Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts München vom 26.03.2021 - 8 K 883/17
= SIS 21 08 04 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich gegen die
erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht gemäß
§ 2 des Außensteuergesetzes in der in 2006 (Streitjahr)
geltenden Fassung (AStG).
|
|
|
2
|
Die Klägerin, eine deutsche
Staatsangehörige, war in der Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1
Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - ), bevor sie
Ende des Jahres 2000 ins Vereinigte Königreich
Großbritannien und Nordirland (Großbritannien) verzog.
Einen Wohnsitz im Inland behielt sie nicht bei.
|
|
|
3
|
Im Streitjahr erzielte die Klägerin
neben ausländischen Einkünften unter anderem
Vermietungseinkünfte aus inländischem Grundbesitz
(103.339 EUR) und Kapitalerträge (Zinsen und Dividenden) von
einer im Inland geschäftsansässigen Bank (30.979 EUR).
Die Kapitalerträge transferierte die Klägerin im
Streitjahr nicht nach Großbritannien.
|
|
|
4
|
Für die Vermietungs- und
Kapitaleinkünfte behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) die Klägerin als beschränkt
einkommensteuerpflichtig. Hierbei ordnete das FA die
Vermietungseinkünfte den inländischen Einkünften im
Sinne von § 49 EStG zu. Darüber hinaus bezog es die
Kapitaleinkünfte - was streitig ist - nach Maßgabe der
erweiterten beschränkten Steuerpflicht gemäß §
2 AStG in die steuerliche Bemessungsgrundlage ein. Es vertrat die
Ansicht, die Klägerin unterliege insoweit in
Großbritannien einer Vorzugsbesteuerung. Dies habe zur Folge,
dass sie beschränkt einkommensteuerpflichtig auch mit allen
nicht ausländischen Einkünften im Sinne des
Einkommensteuergesetzes sei. Die Annahme einer Vorzugsbesteuerung
stützte das FA auf die Erkenntnis, dass nicht in
Großbritannien bezogene Einkünfte nur insoweit der
Besteuerung in Großbritannien unterlagen, als die
Klägerin diese nach Großbritannien überführte
(„remittance basis“-Besteuerung). Der
Einspruch hatte keinen Erfolg.
|
|
|
5
|
Beruhend auf den Ausführungen eines
Sachverständigen stellte das Finanzgericht (FG) im
Klageverfahren fest, das britische Einkommensteuerrecht habe im
Streitjahr abweichend zum grundsätzlich geltenden
Welteinkommensprinzip („arising basis“)
die Option vorgesehen, bestimmte aus dem Ausland stammende
Einkünfte („relevant foreign
income“) nur versteuern zu müssen, wenn
und soweit diese Einkünfte nach Großbritannien
transferiert („remittet“) wurden. Hierzu
zählten unter anderem laufende Einkünfte aus
Kapitalvermögen. Die Inanspruchnahme des Wahlrechts für
eine „remittance basis“-Besteuerung, die
zum „allgemeinen Besteuerungssystem“ in
Großbritannien gehört habe, knüpfe an die
Erfüllung beziehungsweise Nichterfüllung bestimmter
Ansässigkeitsgrade des Steuerpflichtigen zu
Großbritannien an. Grundvoraussetzung war ein
„resident“-Status, der im Wesentlichen
an einer physischen Präsenz in sowie anhaltender Bindung zu
Großbritannien festgemacht wurde. War der Steuerpflichtige
darüber hinaus in Großbritannien „ordinarily
resident“ (Mittelpunkt der Lebensinteressen)
und zugleich „domiciled“
(Heimat/Wahlheimat), stand ihm das Wahlrecht einer
„remittance basis taxation“ nicht zu.
Dagegen konnte es in Anspruch genommen werden, wenn der
Steuerpflichtige - wie die Klägerin - zwar einen
„ordinarily resident“-Status inne hatte,
dort aber „non-domiciled“ war.
|
|
|
6
|
Das FG wies die Klage ab (EFG 2021, 1881 =
SIS 21 08 04). Es vertrat die Ansicht, die „remittance
basis“-Besteuerung sei eine gegenüber der
allgemeinen Besteuerung bestehende Vorzugsbesteuerung im Sinne von
§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 AStG. Sie knüpfe an
den Grad der Verwurzelung des Steuerpflichtigen in
Großbritannien an und könne grundsätzlich nur von
zugewanderten Steuerpflichtigen, nicht aber von allen britischen
Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden. Die Norm verletze
weder Verfassungs- noch Unionsrecht.
|
|
|
7
|
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine rechtsfehlerhafte Anwendung von § 2 Abs. 2
Nr. 2 AStG. Die „remittance basis
taxation“ sei bereits nach Maßgabe der
eigenen Definition des FG keine Vorzugsbesteuerung. Nach dessen
tatsächlichen Feststellungen sei sie Teil des allgemeinen
Besteuerungssystems Großbritanniens und könne daher
denklogisch nicht zugleich bevorzugend sein. Die Besteuerung nach
„remittance basis“ stehe zudem jedem
offen, der die erforderlichen Ansässigkeitsvoraussetzungen
erfülle. Diese Art der Besteuerung sei nicht auf Zuwanderer
zugeschnitten. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG
lägen auch deshalb nicht vor, da die „remittance basis
taxation“ zu keiner gegenüber der
allgemeinen Besteuerung erheblichen Minderung der Steuerlast
führe. Das FG habe verkannt, dass eine solche Besteuerung
keine endgültige Steuerfreistellung auslöse, sondern die
Besteuerung nur bis zum Transfer der Einkünfte nach
Großbritannien verschoben werde. Darüber hinaus seien
die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG enthaltenen Tatbestandsmerkmale
„Vorzugsbesteuerung“, „erhebliche
Minderung“ und „allgemeine
Besteuerung“ jeweils für sich betrachtet
und erst recht in ihrer Gesamtschau zu unbestimmt, so dass das
Rechtsstaatsprinzip verletzt sei. Zudem laufe § 2 AStG den
verfassungsrechtlichen Geboten der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit
zuwider. Die Norm sei auch nicht mit Unionsrecht vereinbar.
