Herstellungsaufwand statt Werbungskostenabzug: Sind Aufwendungen auf ein Wirtschaftsgut nicht als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abgezogen, sondern zu Unrecht als Herstellungskosten erfasst worden, kann bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 bzw. nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG der Abzug nicht in späteren Veranlagungszeiträumen nachgeholt werden. - Urt.; BFH 21.6.2006, XI R 49/05; SIS 06 34 81
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr 1997 verstorbener
Ehemann wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann
war von Beruf Rechtsanwalt. Die Eheleute waren in den Jahren 1994
und 1995 zu je 1/2 Miteigentumsanteil Eigentümer eines mit
einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks.
Im Jahre 1994 wurde an dem vorstehenden
Einfamilienhaus ein Anbau errichtet. Die Herstellungskosten
beliefen sich im Jahre 1994 auf netto 220.492,92 DM zuzüglich
Umsatzsteuer von 33.073,94 DM, brutto somit 253.666,86 DM. Ab
1.11.1994 wurde der Anbau von der Ehegattengemeinschaft an die
Anwaltskanzlei des Ehemannes umsatzsteuerpflichtig
vermietet.
Der verstorbene Ehemann hielt seinen
hälftigen Miteigentumsanteil im Betriebsvermögen der
Anwaltskanzlei. Die für den Anbau bezahlte Umsatzsteuer in
Höhe von 33.073,94 DM hatte die Ehegattengemeinschaft in der
Umsatzsteuererklärung für 1994 als Vorsteuer geltend
gemacht. Der sich hieraus ergebende Umsatzsteuererstattungsanspruch
in Höhe von 32.845,20 DM wurde im Jahr 1996
ausgezahlt.
In der Einkommensteuererklärung
für das Jahr 1994 unterließen es die Eheleute, die
Vorsteuer in Höhe von 33.073,94 DM als Werbungskosten bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen,
gleichermaßen bei den Einkünften aus selbständiger
Tätigkeit des verstorbenen Ehemannes. Die im Jahr 1996
erfolgte Umsatzsteuererstattung aus 1994 in Höhe von 32.845,20
DM erklärten die Eheleute in ihrer
Einkommensteuererklärung für 1996 hingegen als
Einnahmen.
Die Absetzung für Abnutzung (AfA)
für den Anbau wurde bei den Einkünften aus
selbständiger Arbeit (§ 18 des Einkommensteuergesetzes -
EStG - ) bzw. bei den Einkünften aus Vermietung und
Verpachtung (§ 21 EStG) in 1994 wie folgt festgesetzt:
a) § 18 EStG:
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Herstellungskosten brutto: 253.666,86
DM
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davon ½ Miteigentumsanteil:
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126.833,43 DM
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AfA gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 EStG:
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4 v.H. (2/12) =
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846,43 DM
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b) § 21 EStG:
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davon ½ Miteigentumsanteil
Anbau:
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126.833,43 DM
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AfA gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1
Nr. 2 EStG:
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5 v.H. =
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6.341,67 DM
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Die Einkommensteuerveranlagung für das
Jahr 1994 wurde erklärungsgemäß mit Bescheid vom
16.2.1996 durchgeführt. Der Einkommensteuerbescheid 1994 wurde
bestandskräftig. Bei Erstellung der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1995 bemerkte
der Steuerberater der Eheleute, dass die Abschreibung des Anbaus
von den Netto-Herstellungskosten und nicht - wie in 1994 geschehen
- von den Brutto-Herstellungskosten vorzunehmen ist. Daraufhin
ermittelte er die AfA für den Anbau im Jahr 1995 wie
folgt:
a) § 18 EStG:
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Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten
alt: 126.833,43 DM
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./. Sonderabschreibung 16.536,97 DM
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16.536,97 DM
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+ nachträgliche
Anschaffungs-/Herstellungskosten: 8.466,77 DM
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neue AfA-Bemessungsgrundlage 118.763,23
DM
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AfA 4 v.H. = 4.751,80 DM
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4.751,80 DM
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Summe AfA:
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21.288,77 DM
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b) § 21 EStG:
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Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten
alt: 126.833,43 DM
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./. Sonderabschreibung 16.536,97 DM
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16.536,97 DM
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+ nachträgliche
Anschaffungs-/Herstellungskosten: 8.466,77 DM
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neue AfA-Bemessungsgrundlage: 118.763,23
DM
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AfA 5 v.H. = 5.938,00 DM
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5.938,00 DM
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Summe AfA:
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22.474,97 DM
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Die Eheleute hatten die
„Sonderabschreibungen“ zwecks Korrektur der
AfA-Bemessungsgrundlage vorgenommen, da gemäß § 9b
EStG der Umsatzsteuerbetrag nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG), soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden könne,
nicht zu den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten des
Wirtschaftsguts gehöre, auf dessen Anschaffung oder
Herstellung er entalle.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) führte die Einkommensteuerveranlagung
für das Jahr 1995 mit Bescheid vom 8.4.1997 durch. Dabei
ließ es bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit
und aus Vermietung und Verpachtung die erklärten
„Sonderabschreibungen“ nicht zum Abzug als
Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten zu. Der Einspruch der Eheleute
blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 25.10.1999). Die Klage
hatte keinen Erfolg; die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist
in EFG 2006, 174 = SIS 06 09 27 veröffentlicht.
