagegen,
dass bei der Ermittlung der Haftungsquote und damit der
Haftungssumme die von ihm unstreitig geleistete Zahlung von 70.000
DM auf rückständige Lohnsteuern unberücksichtigt
geblieben sei. Dem kann so nicht gefolgt werden.
a) Nach der
Rechtsprechung des Senats sind grundsätzlich alle
Verbindlichkeiten in die Berechnung der anteiligen Tilgungsquote
einzubeziehen, ungeachtet ihres Rechtsgrundes und ihrer Bedeutung
für die Fortführung des Unternehmens. Eine
Tilgungsvordringlichkeit - mit der Folge der
Nichtberücksichtigung einer Zahlung bei der Ermittlung der
Haftungsquote - ist grundsätzlich nicht anzuerkennen, auch
nicht bei Personalkosten, d.h. den Löhnen und den darauf
entfallenden Abgaben. Grundsätzlich sind deshalb auch die auf
die gesamten rückständigen Steuerverbindlichkeiten
geleisteten Zahlungen der GmbH zu berücksichtigen. Ausgenommen
davon jedoch sind Zahlungen auf die vorrangig zu tilgenden
Lohnsteuerbeträge (vgl. BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2000,
1322 = SIS 00 60 01; vom 26.3.1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488,
BStBl II 1985, 539 = SIS 85 19 39, und vom 14.7.1987 VII R 188/82,
BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172 = SIS 87 19 51). Das bedeutet
allerdings nicht - insoweit missverständlich das
Berechnungsschema zur Ermittlung der Haftungssumme der
Oberfinanzdirektion (OFD) Magdeburg (vom 23.11.1994 = SIS 95 03 77,
zit. in Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 69 Rz 125) - dass
Lohnsteuer, zu deren Tilgung gezahlt worden ist, gleichwohl in den
Gesamtverbindlichkeiten enthalten sein darf. Vielmehr sind
Lohnsteuern, soweit sie getilgt sind, weder bei den
Verbindlichkeiten noch bei den im Haftungszeitraum geleisteten
Zahlungen zu berücksichtigen (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O.,
Rz 122; Urteil des FG Düsseldorf vom 4.5.2000 8 K 4994/97 H
(U), EFG 2000, 768 = SIS 01 61 25; a.A. OFD Magdeburg,
Verfügung vom 22.6.2004 S 0190 - 14 - St 252, juris, Rz. 5.1).
Denn die Einbeziehung der abzuführenden Lohnsteuern im Rahmen
der Gesamtverbindlichkeiten und der abgeführten Lohnsteuern
bei den geleisteten Zahlungen führt rechnerisch - weil
insoweit eine Tilgung zu 100 % vorliegt - zu einer höheren
Tilgungsquote als die jeweilige Nichtberücksichtigung dieser
Beträge.
Ein solches Ergebnis
widerspräche der vom BFH wiederholt hervorgehobenen
haftungsrechtlichen Sonderstellung der Lohnsteuer, die den
Geschäftsführer zur vorrangigen und
ungekürzten Abführung der Lohnsteuern an das FA vor der
Begleichung sonstiger Verbindlichkeiten verpflichtet (z.B. Urteile
vom 20.4.1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521 = SIS 82 14 20; vom 26.7.1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988,
859 = SIS 88 19 46; in BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 = SIS 00 14 29). Wer sich dieser Pflicht entsprechend verhält,
verhält sich dem Fiskus gegenüber gerade nicht
pflichtwidrig. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass die - im
Verhältnis zu sonstigen Zahlungen - überproportionale
Tilgung der Lohnsteuer nicht dazu führt, dass sich die
Haftungsquote hinsichtlich der übrigen Steuerverbindlichkeiten
zu Lasten des Haftungsschuldners erhöht.
b) Der
Senatsentscheidung vom 7.11.1989 VII R 34/87 (BFHE 159, 106, BStBl
II 1990, 201 = SIS 90 06 41) ist nichts anderes zu entnehmen. Dort
hatte der Senat zwar die ausstehenden Löhne und Gehälter
den Gesamtverbindlichkeiten zugerechnet, jedoch gibt der
Sachverhalt keinen Hinweis darauf, dass auf die Lohnsteuern im
Haftungszeitraum Zahlungen geleistet worden waren.
c) Der Auffassung
des Klägers, die Gleichstellung des Fiskus auch als
Lohnsteuergläubiger mit den sonstigen Gläubigern bei der
Anfechtung von in kritischer Zeit geleisteten Zahlungen der
Gesellschaft durch den Insolvenzverwalter in BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59 gebiete die Berücksichtigung der auf die Lohnsteuer 1993
geleisteten Zahlung in gleicher Weise wie aller sonstigen
Zahlungen, ist nicht zu folgen. Der Kläger übersieht,
dass die angestrebte Berücksichtigung dieser Zahlung notwendig
auch die Berücksichtigung des Lohnsteuerrückstandes 1993
bei der Ermittlung der Gesamtverbindlichkeiten - sozusagen als
Gegenbuchung - voraussetzt. Der vom BFH hervorgehobene
Tilgungsvorrang der Lohnsteuer mit der Folge der - nur durch die
Auszahlung gekürzter Löhne beschränkten -
Vollhaftung des Geschäftsführers bei Nichtabführung
ist insoweit ohne Bedeutung.
d) Die Beteiligten
sind sich einig, dass die Berechnung des FA diesen Vorgaben gerecht
wird, d.h. dass die rückständigen Lohnsteuern 1993 in den
der Ermittlung der Haftungsquote zugrunde gelegten
Gesamtverbindlichkeiten nicht enthalten waren. Dann aber ist eine
Berücksichtigung der darauf geleisteten Zahlung von 70.000 DM
nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung des FG erweist sich damit
als zutreffend.