|
|
|
8
|
Die Klägerin beantragt,
|
|
das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 21.02.2008, zuletzt
geändert durch Bescheid vom 09.07.2012, in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 24.03.2017 dahingehend zu ändern,
dass § 2 AStG keine Anwendung findet.
|
|
|
9
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
11
|
Die angefochtene Entscheidung ist
rechtmäßig. Das FG hat die im Streitjahr im Inland
erzielten Kapitalerträge zutreffend in die Bemessungsgrundlage
für die Besteuerung nach Maßgabe der beschränkten
Steuerpflicht einbezogen. Insoweit liegen die einfachrechtlichen
Voraussetzungen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht
gemäß § 2 AStG vor (dazu unter 1. bis 4.). Diese
Norm ist nicht aus den von der Klägerin geltend gemachten
Gründen verfassungswidrig; sie verletzt auch kein
europäisches Verfassungsrecht (unter 5. und 6.). Die Einholung
eines Vorabentscheidungsersuchens unterbleibt, da § 2 AStG mit
Unionsrecht vereinbar ist (unter 7.).
|
|
|
12
|
1. Die von der Klägerin im Streitjahr
erzielten Kapitalerträge (Zinsen und Dividenden) von 30.979
EUR unterliegen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG der
inländischen Besteuerung.
|
|
|
13
|
Nach dieser Vorschrift ist eine
natürliche Person, die in den letzten zehn Jahren vor dem Ende
ihrer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1
EStG als Deutscher insgesamt mindestens fünf Jahre
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war und in einem
ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie mit ihrem
Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt, und
wesentliche wirtschaftliche Interessen im Geltungsbereich des
Außensteuergesetzes hat, bis zum Ablauf von zehn Jahren nach
Ende des Jahres, in dem ihre unbeschränkte Steuerpflicht
geendet hat, über die beschränkte Steuerpflicht im Sinne
des Einkommensteuergesetzes hinaus beschränkt
einkommensteuerpflichtig mit allen Einkünften im Sinne des
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG, die bei unbeschränkter
Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte im
Sinne des § 34c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im
Streitjahr geltenden Fassung (EStG a.F.) sind.
|
|
|
14
|
2. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht
darüber, dass die Klägerin die vorgenannten
persönlichen Voraussetzungen des § 2 AStG erfüllte.
Sie war als natürliche Person mit deutscher
Staatsangehörigkeit nach den Feststellungen des FG innerhalb
der letzten zehn Jahre vor dem Ende ihres mit dem Wegzug nach
Großbritannien (Ende des Jahres 2000) einhergehenden Endes
ihrer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht insgesamt
mindestens fünf Jahre unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig gewesen. Im Streitjahr war sie in einem
ausländischen Gebiet, in Großbritannien,
ansässig.
|
|
|
15
|
3. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden,
dass auch die sachlichen Voraussetzungen des § 2 AStG gegeben
sind.
|
|
|
16
|
Die Klägerin unterlag im Streitjahr mit
ihrem Einkommen in Großbritannien einer niedrigen Besteuerung
(dazu unter a). Sie hatte wesentliche wirtschaftliche Interessen im
Geltungsbereich des Außensteuergesetzes (unter b).
Gesetzliche Ausschlussgründe für die Anwendung von §
2 AStG liegen nicht vor (unter c).
|
|
|
17
|
a) Eine niedrige Besteuerung im Sinne von
§ 2 AStG liegt unter anderem vor, wenn die Belastung der
Person durch die in dem ausländischen Gebiet erhobene
Einkommensteuer aufgrund einer gegenüber der allgemeinen
Besteuerung eingeräumten Vorzugsbesteuerung erheblich
gemindert sein kann, es sei denn, die Person weist nach, dass die
von ihrem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens
zwei Drittel der Einkommensteuer betragen, die sie bei
unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zu
entrichten hätte (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG).
|
|
|
18
|
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall
vor. Die der Klägerin eröffnete Möglichkeit,
für das Streitjahr in Großbritannien die
„remittance basis“-Besteuerung in
Anspruch zu nehmen, stellt eine gegenüber der allgemeinen
Besteuerung eingeräumte Vorzugsbesteuerung dar (dazu unter
aa), die die steuerliche Belastung in Großbritannien
erheblich mindern kann (unter bb). Einen diese Annahme
ausschließenden konkreten Belastungsnachweis hat die
Klägerin nicht geführt (unter cc).
|
|
|
19
|
aa) Das Gesetz definiert weder den Begriff der
Vorzugsbesteuerung noch das hierzu im Gegensatz stehende Merkmal
der allgemeinen Besteuerung. Allerdings ist insoweit
grundsätzlich geklärt, dass ein Vorzug in diesem Sinne
nicht anzunehmen ist, wenn nach dem in Frage stehenden
ausländischen Rechtssystem für alle dort ansässigen
Personen bestimmte Einkünfte steuerbegünstigt sind.
