Auf die Revision der Kläger werden das
Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 31.1.2018 - 3 K
480/17, die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 12.6.2017 und
der geänderte Einkommensteuerbescheid 2011 vom 13.10.2015
aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden als Eheleute im Streitjahr zur Einkommensteuer
zusammen veranlagt.
|
|
|
2
|
Ihre Einkommensteuererklärung für
2011 gaben die Kläger in Papierform ab. In der Anlage G
erklärten sie für den Kläger in Zeile 8 (Gewinn als
Mitunternehmer) einen laufenden Beteiligungsverlust von - 1.306 EUR
(„XY Grundbesitz GmbH aus Z, mit Angabe der dortigen
Steuernummer“) und in Zeile 23 (Summe der positiven
Einkünfte aus Gewerbebetrieb) sowie auf der Rückseite des
Formulars in Zeile 40 (Steuerpflichtiger Teil des
Veräußerungsgewinns bei Veräußerung von
Anteilen an Kapitalgesellschaften) einen steuerpflichtigen
Veräußerungsgewinn von 204.464 EUR. Der Anlage G waren
eine formlose Berechnung des Veräußerungsgewinns sowie
Auszüge aus dem notariellen Veräußerungsvertrag
beigefügt (Bl. 21 bis 26 der Steuerakte). Demnach war der
Kläger ursprünglich mit 75.000 von 693.600 Aktien an der
... AG mit Sitz in Z beteiligt. Aus dem Verkauf und der Abtretung
dieser Aktien mit notariellem Vertrag vom 17.08.2011 erlöste
der Kläger 540.500 EUR. In derselben Urkunde, aber nicht vom
Kläger, wurde auch ein Geschäftsanteil an einer „XY
... GmbH E/F“ übertragen. Diese Firmenbezeichnung
erscheint sowohl in der Ermittlung des
Veräußerungsgewinns als auch auf den Kopien des
notariellen Übertragungsvertrags, soweit er vorliegt.
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte weder den laufenden Verlust
noch den Veräußerungsgewinn. Der Einkommensteuerbescheid
2011 vom 21.12.2012 enthielt u.a. die Erläuterung: „Ihre
erklärten Verluste aus der Grundstücksgemeinschaft /
Erbengemeinschaft / Mitunternehmerschaft können erst nach
entsprechender Mitteilung des für die Feststellung
zuständigen Finanzamts berücksichtigt werden.“ Auf
der Vorderseite der Anlage G ist handschriftlich mit orangefarbigem
Filzstift die Zahl -1.306 EUR in Klammern gesetzt und daneben
vermerkt: „ESt4B noch nicht vorliegend.“ Weitere
Bearbeitungsspuren enthalten weder die Anlage G noch die dazu
eingereichten Anlagen.
|
|
|
4
|
Am 31.01.2013 änderte das FA den
Einkommensteuerbescheid 2011 gemäß § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und berücksichtigte bei
dem Kläger negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb von -
1.305 EUR. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
|
|
|
5
|
Unter dem 13.10.2015 berichtigte das FA den
Einkommensteuerbescheid 2011 nach § 129 AO und setzte beim
Kläger erstmals Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus
Veräußerungsgewinnen in Höhe von 204.464 EUR an.
Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
|
|
|
6
|
Im Klageverfahren hat das Finanzgericht
(FG) die Sachbearbeiterin der Erstveranlagung (Frau A) schriftlich
u.a. zum Zustandekommen des Fehlers befragt und den Beteiligten
Gelegenheit gegeben, ergänzende schriftliche Fragen an die
Zeugin zu richten. Zum Termin zur mündlichen Verhandlung hat
es zwei weitere Zeuginnen (Frau B und Frau C) prozessleitend unter
Angabe des Beweisthemas geladen.
|
|
|
7
|
Die Zeugin A hat sich vor der
mündlichen Verhandlung umfangreich zum Beweisthema schriftlich
geäußert und u.a. wörtlich ausgeführt:
|
|
|
|
“Die Anlagen des Stpfl. (Bl. 21 bis
26) habe ich in der Eile wohl für Anlagen zu den gewerblichen
Beteiligungseinkünften „XY Grundbesitz GmbH aus Z, mit
Angabe der dortigen Steuernummer“ gehalten und für den
späteren Abgleich mit entsprechenden Grundlagenbescheiden in
der Akte hinter Anlage G ohne nähere Prüfung abgelegt,
weil sodann ohnehin der Wert laut Grundlagenbescheid bindend ist.
