Unternehmensgebäude, Privatnutzung, Bemessungsgrundlage: Die Neuregelung der Bemessungsgrundlage in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 durch das EURLUmsG vom 9.12.2004 (BGBl 2004 I, 3310) gilt mit Wirkung vom 1.7.2004. Soweit sich das zuvor erlassene BMF-Schreiben vom 13.4.2004 (BStBl 2004 I S. 468 = SIS 04 18 20) als "Interpretation" des bisherigen Kostenbegriffs in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 a.F. Rückwirkung auf davor liegende "offene" Besteuerungszeiträume beilegt, gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 10.8.2007, IV A 5 - S 7206/07/0003, BStBl 2007 I S. 690 = SIS 07 28 22) - Urt.; BFH 19.4.2007, V R 56/04; SIS 07 19 54
I. Streitig ist die Höhe der
Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der unentgeltlichen
privaten Nutzung eines dem Unternehmen der Klägerin und
Revisionsbeklagten (Klägerin) zugeordneten
Gebäudes.
Die Klägerin errichtete im Jahr 2001
(Streitjahr) in einem Gewerbegebiet ein Einfamilienhaus für
insgesamt 249.855,31 DM; in einem Teilbetrag in Höhe von
245.933,31 DM waren Umsatzsteuerbeträge von 33.921,84 DM
enthalten. Teile des Hauses - ein Büroraum, ein Lagerraum und
eine dahinter liegende Garage - sind seit dem 1.10.2002 an ein
Bauunternehmen gewerblich vermietet. Der Mieter hat sich im
„Gewerberaummietvertrag“ verpflichtet, die gemieteten
Räume ausschließlich zur Ausführung
umsatzsteuerpflichtiger Umsätze zu verwenden. Im Übrigen
wird das Haus von der Klägerin zu eigenen Wohnzwecken genutzt.
Von der Gesamtnutzfläche entfallen 29,66 v.H. auf die
gewerbliche Vermietung und 70,34 v.H. auf die Nutzung zu privaten
Wohnzwecken.
Die Klägerin ordnete das Gebäude
insgesamt ihrem Unternehmen zu und machte in ihrer
Umsatzsteuererklärung für 2001 die gesamten
Vorsteuerbeträge von 33.921,84 DM geltend. Den privaten
Nutzungsanteil versteuerte sie nach § 3 Abs. 9a des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1999, wobei sie für die Ermittlung
der Kosten i.S. des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG aus dem
Betrag von 245.933,31 DM eine Abschreibung nach § 7 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) mit 2 v.H. = 4.918,67 DM, im
Streitjahr für zwei Monate, d.h. 2/12 = 819,78 DM zugrunde
legte; diesen Betrag teilte sie zunächst nach Mietwerten auf
und ermittelte eine Bemessungsgrundlage von 360,70 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) legte der Besteuerung den beantragten
Vorsteuerabzug zugrunde, ermittelte jedoch die Bemessungsgrundlage
für die private Gebäudenutzung unter Verteilung des
Betrages von 245.933,31 DM auf zehn Jahre, d.h. 24.593,33 DM
für zwei Monate = 4.098,88 DM, teilte diesen Betrag
schließlich nach Nutzflächen auf und setzte eine
Bemessungsgrundlage mit 70,34 v.H. von 4.098,88 DM = 2.883,15 DM
an. Das FA war entsprechend den Anweisungen im Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13.4.2004 IV B 7 -7206-
3/04 (BStBl I 2004, 468 = SIS 04 18 20) der Auffassung, die
Verteilung der vorsteuerbelasteten Herstellungskosten müsse
sich am Berichtigungszeitraum des § 15a UStG 1999 von 10
Jahren orientieren; nur so könne im Interesse der steuerlichen
Neutralität der vorgenommene Vorsteuerabzug wirksam
ausgeglichen werden, während die ertragsteuerrechtliche
Verteilung auf den Zeitraum des wirtschaftlichen Wertverzehrs des
Gebäudes von 50 Jahren hierfür nicht geeignet
sei.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab
das Finanzgericht (FG) mit seinem in EFG 2005, 72 = SIS 05 10 51
abgedruckten Urteil der Klage statt. Zur Begründung
führte es im Wesentlichen aus, für die Ermittlung der
Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe seien
die maßgeblichen Herstellungskosten auf die Dauer des
Wertverzehrs des Gebäudes von 50 Jahren zu verteilen. Dies sei
bis zum Ergehen des BMF-Schreibens in BStBl I 2004, 468 = SIS 04 18 20 einhellige Meinung gewesen (Hinweis auf Abschn. 155 Abs. 2 Satz
2 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 2000).
