Sparkassenmodell, Bankenmodell, Vorsteuerabzug: 1. Zur Anwendbarkeit von § 42 AO 1977 im Mehrwertsteuerrecht. - 2. Schaltet ein Kreditinstitut bei der Erstellung eines Betriebsgebäudes eine Personengesellschaft vor, die das Gebäude errichtet und anschließend unter Verzicht auf die Steuerfreiheit an das Kreditinstitut vermietet, kann darin ein Rechtsmissbrauch vorliegen, der bei der Personengesellschaft zur Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Herstellungskosten des Gebäudes führt. - 3. Die Gestaltung kann aber auch durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe gerechtfertigt sein. Ertragsteuerliche Gründe gehören nicht dazu. - Urt.; BFH 9.11.2006, V R 43/04; SIS 07 00 38
I. Streitig ist die umsatzsteuerrechtliche
Beurteilung der Errichtung eines Betriebsgebäudes für
eine Bank durch eine Personengesellschaft, an der die Bank als
Gesellschafterin beteiligt ist.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), die ... OHG, wurde mit
Gesellschaftsvertrag vom 12.8.1992 von der ... (Bank), deren
Tochtergesellschaft ... (IB-GmbH) sowie der ...
Grundbesitz-Verwaltungsgesellschaft mbH gegründet. Das
Gesellschaftskapital betrug 100.000 DM und wurde von der Bank in
Höhe von 75.000 DM sowie von der IB-GmbH in Höhe von
25.000 DM eingebracht. Zweck der Klägerin ist nach § 2
des Gesellschaftsvertrags der Erwerb, die Nutzung, Verwertung und
Verwaltung von Grundstücken, Erbbaurechten und anderen Rechten
an Grundstücken, insbesondere die Errichtung und Vermietung
von Gebäuden.
Am 17.11.1992 übertrug die Bank ein in
ihrem Eigentum stehendes Grundstück in X (Buchwert: 1.920.000
DM) im Wege der Sacheinlage auf die Klägerin. Diese erwarb mit
Vertrag vom 18.12.1992 eine Teilfläche des angrenzenden
Grundstücks für 2.247.000 DM. Auf diesen
Grundstücken errichtete die Klägerin zwischen dem
25.10.1993 (Grundsteinlegung) und dem 31.8.1995 (Fertigstellung)
ein mehrgeschossiges Bürogebäude (Bauvolumen ca. 130 Mio.
DM) und vermietete es ab dem 1.9.1995 bis zum 31.12.2005
steuerpflichtig an die Bank als alleinige Mieterin.
Das Bauvorhaben war von der Bank geplant
worden und speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Die
Klägerin verwirklichte nur dieses eine Bauvorhaben.
Die Mittel für den Bau des
Gebäudes hatte die Klägerin von der Bank und der IB-GmbH
zunächst im Wege von Gesellschafterdarlehen erhalten. Vor dem
Beginn der Vermietung übertrugen - entsprechend ihrer
Beteiligung - die Bank ca. 75 Mio. DM und die IB-GmbH ca. 33,5 Mio.
DM auf die Klägerin. Die Beträge stammten jeweils aus
Rücklagen nach § 6b des Einkommensteuergesetzes
(EStG).
Die Klägerin reichte ab November 1992
Umsatzsteuer-Voranmeldungen und ab dem Jahr 1992 (Streitjahr)
Umsatzsteuer-Jahreserklärungen ein, in denen sie den
Vorsteuerabzug aus den ihr im Zusammenhang mit der Errichtung des
Gebäudes in Rechnung gestellten Leistungen begehrte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) führte bei der Klägerin vom 29.6 bis
2.7.1993 eine den Vorsteuerabzug Januar bis März 1993
betreffende Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch, die zu keinen
Beanstandungen führte. Das FA teilte dies der Klägerin
mit Schreiben vom 19.7.1993 gemäß § 202 Abs. 1 Satz
3 der Abgabenordnung (AO 1977) mit.
Aufgrund der am 29.9.1993 eingereichten
Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1992 kam es zu einer
antragsgemäßen Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung über ... DM.
Vom 3.4.1997 bis 30.6.1998 führte das
FA eine zweite, den Vorsteuerabzug für August 1995 bis Januar
1997 betreffende Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Unter
Berufung auf Tz. 4 des Schreibens des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF) vom 29.5.1992 zur umsatzsteuerrechtlichen
Beurteilung der Einschaltung von Personengesellschaften beim Erwerb
oder der Errichtung von Betriebsgebäuden der Kreditinstitute
(BStBl I 1992, 378 = SIS 92 13 39) ging der Prüfer von einer
rechtsmissbräuchlichen Gestaltung i.S. von § 42 AO 1977
aus. Zweck der Einschaltung der Klägerin sei die Absicht der
Steuerersparnis gewesen, weil die gemäß § 15 des
Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG) innerhalb des zehnjährigen
Berichtigungszeitraums (§ 15a UStG) abziehbaren
Vorsteuerbeträge der Klägerin die von ihr zu
entrichtenden Umsatzsteuern für ihre Vermietungsleistungen an
die Bank um 2.141.925,95 DM überstiegen und diese
Aufkommensminderung durch Mehraufkommen bei anderen Steuerarten
nicht ausgeglichen werde. Wirtschaftliche oder sonst beachtliche
Gründe für die Gestaltung lägen nicht vor. Das von
der Klägerin angegebene Ziel, eine Steuerersparnis in
Höhe von 20 Mio. DM aus der Rücklage der IB-GmbH nach
§ 6b EStG zu sichern, überzeuge nicht. Die
ertragsteuerrechtlichen Gründe verstärkten lediglich den
umsatzsteuerrechtlich angestrebten „Spareffekt“. Das
Mietverhältnis zwischen der Klägerin und der Bank
könne daher umsatzsteuerrechtlich nicht anerkannt werden
(Bericht vom 8.7.1998).