Es kommt häufig vor, dass Stpfl. umfangreiche Anlagen und
Verträge zu ihren Beteiligungseinkünften mit an das
Wohnsitzfinanzamt senden, weil sie um die Arbeitsabläufe
zwischen Wohnsitzfinanzamt und Feststellungsfinanzamt nicht
wissen.“
|
|
|
8
|
Und weiter heißt es an anderer
Stelle:
|
|
|
|
“Dass meinerseits die
Kompletterfassung der Anlage G (Zeile 40) versäumt wurde,
hätte ich bei Sichtung der Anlagen des Steuerpflichtigen (Bl.
21-26) bemerken müssen. Insbesondere hätte ich anhand der
Betragshöhen in den Bl. 21-26 wahrnehmen müssen, dass es
sich um keine Anlagen und Unterlagen im Zusammenhang mit den
Eintragungen in Zeile 8 handeln kann, weil an keiner Stelle der
Anlage Bl. 21-26 der Betrag ‘-1.306 EUR’ aufgezeigt
ist. Ich habe auf Bl. 21 [betr. Ermittlung des
Veräußerungsgewinns] wohl nur ‘XY ... GmbH’
beim ‘überfliegenden’ Lesen wahrgenommen und somit
voreilig geschlussfolgert, dass es sich um Dokumente im
Zusammenhang mit den Beteiligungseinkünften laut Zeile 8 der
Anlage G handeln muss – ein bedauerlicher
Flüchtigkeitsfehler.“
|
|
|
9
|
Auf die schriftliche Aussage der Zeugin A
wird im Übrigen Bezug genommen.
|
|
|
10
|
Im Termin zur mündlichen Verhandlung
hat das FG auch die Zeuginnen C und B vernommen. Die Kläger
haben anschließend hilfsweise u.a. die persönliche
Vernehmung der Zeugin A beantragt, weil ihre schriftliche Aussage
nicht glaubhaft erscheine und in Widerspruch zu den anderen
Zeugenaussagen stehe.
|
|
|
11
|
Das FG hat die Klage ohne weitere
Beweiserhebung und ohne einen vorherigen rechtlichen Hinweis, dass
es seines Erachtens nun auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht
mehr ankomme, abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die
Kläger ihr Begehren weiter. Sie rügen die Verletzung von
§ 129 AO sowie Verfahrensmängel.
|
|
|
12
|
Die Kläger beantragen
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und der
Klage mit der Maßgabe stattzugeben, dass der geänderte
Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 13.10.2015 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 12.06.2017 aufgehoben wird.
|
|
|
13
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
14
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Klagestattgabe (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der bestandskräftige
Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 31.01.2013 durfte nicht
nach § 129 AO berichtigt werden, weil nicht ausgeschlossen
werden kann, dass ein Denkfehler zu der offenbaren Unrichtigkeit
des Bescheids geführt hat. Dies geht zu Lasten des insoweit
feststellungsbelasteten FA.
|
|
|
15
|
1. Das FG hat zur Begründung seines
Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die Nichterfassung des
erklärten Veräußerungsgewinns stelle einen
offensichtlichen Erfassungsfehler dar, der nach § 129 AO
berichtigt werden könne. Dies stehe bereits nach Aktenlage
fest. Weshalb die Bearbeiterin die Anlage G nicht vollständig
ausgewertet habe, lasse sich nicht mehr feststellen. Es entspreche
aber der Lebenserfahrung, dass die Datenerfassung bei
alltäglichen Störungen, z.B. durch Telefon, an falscher
Stelle fortgesetzt werde. Aus diesem Grund sei auch im Streitfall
der Veräußerungsgewinn nicht erfasst worden. Ein
Denkfehler sei dabei ausgeschlossen. Es entspreche der
Lebenserfahrung, dass eine Sachbearbeiterin, deren
Laufbahnprüfung erst vier Monate zurückliege, die
Steuerpflicht von Gewinnen aus der Veräußerung von
Kapitalgesellschaftsanteilen kenne und nicht davon ausgehe, dass
insofern eine gesonderte Feststellung stattfinden müsse. Dabei
stütze sich das Gericht bewusst nicht auf die Aussage der
Zeugin A. Diese sei vielmehr unerheblich, weil die Offenbarkeit des
Fehlers allein nach Aktenlage zu beurteilen sei.