Erforderlich ist, dass das Privileg von besonderen, an die
Ansässigkeit anknüpfenden Voraussetzungen abhängig
ist. Der Vorzug gegenüber der allgemeinen Besteuerung darf
daher nicht an sachliche, sondern muss an persönliche
Kriterien gebunden sein (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen - BMF - vom 22.12.2023, BStBl I 2023, Sondernummer 1/2023,
2 = SIS 23 21 31, Rz 23; zudem BeckOK AStG/Wöhrle, 10. Ed.
15.12.2024, AStG § 2 Rz 314; Kaiser in Haase, AStG/DBA, 4.
Aufl., § 2 AStG Rz 85, 87; Micker in Lippross/Seibel,
Basiskommentar Steuerrecht, Stand: 10.2021, § 2 AStG Rz 71).
Der Vorzug muss dem Steuerpflichtigen in seiner Eigenschaft als
Zugezogener gewährt werden (Schwibinger/Anzinger,
Internationale SteuerRundschau - ISR - 2014, 225, 229;
Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA,
§ 2 AStG Rz 109). Es muss - in Abgrenzung zur allgemeinen
Besteuerung - ein Vorzug sein, der den im Wegzugsstaat lebenden
Bürgern dieses Staates nicht zugänglich ist (Hahn, juris
PraxisReport Steuerrecht 22/2012, Anm. 3, unter A.I.).
|
|
|
20
|
aaa) An diese Erfordernisse anknüpfend
wird die britische „remittance
basis“-Besteuerung für die im Streitjahr
geltende Rechtslage in Großbritannien (zur Rechtsentwicklung
Schwibinger/Anzinger, ISR 2014, 225, 226 ff.) überwiegend als
Vorzugsbesteuerung eingestuft (Mang in Wassermeyer
Großbritannien Art. 24 Rz 9; Schwibinger/Anzinger, ISR 2014,
225, 229 f.; Kaiser in Haase, AStG/DBA, 4. Aufl., § 2 AStG Rz
91; Kraft in Kraft, AStG, 2. Aufl., § 2 Rz 68; BeckOK
AStG/Wöhrle, 10. Ed. 15.12.2024, AStG § 2 Rz 314;
Haversath, EFG 2021, 1884, 1885; ebenso BMF-Schreiben vom
14.05.2004, BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 = SIS 04 21 57,
Tz. 2.2.2; a.A. z.B. Baßler in
Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 2 AStG Rz 223.2). Es handele sich - so der Kern der
Begründung - um eine der Allgemeinheit grundsätzlich
nicht zugängliche Sonderregelung für
„residents“, die einen schwächeren
persönlichen Bezug zu Großbritannien aufwiesen als
Steuerpflichtige, die dort über einen
„domiciled“-Status verfügten
(Schwibinger/Anzinger, ISR 2014, 225, 229).
|
|
|
21
|
bbb) Auf Grundlage der den erkennenden Senat
nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden - durch die Erkenntnisse eines
Sachverständigengutachtens abgesicherten - Feststellungen zu
den im Streitjahr geltenden Regelungen des britischen
Einkommensteuerrechts ist das FG mit nachvollziehbaren und
überzeugenden Erwägungen zum Ergebnis gelangt, dass die
Besteuerung auf „remittance basis“ eine
Vorzugsbesteuerung darstellt.
|
|
|
22
|
(1) Das FG hat zu Recht ausgeführt, dass
diese Form der Einkommensbesteuerung eine Ausnahme vom
grundsätzlich in Großbritannien geltenden
Welteinkommensprinzip („arising basis“)
ist und einen steuerlichen Vorzug insoweit begründet, als
privilegiertes Auslandseinkommen, das nicht nach
Großbritannien transferiert wird, aus der steuerlichen
Bemessungsgrundlage suspendiert wird. Die Möglichkeit der
Inanspruchnahme dieses Vorzugs knüpft an einen gegenüber
der Allgemeinheit schwächeren Grad der Verwurzelung in
Großbritannien und damit an ein persönliches Kriterium
an.
|
|
|
23
|
Die „remittance
basis“-Besteuerung war - wie von der
Vorinstanz zutreffend herausgearbeitet - im Streitjahr nicht
für Steuerpflichtige anwendbar, die kumuliert den jeweiligen
Status „resident“, „ordinarily
resident“ und
„domiciled“ inne hatten und damit den am
stärksten ausgeprägten Verwurzelungsgrad zu
Großbritannien aufwiesen. Demnach zielt die „remittance
basis“-Besteuerung typischerweise auf
Steuerpflichtige ab, die in Großbritannien zumindest
über einen „resident“-Status
verfügen, dort aber - wie die Klägerin - nicht beheimatet
(„non-domiciled“) sind. Diese
Besteuerung ist daher im Kern, anders als die Klägerin meint,
auf nach Großbritannien zugewanderte Personen
zugeschnitten.
