Studentenwerk, Mahlzeitenabgabe, USt-Freiheit: Erfüllen die Umsätze aus der Abgabe von Mahlzeiten an Studenten durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, der die soziale Betreuung und Förderung der Studenten obliegt (Studentenwerk), nicht die Voraussetzungen des § 4 Nr. 23 UStG 1993, sind diese Verpflegungsleistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei. Gleiches gilt für Verpflegungsleistungen an Bedienstete der Einrichtung, die zur Durchführung der Aufgaben der sozialen Betreuung und Förderung der Studenten am Hochschulort tätig sind. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 27.9.2007, IV A 6 - S 7175/07/0003, BStBl 2007 I S. 768 = SIS 07 34 53) - Urt.; BFH 28.9.2006, V R 57/05; SIS 07 03 19
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine rechtsfähige
Anstalt des öffentlichen Rechts (Studentenwerk). Sie ist seit
1992 Mitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtverbandes
e.V. und hat die Aufgabe, für die Studenten und Studentinnen
(Studenten) der ihr zugeordneten Hochschulen Dienstleistungen auf
wirtschaftlichem, sozialem, gesundheitlichem und kulturellen Gebiet
zu erbringen.
Zu diesem Zweck unterhielt sie in den
Streitjahren 1994 und 1995 Mensabetriebe, in denen Studenten,
Bedienstete der Universität und Dritte Mahlzeiten und
Getränke einnehmen konnten. Ferner belieferte die
Klägerin Schulen und ähnliche Einrichtungen mit Speisen,
die in den Küchen der Mensen zubereitet wurden.
Die Leistungen gliederten sich wie
folgt:
- Studenten: 5.240.067,04 DM (1994) und
5.538.197,42 DM (1995)
- Hochschulmitarbeiter/Dritte: 3.555.601 DM
(1994) und 3.742.751 DM (1995)
- Schulen: 1.868.784 DM (1994) und
1.493.850 DM (1995).
Bei Aufgliederung der von den Mensen
erbrachten Leistungen nach (gleichwertigen) Essensportionen
entfallen auf
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Schulen/Kindertagesstätten und Sonstige
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Studenten
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1994
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838.257 = 38,04 %
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1.365.616
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1995
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815.759 = 36,97 %
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1.390.308
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In den Umsatzsteuererklärungen
für die Streitjahre erfasste die Klägerin die Leistungen
an die Schulen mit dem ermäßigten Steuersatz nach §
12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993); die an
Bedienstete und sonstige Personen ausgegebenen Speisen und
Getränke besteuerte sie mit dem Regelsteuersatz. Für die
Ausgabe von Speisen und Getränken an Studenten
(Studentenessen) beanspruchte die Klägerin die Steuerbefreiung
nach § 4 Nr. 18 UStG 1993. Dementsprechend machte sie - wie
sich aus der vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen
Einspruchsentscheidung ergibt - die angefallenen
Vorsteuerbeträge nur entsprechend dem Umfang der
steuerpflichtigen Umsätze geltend.
Abweichend hiervon vertrat der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) in den
Umsatzsteuerbescheiden für 1994 und 1995 i.d.F. der
Einspruchsentscheidung vom 10.3.2003 die Auffassung, die Ausgabe
von Essen an Studenten sei steuerpflichtig und unterläge dem
Regelsteuersatz. denn der Mensabetrieb habe in den Streitjahren
weniger als 2/3 seiner Leistungen an den i.S. des § 66 der
Abgabenordnung (AO 1977) begünstigten Personenkreis
(Studenten) erbracht. Die Voraussetzungen für die Beurteilung
als Zweckbetrieb i.S. des § 66 Abs. 3 AO 1977 lägen
deshalb nicht vor. Das FA erfasste daher auch die Leistungen an die
Studenten mit dem Regelsteuersatz und ließ die geltend
gemachten (unstreitigen) Vorsteuerbeträge ungekürzt zum
Abzug zu.
Mit der Klage begehrte die Klägerin
weiterhin Umsatzsteuerbefreiung für die Verpflegungsleistungen
an die Studenten.
Das FG wies in dem in EFG 2006, 303 = SIS 06 00 77 veröffentlichten Urteil die Klage als
unbegründet ab. Es war der Auffassung, die Voraussetzungen der
Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG 1993 lägen nicht
vor, weil die Klägerin mit der Lieferung von Essen an Schulen
und Kindertagesstätten nicht ausschließlich ihre
satzungsgemäßen Zwecke (Abgabe von Mahlzeiten an
Studenten) verfolgt habe.