Das FA änderte daraufhin u.a. die
Umsatzsteuerfestsetzung für 1992 und setzte die Steuer durch
Bescheid vom 4.9.1998 auf 0 DM fest.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, das FA sei
entgegen der Ansicht der Klägerin verfahrensrechtlich nicht
gehindert gewesen, die bisherige Umsatzsteuerfestsetzung für
1992 durch den Umsatzsteuerbescheid vom 4.9.1998 zu ändern; es
habe auch zu Recht den Vorsteuerabzug aus dem Bezug von Leistungen
für die Errichtung des Bürogebäudes versagt.
Die ursprüngliche
Umsatzsteuerfestsetzung für 1992 sei aufgrund der von der
Klägerin eingereichten Steuererklärung erfolgt und habe
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden (§ 164 Abs.
1 AO 1977). Deshalb habe kein Vertrauenstatbestand entstehen
können. Ein solcher sei auch nicht dadurch entstanden, dass
die gewählte Gestaltung im Rahmen der ersten
Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht beanstandet worden
sei.
Der geltend gemachte Vorsteuerabzug stehe
der Klägerin nicht zu. Zwar seien die Voraussetzungen des
§ 15 Abs. 1 UStG gegeben. Auch sei der Vorsteuerabzug aufgrund
des Verzichts der Klägerin auf die Steuerfreiheit der
Mietumsätze nicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG
ausgeschlossen. Die steuerpflichtige Vermietung des
Bürogebäudes an die Bank stelle aber eine
rechtsmissbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO 1977
dar.
Die Klägerin mache insoweit zu Unrecht
geltend, das Vorliegen eines Rechtsmissbrauches sei schon deshalb
ausgeschlossen, weil es ansonsten der zum 1.1.1994 erfolgten
Änderung des § 9 Abs. 2 UStG durch das Missbrauchs- und
Steuerbereinigungsgesetz nicht bedurft hätte. Danach sei eine
Option zur Steuerpflicht nur noch zulässig, soweit der
Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich
für Umsätze verwende oder zu verwenden beabsichtige, die
den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Diese Änderung
des § 9 Abs. 2 UStG sei nach der Übergangsregelung des
§ 27 Abs. 2 UStG zwar nicht auf das Bauvorhaben der
Klägerin anwendbar, weil der Baubeginn am 25.10.1993 - und
damit vor dem 11.11.1993 - und die Fertigstellung am 31.8.1995 -
und damit vor dem 1.1.1998 - erfolgt seien. Die Unanwendbarkeit der
Neufassung des § 9 Abs. 2 UStG habe aber nicht zur Folge, dass
für die davon nicht betroffenen Bauvorhaben der Vorsteuerabzug
stets und ohne Einschränkungen zu gewähren sei. In diesen
Fällen sei vielmehr zu prüfen, ob ein Rechtsmissbrauch
vorliege (Hinweis auf Klenk in Sölch/Ringleb, Kommentar zum
Umsatzsteuergesetz, § 9 Rz. 155 a.E.).
Die Vorschaltung der Klägerin allein
zur Erlangung des Vorsteuerabzugs aus dem von ihr zu
verwirklichenden Bauvorhaben sei als rechtsmissbräuchlich
anzusehen, weil das Bauvorhaben von der unmittelbar und über
die Tochtergesellschaft mittelbar allein
vermögensmäßig an der Klägerin beteiligten
GmbH geplant und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten worden
sei. Es habe nur mit den zunächst darlehensweise und
später als Eigenmittel zur Verfügung gestellten Mitteln
der Mitunternehmer finanziert werden können; wirtschaftlich
beachtliche Gründe für die Gestaltung seien nicht
ersichtlich. Ertragsteuerliche Gründe könnten nicht als
beachtliche wirtschaftliche Gründe i.S. des § 42 AO 1977
zur Rechtfertigung einer umsatzsteuerlich unangemessenen Gestaltung
angeführt werden.
Das Urteil ist u.a. in EFG 2005, 68 = SIS 05 05 37 veröffentlicht.
Das FG hat die Revision gegen sein Urteil
unter Hinweis auf den zwischen den Beteiligten im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des
erkennenden Senats vom 6.3.2000 V B 170/99 (BFH/NV 2000, 1147 = SIS 00 11 86) zugelassen.