|
|
|
24
|
(2) Der auch in der Literatur vertretene
Einwand der Klägerin, die „remittance
basis“-Besteuerung habe im Streitjahr zudem
Steuerpflichtigen zugestanden, die in Großbritannien zwar
„domiciled“, aber „not ordinarily
resident“ waren (vgl. Baßler in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 2 AStG Rz 223.2), ändert nichts. Diese Möglichkeit
hebt die „remittance basis“-Besteuerung
nicht zum Bestandteil der allgemeinen Besteuerung im Sinne von
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG. Es handelt sich um eine seltene und
daher nicht den typischen Fall abbildende Konstellation (zutreffend
Haversath, EFG 2021, 1884, 1885). Deren Einbeziehung in das
Steuerprivileg führt bei praktischer Betrachtung auch nicht
dazu, dass jeder in Großbritannien ansässige
Steuerpflichtige die „remittance
basis“-Besteuerung wählen konnte. Auch
insoweit war eine gelockerte persönliche Verbindung zu
Großbritannien erforderlich.
|
|
|
25
|
(3) Die Feststellung des
Sachverständigen, die „remittance
basis“-Besteuerung gehöre zum
„allgemeinen Besteuerungssystem“ in
Großbritannien, steht nicht in Widerspruch zu der Erkenntnis,
sie als Vorzugsbesteuerung einzuordnen. Hiermit ist - entgegen der
Ansicht der Klägerin - nicht die Aussage verbunden, jene
Besteuerung sei Teil der „allgemeinen
Besteuerung“ im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr.
2 AStG. Der Deutungsgehalt dieser Feststellung beschränkt sich
darauf, dass das britische Einkommenbesteuerungssystem jedem, der
die oben genannten persönlichen - die Ansässigkeit
betreffenden - Voraussetzungen erfüllt, abweichend vom
(allgemeinen) Welteinkommensprinzip das Wahlrecht gestattet, nur
das nach Großbritannien transferierte Einkommen versteuern zu
müssen. Dieses Privileg ist Teil des Systems.
|
|
|
26
|
bb) Das FG ist frei von Rechtsfehlern davon
ausgegangen, dass die der Klägerin eingeräumte
Möglichkeit, ihr Einkommen in Großbritannien auf
„remittance basis“ zu versteuern, zur
Folge hat, dass die dortige Steuerbelastung gegenüber der
allgemeinen Besteuerung erheblich gemindert sein kann (§ 2
Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 AStG).
|
|
|
27
|
aaa) Abweichend zur Feststellung einer
niedrigen Besteuerung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG verzichtet
das Gesetz bei einer Vorzugsbesteuerung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2
AStG auf einen abstrakten Vergleich zwischen der in- und
ausländischen Steuerlast. Vielmehr nimmt es eine den
Tatbestand des § 2 AStG auslösende Niedrigbesteuerung
bereits an, wenn der Steuerpflichtige eine gegenüber der
allgemeinen Besteuerung eingeräumte Vorzugsbesteuerung
genießen kann (Kaiser in Haase, AStG/DBA, 4. Aufl., § 2
AStG Rz 87; BeckOK AStG/Wöhrle, 10. Ed. 15.12.2024, AStG
§ 2 Rz 311). Unerheblich ist, ob diese Art der Besteuerung
tatsächlich in Anspruch genommen wird (Valta in Schaumburg,
Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., Rz 6.332). Es genügt
nach der Formulierung des Gesetzes
(„kann“), wenn der ausländische
Staat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, eine
Vorzugsbesteuerung einräumt, deren persönliche Merkmale
der Steuerpflichtige erfüllt (vgl. Schwibinger/Anzinger, ISR
2014, 225, 230; Baßler in
Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 2 AStG Rz 230).
|
|
|
28
|
Für die Beurteilung, ob die Minderung der
Steuerlast „erheblich“ sein kann, kann
nicht auf die in § 2 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 1 AStG geregelte
Drittel-Schwellengrenze zurückgegriffen werden (zutreffend
Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA,
§ 2 AStG Rz 111; BeckOK AStG/Wöhrle, 10. Ed. 15.12.2024,
AStG § 2 Rz 317). Im Hinblick darauf, dass in den Fällen
des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG bereits die abstrakte
Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Vorzugsbesteuerung
ausreicht, hält der Senat im Einklang mit einer im Schrifttum
vertretenen Auffassung eine qualitative Betrachtung für
geboten. Demnach ist eine Minderung der Steuerlast im Sinne des
Gesetzes jedenfalls dann „erheblich“,
wenn die Vorzugsbesteuerung eine vollständige Freistellung
bestimmter Teile des nach dem allgemeinen Besteuerungssystem
grundsätzlich voll zu versteuernden Einkommens auslösen
kann (Schwibinger/Anzinger, ISR 2014, 225, 231).
