Familienkasse, Klage gegen Sozialleistungsträger: Die Klage, mit der die Familienkasse einen Anspruch gegen den Sozialleistungsträger auf Rückerstattung von Kindergeld gemäß § 112 SGB X geltend macht, ist als allgemeine Leistungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 FGO zulässig. - Urt.; BFH 26.1.2006, III R 89/03; SIS 06 16 77
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte für Frau S mit
Bescheid vom 16.12.1997 rückwirkend ab August 1997 Kindergeld
in Höhe von monatlich 740 DM fest. Das nach dem
Abrechnungsteil des Bescheids auf ihre Tochter Y entfallende
Kindergeld von monatlich 300 DM erstattete die Familienkasse in
Höhe von insgesamt 1.200 DM für die Monate September bis
Dezember 1997 an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagter).
Der Beklagte hatte im Oktober 1997 einen entsprechenden
Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB X) bei der Familienkasse geltend gemacht, da
das Sozialamt des Beklagten Y ab 1.9.1997 Hilfe zum Lebensunterhalt
gewährt hatte.
Mit Bescheid vom 7.7.1998 hob die
Familienkasse die Kindergeldfestsetzung vom 16.12.1997 auf und
forderte vom Beklagten mit Schreiben vom gleichen Tag das an ihn
erstattete Kindergeld zurück. Der Beklagte zahlte nicht. Mit
Bescheid vom 18.1.2000 setzte die Familienkasse rückwirkend ab
August 1997 bis Februar 1998 wieder Kindergeld fest. Sie
berücksichtigte auch den Erstattungsanspruch des Beklagten,
vertrat aber nunmehr die Auffassung, der Anspruch bestehe für
die Monate September bis Dezember 1997 nicht in Höhe von
monatlich 300 DM, sondern entsprechend § 76 Satz 2 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1997
geltenden Fassung nur in Höhe von einem Drittel der
monatlichen Kindergeldsumme, mithin in Höhe von 247 DM
monatlich. Die Familienkasse forderte von dem Beklagten den danach
zuviel erstatteten Betrag in Höhe von insgesamt (300 DM x 4
Monate – 247 DM x 4 Monate =) 212 DM zurück. Der
Beklagte verweigert die Rückzahlung.
Die Leistungsklage der Familienkasse hat
das Finanzgericht (FG) als unzulässig abgewiesen. Das Urteil
ist in EFG 2004, 276 = SIS 04 03 87 veröffentlicht. Das FG hat
im Wesentlichen ausgeführt, der Klage fehle das
Rechtsschutzinteresse. Die Familienkasse müsse zunächst
versuchen, ihren Anspruch durch Erlass eines Abrechnungsbescheides
nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) durchzusetzen,
gegen den der Einspruch und die Anfechtungsklage gegeben seien. Ob
die Aufforderung an den Beklagten vom 7.7.1998, den Betrag
zurück zu überweisen, einen Abrechnungsbescheid
darstelle, könne offen bleiben. Eine Anfechtungsklage dagegen
wäre ebenfalls unzulässig, da es an der Durchführung
des nach § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
erforderlichen Vorverfahrens fehle.
Mit der Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung des § 218 Abs. 2 AO 1977.
Die Familienkasse beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den
Beklagten zu verurteilen, 212 DM an die Familienkasse
zurückzuzahlen.
Der Beklagte beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Entgegen der Auffassung des FG ist die Klage zulässig.
