Kindergeld bei Bewerbung um Studienplatz aus Erwerbstätigkeit: Ein Kind, das sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus um einen Studienplatz bewirbt, kann ab dem Monat der Bewerbung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG beim Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen sein, wenn es sich bei der Tätigkeit nicht um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt. - Urt.; BFH 23.2.2006, III R 8/05, III R 46/05; SIS 06 22 78
I. Streitig ist, ob dem Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) für seinen 1978 geborenen
Sohn (S) für den Zeitraum August 2001, November 2002 bis April
2003 und Oktober bis Dezember 2003 Kindergeld zusteht, obwohl
dieser einer geringfügigen Beschäftigung
nachging.
S beendete im Juli 2000 seinen Zivildienst.
In der Zeit von August 2000 bis Juni 2001 besuchte er die
Fachoberschule. Bis Juni 2001 wurde dem Kläger für S
Kindergeld gewährt. Im Januar 2004 nahm S ein
Fachhochschulstudium auf.
In der Zeit von August 2001 bis Dezember
2003 war er - um die Wartezeit auf einen Studienplatz zu
überbrücken - stets einer geringfügigen
Beschäftigung mit ca. 10,5 Wochenstunden nachgegangen, mit
Ausnahme des Monats Juli 2002, in dem er mit 29 Wochenstunden
teilzeitbeschäftigt war. Die Beschäftigung beruhte auf
befristeten Arbeitsverträgen, die im streitigen Zeitraum
mehrmals verlängert wurden, letztmals bis zum 31.12.2003. Die
Einkünfte und Bezüge des S betrugen im Jahr 2001 laut
Erklärung zu den Einkünften und Bezügen insgesamt
5.427,75 DM, im Jahr 2002 4.451,74 EUR und im Jahr 2003 4.046,80
EUR.
Mit Bescheid vom 20.8.2003 setzte die
Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) Kindergeld
für S ab Mai 2003 fest, nachdem der Kläger eine
Studienplatzzusage der Fachhochschule für das Wintertrimester
2004 vom 13.5.2003 vorgelegt hatte. Mit seinem dagegen gerichteten
Einspruch begehrte der Kläger Kindergeld auch für die
Zeit davor. Den Einspruch wies die Familienkasse mit der
Begründung zurück, ein Kind, das sich aus einer
Erwerbstätigkeit heraus für eine Ausbildung bewerbe, sei
nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitzeitraum geltenden
Fassung zu berücksichtigen; auf den Umfang der
Erwerbstätigkeit komme es nicht an.
Mit Bescheid vom 11.9.2003 hob die
Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für S ab Oktober 2003
wieder auf. Der Einspruch hatte keinen Erfolg; zur Begründung
führte die Familienkasse auch hier aus, ein Kind, das sich aus
einer Erwerbstätigkeit heraus für eine Ausbildung
bewerbe, sei nicht zu berücksichtigen.
Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen
teilweise statt. Es sah den Kindergeldanspruch für den Monat
August 2001, die Monate November 2002 bis April 2003 sowie für
den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2003 als gegeben an. Die
geringfügige Beschäftigung des S stehe einer
Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c
EStG nicht entgegen. Der Bundesfinanzhof (BFH) stelle in seiner
Rechtsprechung zu Vollzeitarbeitsverhältnissen darauf ab, dass
bei einem vollzeitbeschäftigten Kind keine typische
Unterhaltssituation bestehe, da dieses seinen Lebensunterhalt
selbst bestreiten könne. Diese Argumentation passe nicht auf
geringfügige Beschäftigungen, denn der maximal
zulässige Monatsverdienst liege bei diesen unter dem
anteiligen monatlichen Grenzbetrag gemäß § 32 Abs.
4 Satz 2 EStG. Das Urteil des FG betreffend den Zeitraum Oktober
bis Dezember 2003 ist in EFG 2005, 533 = SIS 05 14 29
veröffentlicht.
Dagegen wendet sich die Familienkasse mit
ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung des § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG rügt. Ein Kind könne im
Rahmen dieser Vorschriften nicht berücksichtigt werden,
solange es sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus auf einen
Ausbildungsplatz bewerbe. Für die Entscheidung der Frage, ob
auch eine geringfügige Beschäftigung der
Berücksichtigung im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Buchst. c EStG entgegenstehe, müsse es bei einer typisierenden
Betrachtungsweise bleiben. Insbesondere dürften auf dieser
Prüfungsstufe nicht die konkret erzielten Einkünfte in
Beziehung zum Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gesetzt
werden. Es sei vielmehr danach zu fragen, ob eine
Beschäftigung von mehr als zehn Stunden in der Woche die
typische Unterhaltssituation zwischen Kind und Eltern entscheidend
verändere. Von einer solchen einschneidenden Veränderung
der Unterhaltssituation gehe die Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X.
Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - (63.3.4 Abs. 5
Satz 2) korrekt und lebensnah aus.
Die Familienkasse beantragt, die Urteile
der Vorinstanz aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revisionen
zurückzuweisen.