|
|
|
29
|
Dies entspricht - auch losgelöst von
quantitativen Schwellenwerten - dem Wortsinn des
Tatbestandsmerkmals und steht im Einklang mit dem Motiv des
Gesetzgebers, durch § 2 AStG Steuervorteile zu kompensieren,
die einem ins niedrig besteuernde Ausland wegziehenden
Steuerpflichtigen gegenüber einem Steuerinländer
erwachsen (BT-Drucks. VI/2883, S. 17, Tz. 18 f.). Denn ohne Wegzug
des Steuerpflichtigen in das die Vorzugsbesteuerung gewährende
ausländische Gebiet wären die hiernach steuerfrei
gestellten Einkünfte im Rahmen der unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht vollständig zu erfassen gewesen. Die
vom Senat vertretene qualitative Betrachtung, von der - allerdings
ohne Begründung - auch die Finanzverwaltung auszugehen scheint
(BMF-Schreiben vom 22.12.2023, BStBl I 2023, Sondernummer 1/2023, 2
= SIS 23 21 31, Rz 23, unter Nr. 2:
„wesentliche“ Vorzugsbesteuerung),
belastet den Steuerpflichtigen nicht über Gebühr. Ihm
bleibt die Möglichkeit, durch einen konkreten
Belastungsvergleich eine vermutete niedrigere Besteuerung zu
widerlegen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 AStG; vgl. hierzu
unter II.3.a cc).
|
|
|
30
|
bbb) Nach diesen Grundsätzen liegt im
Streitfall eine niedrige Besteuerung gemäß § 2 Abs.
2 Nr. 2 Halbsatz 1 AStG vor.
|
|
|
31
|
Die Klägerin erfüllte nach den
Feststellungen des FG im Streitjahr die Voraussetzungen für
eine „remittance basis“-Besteuerung der
streitigen Einkünfte aus Kapitalvermögen, wonach diese
abweichend zum allgemein geltenden Welteinkommensprinzip in
Großbritannien steuerfrei gestellt werden, wenn sie nicht
nach Großbritannien überführt werden. Die
vollständige Steuerfreistellung kann ein gegenüber der
allgemeinen Besteuerung bestehende erhebliche Minderung der
Steuerlast bewirken.
|
|
|
32
|
Unerheblich ist der Einwand der Klägerin,
die Freistellung wirke nur bis zum Zeitpunkt eines Transfers der
Einkünfte. Das FG hat nicht festgestellt, dass die
Klägerin die in den Streitjahren erzielten
Kapitaleinkünfte jemals nach Großbritannien
überführt und hierdurch eine temporär verschobene
Steuerbelastung ausgelöst hätte. Bereits aus diesem Grund
ist von einer endgültig wirkenden Steuerfreistellung und damit
von einer niedrigen Besteuerung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2
Halbsatz 1 AStG auszugehen.
|
|
|
33
|
cc) Von der Möglichkeit nachzuweisen,
dass die vom Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern
mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer betrugen, die bei
unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zu
entrichten gewesen wären (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2
AStG), hat die Klägerin keinen Gebrauch gemacht.
|
|
|
34
|
b) Außer Streit steht, dass die
Klägerin trotz ihrer Ansässigkeit in Großbritannien
auch im Streitjahr wesentliche wirtschaftliche Interessen im
Geltungsbereich des Außensteuergesetzes gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG hatte. Dies ist unter anderem
nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG der Fall, wenn die Einkünfte,
die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht
nichtausländische Einkünfte im Sinne des § 34c Abs.
1 EStG a.F. sind, im Veranlagungszeitraum mehr als 30 % ihrer
sämtlichen Einkünfte betragen oder 62.000 EUR
übersteigen. Diesen absoluten Grenzbetrag überstiegen die
insoweit maßgeblichen Einkünfte der Klägerin.
|
|
|
35
|
c) Schließlich überschritten auch
die insgesamt beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte der
Klägerin die Freigrenze für die Anwendung des § 2
AStG von 16.500 EUR (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AStG).
|
|
|
36
|
4. Rechtsfolge ist, dass die im Streitjahr
bezogenen Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von
30.979 EUR, die nicht dem Katalog des § 49 EStG unterfielen,
als nicht ausländische Einkünfte im Sinne von § 34c
Abs. 1 EStG a.F. i.V.m. § 34d Nr. 6 EStG a.F. in die
Inlandsbesteuerung der Klägerin einzubeziehen sind. Die unter
Berücksichtigung von § 2 Abs. 5 AStG berechnete Höhe
der Einkommensteuer steht ebenso wenig im Streit wie das
grundsätzliche Besteuerungsrecht Deutschlands. Der Senat sieht
von weiteren Ausführungen ab.
|
|
|
37
|
5. Der Senat ist nicht von der
Verfassungswidrigkeit von § 2 AStG im Ganzen und § 2 Abs.
2 Nr. 2 AStG im Speziellen überzeugt. Eine Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) unterbleibt daher.
|
|
|
38
|
a) Dies gilt zunächst für die von
der Klägerin gerügte Verletzung des aus dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten
Bestimmtheitsgebots.
|
|
|
39
|
aa) Das Gebot der Bestimmtheit und
Normenklarheit soll sicherstellen, dass die
gesetzesausführende Verwaltung für ihr Verhalten
steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet
und dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen
können; ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der
Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche
belastende Maßnahmen einstellen kann. Der Anlass, der Zweck
und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung
grundsätzlich bereichsspezifisch, präzise und normenklar
festgelegt werden (ständige Rechtsprechung, u.a.