Die Klägerin macht mit der Revision
zunächst geltend, der angegriffene Bescheid verstoße
gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes bzw. gegen Treu und
Glauben. Durch die erste Umsatzsteuer-Sonderprüfung im
Juni/Juli 1993 sei namentlich der Vorsteuerabzug geprüft
worden. Ergebnis dieser Prüfung sei gewesen, dass keine
Beanstandungen in Bezug auf den Vorsteuerabzug erhoben worden
seien. Dies sei geschehen, obwohl zum damaligen Zeitpunkt u.a. das
BMF-Schreiben in BStBl I 1992, 378 = SIS 92 13 39 vorgelegen
hätte, das - aus Sicht der Finanzverwaltung - Anlass
hätte geben müssen, die Vorgehensweise der Klägerin
in Zweifel zu ziehen. In ihrem Bericht über die zweite
Umsatzsteuer-Sonderprüfung berufe sich das FA denn auch
ausdrücklich auf Tz. 4 dieses Schreibens.
Entgegen der Behauptung des FA habe sie,
die Klägerin, im Rahmen der ersten
Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht zugesichert, der vorgesehene
Mieter - die Bank - sei zu einem anteiligen Vorsteuerabzug in
Höhe von 80 bis 85 % berechtigt.
Im vorliegenden Fall seien im Anschluss an
die erste Umsatzsteuer-Sonderprüfung jahrelang
Umsatzsteuerbescheide auf der Grundlage der Steuererklärungen
der Klägerin erlassen worden. Erst im Anschluss an die zweite
Umsatzsteuer-Sonderprüfung seien die Umsatzsteuerfestsetzungen
für die Jahre 1992 bis 1996 rückwirkend geändert
worden. Für diese Änderungen sei lediglich eine offenbar
geänderte Sichtweise der Finanzverwaltung ausschlaggebend
gewesen.
§ 42 AO 1977 stehe dem Vorsteuerabzug
nicht entgegen. Diese Vorschrift sei nicht anwendbar. Denn das UStG
enthalte mit § 15a UStG eine (abschließende) -
vorliegend unstreitig nicht eingreifende - Spezialnorm zur
Korrektur des Vorsteuerabzugs. Zudem stelle § 42 AO 1977 eine
Umsetzung von EG-Recht dar und hätte als von der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) abweichende Sondermaßnahme
gemäß Art. 27 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG nur
aufrechterhalten werden können, wenn dies der Kommission vor
dem 1.1.1978 mitgeteilt worden wäre. Dies sei nicht
geschehen.
Jedenfalls liege kein Rechtsmissbrauch vor.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach eine
„Vorschaltung“ von Ehegatten rechtsmissbräuchlich
sein könne, sei - entgegen der Auffassung des FG - nicht auf
den Streitfall anwendbar. Überdies lägen - anders als vom
FG angenommen - im vorliegenden Fall nicht nur steuerliche
Gründe für die gewählte Gestaltung vor. Sie, die
Klägerin, habe wiederholt vorgetragen, dass es insbesondere
darum gegangen sei, ihr nach § 6b EStG gebundene
Rücklagen zuzuführen. Ferner spreche die Regelung in
§ 12 des Kreditwesengesetzes - KWG - (BGBl I 1961, 881)
dafür, größere Investitionen nicht selbst, sondern
im Rahmen einer Tochter-(Personen-)Gesellschaft zu tätigen.
Diese Vorgehensweise sei auch aus organisatorischen Gründen
sinnvoll. Gerade in heutiger Zeit seien die Kreditinstitute
bestrebt, Aufgaben, die nicht zu ihrer Kernkompetenz zählten
(wie Grundstücksvermittlung oder -verwaltung,
Versicherungsvermittlung, EDV-Abwicklung), auch organisatorisch vom
Kerngeschäft zu trennen, um diese Aufgaben durch ein
spezifisches Management effizienter gestalten zu können. Hinzu
träten andere Gesichtspunkte. So sei es bei großen
Bauvorhaben nicht selten, dass Rechtsstreitigkeiten aus der
Bauausführung entstünden, die besser nicht von dem
Kreditinstitut selbst geführt würden.
Abgesehen davon habe der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom 21.2.2006
Rs. C-255/02, Halifax (BFH/NV Beilage 2006, 260, DStR 2006, 420, UR
2006, 232 = SIS 06 12 87) entschieden, dass (allein) ein im Wege
der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gewinnender
Missbrauchsbegriff gelte. Die danach für die Annahme eines
Missbrauchs erforderlichen Voraussetzungen (Rdnr. 74 ff. des
EuGH-Urteils) seien im Streitfall nicht erfüllt. Das folge
auch aus dem EuGH-Urteil vom 12.9.2006 Rs. C-196/04, Cadbury
Schweppes (IStR 2006, 670 = SIS 06 39 02). Da das
mehrwertsteuerrechtliche Neutralitätsprinzip bewusst durch -
den hier nicht anwendbaren - Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG
(vgl. § 15a UStG) eingeschränkt werde, sei vorliegend
keine Zuwiderhandlung gegen die Zielsetzung des Gesetzes
erkennbar.
Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom 19.5.2000
aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 1992 vom 4.9.1998
dahin gehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ./. ... EUR
festgesetzt wird. Sie regt an, dem EuGH verschiedene Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Es meint, der Grundsatz des
Vertrauensschutzes sei nicht verletzt worden. Während der
ersten Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 29. Juni bis 2.7.1993
habe ein Vertreter der Klägerin in einem Telefonat mit dem
Prüfer ausgeführt, dass die voraussichtliche Mieterin,
die Bank, zu 80 bis 85 % steuerpflichtige Umsätze
ausführe. Zudem habe sich die Prüfung allein auf den
Überschuss der angemeldeten Vorsteuerbeträge im Zeitraum
Januar bis März 1993 beschränkt. Eine Aussage
darüber, ob die geltend gemachten Vorsteuerbeträge
letztlich auch zum Abzug berechtigten, sei mit der
Nichtbeanstandung durch den Prüfer nicht verbunden gewesen und
habe zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht getroffen werden
können, da die hierfür maßgebliche erstmalige
Verwendung des erst noch herzustellenden Wirtschaftsguts seinerzeit
noch nicht erfolgt und unklar gewesen sei.
Die Vorschrift des § 42 AO 1977 greife
im Streitfall ein, wie das FG zutreffend dargelegt habe. Der
Vortrag der Klägerin in der Revisionsbegründung, die
Gestaltung sei im Hinblick auf § 12 KWG nicht
rechtsmissbräuchlich, greife nicht, da im Streitjahr 1992 das
Verhältnis des Eigenkapitals der Bank zur Bausumme so marginal
sei, dass dies keine Rolle spiele. Auch das weitere Argument, alle
Banken konzentrierten sich auf ihre Kernkompetenzen, treffe
für das Streitjahr nicht zu, da diese Entwicklung erst
später eingesetzt habe.
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.
2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass das FA die ursprüngliche Umsatzsteuerfestsetzung für
1992 durch den angefochtenen Bescheid vom 4.9.1998 ändern
durfte; der Änderung standen weder der Grundsatz von Treu und
Glauben noch ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin
entgegen.
Nach ständiger Rechtsprechung wird das
gesetzliche Recht nur dann durch den Grundsatz von Treu und Glauben
verdrängt, wenn das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein
bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem
Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig
ist, dass demgegenüber die Grundsätze der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten
müssen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5.9.2000 IX R 33/97, BFHE
192, 559, BStBl II 2000, 676 = SIS 00 13 60, m.w.N.). Dies kommt
nur dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte
steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die
Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten
außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen
hat (vgl. BFH-Urteil vom 30.9.1997 IX R 80/94, BFHE 184, 406, BStBl
II 1998, 771 = SIS 98 02 12).
Weder eine Außenprüfung oder eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung noch eine unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung stehende Umsatzsteuerfestsetzung schaffen insoweit
einen Vertrauenstatbestand, da es sich bei diesen Maßnahmen
lediglich um vorläufige Beurteilungen der Finanzverwaltung
handelt, die einer späteren abweichenden Beurteilung nicht
entgegenstehen (vgl. BFH-Urteil vom 29.1.1997 XI R 27/95, BFH/NV
1997, 816, unter 3.; BFH-Beschlüsse vom 26.11.2001 V B 88/00,
BFH/NV 2002, 551 = SIS 02 58 94, unter II. 1. b; vom 28.8.2002 V B
71/02, BFH/NV 2003, 4 = SIS 03 06 25, unter II. 1.). Hebt das FA
den Vorbehalt der Nachprüfung nach einer
Außenprüfung nicht auf, ist die mit dieser
Nebenbestimmung versehene Steuerfestsetzung bis zum Ablauf der
Festsetzungsfrist selbst dann nach § 164 Abs. 2 AO 1977 in
vollem Umfang änderbar, wenn das FA - wie im Streitfall - dem
Steuerpflichtigen gemäß § 202 Abs. 1 AO 1977
mitgeteilt hat, die Außenprüfung habe zu keiner
Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt (vgl.
BFH-Urteil vom 15.12.1994 V R 135/93, BFH/NV 1995, 938 = SIS 95 24 18).
2. Die Klägerin erfüllt die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 UStG für den von ihr
geltend gemachten Vorsteuerabzug. Das hat das FG im Einzelnen
dargelegt und ist zwischen den Beteiligten auch nicht
umstritten.
3. Gleichwohl kann der Vorsteuerabzug wegen
Rechtsmissbrauchs nicht anerkannt werden. Dies hat das FG
zutreffend entschieden.
a) Nach § 42 Satz 1 AO 1977 (in der im
Streitjahr 1992 geltenden Fassung) kann das Steuergesetz durch
Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht
umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der
Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen
Vorgängen angemessenen Gestaltung entsteht (§ 42 Satz 2
AO 1977).
aa) § 42 AO 1977 ist im
Mehrwertsteuerrecht auch dann anwendbar, wenn insoweit kein
Verfahren nach Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG durchgeführt
worden sein sollte.
Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie
77/388/EWG kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig
jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie
abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um u.a.
Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern. Die
Mitgliedstaaten, die am 1.1.1977 derartige Sondermaßnahmen
angewandt haben, können sie aufrechterhalten, sofern sie diese
der Kommission vor dem 1.1.1978 mitgeteilt haben (Art. 27 Abs. 5
der Richtlinie 77/388/EWG).