Mit der Revision macht die Klägerin
geltend:
1.
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Es sei unumstritten, dass bei der
Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG
und der Einnahmeüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG
die gleichen AfA-Bemessungsgrundlagen bestünden.
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2.
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Entgegen der Auffassung des
Bundesfinanzhofs (BFH) in dem Urteil vom 24.11.1955 IV 231/53 U
(BFHE 62, 97, BStBl III 1956, 38 = SIS 56 00 28) müsse auch
bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG eine
Teilwertabschreibung in Betracht kommen; auch insoweit sei - wie
auch bei der Bildung gewillkürten Betriebsvermögens
(BFH-Urteil vom 2.10.2003 IV R 13/03, BFHE 203, 373, BStBl II 2004,
985 = SIS 03 51 60) - eine Gleichbehandlung der
Gewinnermittlungsarten geboten.
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3.
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Der IV. Senat habe in dem Urteil vom
13.9.2001 IV R 13/01 (BFHE 196, 546, BStBl II 2002, 287 = SIS 02 02 51) die Gleichwertigkeit der Gewinnermittlungsarten offensichtlich
unterstellt, wenn er annehme, dass bei Aufnahme eines
Gesellschafters unter Fortführung der Buchwerte eine
Eröffnungsbilanz nicht erforderlich sei.
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4.
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Nach den Feststellungen des FG seien in den
Herstellungskosten eines im hälftigen Miteigentum des
Rechtsvorgängers der Klägerin stehenden Anbaus zu Unrecht
aktivierte Vorsteuerbeträge enthalten. Dieser Betrag sei durch
eine Teilwertabschreibung in Höhe von 16.536 DM auf den Wert
abzuschreiben, der sich bei Abschreibung von den zutreffenden
Netto-Herstellungskosten zum 31.12.1995 als Restbuchwert ergeben
hätte.
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Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1995 unter
Berücksichtigung der begehrten
„Teilwertabschreibung“ auf 34.278 DM
festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
1.
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Eine Teilwertabschreibung komme schon
deshalb nicht in Betracht, weil sich die tatsächlichen
Verhältnisse nicht geändert hätten.
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2.
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Werde der Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG
ermittelt, komme bei zu Unrecht vorgenommener Aktivierung an sich
sofort abziehbarer Betriebsausgaben eine Fehlerberichtigung in
Betracht. Das sei bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3
EStG nicht möglich.
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II. Die Revision ist gemäß §
126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet
zurückzuweisen.
1. Eine Teilwertabschreibung nach § 6
Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG kommt nicht in Betracht.
a) Voraussetzung der Teilwertabschreibung ist
der Eintritt einer dauernden Wertminderung (BFH-Urteil vom 5.5.2004
XI R 43/03, BFH/NV 2005, 22 = SIS 05 03 92). Im Streitfall beruht
der begehrte niedrigere Ansatz nicht auf einer Wertminderung des
Gebäudes, sondern allein auf dem Umstand, dass
irrtümlicherweise die sofort abziehbare Vorsteuer als
Herstellungskosten erfasst wurde.
b) Daneben kommt bei der Gewinnermittlung nach
§ 4 Abs. 3 EStG - wie auch bei der Überschussermittlung
nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG - ohnehin keine
Teilwertabschreibung in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 8.10.1987 IV
R 56/85, BFHE 151, 81, BStBl II 1988, 440 = SIS 88 01 10;
Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4
Rdnr. D 132, D 151; a.A. Bergkemper in Herrmann/ Heuer/Raupach -
HHR -, § 4 EStG Anm. 536). Gemäß § 4 Abs. 3
Satz 3 EStG sind die Vorschriften über die AfA und
Substanzverringerung, also die §§ 7 ff. EStG zu befolgen.
§ 6 Abs. 1 Satz 1 EStG regelt ausdrücklich, dass diese
Regelung nur für die Bewertung der einzelnen
Wirtschaftsgüter gilt, die nach § 4 Abs. 1 oder nach
§ 5 EStG als Betriebsvermögen anzusetzen sind. Diese
Beschränkung ist sachgerecht, da die
Einnahmeüberschussrechnung in erster Linie eine auf dem
Zahlungsprinzip beruhende vereinfachte Form der Gewinnermittlung
darstellt und weitere über die Anwendung der §§ 7
ff. EStG hinausgehende Differenzierungen vermieden werden sollen,
zumal das Gesamtergebnis
(„Totalgewinngleichheit“) nicht tangiert wird
und eine „gleichheitswidrige“ Benachteiligung
nicht gegeben ist.