|
|
|
16
|
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Nach § 129 Satz 1 AO kann die
Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche
offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts
unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
|
|
|
17
|
a) Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in
diesem Sinne sind nur mechanische Versehen wie beispielsweise
Eingabe- oder Übertragungsfehler, die ebenso mechanisch, d.h.
ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden
können. Davon abzugrenzen sind Fehler im Bereich der bewussten
Willensbildung. Sie sind Schreib- oder Rechenfehlern nicht
ähnlich; ihre Folgen können deshalb nicht nach § 129
Satz 1 AO berichtigt werden. Dazu gehören insbesondere Fehler
bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm oder bei der
Würdigung tatsächlicher Feststellungen. Aber auch Fehler
bei der Feststellung des zu ermittelnden Sachverhalts (mangelnde
Sachaufklärung) oder der Erfassung des feststehenden
Sachverhalts (Nichtbeachtung feststehender Tatsachen; Annahme eines
in Wirklichkeit nicht gegebenen Sachverhalts) schließen eine
Berichtigung nach § 129 AO aus. Es handelt sich dabei
revisionsrechtlich um Rechtsfehler.
|
|
|
18
|
b) Ein mechanisches Versehen muss feststehen.
Es genügt nicht, dass es bloß möglich erscheint.
Vielmehr muss ein davon abzugrenzender Fehler bei der
Willensbildung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens
ausgeschlossen sein. Besteht auch nur die ernsthafte (mehr als
theoretische) Möglichkeit eines solchen Fehlers, kommt eine
Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO nicht in Betracht
(ständige Rechtsprechung, zuletzt Senatsurteil vom 10.12.2019
- IX R 23/18, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, DStR
2020, 289 = SIS 20 00 80).
|
|
|
19
|
c) Das mechanische Versehen muss
„beim Erlass eines Verwaltungsakts“ unterlaufen
sein. Der zu berichtigende Bescheid muss dadurch offenbar unrichtig
geworden sein. Aus dem Wortlaut der Norm leitet der Bundesfinanzhof
(BFH) in ständiger Rechtsprechung ab, dass es genügt,
wenn sich die Unrichtigkeit bei Offenlegung des aktenkundigen
Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen (objektiven) Dritten
klar und deutlich offenbart. Unerheblich ist nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung, ob der Steuerpflichtige
die Unrichtigkeit allein anhand des Bescheids und der ihm
vorliegenden Unterlagen erkennen konnte (vgl. BFH-Urteil vom
07.11.2013 - IV R 13/11 = SIS 14 10 65, BFH/NV 2014, 657,
m.w.N.).
|
|
|
20
|
d) Ob ein mechanisches Versehen oder ein die
Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen-
oder Rechtsirrtum zu der Unrichtigkeit geführt hat, ist im
Wesentlichen Tatfrage und muss nach den Verhältnissen des
Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt
werden.
|
|
|
21
|
aa) Ist streitig, ob der zu berichtigende
Bescheid überhaupt unrichtig ist, muss die Unrichtigkeit als
solche auf der Hand liegen. Sie muss offenbar sein, d.h. sie muss
sich grundsätzlich ohne Weiteres klar und deutlich aus dem
Akteninhalt ergeben. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts,
insbesondere durch Beweisaufnahme, kommt insofern allenfalls
ergänzend (zur Absicherung) in Betracht, nicht jedoch zur
Erforschung des Geschehenen. An der erforderlichen Offenbarkeit
fehlt es jedenfalls, wenn die Unrichtigkeit des Bescheids erst
durch Abfrage subjektiver Einschätzungen seinerzeit
Beteiligter ermittelt werden muss. Deswegen hat der BFH die
Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht als offenbare
Unrichtigkeit angesehen und eine (erforschende) Befragung des
Prüfers oder anderer Beteiligter in diesem Zusammenhang
für untauglich erachtet (BFH-Urteil vom 29.01.2003 - I R
20/02, BFH/NV 2003, 1139 = SIS 03 36 72).