§ 42 AO 1977 stellt keine
Sondermaßnahme i.S. des Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG dar
(vgl. dazu Wäger, UR 2006, 240, 242; Widmann, DStR 2006, 736,
738; Lange, DB 2006, 519, 521). Die Vorschrift normiert vielmehr
einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der nach der Rechtsprechung des
EuGH auch im Mehrwertsteuerrecht gilt. Danach ist die Richtlinie
77/388/EWG dahin auszulegen, dass sie dem Recht des
Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug entgegensteht, wenn die
Umsätze, die dieses Recht begründen, eine
„missbräuchliche Praxis“ darstellen (vgl.
EuGH-Urteil Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87,
Rdnrn. 61 ff., 85).
bb) Die Anwendung des § 42 AO 1977 wird
ferner nicht durch § 15a UStG ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin
enthält § 15a UStG keine abschließende - und damit
eine Anwendung des § 42 AO 1977 ausschließende -
Regelung zur Korrektur des Vorsteuerabzugs. § 15a UStG ist
keine
„Missbrauchsbekämpfungsvorschrift“.
Auch der EuGH geht davon aus, dass Art. 20 der
Richtlinie 77/388/EWG (Berichtigung der Vorsteuerabzüge) nicht
Versagung des Vorsteuerabzugs wegen Rechtsmissbrauchs
ausschließt. Vielmehr stehen Art. 20 der Richtlinie
77/388/EWG und die Begrenzung des Rechts auf Vorsteuerabzug wegen
Rechtsmissbrauchs nebeneinander (vgl. Rdnr. 84 des EuGH-Urteils
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87).
cc) Die Voraussetzungen des § 42 AO 1977
liegen im Streitfall vor.
(1) Der BFH hat bereits mehrfach die Frage
entschieden, ob Unternehmen, die wegen ihrer steuerfreien
Umsätze nicht zum Vorsteuerabzug aus Investitionen berechtigt
sind (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG), diesen Vorsteuerabzug dadurch
erreichen können, dass sie - z.B. zur Errichtung von
Betriebsgebäuden - von ihnen beherrschte Gesellschaften
„vorschalten“.
Nach dieser Rechtsprechung kann ein
Rechtsmissbrauch i.S. des § 42 AO 1977 dann vorliegen, wenn
ein Kreditinstitut bei der Erstellung eines Betriebsgebäudes
eine Gesellschaft „vorschaltet“, die das
Gebäude errichtet und anschließend unter Verzicht auf
die Steuerfreiheit an das Kreditinstitut vermietet. Über die
Vorschaltung einer Gesellschaft wird ein Umweg gewählt, wenn
der Mieter-Gesellschafter, der einen Gegenstand für sein
Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen
Mittel seiner Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung stellt,
damit diese den Gegenstand erwirbt oder errichtet, um ihn an den
Gesellschafter zu vermieten. Dieser Umweg kann unangemessen sein,
weil verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen
Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der
gewählten Weise verfahren wären. Er kann aber auch durch
wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe
gerechtfertigt sein (vgl. BFH-Urteile vom 18.12.1996 XI R 12/96,
BFHE 182, 395, BStBl II 1997, 374 = SIS 97 09 25, m.w.N.; in BFH/NV
1997, 816; vom 30.3.2000 V R 105/98, BFH/NV 2000, 1368 = SIS 00 14 10).
(2) Das FG ist zutreffend von dieser
Rechtsprechung ausgegangen. Es hat ausgeführt, die
Unangemessenheit der gewählten Gestaltung ergebe sich im
Streitfall daraus, dass die Klägerin
„vorgeschaltet“ worden sei, um unter Vermeidung
eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis aus den
Leistungsbezügen zu erzielen, indem die Bank als
Gesellschafter die Aufwendungen wirtschaftlich so getragen habe,
als hätte sie selbst das Bürogebäude errichten
lassen. Die „Vorschaltung“ der Klägerin
zeige sich insbesondere darin, dass die Bank unmittelbar und -
über ihre Tochtergesellschaft IB-GmbH - mittelbar allein
vermögensmäßig an der Klägerin beteiligt
gewesen sei und die Klägerin das Bauvorhaben nur durch die
ausreichende Ausstattung mit finanziellen Mitteln durch die an ihr
beteiligten Gesellschafter (zunächst als Darlehen, später
als Eigenmittel) habe errichten können. Außerdem habe
die Klägerin trotz ihres weit gefassten Gesellschaftszwecks
nur dieses eine Bauvorhaben, das nicht nur von der Bank geplant,
sondern auch speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten
gewesen sei, verwirklicht.
Diese Ausführungen sind
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
(3) Der erkennende Senat folgt dem FG ferner
insoweit, als es festgestellt hat, die gewählte Gestaltung sei
durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche
Gründe nicht gerechtfertigt.
Die von der Klägerin geltend gemachten
ertragsteuerlichen Gründe können die Gestaltung nicht
rechtfertigen. Es kommt vielmehr darauf an, ob die fraglichen
Umsätze „eine andere Erklärung haben können
als nur die Erlangung von Steuervorteilen“ (vgl.