II. 1. Der Senat hat gemäß §
121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) die Revisionsverfahren III R 8/05 und III R 46/05 zur
gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Revisionen sind unbegründet. Sie
waren daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Das FG hat zutreffend entschieden, dass S in
den hier streitigen Monaten August 2001, November 2002 bis April
2003 und Oktober bis Dezember 2003 gemäß § 32 Abs.
4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Kind zu berücksichtigen ist.
Dem steht die gleichzeitige Ausübung einer geringfügigen
Beschäftigung nicht entgegen, da sie einer
Vollzeiterwerbstätigkeit nicht gleichzusetzen ist.
a) Nach § 62, § 63 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, welches
das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, beim
Kindergeld unter anderem berücksichtigt, wenn es sich in einer
Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei
Ausbildungsabschnitten befindet (Buchst. b) oder eine
Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder
fortsetzen kann (Buchst. c) und wenn seine Einkünfte und
Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der
Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nicht mehr als 7.188
EUR (2001 = 14.040 DM) im Kalenderjahr betragen (§ 32 Abs. 4
Satz 2 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung sind die
Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c
EStG aber nicht erfüllt, wenn das Kind in der
Übergangszeit oder während des Wartens auf einen
Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht
(BFH-Urteile vom 19.10.2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II
2002, 481 = SIS 02 02 19; vom 14.5.2002 VIII R 83/98, BFH/NV 2002,
1551 = SIS 03 02 23; Senatsurteil vom 15.9.2005 III R 67/04, BFH/NV
2006, 656 = SIS 06 07 04). Dies beruht auf der typisierenden
Annahme, dass - unabhängig von der Höhe der von dem Kind
in diesem Zeitraum erzielten Einkünfte und Bezüge - eine
Unterhaltspflicht der Eltern nicht besteht (BFH-Urteil vom
16.3.2004 VIII R 65/03, BFH/NV 2004, 1522 = SIS 04 38 61, m.w.N.
zur Rechtsprechung). Für die Dauer der
Vollzeiterwerbstätigkeit kann das Kind daher in diesen
Fällen auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn seine
Einkünfte und Bezüge - bei Einbeziehung der
Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit - insgesamt
den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen
würden (BFH-Urteil in BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481 = SIS 02 02 19; Pust in HFR 2002, 214; Greite, FR 2003, 1294).
b) Zwischen den Beteiligten ist nicht im
Streit, dass sich S in den genannten Zeiträumen um einen
Studienplatz bemüht hat, den er aber erst im Januar 2004
tatsächlich erhalten hat, so dass die Voraussetzungen des
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG grundsätzlich
vorlagen; streitig ist allein, ob die geringfügige
Beschäftigung des S ebenso wie eine
Vollzeiterwerbstätigkeit der Berücksichtigung im Rahmen
dieser Vorschrift entgegensteht.
Die Verwaltung (s. DA 63.3.4 Abs. 5 Sätze
1 und 2 DA-FamEStG, BStBl I 2004, 743, 768 = SIS 04 37 71)
berücksichtigt ein Kind, das sich aus einer
Erwerbstätigkeit heraus um einen Ausbildungsplatz bewirbt,
erst nach Beendigung der Erwerbstätigkeit, unabhängig
davon, welchen Umfang die Erwerbstätigkeit hat. Entgegen der
Auffassung der Verwaltung ist ein grundsätzlich bestehender
Kindergeldanspruch auch in einem solchen Fall nur dann
ausgeschlossen, wenn wegen der Beschäftigung des Kindes keine
typische Unterhaltssituation mehr besteht. Insoweit besteht kein
Unterschied zu den anderen Fallkonstellationen, in denen der
Kindergeldanspruch mangels einer typischen Unterhaltsituation nur
bei einer Vollzeiterwerbstätigkeit entfällt; die
Verwaltung selbst nimmt in jenen Fällen erst dann eine
Vollzeiterwerbstätigkeit an, wenn ein Arbeitsverhältnis
vertraglich an allen Kalendertagen eines Monats besteht und
über drei Viertel der branchenüblichen, tariflichen oder
allgemein betriebsintern festgesetzten Arbeitszeit abgeschlossen
ist (vgl. DA 63.3.2.6 Abs. 2 a Satz 2 DA-FamEStG).
Der Senat kann offen lassen, ab welchem
zeitlichen Umfang eine Vollzeiterwerbstätigkeit anzunehmen ist
und damit keine typische Unterhaltssituation mehr besteht.
Jedenfalls genügen - unabhängig von der Höhe der
jeweiligen Einkünfte und Bezüge - 10,5 Arbeitsstunden pro
Woche im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung nicht,
um eine Vollzeiterwerbstätigkeit im Sinne der Rechtsprechung
anzunehmen.
3. Die Einkünfte und Bezüge des S
lagen bei einem Stundenlohn von 13,50 DM bzw. 325 EUR/Monat
deutlich unter den jeweiligen (anteiligen) Jahresgrenzbeträgen
gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs.
4 Sätze 5 und 6 EStG (a.F.) bzw. § 32 Abs. 4 Sätze 6
und 7 EStG (n.F.) von 599 EUR (August 2001) und 1.198 EUR (November
und Dezember 2002) sowie 7.188 EUR (Januar bis Dezember 2003).