Selbst wenn man die Auffassung
verträte, das Erfordernis der Ausschließlichkeit sei
auch dann erfüllt, wenn eine Körperschaft einen
Zweckbetrieb i.S. der §§ 65 AO 1977 unterhalte, sei die
Klage unbegründet. Denn ein Zweckbetrieb liege unter anderem
auch deshalb nicht vor, weil die Klägerin bei der Belieferung
von Kindertagesstätten und Schulen mit Mahlzeiten zu anderen
Unternehmen in Wettbewerb trete, ohne dass dies zur Erfüllung
der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar wäre. Dabei
handle es sich um Umsätze, wie sie auch private Unternehmer
mit der Absicht der Erzielung dauerhafter Einnahmen erbringen
könnten und auch erbrächten.
Hiergegen richtet sich die Revision der
Klägerin. Sie macht im Wesentlichen geltend, das angefochtene
Urteil sei mit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
19.5.2005 V R 32/03 (BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28) nicht vereinbar. Außerdem setze § 4 Nr. 18 UStG 1993
die Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und i der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) nicht ordnungsgemäß
um. Hierauf könne sich die Klägerin berufen.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide
für 1994 und für 1995 vom 4.1.1999 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.3.2003 dahin gehend zu ändern,
dass die Umsatzsteuer für 1994 auf 171.021,50 DM und die
Umsatzsteuer für 1995 auf 210.328,10 DM herabgesetzt wird, und
festzustellen, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im
Vorverfahren notwendig war.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt es im
Wesentlichen vor, der Sachverhalt sei mit dem der Entscheidung des
BFH in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28 nicht
vergleichbar. Insbesondere ließen sich die unterschiedlichen
Leistungen nicht in der Weise trennen, dass ein eigener
wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb für die streitigen
Lieferungen angenommen werden könne. Für die von der
Klägerin behaupteten unterschiedlichen Preise fehlten
jedenfalls Feststellungen des FG. Die Klägerin könne sich
nicht unmittelbar auf die angesprochenen Regelungen der Richtlinie
77/388/EWG berufen, denn der nationale Gesetzgeber könne die
Steuerbefreiung an Bedingungen knüpfen. Mit der
Anknüpfung an die Regelungen zur Gemeinnützigkeit der
§§ 59 bis 66 AO 1977 habe der Gesetzgeber sich im Rahmen
des ihm eröffneten Beurteilungsspielraumes gehalten.
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Das FG hat nicht berücksichtigt, dass die
Klägerin den Anspruch auf Steuerbefreiung für die
Verpflegungsleistungen an die Studenten unmittelbar auf Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie
77/388/EWG stützen kann. Ob die Voraussetzungen des § 4
Nr. 18 UStG 1993 vorliegen, kann offen bleiben.
1. Nach § 4 Nr. 23 Satz 1 UStG 1993 sind
steuerfrei die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung
und der üblichen Naturalleistungen durch Personen und
Einrichtungen, wenn sie überwiegend Jugendliche für
Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für
Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die
Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung,
Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen
ausgeführt werden. Jugendliche im Sinne dieser Vorschrift sind
alle Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 4 Nr. 23
Satz 2 UStG 1993). Steuerfrei sind auch die Beherbergung,
Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen, die diese
Unternehmer den Personen, die bei den Leistungen nach Satz 1
tätig sind, als Vergütung für die geleisteten
Dienste gewähren (§ 4 Nr. 23 Satz 3 UStG 1993). Die
Gewährung von Beherbergung, Beköstigung usw. ist nur dann
gemäß § 4 Nr. 23 UStG 1993 steuerfrei, wenn dem
Unternehmer selbst die Erziehung, Ausbildung oder Fortbildung der
aufgenommenen Jugendlichen obliegen. Er muss die Erziehungszwecke,
Ausbildungszwecke oder Fortbildungszwecke zwar nicht allein
verfolgen; es reicht aber auch nicht aus, dass sie lediglich von
einem Dritten verfolgt werden (Senatsurteile in BFHE 210, 175,
BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28; vom 28.9.2000 V R 26/99, BFHE
192, 360, BStBl II 2001, 691 = SIS 01 01 54).
Die Klägerin erfüllt diese
Voraussetzungen nicht, denn nicht die Klägerin, sondern die
jeweiligen Hochschulen verfolgen die in § 4 Nr. 23 UStG 1993
genannten Ausbildungszwecke.
2. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der
Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten die Erziehung
von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht,
die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung
sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen
durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen
Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem
betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer
Zielsetzung.
Der Senat lässt im Streitfall offen,
inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 23
UStG 1993 möglich ist (ebenso Senatsurteile in BFHE 210, 175,
BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28; in BFHE 192, 360, BStBl II 2001,
691 = SIS 01 01 54); denn die Klägerin kann sich für die
Umsatzsteuerbefreiung der Verpflegungsleistungen an die Studenten
auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG
berufen.
a) Durch die Befreiung der mit dem
Hochschulunterricht eng verbundenen Dienstleistungen soll
gewährleistet werden, dass der Zugang zum Hochschulunterricht
nicht durch höhere Kosten versperrt wird, die entstünden,
wenn dieser oder die mit ihm eng verbundenen Dienstleistungen und
Lieferungen von Gegenständen der Mehrwertsteuer unterworfen
wären (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften - EuGH - vom 20.6.2002 Rs. C-287/00,
Kommission/Deutschland, Slg. I-2002, 5811 = SIS 02 93 22 RandNr.