|
|
|
22
|
bb) Anders ist die Sachlage, wenn die
Unrichtigkeit des Bescheids offenbar ist und feststeht, z.B. weil
in ihm - wie im Streitfall - ohne jede Erklärung eine
deklarierte Besteuerungsgrundlage fehlt, aber streitig ist, ob beim
Erlass des Verwaltungsakts ein mechanisches Versehen oder ein
Denkfehler vorgekommen ist und zu der Unrichtigkeit geführt
hat. Zur Beantwortung dieser für die Anwendung von § 129
Satz 1 AO ebenso entscheidenden Frage kann nicht allein auf den
Akteninhalt abgestellt werden, denn die Qualität der
persönlichen Fehlleistung, auf die die Rechtsprechung
abstellt, ist üblicherweise in der Akte nicht dokumentiert.
Lässt sich anhand des Akteninhalts nicht hinreichend sicher
feststellen, ob ein mechanisches Versehen oder ob ein anderer die
Anwendung von § 129 Satz 1 AO ausschließender Fehler zu
der Unrichtigkeit des Bescheids geführt hat, muss das FG den
Sachverhalt umfassend aufklären (BFH-Urteil vom 30.11.1989 -
IV R 76/88, BFH/NV 1991, 457) und gegebenenfalls auch Beweis
erheben (vgl. auch FG Hamburg, Urteil vom 25.10.2013 - 5 K 120/11,
juris = SIS 14 03 11, rechtskräftig). Es hat dann auf der
Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens abschließend
zu würdigen, ob die Voraussetzungen von § 129 Satz 2 AO
vorliegen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).
|
|
|
23
|
cc) In beiden Fallgruppen unterliegt die
tatsächliche Würdigung des FG nur eingeschränkter
revisionsgerichtlicher Überprüfung. Die Prüfung
beschränkt sich darauf, ob das FG im Rahmen der
Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist,
alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung
einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze verstoßen hat (§ 118 Abs. 2
FGO).
|
|
|
24
|
3. Das FG ist teilweise von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil kann deshalb keinen
Bestand haben.
|
|
|
25
|
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das FG den
Sachverhalt durch schriftliche Befragung der Zeugin A und
Einvernahme der Zeuginnen C und B umfangreich aufgeklärt.
Unstreitig war der Einkommensteuerbescheid 2011 in seiner
ursprünglichen und in der nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO geänderten Fassung insofern offenbar unrichtig, als der vom
Kläger erzielte und im Grundsatz zutreffend erklärte
Gewinn aus der Veräußerung von
Kapitalgesellschaftsanteilen in ihm nicht berücksichtigt ist.
Die Unrichtigkeit ergibt sich insofern bei Offenlegung des gesamten
Akteninhalts ohne weitere Ermittlungen klar und deutlich durch
Gegenüberstellung der Steuererklärung nebst Anlagen und
des Bescheidinhalts.
|
|
|
26
|
Streitig war, welche Art von Fehlleistung bei
der Veranlagung zu dem Fehler geführt hat. Diese Frage
bedurfte der Aufklärung, denn sie lässt sich - auch im
Streitfall - nicht aus dem Akteninhalt beantworten. Weder ist die
Abweichung im Erläuterungsteil des Bescheids begründet
noch ergeben sich aus der Akte belastbare Hinweise darauf, ob die
Bearbeiterin die Eintragung in Zeile 40 der Anlage G lediglich
übersehen hat oder ob sie sich bei der Nichtauswertung der
Anlage G (insbesondere im Hinblick auf die umfangreichen Anlagen)
von fehlerbehafteten Überlegungen hat leiten lassen. Offenbar
ist nach Aktenlage weder das eine noch das andere. Die
Aufklärung durch Einvernahme von Zeugen war auch nicht von
vornherein ungeeignet. Zu Recht hat das FG deshalb die
entsprechenden Ermittlungen durchgeführt.