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA unzutreffende Auslegung des Kostenbegriffs in
§ 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1999; dieser „müsse“
anhand von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c sowie Art. 6 Abs. 2
Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) aus
Gründen der Neutralität der Mehrwertsteuer so ausgelegt
werden, dass eine Nichtbesteuerung privaten Endverbrauchs
ausgeschlossen sei. Deshalb müsse eine vollständige
Kompensation des ursprünglichen Vorsteuerabzugs während
des zehnjährigen Berichtigungszeitraumes des § 15a UStG
1999 erfolgen, soweit eine nichtunternehmerische Nutzung
vorliege.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision
entgegengetreten.
Mit Zustimmung der Beteiligten hat der
Senat mit Beschluss vom 13.12.2005 die Verhandlung bis zur
Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens des FG München vom
1.2.2005 14 K 2966/04 (EFG 2005, 649) an den Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) Rs. C-72/05, Wollny
ausgesetzt. Nach Ergehen der Entscheidung des EuGH vom 14.9.2006
(BFH/NV Beilage 2007, 66 = SIS 06 39 07) nahm der Senat das
Revisionsverfahren wieder auf und wies die Beteiligten mit
Schreiben vom 18.10.2006 auf die Problematik der rückwirkenden
Anwendung einer geänderten Verwaltungspraxis hin.
Das BMF ist dem Verfahren beigetreten. Es
entnimmt der Vorabentscheidung des EuGH in der Rechtssache Wollny,
dass der Finanzverwaltung bei der Auslegung des Begriffs
„Kosten“ ein gewisser Entscheidungsspielraum zustehe,
den diese auch wahrgenommen habe. Ein Vertrauen der Klägerin
auf die Beibehaltung der bis dahin existierenden Verwaltungsmeinung
auf ihren Fall sei nicht schutzwürdig. Es verstoße gegen
das Verbot des venire contra factum proprium (sich in Widerspruch
zum eigenen Verhalten setzen), wenn sie - die Klägerin - sich
einerseits auf die sie begünstigende Konsequenz (der
Seeling-Rechtsprechung) berufe, ohne andererseits die für sie
negativen Folgen tragen zu wollen.
Die Finanzverwaltung wende
höchstrichterliche Rechtsprechung, die der bisherigen
Verwaltungsmeinung widerspreche, grundsätzlich erst an, wenn
diese im BStBl veröffentlicht und damit eine neue
Verwaltungsanweisung begründet werde. Dies sei auch bei den
Seeling-Urteilen des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall
gewesen. Bis zu deren Veröffentlichung im BStBl II 2004, 371 =
SIS 03 42 94 und 378 am 12.5.2004 habe ein Steuerpflichtiger nicht
darauf vertrauen können, dass die Finanzverwaltung ohne
weitere Kommentierung die Seeling-Rechtsprechung
übernehme.
Durch diese Rechtsprechung habe sich eine
Ungleichbehandlung von Nichtunternehmern und Unternehmern in
erheblichem Ausmaß ergeben. Unternehmer hätten durch die
Zuordnungsgestaltung von gemischt genutzten Gebäuden zum
Unternehmen einen ganz erheblichen Liquiditätsvorteil und die
Möglichkeit unversteuerten Letztverbrauchs erreichen
können. Für die differenzierte Auslegung des Begriffs
„Kosten“ durch das BMF-Schreiben vom 13.4.2004 bestehe
daher ein sachlicher Rechtfertigungsgrund.