BVerfG-Beschluss vom 13.06.2007 - 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1
BvR 603/05, BVerfGE 118, 168 = SIS 07 23 61, unter C.I.2.a, m.w.N.;
Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 3 Rz 3.243).
|
|
|
40
|
Das Bestimmtheitsgebot verbietet allerdings
nicht die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Gerade bei
vielschichtigen Sachverhalten ist die Anwendung unbestimmter
Rechtsbegriffe grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich
(BVerfG-Beschluss vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84, BVerfGE 79, 174,
unter C.I.3.c aa). Unbestimmte Rechtsbegriffe müssen sich aber
durch eine Auslegung der betreffenden Norm nach den Regeln der
juristischen Methodik hinreichend konkretisieren lassen und
verbleibende Ungewissheiten dürfen nicht so weit gehen, dass
die Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der
durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen
gefährdet sind (BVerfG-Beschluss vom 13.06.2007 - 1 BvR
1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05, BVerfGE 118, 168 = SIS 07 23 61, unter C.I.2.a cc). Die Rechtsprechung ist zudem gehalten,
verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer
Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der
Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (BVerfG-Urteil vom
24.07.2018 - 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, BVerfGE 149, 293, Rz 78,
m.w.N.).
|
|
|
41
|
bb) Nach diesen Maßstäben bestehen
für den Senat im Einklang mit der Ansicht der Vorinstanz und
entgegen von Stimmen in der Literatur (u.a.
Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA,
§ 2 AStG Rz 108) keine durchgreifenden Zweifel, dass die
tatbestandlichen Anforderungen an eine niedrige Besteuerung
gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 AStG den Vorgaben
an das Bestimmtheitsgebot genügen.
|
|
|
42
|
Das Merkmal der Vorzugsbesteuerung ist ebenso
wie dessen Gegenstück, die allgemeine Besteuerung, ein
unbestimmter Rechtsbegriff. Beide Merkmale sind einer Auslegung
zugänglich. So ist - wie oben ausgeführt - durch im Kern
übereinstimmende Definitionsansätze durch Rechtsprechung,
Finanzverwaltung und steuerrechtliches Schrifttum geklärt,
dass eine Vorzugsbesteuerung nur solche steuerlichen Privilegien
erfasst, die an ein bestimmtes persönliches Merkmal, das
typischerweise nur der in das ausländische Gebiet zugewanderte
Steuerpflichtige, nicht aber die dort lebende Allgemeinheit
erfüllt, anknüpfen. Hierdurch werden diesem
Tatbestandsmerkmal präzise Konturen verliehen, die für
die betroffenen Steuerpflichtigen vorhersehbar sind und der
Finanzverwaltung Grenzen für den Anwendungsbereich des §
2 AStG setzen.
|
|
|
43
|
Auch die
„Erheblichkeit“ der Minderung der durch
eine Vorzugsbesteuerung ausgelösten Steuerbelastung
erfüllt die Voraussetzungen für eine hinreichende
Normenbestimmtheit (a.A. z.B. Kraft in Kraft, AStG, 2. Aufl.,
§ 2 Rz 66; Zimmermann/Könemann in
Strunk/Kaminski/Köhler, § 2 AStG Rz 108; Baßler in
Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, § 2 AStG Rz 228).
Wortsinn des Merkmals und Telos der Norm lassen es zu, die
Erheblichkeitsschwelle als erreicht anzusehen, wenn im Zuge einer
eingeräumten Vorzugsbesteuerung Teile des grundsätzlich
steuerpflichtigen Einkommens in Gänze steuerlich unbelastet
bleiben.
|
|
|
44
|
b) Durch die Rechtsprechung des BVerfG ist
bereits geklärt, dass § 2 AStG nicht das aus dem
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) herrührende
Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit verletzt, als nur Steuerpflichtige, die die
deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, der erweiterten
beschränkten Einkommensteuerpflicht unterworfen werden
können (BVerfG-Beschluss vom 14.05.1986 - 2 BvL 2/83, BVerfGE
72, 200 = SIS 86 25 18, unter C.I.4.d). Der Einwand der
Klägerin, die Lebensrealität des Streitjahres (2006) sei
eine gänzlich andere als zu Zeiten der Entscheidung des BVerfG
(1986) gewesen, führt nicht dazu, von einem Verstoß
gegen den Gleichheitssatz auszugehen. Denn das gesetzgeberische
Motiv für § 2 AStG, Steuervorteile des betroffenen
Steuerpflichtigen trotz Beibehaltung wesentlicher wirtschaftlicher
Interessen im Inland auszugleichen (BT-Drucks. VI/2883, S. 17, Tz.
18 f.) und damit einem Wegzug ins niedrig besteuernde Ausland
vorzubeugen, gilt im Kern bis heute.
|
|
|
45
|
Die Klägerin lässt zudem
unberücksichtigt, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung
der persönlichen Steuerpflichten ein weiter
Gestaltungsspielraum zukommt. So hat der Bundesfinanzhof (BFH) erst
kürzlich zu der § 2 AStG grundsätzlich
vergleichbaren Regelung einer erweiterten unbeschränkten
Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht gemäß § 2
Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes entschieden, dass die steuerliche
Ungleichbehandlung von deutschen und nichtdeutschen
Staatsangehörigen aufgrund des durch die deutsche
Staatsangehörigkeit bewirkten engen Inlandsbezugs
gerechtfertigt ist (ausführlich BFH-Urteil vom 12.10.2022 - II
R 5/20, BFHE 277, 466, BStBl II 2023, 659 = SIS 23 00 84, Rz 23
f.). Hinzu kommt, dass die Steuerpflicht nach § 2 AStG nicht
ausschließlich und fortdauernd an die
Staatsangehörigkeit anknüpft, sondern auf einen Zeitraum
von zehn Jahren nach Ende der unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht beschränkt ist. Diese zeitliche
Begrenzung trägt der Tatsache Rechnung, dass mit
fortschreitendem Zeitablauf die Bindungen des im Ausland wohnhaften
deutschen Staatsangehörigen allmählich verblassen und ein
fortbestehender unbeschränkter Steuerzugriff damit immer
rechtfertigungsbedürftiger wird. Die Festlegung des Zeitraums
auf zehn Jahre hält sich dabei in den Grenzen einer
zulässigen Typisierung (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.2022 - II R
5/20, BFHE 277, 466, BStBl II 2023, 659 = SIS 23 00 84, Rz 25,
m.w.N.).