|
|
|
27
|
b) Rechtsfehlerhaft hat es das FG allerdings
abgelehnt, die Beweisergebnisse auch zur Kenntnis zu nehmen und
gegebenenfalls zu würdigen. Sein Vorgehen, sich aufgrund des
Akteninhalts von einem mechanischen Versehen überzeugt zu
zeigen und dabei die erhobenen Beweise einfach auszublenden, hat
weder rechtlich noch tatsächlich eine Grundlage.
|
|
|
28
|
aa) Soweit das FG angenommen hat, die
Veranlagungsstelle könne bei der mechanischen Übertragung
der Erklärungsdaten in das Datenerfassungsformular, z.B. durch
einen Telefonanruf, gestört worden sein, infolgedessen die
Arbeit an unzutreffender Stelle fortgesetzt und die
vollständige Auswertung der Anlage G unerkannt unterlassen
haben, fehlt es hierzu an tatsächlichen Feststellungen. Solche
Feststellungen sind indes nicht entbehrlich. Auch der
Anscheinsbeweis muss von feststehenden Anknüpfungstatsachen
ausgehen. Hätte das FG eine konkrete Störung im
Bearbeitungsablauf festgestellt, hätte es möglicherweise
im Wege des Anscheinsbeweises auf die Ursächlichkeit dieser
Störung für das streitige Unterlassen schließen
können. Ohne solche Anknüpfungstatsachen hat der Schluss
des FG nur eine hypothetische Grundlage. Diese mag zwar nach der
Lebenserfahrung plausibel erscheinen. Das genügt aber nicht
für die Anwendung von § 129 Satz 1 AO. Als bloße
Hypothese lässt sie ein mechanisches Versehen lediglich
möglich erscheinen. Ein Versehen im Bereich der Willensbildung
wird dadurch aber nicht ausgeschlossen.
|
|
|
29
|
bb) Dafür genügt auch nicht die
Behauptung des FG, ein anderer Ablauf wäre allenfalls
theoretisch denkbar. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, wie
die Gefahr einzuschätzen ist, dass ein Finanzbeamter des
gehobenen Dienstes nach bestandener Laufbahnprüfung die
gesonderte Feststellung eines Gewinns aus der
Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen (§ 17
des Einkommensteuergesetzes - EStG - ) für erforderlich
hält. Zu der Behauptung, dass ein abweichendes Geschehen
lediglich theoretisch denkbar wäre, konnte das FG nur
gelangen, indem es die Aussage der Zeugin A bei seiner Entscheidung
(rechtsfehlerhaft) ausgeblendet hat. In ihrer schriftlichen
Zeugenaussage hat die Zeugin A eingeräumt, dass sie die
Anlagen zur Anlage G (Bl. 21 bis 26 der Steuerakte) nicht gelesen
haben kann, weil sie sonst bemerkt hätte, dass diese nicht den
laufenden Beteiligungsverlust, sondern einen
Veräußerungsgewinn betrafen. Zur Erklärung dieses
Versäumnisses hat sie die Vermutung geäußert, sie
habe die Anlagen aufgrund der Übereinstimmung der Buchstaben
„XY“ (wohl) voreilig dem Vorgang
„laufender Beteiligungsverlust“ zugeordnet und
(bewusst) nicht zur Kenntnis genommen, weil sie den
Feststellungsbescheid habe abwarten wollen. Diese Hypothese, die
sich die Kläger zu eigen gemacht haben, ist nach Aktenlage
nicht nur theoretisch denkbar, sondern ebenfalls plausibel.
|
|
|
30
|
cc) Dieser Geschehensablauf würde eine
Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ausschließen. Zwar
wäre auch bei diesem Geschehen die fehlende Übernahme der
Angabe aus der Steuererklärung ein unbewusstes Versehen;
Anhaltspunkte für eine dahin gehende bewusste Entscheidung
gibt es nicht. Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn das FA im
selben Zusammenhang den feststehenden Akteninhalt (bewusst) nicht
zur Kenntnis nimmt und wenn sicher anzunehmen ist, dass bei
gebotener Kenntnisnahme das unbewusste Versehen (fehlende
Übertragung) entdeckt und vermieden worden wäre. Das ist
hier der Fall. Dann ist nicht allein das unbewusste Versehen
für die Unrichtigkeit des Bescheids ursächlich geworden,
sondern zugleich ein die Willensbildung betreffender Fehler bei der
(einwandfreien) Erfassung des Akteninhalts. Dies schließt
eine Berichtigung des Bescheids nach § 129 Satz 1 AO aus.