2. Auch eine Fehlerberichtigung
gemäß § 4 Abs. 2 EStG scheidet aus; eine
Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG ist in den Fällen
der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht möglich
(vgl. Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O.,
§ 4 Rdnr. C 350
„Überschußrechnung“). Die
Bilanzberichtigung beruht auf den Besonderheiten der bilanziellen
Gewinnermittlung, die über den Bilanzzusammenhang einen
Fehlerausgleich über den einzelnen Abschnitt hinaus erlaubt
(zur Bilanzberichtigung bei Ansatz zu hoher Anschaffungs- oder
Herstellungskosten vgl. Weber-Grellet, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Rdnr. C 281, C 290
f.).
3. Ein dem Bilanzzusammenhang vergleichbarer
Wertzusammenhang für Wirtschaftsgüter, deren
Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Wege der Absetzungen
gemäß § 7 Abs. 1 EStG auf mehrere Wirtschaftsjahre
zu verteilen sind, existiert weder bei der Gewinnermittlung nach
§ 4 Abs. 3 EStG noch bei der Überschussermittlung nach
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG; es geht daher auch keine
Bindungswirkung von den in den Vorjahren in Anspruch genommenen
Absetzungsbeträgen aus. Jeder Veranlagungszeitraum ist
für sich zu beurteilen. § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG ordnet
ausdrücklich an, dass jeweils für ein Jahr der Teil der
Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen ist, der bei
gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die
Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt.
Damit wird eine Verteilung der Anschaffungs- oder
Herstellungskosten angeordnet. Eine Fehlerberichtigung in der
Weise, dass - wie im Streitfall - zu hoch angesetzte Werte zu
korrigieren sind, ist nicht vorgesehen.
Ein unterlassener Sofortabzug kann nicht durch
„Aktivierung“ und Verteilung des entsprechenden
Aufwands in späteren Veranlagungszeiträumen nachgeholt
werden; Betriebsausgaben, die nicht im
Jahr der Verausgabung abgezogen worden sind, können nicht in
einem späteren Jahr abgezogen werden (BFH-Urteil vom 30.6.2005
IV R 20/04, BFHE 210, 313, BStBl II 2005, 758 = SIS 05 40 01;
ferner BFH-Urteil vom 21.2.1967 VI R 295/66, BFHE 88, 316,
BStBl III 1967, 386 = SIS 67 02 58 zum Werbungskostenabzug), auch
nicht durch eine Teilwertabschreibung (Schmidt/Drenseck, EStG, 25.
Aufl., § 7 Rz 7; Werndl, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
a.a.O., § 7 Rdnr. A 41; HHR/Nolde, § 7 EStG Anm. 96).
Die im Streitjahr anzusetzende AfA ist demnach
nach den korrekt berechneten Herstellungskosten zu ermitteln. Das
ist auch geschehen; das FA hat lediglich die
„unberechtigte Sonderabschreibung“
korrigiert.
4. Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit
(Totalgewinnidentität) wird nicht verletzt. Dieser Grundsatz
besagt, dass die verschiedenen Gewinnermittlungsmethoden auf Dauer
gesehen zu demselben Gesamtgewinn führen müssen
(BFH-Beschluss vom 8.9.1988 IV R 66/87, BFHE 154, 350, BStBl II
1989, 32 = SIS 88 23 62; BFH-Urteil vom 13.2.2003 IV R 12/01, BFHE 201, 491, BStBl II 2003, 837 = SIS 03 23 25; Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/
Mellinghoff, a.a.O., § 4 Rdnr. D 10; HHR/Bergkemper, § 4
EStG Anm. 504). Dabei wird aber vorausgesetzt, dass die Regeln der
jeweiligen Ermittlungsmethode beachtet werden; so hätten die
Klägerin und ihr Ehemann die Vorsteuer als Betriebsausgabe
bzw. Werbungskosten im Veranlagungszeitraum 1994 absetzen
können und müssen, um in ihrem Fall
Gesamtgewinngleichheit zu erreichen. Der Grundsatz der
Gesamtgewinngleichheit verlangt indes nicht, dass Fehler, die nach
der Lehre vom formellen Bilanzzusammenhang in späteren
Veranlagungszeiträumen noch berichtigt werden können
(vgl. BFH-Urteil vom 12.11.1992 IV R 59/91, BFHE 170, 217, BStBl II
1993, 392 = SIS 93 09 17), in vergleichbarer Weise auch bei der
Einnahmeüberschussrechnung zu korrigieren sind; die
Möglichkeiten der bilanziellen Fehlerkorrektur sind nicht auf
die Einnahmeüberschussrechnung zu übertragen, bei der im
Hinblick auf die Erfassung von Einnahmen und Ausgaben auf § 11
EStG abzustellen ist. Diese Unterschiedlichkeit hat auch der
Gesetzgeber gesehen, indem er in § 11 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2
Satz 3 EStG ausdrücklich angeordnet hat, dass die Vorschriften
über die Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 1, § 5 EStG)
unberührt bleiben.