Ferner sei es zulässig, dass die
Finanzverwaltung - anders als der Gesetzgeber - diese neue
Interpretation auch auf Fälle anwende, die
Besteuerungszeiträume vor dem 1.7.2004 beträfen. Der
Gesetzgeber habe eine weitergehende Rückwirkung als zu diesem
Stichtag sowohl für nicht zwingend als auch für zu
weitgehend erachtet, zumal für die Besteuerung der
unentgeltlichen Wertabgabe von Gebäuden bereits mit dem
BMF-Schreiben vom 13.4.2004 eine Regelung existiert habe. Dabei sei
auch zu berücksichtigen, dass im Wege der Gesetzgebung eine
entsprechend dem BMF-Schreiben vorgenommene differenzierte
Auslegung bzw. Statuierung des Begriffs „Kosten“ bzw.
„Ausgaben“ wohl nicht besonders praktikabel gewesen
wäre.
Im Übrigen habe der Gesetzgeber das
BMF-Schreiben in die Gesetzesregelung
„aufgenommen“.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Für das Streitjahr 2001 sind die Kosten
der unentgeltlichen Verwendung zum privaten Bedarf des dem
Unternehmen der Klägerin zugeordneten Gebäudes, das zum
vollen Vorsteuerabzug berechtigt hat, unter Verteilung der
maßgeblichen Herstellungskosten auf 50 Jahre zu ermitteln
(§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1
UStG 1999).
Die Neuregelung des § 10 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 UStG 1999 durch das Richtlinien-Umsetzungsgesetz (EURLUmsG)
vom 9.12.2004 (BGBl I 2004, 3310) mit Wirkung vom 1.7.2004 (vgl.
Art. 22 Abs. 3 i.V.m. Art. 5 Nr. 7 EURLUmsG) entfaltet für
Zeiträume davor keine Wirkung. Dies schließt es aus,
dass die Finanzverwaltung die Rückwirkung für vor diesem
Zeitpunkt (1.7.2004) liegende Zeiträume durch
Verwaltungsanweisung anordnet.
1. Nach § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG
1999 ist einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt die
Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes, der zum
vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch den
Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens
liegen. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor: Die
Klägerin hat - rechtlich zulässig - das Einfamilienhaus,
das nur teilweise unternehmerisch verwendet wird, in vollem Umfang
ihrem Unternehmen zugeordnet und den vollen Vorsteuerabzug in
Anspruch genommen (vgl. BFH-Urteil vom 24.7.2003 V R 39/99, BFHE
203, 206, BStBl II 2004, 371 = SIS 03 42 94 - Nachfolgeentscheidung
zum EuGH-Urteil vom 8.5.2003 Rs. C-269/00, Seeling, Slg. 2003,
I-04101, BStBl II 2004, 378 = SIS 03 27 13). Mit der teilweisen
Nutzung des Gebäudes für private Wohnzwecke verwendet die
Klägerin das Gebäude für Zwecke, die außerhalb
des Unternehmens - der gewerblichen Vermietung - liegen.
2. Dieser Umsatz wird nach § 10 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 bemessen nach den bei der Ausführung
dieser Umsätze entstandenen Kosten, soweit sie zum vollen oder
teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben; nach Satz 2 der
Vorschrift gehört die Umsatzsteuer nicht zur
Bemessungsgrundlage.
Streitig ist hier allein die Frage nach den
entstandenen Kosten für die Nutzung des Gebäudes zu
privaten Wohnzwecken, soweit sie auf die Herstellungskosten
entfallen, die zum Vorsteuerabzug berechtigt haben; das ist im
Streitfall der Betrag von 245.933,31 DM abzüglich der hierin
enthaltenen Umsatzsteuer in Höhe von 33.921,84 DM, die als
Vorsteuer abgezogen wurde, also 212.011,47 DM.