|
|
|
31
|
4. Die Sache ist spruchreif. Der BFH
entscheidet auf der Grundlage der tatsächlichen
Feststellungen, die das FG getroffen hat, selbst und gibt der Klage
statt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Zu Recht hat das FG
angenommen, dass sich das Geschehen nicht mehr hinreichend sicher
aufklären lasse. Dies geht zu Lasten des
feststellungsbelasteten FA.
|
|
|
32
|
a) Eine weitere Sachaufklärung erscheint
ausgeschlossen. Das FG hat den Sachverhalt umfangreich und nach
menschlichem Ermessen vollständig aufgeklärt. Weitere
Klärung wäre auch durch die von den Klägern
beantragte Vernehmung der Zeugin A nicht zu erwarten. Bereits in
ihren schriftlichen Bekundungen hat die Zeugin erkennbar nicht aus
konkreter Erinnerung geschöpft, sondern in Bezug auf die
Fehlerursache lediglich anhand des Akteninhalts Mutmaßungen
angestellt. Entsprechendes gilt für die Zeuginnen C und B.
Eine weitere Sachaufklärung ist aber auch nicht erforderlich,
denn die Kläger müssen nicht beweisen, dass ein die
Anwendung von § 129 Satz 1 AO ausschließender Fehler zu
der Unrichtigkeit des Bescheids geführt hat.
|
|
|
33
|
b) Eine Zurückverweisung (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 FGO) kommt nicht in Betracht. Zwar obliegt die
Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme dem FG als
Tatsacheninstanz. Hat das FG wie im Streitfall die Würdigung
des Beweisergebnisses unterlassen, weil es rechtsfehlerhaft von der
Unerheblichkeit der Beweiserhebung ausgegangen ist, muss der BFH
grundsätzlich zurückverweisen. Insofern gilt nichts
anderes, als wenn der BFH die Beweiswürdigung des FG wegen
eines Rechtsfehlers aufhebt. Indes bedarf es im Streitfall keiner
Würdigung der Beweise; es genügt, das Beweisergebnis zur
Kenntnis zu nehmen. Daran ist der BFH nicht gehindert. Er muss sich
keine Überzeugung davon bilden, dass die Darstellung der
Zeugin A den Tatsachen entspricht. Es genügt, dass sie
möglich erscheint. Dies kann bejaht werden, ohne dass es auf
die Glaubhaftigkeit der Bekundungen oder die Glaubwürdigkeit
der Zeugin ankommt. Danach erscheinen sowohl die Hypothese des FA
(Störung bei der Datenerfassung führt zu einem
mechanischen Versehen) als auch die - von wem auch immer
geäußerte - Hypothese der Kläger (fehlerhafte, aber
bewusste Zuordnung der den Veräußerungsgewinn
betreffenden Anlagen zum laufenden Verlust führt zu mangelnder
Erfassung des Akteninhalts und verhindert, dass die
Sachbearbeiterin den Fehler unvollständiger Erfassung der
Anlage G erkennt und korrigiert) gleichermaßen plausibel und
nicht bloß theoretisch denkbar. Ein die Anwendung von §
129 Satz 1 AO ausschließender Fehler bei der Willensbildung
ist damit nicht ausgeschlossen. Dies geht zu Lasten des FA.
|
|
|
34
|
5. Auf die von den Klägern aufgeworfene
Frage, ob eine Berichtigung des Bescheids auch deshalb nicht in
Betracht kommt, weil der erklärte
Veräußerungsgewinn vom Kläger offenbar unrichtig
ermittelt worden ist und die Berichtigung eine weitere
Sachaufklärung erfordert hätte, kommt es nicht mehr an,
weil schon die Grundvoraussetzungen für eine Berichtigung nach
§ 129 Satz 1 AO nicht vorliegen.
|
|
|
35
|
6. Da die Revision bereits aus materiellen
Gründen Erfolg hat, kommt es auf das Vorliegen der von den
Klägern gerügten Verfahrensmängel nicht mehr an.
|
|
|
36
|
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
|