EuGH-Urteil Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87,
Rdnr. 75). Soweit der EuGH sich dabei auf die Nummer 89 der
Schlussanträge des Generalanwalts bezogen hat, ergibt sich
daraus - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht, auch
ertragsteuerrechtliche Gründe könnten einen
umsatzsteuerrechtlichen Rechtsmissbrauch ausschließen.
Vielmehr heißt es dort, das Missbrauchsverbot als
Auslegungsgrundsatz sei nicht mehr relevant, wenn es für die
ausgeführte wirtschaftliche Tätigkeit eine andere
Erklärung geben könne als die, dass ausschließlich
„Steuervorteile“ gegenüber den
Steuerbehörden erreicht werden sollten (vgl. Rdnr. 89 der
Schlussanträge des Generalanwalts, EuGH-Urteil Halifax in DStR
2006, 420, UR 2006, 232, 238 = SIS 06 12 87). Auch der
Generalanwalt stellt mithin allgemein auf das Erreichen von
„Steuervorteilen“ ab und nicht lediglich auf
mehrwertsteuerrechtliche Steuervorteile.
Auch der BFH geht in ständiger
Rechtsprechung zu § 42 AO 1977 davon aus, dass insoweit nur
„außersteuerliche“ Gründe beachtlich
sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 182, 395, BStBl II 1997, 374 = SIS 97 09 25; in BFH/NV 1997, 816; in BFH/NV 2000, 1368 = SIS 00 14 10). Es ist deshalb unerheblich, ob eine aus
umsatzsteuerrechtlicher Sicht unangemessene Gestaltung den
ertragsteuerrechtlichen Interessen der Beteiligten gerecht wird
(vgl. BFH-Urteil vom 10.12.1992 V R 90/92, BFHE 170, 299 = SIS 93 08 49, unter II. 2. b dd). Abgesehen davon besteht zwischen der
Übertragung einer Rücklage nach § 6b EStG und der -
umsatzsteuerpflichtigen - Vermietung des Bürogebäudes
durch die Klägerin keine zwingende Verknüpfung.
Anhaltspunkte für wirtschaftliche oder
sonst beachtliche nicht steuerliche Gründe für die
gewählte Gestaltung hat das FG nicht festgestellt. Das ist
für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Soweit sich die Klägerin im
Revisionsverfahren auf § 12 KWG berufen hat, ist zwar
anerkannt, dass im Einzelfall ein beachtlicher
außersteuerlicher Grund vorliegen kann, wenn die
gewählte Gestaltung die Gefahr vermeiden soll, dass die nach
Buchwerten berechneten dauernden Anlagen (z.B. bebaute
Grundstücke) eines Kreditinstituts das haftende Eigenkapital
übersteigen und eine Ausnahmegenehmigung nach § 12 Abs. 3
KWG nicht erreichbar ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 182, 395, BStBl
II 1997, 374 = SIS 97 09 25, unter II. 3. b; in BFH/NV 1997, 816,
unter 2. b; in BFH/NV 2000, 1368 = SIS 00 14 10, unter II. 1. b).
Es gibt im vorliegenden Fall aber keinen objektiven Anhaltspunkt
für die Annahme, dies sei ein wesentlicher Grund für die
gewählte Gestaltung gewesen. Denn die Klägerin hat sich
ausweislich der Feststellungen im angefochtenen Urteil auf §
12 KWG erstmals im Revisionsverfahren berufen. Dasselbe gilt
für die ferner von der Klägerin mit der Revision
angeführten Gesichtspunkte (organisatorische Gründe und
Auftreten in Rechtsstreitigkeiten). Überdies hinderten diese
Gründe die Klägerin nicht, die von ihr ausgeübte
Option zur Steuerpflicht der Vermietungsumsätze zu unterlassen
und das Bürogebäude steuerfrei an die Bank zu
vermieten.
b) Die Beurteilung als Rechtsmissbrauch i.S.
von § 42 AO 1977 steht im Einklang mit der Rechtsprechung des
EuGH.
Danach erfordert die Feststellung einer
„missbräuchlichen Praxis“ zum einen, dass
die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der
Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie
77/388/EWG und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts
einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem
mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde.
Zum anderen muss auch aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte
ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im
Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird (vgl. EuGH-Urteil
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnrn. 74
ff., 86).
aa) Die von der Klägerin
ausgeführten Umsätze haben trotz formaler Anwendung der
Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie
77/388/EWG (hier: Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG) und des zur
ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts (hier: § 15 UStG)
einen Steuervorteil zum Ergebnis, dessen Gewährung dem mit
diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde.
Im Streitfall führt die gewählte
Gestaltung dazu, dass sämtliche Umsatzsteuerbeträge, die
im Zusammenhang mit der Errichtung des Bürogebäudes
für die Bank angefallen sind, als Vorsteuerbeträge
abziehbar sind. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn die Bank
das - von ihr geplante und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene
- Bürogebäude selbst errichtet hätte. Denn dann
wäre der Vorsteuerabzug der Bank gemäß § 15
Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 UStG überwiegend ausgeschlossen gewesen,
weil die Bank im Wesentlichen steuerfreie Ausgangsumsätze
ausführt.