Nach der Rechtsprechung zur Auslegung des
Begriffs der „Kosten“ i.S. des § 10 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 (z.B. BFH-Urteile vom 18.12.1996 XI R 12/96,
BFHE 182, 395, BStBl II 1997, 374 = SIS 97 09 25; vom 20.7.1988 X R
8/80, BFHE 154, 255, BStBl II 1988, 1012 = SIS 88 22 29; vom
15.9.1994 XI R 82/92, BFH/NV 1995, 645 = SIS 95 09 43), der auch
die Literatur (vgl. z.B. Schuhmann in Rau/Dürrwächter/
Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 10 Rz 539; Handzik in
Offerhaus/Söhn/Lange, § 10 UStG Rz 186) und die
Verwaltung folgten (vgl. Abschn. 155 Abs. 2 Satz 2 UStR), ist
grundsätzlich von den bei der Einkommensteuer zugrunde
gelegten Kosten auszugehen, d.h. bezüglich der
Herstellungskosten von einer jährlichen Abschreibung nach
§ 7 Abs. 4 EStG in Höhe von 2 v.H. Danach berechnen sich
die Kosten wie folgt: 2 v.H. von 212.011,47 DM = 4.240,23 DM, im
Streitjahr für zwei Monate, d.h. 2/12 = 706,70 DM. Dieser
Betrag ist auf die unternehmerische und die nichtunternehmerische
Verwendung aufzuteilen; dafür haben die Beteiligten inzwischen
einvernehmlich das Verhältnis nach den Nutzflächen
zugrunde gelegt, so dass auf die nichtunternehmerische Verwendung
ein Anteil von 70,34 v.H. = 497,10 DM entfällt. Dies ist die
Bemessungsgrundlage des Umsatzes für die sonstige Leistung
nach § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 2 UStG 1999. Daraus ergäbe
sich zwar eine geringfügig niedrigere Festsetzung der
Umsatzsteuer für 2001 als sie das FG vorgenommen hat, weil das
FG den Brutto- und nicht den Nettobetrag der Kosten angesetzt hat;
da die Klägerin aber selbst nicht Revision eingelegt hat,
sondern nur das FA, darf der Senat nicht über den
Revisionsantrag des FA hinaus dessen Rechtsposition verschlechtern
(vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., §
121 Rz 1, mit Nachweisen).
a) Zwar hat der EuGH in seinem Urteil in
BFH/NV Beilage 2007, 66 = SIS 06 39 07 die gesetzliche Neuregelung
in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 i.d.F. des EURLUmsG,
wonach mit Wirkung vom 1.7.2004 (vgl. Art. 22 Abs. 3 i.V.m. Art. 5
Nr. 7 EURLUmsG) der Umsatz für die sonstige Leistung nach
§ 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG 1999 nach den Ausgaben bemessen wird
und die Herstellungskosten gleichmäßig auf den für
das Wirtschaftsgut maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach
§ 15a UStG 1999 zu verteilen sind, als mit Art. 11 Teil A Abs.
1 Buchst. c, Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG vereinbar angesehen.
Die Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage lautet insoweit:
|
„Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der
6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 … in der
durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10.4.1995
geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Festsetzung
der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer für die private
Nutzung eines Teils eines Gebäudes, das der Steuerpflichtige
in vollem Umfang seinem Unternehmen zugeordnet hat, auf einen Teil
der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes, der
sich nach dem gemäß Artikel 20 dieser Richtlinie
vorgesehenen Zeitraum für die Berichtigung der
Vorsteuerabzüge bestimmt, nicht entgegensteht.“
|
Der EuGH betont jedoch, dass diese Definition
nicht zwingend aus der Richtlinie 77/388/EWG folge, die
Mitgliedstaaten vielmehr zur Bestimmung dieser Grundsätze
über einen gewissen Ermessensspielraum verfügten,
vorausgesetzt, dass sie den Sinn und Zweck der fraglichen
Vorschrift und ihrer Stellung im Gefüge der Richtlinie
77/388/EWG nicht verkennen (Rn. 28 des Urteils).