|
|
|
46
|
c) Ein Verstoß gegen das
Folgerichtigkeitsgebot (hierzu statt vieler BVerfG-Beschluss vom
14.06.2016 - 2 BvR 290/10 = SIS 16 18 73, Rz 33, m.w.N.) ist auf
Grundlage der Argumentation der Klägerin nicht erkennbar.
§ 2 AStG ist nicht vordergründig als
Missbrauchsvermeidungsnorm ausgestaltet, sondern will - wie oben
dargelegt - Steuervorteile kompensieren, die einem ins niedrig
besteuernde Ausland wegziehenden Steuerpflichtigen gegenüber
einem Steuerinländer zukommen. Es ist nicht inkonsequent, auch
einen Umzug in das Ausland, bei dem steuerliche Motive allenfalls
mitschwingen, dem Anwendungsbereich des § 2 AStG zu
unterwerfen. Dies gilt umso mehr, als die Norm nur solche
Steuerpflichtigen erfasst, die trotz ihres Wegzugs weiterhin
wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland haben (§ 2
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 AStG).
|
|
|
47
|
6. Die von der Klägerin angeführte
Unvereinbarkeit von § 2 AStG mit dem
Freizügigkeitsgrundrecht gemäß Art. 45 Abs. 1 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union besteht nicht.
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gilt nach
ihrem Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 für die Mitgliedstaaten
ausschließlich bei Durchführung des Rechts der Union.
Daran fehlt es hier, da die im Streitfall entscheidungserhebliche
Frage des sachlichen Anwendungsbereichs der erweiterten
beschränkten Einkommensteuerpflicht nicht unionsrechtlich
harmonisiert ist (vgl. zum sachlichen Anwendungsbereich der
Unionsgrundrechte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen
Union - EuGH - MARCAS MC vom 13.01.2022 - C-363/20, EU:C:2022:21 =
SIS 22 00 27, Rz 33 ff. sowie BFH-Urteil vom 31.08.2022 - X R
17/21, BFHE 278, 327, BStBl II 2023, 396 = SIS 23 01 60, Rz 50,
m.w.N.).
|
|
|
48
|
7. Die erweiterte beschränkte
Einkommensteuerpflicht gemäß § 2 AStG verletzt
keine unionsrechtlichen Grundfreiheiten. Da die Rechtslage durch
die Rechtsprechung des EuGH bereits hinreichend geklärt ist,
bedarf es keines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art.
267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union (AEUV).
|
|
|
49
|
a) § 2 AStG steht weder der
Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV; ex-Art. 43 des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV - ) noch der
Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV; ex-Art. 39 EGV)
entgegen.
|
|
|
50
|
Nach Maßgabe der zu diesen
Grundfreiheiten durch die Rechtsprechung des EuGH geklärten
Schutzbereiche hindern die Regelungen zu § 2 AStG einen
Steuerpflichtigen nicht daran, seine Niederlassung in einem anderen
Mitgliedstaat zu gründen (vgl. EuGH-Urteil De Lasteyrie du
Saillant vom 11.03.2004 - C-9/02, EU:C:2004:138 = SIS 04 28 61, Rz
42). Ebenso wenig stellt ein erwerbsbedingt motivierter Wegzug
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch § 2 AStG steuerlich
schlechter als gebietsansässige Steuerpflichtige (vgl. zum
Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit unter anderem
EuGH-Urteil Schumacker vom 14.02.1995 - C-279/93, EU:C:1995:31 =
SIS 95 06 47). Vielmehr ist die steuerliche Situation von
Gebietsansässigen und Gebietsfremden vergleichbar. Würde
derjenige Steuerpflichtige, der erwägt, in einen anderen
Mitgliedstaat zu ziehen, im Inland verbleiben, unterfiele er
(weiterhin) der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§
1 Abs. 1 EStG). Der Wegzug würde ihm weder weitere steuerliche
Belastungen aufbürden noch vorher eingeräumte
Entlastungen entziehen.
|
|
|
51
|
b) Die von der Klägerin gerügte
Unvereinbarkeit von § 2 AStG mit der Kapitalverkehrsfreiheit
(Art. 63 Abs. 1 AEUV; ex-Art. 56 EGV) besteht ebenfalls nicht.
|
|
|
52
|
aa) Nach Art. 63 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 56 Abs.
1 EGV) sind grundsätzlich alle Beschränkungen des
Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den
Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Hierzu
zählen Maßnahmen, die geeignet sind, Gebietsfremde von
Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen
von Investitionen in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten (z.B.