Die Klägerin erfüllt die
Voraussetzungen des § 15 UStG für den Vorsteuerabzug im
Streitfall deshalb, weil sie das Gebäude der Bank vermietet
hat, und zwar durch die von ihr ausgeübte Option
gemäß § 9 UStG steuerpflichtig, so dass der
Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG
ausgeschlossen ist. Zwar hat ein Steuerpflichtiger
grundsätzlich die Wahl zwischen steuerfreien und besteuerten
Umsätzen und das Recht, seine Tätigkeit so zu gestalten,
dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält (vgl. EuGH-Urteil
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnr. 73).
Im Streitfall führte die gewählte Gestaltung aber zu
einem Steuervorteil, der dem vom EuGH im Einzelnen dargelegten Sinn
der Regelungen über den Vorsteuerabzug (vgl. EuGH-Urteil
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnr. 77
ff.) zuwiderläuft.
Für die Klägerin hat die
gewählte Gestaltung während des 10-jährigen
Vorsteuer-Berichtigungszeitraums nach § 15a UStG einen
Steuervorteil in Höhe von 2.141.925,95 DM zum Ergebnis. Dieser
Steuervorteil ergibt sich nach den vom FG übernommenen
Feststellungen der Betriebsprüfung (vgl. Tz. 13 des
Betriebsprüfungsberichtes vom 8.7.1998) aus der
Gegenüberstellung der für die Errichtung des
Bürogebäudes geltend gemachten Vorsteuerbeträge
(16.270.607 DM) zu den für die Vermietungsumsätze
anfallenden Umsatzsteuern (14.128.681,05 DM). Soweit die
Klägerin geltend macht, dass dieser Zeitraum für den
vollen Ausgleich zwischen den aus den Baukosten abgezogenen
Vorsteuerbeträgen und der aus den Vermietungsumsätzen
abzuführenden Umsatzsteuer zu kurz sei, berücksichtigt
sie nicht hinreichend, dass der maßgebliche Steuervorteil
jedenfalls in dem begehrten Abzug von Vorsteuerbeträgen
bereits in der Bauphase liegt. Der darin liegende
Liquiditätsvorteil wird nicht dadurch beseitigt, dass - (nur)
bei Fortführung der steuerpflichtigen Vermietung auch nach
Ablauf des Berichtigungszeitraums gemäß § 15a UStG
- die Umsatzsteuer aus den Vermietungsumsätzen die Höhe
der geltend gemachten Vorsteuerbeträge erreicht oder
übersteigt, sondern bleibt in jedem Falle erhalten, wie das FG
zutreffend ausgeführt hat.
Der Auffassung der Klägerin, vorliegend
fehle es bereits an einer Handlung, die dem Zweck des Gesetzes
(Neutralitätsprinzip in seiner Einschränkung durch Art.
20 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. § 15a UStG) zuwiderlaufe,
vermag der Senat nicht zu folgen. Denn der EuGH hat bei seinen
Ausführungen zum Sinn des Vorsteuerabzugsrechts auch das
Neutralitätsprinzip (vgl. EuGH-Urteil Halifax in DStR 2006,
420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnr. 78) und Art. 20 der
Richtlinie 77/388/EWG berücksichtigt (vgl. EuGH-Urteil Halifax
in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnr. 84).
bb) Auch die zweite Voraussetzung, die der
EuGH für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs aufgestellt hat,
liegt im Streitfall vor. Es ist aus einer Reihe objektiver
Anhaltspunkte ersichtlich, dass mit den fraglichen -
steuerpflichtigen - Umsätzen der Klägerin im Wesentlichen
ein Steuervorteil bezweckt wird (vgl. dazu EuGH-Urteil Halifax in
DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnrn. 75, 86). Im
Streitfall kann die gewählte Gestaltung keine andere
Erklärung haben, als nur die Erlangung von
Steuervorteilen.
Bei Prüfung dieser Voraussetzung kann das
nationale Gericht den „rein willkürlichen Charakter
dieser Umsätze sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen
und/oder personellen Verbindungen zwischen den
Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen, die in den
Steuersparplan einbezogen sind“ (vgl. dazu EuGH-Urteil
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnrn. 75,
81). Diese Umstände hat das FG in der Vorentscheidung - wie
dargelegt - revisionsrechtlich unangreifbar
berücksichtigt.
4. Der mithin im Streitfall vorliegende
Rechtsmissbrauch ist nicht deshalb unbeachtlich, weil das Recht auf
Vorsteuerabzug sofort ausgeübt werden darf (vgl. z.B.
EuGH-Urteil vom 8.6.2000 Rs. C-396/98, Schlossstraße, Slg.
2000, I-4279 = SIS 00 09 96, BStBl II 2003, 446, UR 2000, 336 = SIS 00 09 96; BFH-Urteil vom 22.2.2001 V R 77/96, BFHE 194, 498, BStBl
II 2003, 426 = SIS 01 07 82; BFH-Beschluss vom 14.3.2002 V B 45/01,
BFH/NV 2002, 959 = SIS 02 69 65) und von der Klägerin auch
ausgeübt worden ist.