Vielmehr war nach den Ausführungen des
EuGH in Rn. 41, 42 des Urteils - unter Hinweis auf sein
Enkler-Urteil vom 26.9.1996 C-230/94 (Slg. 1996, I-4517 = SIS 97 10 36) - die (bisherige) Anknüpfung an „die
Abschreibungen für die Abnutzung des Gegenstands“
eine mit der Zielsetzung des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie
77/388/EWG vereinbare Auslegung des Begriffs der Ausgaben.
Daraus folgt aber, dass auch die Praxis der
Anknüpfung an die ertragsteuerrechtlichen Kosten bis zum
30.6.2004 mit der Richtlinie 77/388/EWG vereinbar war (s. auch
Widmann, UR 2006, 644) und der Begriff der Kosten i.S. des §
10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1999 nicht zwingend im Sinne der
gesetzlichen Neuregelung auszulegen war.
Zudem verweist der EuGH im Urteil Wollny (Rn.
46) auf seine Ausführungen im Urteil Seeling (vgl. BStBl II
2004, 378 = SIS 03 27 13 Rn. 54):
|
„Wenn die Tatsache, dass der
Steuerpflichtige ein Gebäude insgesamt seinem Unternehmen
zuordnen und somit die für die gesamten Herstellungskosten
geschuldeten Vorsteuerbeträge abziehen kann, zur Folge haben
kann, dass ein Letztverbrauch nicht versteuert wird, weil bei dem
in Artikel 20 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen
Berichtigungszeitraum der Vorsteuerabzug, der im Zeitpunkt der
Herstellung eines Gebäudes erfolgt, nur teilweise korrigiert
werden kann, so ist dies das Ergebnis einer bewussten Entscheidung
des Gemeinschaftsgesetzgebers und kann nicht dazu führen, dass
eine weite Auslegung des Artikels 13 Teil B Buchstabe b dieser
Richtlinie geboten wäre.“
|
Diese „bewusste Entscheidung des
Gemeinschaftsgesetzgebers“ nahm somit auch die bisherige
Bestimmung der „Ausgaben“ in Kauf.
b) Mit der Änderung des § 10 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 UStG durch das EURLUmsG nahm der Gesetzgeber nicht nur
eine begriffliche Änderung vor: Statt des seit dem UStG
1967 verwendeten national-rechtlichen Begriffs der
„Kosten“, der durch den ertragsteuerrechtlichen
Inhalt geprägt war, übernahm er den einschlägigen
gemeinschaftsrechtlichen Begriff „Ausgaben“ aus
Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG. Die
Neuregelung enthält vielmehr auch eine materielle
Änderung der Bemessungsgrundlage. Diese wird in § 10
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG 2005 abweichend von der bisherigen
Rechtsprechung zum Kostenbegriff und seiner einhelligen Handhabung
durch die Praxis von den ertragsteuerrechtlichen
Abschreibungsvorschriften entkoppelt; es wird eine Verteilung der
Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts (von
mehr als 500 EUR) auf den Zeitraum angeordnet, der dem für das
Wirtschaftsgut maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach §
15a UStG entspricht. Der ausführlichen Gesetzesbegründung
(vgl. BTDrucks 15/3677, S. 40) lässt sich entnehmen, dass dem
Gesetzgeber bewusst war, dass er eine materielle Änderung
vornimmt und nicht nur eine klarstellende Anpassung.
Der Gesetzgeber hat für diese
Gesetzesänderung nur eine Rückwirkung zum 1.7.2004
angeordnet. Die Ansicht des BMF, der Gesetzgeber habe eine
weitergehende Rückwirkung sowohl für nicht erforderlich
als auch für zu weitgehend erachtet, zumal für die
Besteuerung der unentgeltlichen Verwendung von Gebäuden
bereits mit dem BMF-Schreiben vom 13.4.2004 eine Regelung existiert
habe, ist mit der eindeutigen gesetzlichen
Rückwirkungsbestimmung unvereinbar.
c) Schon aus diesen Gründen kann eine
Rückwirkung auf noch „offene“
Umsatzsteuerfestsetzungen gemäß dem BMF-Schreiben in
BStBl I 2004, 468 = SIS 04 18 20 nicht mit einer lediglich
geänderten Auslegung des Kostenbegriffs begründet werden.