47; Senatsurteil in BFHE 219, 175, BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28). Eng mit dem Hochschulunterricht verbunden sind nicht nur
Vermietungsleistungen an Studenten (BFH-Urteil in BFHE 210, 175,
BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28), sondern auch
Verpflegungsleistungen an Studenten durch Studentenwerke, denen als
Anstalt des öffentlichen Rechts im Zusammenwirken mit den
Hochschulen die soziale Betreuung und Förderung der Studenten
obliegt. Mit umfasst von der Befreiung sind grundsätzlich auch
Verpflegungsleistungen an Bedienstete, die zur Durchführung
der Aufgaben der sozialen Betreuung und Förderung der
Studenten beim Kläger beschäftigt sind, denn andernfalls
erhöhten sich dadurch die Kosten eines Hochschulstudiums (vgl.
BFH in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 = SIS 05 31 28 zur
Wohnraumvermietung an Studenten und Bedienstete). Der Zugang zum
Studium würde dadurch erschwert.
b) Die Klägerin erfüllt auch die
persönlichen Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst.
i der Richtlinie 77/388/EWG.
Befreit sind nur Einrichtungen des
öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind,
oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat
anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.
Nach den Feststellungen des FG ist die
Klägerin eine Anstalt des öffentlichen Rechts, der auch
im Zusammenwirken mit den Hochschulen die soziale Betreuung und
Förderung der Studenten oblag.
c) Entgegen der Auffassung des FA ist insoweit
unerheblich, dass der Mitgliedstaat nach Art. 13 Teil A Abs. 2
Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG die Befreiung von
verschiedenen, im Einzelnen beschriebenen Bedingungen abhängig
machen könnte, denn diese Befugnis gilt nur für
Einrichtungen, die - anders als die Klägerin - keine
Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der
Richtlinie 77/388/EWG sind zwar von der in Abs. 1 Buchst. b, g, h,
i, l, m und n vorgesehenen Steuerbefreiung Dienstleistungen und
Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn sie zur
Ausübung der Tätigkeiten, für die die
Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind
oder wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung
zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen,
die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der
Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen
durchgeführt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die
Klägerin mit den Verpflegungsleistungen durch die Mensen in
unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der
Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen steht, sind
anhand der Feststellungen des FG nicht erkennbar.
d) Ohne Erfolg beruft sich das FA auch auf das
Urteil des BFH vom 11.5.1988 V R 76/83 (BFHE 154, 161, BStBl II
1988, 908 = SIS 88 20 26); dies schon deshalb, weil im
entschiedenen Sachverhalt die dort streitigen Umsätze der
Cafeteria jedenfalls soweit sie - wie im Streitfall -
gegenüber Studenten erbracht worden sind, als steuerfrei
beurteilt worden waren und der BFH nur über die Umsätze
an andere Personen zu entscheiden hatte; im Übrigen ist diese
Entscheidung, soweit es um die Befreiung der Verpflegungsleistungen
durch ein Studentenwerk geht, im Ergebnis durch die spätere
Rechtsprechung (zuletzt BFH in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900 =
SIS 05 31 28), überholt.
e) Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen; die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben. Die Sache
ist nicht spruchreif.
aa) Das FA hat in der Annahme, auch die
Umsätze an die Studenten seien steuerpflichtig, dem
Kläger den Vorsteuerabzug ungekürzt gewährt. Nach
§ 15 Abs. 4 UStG 1993 steht dem Kläger der Vorsteuerabzug
jedoch nicht zu, soweit er den zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs
führenden, steuerbefreiten Umsätzen wirtschaftlich
zuzurechnen ist. Die Feststellungen des FG erlauben insoweit keine
abschließende Entscheidung über die zutreffende
Vorsteuerkürzung. Die Sache war deshalb
zurückzuverweisen.
bb) Der Kläger hat mit der Klage nur die
Befreiung der Verpflegungsleistungen an die Studenten beantragt. Ob
es sich bei den im Tatbestand erwähnten Bediensteten, die
ebenfalls Leistungen der Mensa des Klägers bezogen haben, um
Bedienstete handelt, die zur Erfüllung der Aufgaben der
sozialen Betreuung und Förderung der Studenten beim
Kläger beschäftigt waren, mit der Folge, dass auch diese
Leistungen in die Befreiung hätten einbezogen werden
können (vgl. Senatsurteil in BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900
= SIS 05 31 28), ergibt sich nicht aus den Feststellungen des FG.
Zwar darf nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen
(„ne ultra petita“). Das FG wird dies
jedoch im Rahmen der Vorsteuerkürzung zu berücksichtigen
haben.