Denn das einmal entstandene Recht auf
Vorsteuerabzug bleibt - vorbehaltlich etwaiger Berichtigungen
gemäß Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG (§ 15a
UStG) - nur dann erhalten, wenn kein Fall von Betrug oder
Missbrauch vorliegt (vgl. EuGH-Urteil Halifax in DStR 2006, 420, UR
2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnr. 84, m.w.N.).
5. Die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs
führt dazu, dass die betreffenden Umsätze in der Weise
neu zu definieren sind, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne
die diesen Rechtsmissbrauch darstellenden Umsätze bestanden
hätte (vgl. EuGH-Urteil Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006,
232 = SIS 06 12 87, Rdnrn. 94, 98). Das entspricht § 42 Satz 2
AO 1977, wonach der Steueranspruch im Falle eines Missbrauchs so
entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen
angemessenen Gestaltung entsteht (vgl. dazu BFH-Urteil vom
16.1.1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541 = SIS 92 11 33, unter II. 3. c cc).
Insoweit kann die Steuerverwaltung
rückwirkend die Erstattung der abgezogenen Beträge
verlangen, hinsichtlich deren sie feststellt, dass das Recht auf
Vorsteuerabzug in missbräuchlicher Weise ausgeübt wurde;
sie muss jedoch auch alle Steuern auf Ausgangsumsätze
abziehen, die der betreffende Steuerpflichtige im Rahmen des
Steuersparplans willkürlich geschuldet hat (vgl. EuGH-Urteil
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnrn. 95,
96).
Deshalb hat das FA mit Recht in dem
angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 1992 vom
4.9.1998 sowohl den von der Klägerin geltend gemachten
Vorsteuerabzug versagt als auch keine Steuer für deren -
steuerfreie - Vermietungsumsätze angesetzt und die
Umsatzsteuer auf 0 DM festgesetzt.
Zwar hätte die Bank, wenn sie das
Bürogebäude selbst errichtet hätte - wie dargelegt -
den Vorsteuerabzug aus den in diesem Zusammenhang angefallenen
Eingangsleistungen in dem Umfang beanspruchen können, in dem
sie steuerpflichtige Umsätze ausgeführt hat (§ 15
Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 4 UStG). Dieser Umstand führt
aber nicht dazu, dass die Klägerin nunmehr diesen
Vorsteuerabzug beanspruchen kann (vgl. EuGH-Urteil Halifax in DStR
2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rdnr. 97; BFH-Urteil in
BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541 = SIS 92 11 33, unter II. 3. c
cc).
6. Der Senat sieht keinen Anlass für eine
Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV).
Die Klägerin meint, der EuGH müsse
folgende Fragen klären:
„-
|
Kann eine nationale Missbrauchsvorschrift
nach Art von § 42 AO neben dem europäischen
Missbrauchsbegriff, wie er sich aus der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs ergibt existieren; wenn ja,
hätte diese nicht nach Art. 27 der 6. Richtlinie angemeldet
werden müssen?
|
|
|
-
|
Ist für die Erfüllung des
europäischen Missbrauchsbegriffs entscheidend, welche
gesellschaftsrechtliche Sachverhaltsgestaltung die Beteiligten
vereinbart haben oder nur die Frage, ob dem Ziel eines Gesetzes
zuwider gehandelt wurde?
|
|
|
-
|
Kann ein rechtfertigender Grund auch darin
bestehen, dass mit der gewählten Konstellation zugleich eine
andere steuerliche Situation günstig gestaltet wurde,
hinsichtlich derer ein Missbrauchsvorwurf nicht zu erheben
wäre?
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|
-
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Sieht man den Kern des Missbrauchsbegriffs
darin, dass dem Ziel des Gesetzes zuwider gehandelt wird, ist es
dann missbräuchlich einen Liquiditätsvorteil zu erzielen,
wollen nicht gerade Art. 20 und Art. 13 C der 6. Richtlinie diesen
Liquiditätsvorteil gerade gewährleisten?
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|
|
-
|
Liegt hier aufgrund des Urteils vom
12.9.2006 in der Rechtssache Cadbury Schweppes (C-196/04 = SIS 06 39 02) kein Missbrauch bei Vorschaltung von Gesellschaften vor,
wenn diese eine reale wirtschaftliche Existenz haben und nicht wie
eine Briefkastenfirma nur auf dem Papier stehen?“
|
Die erste Vorlagefrage stellt sich nicht, weil
- jedenfalls hinsichtlich der Fragen des Streitfalls - Kongruenz
zwischen § 42 AO 1977 und dem gemeinschaftsrechtlichen
Missbrauchsbegriff im Mehrwertsteuerrecht besteht.
Die Fragen 2 bis 4 sind durch das EuGH-Urteil
Halifax in DStR 2006, 420, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87
geklärt.
Die letzte Frage stellt sich nicht, weil das
EuGH-Urteil Cadbury Schweppes in IStR 2006, 670 = SIS 06 39 02
nicht einschlägig ist. Es äußert sich zum
Missbrauch einer Grundfreiheit, nämlich der
Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV. Das hat mit der hier
vorzunehmenden Prüfung einer rechtsmissbräuchlichen
Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs nichts zu tun (vgl. auch Hahn
in IStR 2006, 667).