Abgesehen davon, dass hierdurch nicht die dazu vorliegende
Rechtsprechung des BFH beseitigt wird, vermag das BMF-Schreiben in
BStBl I 2004, 468 = SIS 04 18 20 auch die bisherige
Verwaltungsübung nicht außer Kraft zu setzen.
Das BMF kann die Zulässigkeit der
Rückwirkung seiner im Schreiben vom 13.4.2004 auf noch
„offene“ Steuerfestsetzungen früherer
Besteuerungszeiträume auch nicht mit Erfolg auf die
Begründung stützen, ein Vertrauen der Klägerin auf
die Beibehaltung der bis dahin existierenden Verwaltungsmeinung sei
nicht schutzwürdig gewesen, ihr Anspruch verstoße gegen
das Verbot des venire contra factum proprium.
Vielmehr stützt sich die Klägerin
auf eine rechtmäßige, wenn auch der gesetzlichen
Zielsetzung nicht förderliche rechtliche Ausgangslage, die
sich durch die Aufdeckung nationaler Umsetzungsmängel durch
die EuGH-Rechtsprechung ergeben hatte.
d) Die Rechtsprechung des EuGH in der
Rechtssache Seeling in BStBl II 2004, 378 = SIS 03 27 13 und ihr
nachfolgend des BFH in BFHE 203, 206, BStBl II 2004, 371 = SIS 03 42 94 interpretiert die bereits anfängliche bestehende
Rechtslage zur Zuordnung nur teilweise unternehmerisch verwendeter
Grundstücke zum Unternehmen und dem daraus resultierenden
„Eigenverbrauch“ und dessen Wirkung auf den
Vorsteuerabzug; als Auslegung des Gemeinschaftsrechts gilt sie
daher auch rückwirkend.
In der Rechtssache Wollny in BFH/NV Beilage
2007, 66 = SIS 06 39 07 hat der EuGH klargestellt, dass daraus
keine rechtlich zwingende Verknüpfung mit der Höhe der
Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der
nichtunternehmerischen Verwendung solcher Gegenstände folgt,
diese vielmehr vom nationalen Gesetzgeber unterschiedlich gestaltet
werden kann. Auf den Aspekt einer sachlogischen inneren
Abhängigkeit von der Seeling-Rechtsprechung kann eine
Rückwirkung der nachfolgenden Änderung der
Verwaltungspraxis zur Bemessungsgrundlage nicht gestützt
werden. Anders als im Fall des BFH-Urteils vom 7.7.2005 V R 32/04
(BFHE 211, 74, BStBl II 2005, 907 = SIS 05 44 57) gibt die
Richtlinie 77/388/EWG hier keine eindeutige Regelung vor;
außerdem handelte es sich in diesem Fall um eine gesetzlich
angeordnete Rückwirkung zur Schließung einer
offenkundigen Lücke und nicht um eine rückwirkende
Verwaltungsanweisung. Der nationale Gesetzgeber hat eine
gesetzliche Änderung erst mit Wirkung vom 1.7.2004
vorgenommen; auch deshalb kann die vorangehende
Verwaltungsauffassung nicht mit Wirkung für einen
früheren Zeitpunkt geändert werden (vgl. auch
BFH-Beschluss vom 27.2.2003 V B 166/02, BFH/NV 2003, 874 = SIS 03 23 27, wonach eine rückwirkende steuererhöhende Anwendung
einer neuen gesetzlichen Vorschrift durch Auslegung des bisherigen
Gesetzes im Sinne der Neuregelung nicht für Zeiträume
erfolgen darf, für die der Gesetzgeber keine Rückwirkung
angeordnet hat).