EuGH-Urteil Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company
vom 10.04.2014 - C-190/12, EU:C:2014:249 = SIS 14 10 47, Rz 39,
m.w.N.). Maßgeblich ist, ob Gebietsfremde bei Investitionen
gegenüber Gebietsansässigen benachteiligt werden
(EuGH-Urteil Manninen vom 07.09.2004 - C-319/02, EU:C:2004:484 =
SIS 04 38 00, Rz 22 f.). Es bedarf somit der Feststellung einer
Ungleichbehandlung des grenzüberschreitenden Sachverhalts zum
Inlandsfall (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 2 AO Rz
276).
|
|
|
53
|
bb) Eine solche benachteiligende Situation
liegt in Bezug auf § 2 AStG nicht vor. Der in ein niedrig
besteuerndes Ausland verzogene Steuerpflichtige (der Gebietsfremde)
wird durch die erweiterte beschränkte Steuerpflicht nicht
daran gehindert, in Deutschland Kapitalinvestitionen vorzunehmen.
Soweit die Erträge hieraus trotz Wegzugs von der erweiterten
beschränkten Einkommensteuerpflicht erfasst würden,
ergäbe sich im Vergleich zu einem Gebietsansässigen, der
die Erträge im Rahmen seiner unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG) zu versteuern
hätte, keine Benachteiligung. Dies wird durch § 2 Abs. 6
AStG sichergestellt. Diese Norm legt fest, dass die
zusätzliche Steuer aus der erweiterten beschränkten
Einkommensteuerpflicht nicht zu einer inländischen
Gesamtsteuerlast führen darf, die diejenige
überschreitet, die bei Fortgeltung der unbeschränkten
Einkommensteuerpflicht anfiele.
|
|
|
54
|
cc) Für eine mit § 2 AStG
vergleichbare Konstellation der in dem Königreich der
Niederlande geltenden erweiterten unbeschränkten
Erbschaftsteuerpflicht auf den Nachlass eines weggezogenen
niederländischen Staatsangehörigen hat der EuGH die
Kapitalverkehrsfreiheit als nicht beeinträchtigt angesehen
(EuGH-Urteil van Hilten - van der Heijden vom 23.02.2006 -
C-513/03, EU:C:2006:131 = SIS 06 16 89). Die tragenden
Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung sind auf § 2 AStG
übertragbar. Dies gilt unbeschadet dessen, dass die
Entscheidung das Erbschaftsteuerrecht und nicht - wie hier - eine
erweiterte beschränkte, sondern eine erweiterte
unbeschränkte Steuerpflicht betraf. Die Unterschiede in der
Steuerart und in der Ausgestaltung der persönlichen
Steuerpflicht lassen den für beide Konstellationen geltenden
Kern der Entscheidung, die Kapitalverkehrsfreiheit nur dann als
beeinträchtigt anzusehen, wenn sich durch den Wegzug die
gesamte Steuerlast im Vergleich zum Verbleib im Inland erhöht,
unberührt (vgl. hierzu EuGH-Urteil van Hilten - van der
Heijden vom 23.02.2006 - C-513/03, EU:C:2006:131 = SIS 06 16 89, Rz
45 f.). Es genügt nicht, wenn die mit dem Wegzug angestrebte
Minderung der Last nicht eintritt (zutreffend
Zimmermann/Könemann in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA,
§ 2 AStG Rz 35.1).
|
|
|
55
|
dd) Würde ein in einem niedrig
besteuernden ausländischen Gebiet ansässiger
(gebietsfremder) Steuerpflichtiger keine Kapitalinvestition in
Deutschland, sondern in einem anderen (Mitglied-)Staat vornehmen,
hätte dies zwar zur Folge, dass die hieraus resultierenden
Erträge als ausländische Einkünfte nicht der
erweiterten beschränkten Steuerpflicht gemäß §
2 AStG unterlägen. Dies führte - anders als die
Klägerin meint - aber nicht zu einer steuerlichen
Benachteiligung gegenüber einem Gebietsansässigen. Soweit
die Klägerin in diesem Zusammenhang vorbringt, die erweiterte
beschränkte Steuerpflicht zwinge einen Gebietsfremden dazu,
seine Investition im Ausland und nicht in Deutschland vorzunehmen,
überspannt sie die Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit.
Maßgeblich ist allein, ob § 2 AStG im Vergleich zu
Gebietsansässigen investitionshemmende Wirkung haben kann.
Dies ist selbst bei Auslands-Kapitalinvestitionen wegen des mit der
unbeschränkten Steuerpflicht verbundenen
Welteinkommensprinzips nicht der Fall (vgl. zur
Vergleichsgruppenbildung Lampert in Musil/Weber-Grellet,
Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., § 2 AStG Rz 38,
m.w.N.). Die von der Klägerin erstrebte
„Keinmalbesteuerung“ der vorliegend
streitigen Kapitalerträge wird von der Kapitalverkehrsfreiheit
nicht geschützt.
|
|
|
56
|
ee) Geklärt ist schließlich, dass
eine steuerrechtliche Regelung, die - wie § 2 AStG - in
steuerbegründender Wirkung an die Staatsangehörigkeit des
Steuerpflichtigen anknüpft, der Kapitalverkehrsfreiheit nicht
entgegensteht (EuGH-Urteil van Hilten - van der Heijden vom
23.02.2006 - C-513/03, EU:C:2006:131 = SIS 06 16 89, Rz 47).
|
|
|
57
|
8. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|