1. Das FG hat das Klagebegehren der
Familienkasse auf Rückerstattung der 212 DM zutreffend als
allgemeine Leistungsklage aufgefasst. Entgegen der Auffassung des
FG ist die Klage jedoch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses
unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der
Kläger das mit der Klage verfolgte Ziel auf wesentlich
einfacherem Weg erreichen kann (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 13.3.1986 IV R 304/84, BFHE 146, 215, BStBl II 1986, 509 = SIS 86 18 53; Schenke in Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung,
Vorbem. § 40 Rdnr. 48). Im Streitfall ist der Erlass eines
Rückforderungsbescheids nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO 1977
für die Familienkasse kein einfacherer Weg, um die begehrte
Rückerstattung des Kindergeldes zu erreichen. Denn § 218
Abs. 2 AO 1977 ist im Streitfall nicht anwendbar, da ein Anspruch
der Familienkasse auf Rückerstattung von zu Unrecht
erstattetem Kindergeld aus § 112 SGB X i.V.m. § 74 Abs. 5
EStG kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. der
§§ 218 Abs. 1 Satz 1, 37 AO 1977 ist.
Der Anspruch auf Rückerstattung von zu
Unrecht erstattetem Kindergeld nach § 112 SGB X i.V.m. §
74 Abs. 5 EStG entsteht, wenn die Familienkasse auf einen
tatsächlich nicht bestehenden Erstattungsanspruch nach
§§ 102 bis 105 SGB X leistet. Der
Rückerstattungsanspruch der Familienkasse ist demzufolge der
umgekehrte Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers, da
er durch die Verneinung eines Erstattungsanspruchs nach
§§ 102 bis 105 SGB X entsteht. Für den
Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB X gelten deshalb
die gleichen Grundsätze wie für die
Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen
gegen die Familienkasse nach §§ 102 bis 105 SGB X. a) Die
Erstattungsansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X
sind als eigenständige Ansprüche normiert. Sie entstehen
selbständig neben einem Anspruch des Berechtigten gegen den
zur Erstattung herangezogenen Leistungsträger und sind (nur)
von der Erfüllung der in §§ 102 ff. SGB X geregelten
Tatbestandsvoraussetzungen abhängig. Insbesondere besteht
keine Bindungswirkung zwischen der Kindergeldfestsetzung und dem
Erstattungsanspruch. Die Leistungspflicht der auf Erstattung in
Anspruch genommenen Familienkasse ist zwar grundsätzlich durch
die gegenüber dem Kindergeldberechtigten ergangenen Bescheide
begrenzt. Rechtsgrund für das
„Akzeptierenmüssen“ dieser Bescheide ist
allerdings das im geltenden Recht vorgesehene gegliederte und auf
dem Prinzip der Aufgabenteilung beruhende Sozialleistungssystem und
letztlich die auf diesem System beruhende Verpflichtung der
Sozialleistungsträger zur engen Zusammenarbeit nach § 86
SGB X. Dementsprechend sind Erstattungsansprüche nach
§§ 102 bis 105 SGB X mit der allgemeinen Leistungsklage
geltend zu machen, da zwischen den Leistungsträgern kein
Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, das zu einer
Entscheidung durch Verwaltungsakt berechtigen würde (vgl.
BFH-Urteil vom 14.5.2002 VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156 = SIS 02 87 05, m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen ist auch der
Rückerstattungsanspruch als umgekehrter Erstattungsanspruch
ein eigenständiger Anspruch, der unabhängig von den
Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zwischen dem
Kindergeldberechtigten und der Familienkasse entsteht. Aus der
Rechtsnatur des Rückerstattungsanspruchs als umgekehrtem
Erstattungsanspruch ergibt sich zugleich, dass die Familienkasse
über sein Bestehen ebenso wenig durch Verwaltungsakt
entscheiden kann wie über das Bestehen des
Erstattungsanspruchs selbst. Denn in einer positiven Entscheidung,
dass ein Rückerstattungsanspruch besteht, liegt zugleich die
negative Entscheidung, dass ein Erstattungsanspruch nicht besteht.
Demzufolge ist der (vermeintliche) Rückerstattungsanspruch von
der Familienkasse mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu
machen.
2. Da das FG zu einer anderen Rechtsauffassung
gelangt ist und durch Prozessurteil ohne Prüfung der Sache
entschieden hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen (BFH-Urteil vom 1.2.2000 VII R 49/99, BFHE
191, 202, BStBl II 2000, 334 = SIS 00 08 34; Seer in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 126 FGO Tz. 29).