Die Revision des Klägers gegen das Urteil
des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 17.6.2015 1 K
213/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu
tragen.
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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist seit Mai 1995 als Lehrkraft beim Land
Schleswig-Holstein beschäftigt. Er war zunächst zeitlich
befristet im Angestelltenverhältnis tätig und wurde mit
Wirkung zum 1.11.1999 verbeamtet. Er ist verheiratet und Vater der
im Februar 1996 ehelich geborenen Tochter A. Die beklagte und
revisionsbeklagte Familienkasse des Arbeitsamtes (Familienkasse)
bewilligte Kindergeld, das der Kläger im Februar 1996 mit
Zustimmung seiner Ehefrau beantragt hatte. Dabei ging die
Familienkasse aufgrund einer telefonischen Mitteilung der Gattin
des Klägers davon aus, dass der Zeitvertrag des Klägers
mit dem Land Schleswig-Holstein zum 31.3.1996 auslaufen würde.
Tatsächlich wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers
jedoch verlängert.
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Im Anschluss an seine Verbeamtung erhielt
der Kläger Kindergeld für A auch vom Dienstherrn. Diese
Zahlungen wurden in den jeweiligen Gehaltsbescheinigungen
aufgeführt und erfolgten nach den Feststellungen des
Finanzgerichts (FG) ohne Antrag des Klägers und ohne formelle
Kindergeldfestsetzung. Eine vom Kläger im November 2000 beim
Dienstherrn eingereichte Erklärung zum Familienzuschlag
enthielt unter der Rubrik „Kinder“ Angaben zum Namen
und zum Geburtsdatum der Tochter, zum Kindschaftsverhältnis
und zur Zahlung des Kindergeldes an den Kläger.
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Die Verbeamtung des Klägers blieb der
Familienkasse unbekannt. Sie zahlte weiterhin Kindergeld für
A, so dass der Kläger dieses ab November 1999 zweifach
vereinnahmte. Die Doppelzahlungen wurden erst im August 2008 durch
einen vom Bundesrechnungshof initiierten Datenabgleich aufgedeckt
und sowohl dem Dienstherrn als auch der Familienkasse zur Kenntnis
gebracht.
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Die Familienkasse stellte ihre Zahlungen ab
September 2008 ein. Sie hob mit Bescheid vom 12.11.2009 die
Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Zeitraum von November
1999 bis August 2008 auf und forderte die Rückerstattung
überzahlten Kindergeldes in Höhe von 15.888,84
EUR.
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Der Kläger zahlte auf den geltend
gemachten Erstattungsanspruch für den Zeitraum Januar 2005 bis
August 2008 insgesamt 6.776 EUR. Wegen der Kindergeldaufhebung und
Rückforderung für den Zeitraum November 1999 bis Dezember
2004 legte er Einspruch ein, den er u.a. mit Verjährung
begründete.
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Die Familienkasse wies den Einspruch mit
Einspruchsentscheidung vom 30.8.2010 zurück. Sie stützte
die Kindergeldaufhebung verfahrensrechtlich auf § 174 Abs. 2
i.V.m. § 174 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) und ging
von einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung durch den
Kläger aus, so dass die 10-jährige Verjährungsfrist
einschlägig sei.
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Die Klage blieb ohne Erfolg. Nachdem das
Verfahren bis zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.12.2013
XI R 42/11 (BFHE 244, 302, BStBl II 2014, 840 = SIS 14 10 53)
geruht hatte, entschied das FG, der 1996 ergangene
Festsetzungsbescheid sei durch Wegfall der sachlichen
Zuständigkeit der Familienkasse rechtswidrig geworden (EFG
2015, 1818 = SIS 15 22 18). Die Familienkasse habe den Bescheid
nach § 70 Abs. 2 EStG ändern können. Deshalb
könne dahinstehen, ob einer Aufhebung gemäß §
174 Abs. 2 Satz 1 AO entgegenstehe, dass sich keine doppelte
Kindergeldfestsetzung und kein Kindergeldantrag des Klägers
gegenüber der Familienkasse des Dienstherrn feststellen lasse.
Festsetzungsverjährung sei auch dann nicht eingetreten, wenn
dem Kläger keine Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2
AO), sondern nur eine leichtfertige Steuerverkürzung zur Last
gelegt würde, da diese erst fünf Jahre nach der letzten
Auszahlung im August 2008 verjähre (§ 384 AO).
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Zur Begründung seiner Revision
trägt der Kläger vor, die Zuständigkeiten der
Familienkassen hätten i.S. des § 70 Abs. 2 EStG keinen
Einfluss auf den Anspruch des Kindergeldberechtigten; die
Verbeamtung habe seinen Kindergeldanspruch nicht entfallen lassen.
Das FG sei auch zu Unrecht von einer verlängerten
Festsetzungsfrist ausgegangen, denn gegen ihn sei kein Straf- oder
Bußgeldverfahren eingeleitet worden. Da die Verbeamtung die
Anspruchsvoraussetzungen für den Kindergeldanspruch
(§§ 62 bis 65 EStG) unberührt lasse, habe auch keine
Offenbarungspflicht i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
bestanden.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, den Aufhebungsbescheid vom 12.11.2009, soweit
er den Zeitraum November 1999 bis Dezember 2004 betrifft, die
Einspruchsentscheidung und das FG-Urteil aufzuheben.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet. Das FG
hat zu Recht entschieden, dass die Familienkasse die
Kindergeldfestsetzung für den streitigen Zeitraum aufheben
konnte.
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1. Die Familienkasse durfte die Festsetzung
des Kindergeldes nach § 70 Abs. 2 EStG aufheben.
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a) Der Familienleistungsausgleich nach
Maßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG obliegt
gemäß § 16 AO i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 11 des
Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) dem Bundeszentralamt für
Steuern (vormals Bundesamt für Finanzen) und wird durch die
Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur,
vormals Bundesanstalt für Arbeit) als Familienkassen
durchgeführt. Diese Dienststellen sind indessen sachlich nicht
zuständig, wenn gemäß § 72 EStG eine
Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen
Rechts oder die Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG oder
Deutsche Telekom AG als Familienkasse das Kindergeld an
Angehörige des öffentlichen Dienstes festzusetzen und zu
zahlen haben (Senatsurteil vom 19.1.2017 III R 31/15, BFHE 256,
502, BStBl II 2017, 642 = SIS 17 06 26; Senatsbeschluss vom
28.12.2006 III B 91/05, BFH/NV 2007, 864 = SIS 07 61 40). Davon
geht auch die Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem
Einkommensteuergesetz (DA-KG) 2014 aus (unter V.1.1). Durch den
Eintritt oder das Ausscheiden des Kindergeldberechtigten aus dem
öffentlichen Dienst ändert sich mithin die sachliche
Zuständigkeit für die Kindergeldfestsetzung.
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Wenn die sachlich zuständige
Familienkasse danach durch Eintritt des Kindergeldberechtigten in
den öffentlichen Dienst wechselt, kann die bisherige
Kindergeldfestsetzung aufgehoben und das Kindergeld von der
zuständig gewordenen Familienkasse neu festgesetzt werden.
Stattdessen kann sich die zuständig gewordene Behörde
aber auch die bisherige Festsetzung zu Eigen machen und die
Kindergeldzahlung auf Grundlage des Bescheids der zuvor
zuständigen Familienkasse fortführen (Senatsurteil vom
25.9.2014 III R 25/13, BFHE 247, 233, BStBl II 2015, 847 = SIS 14 32 13).
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b) Der Wechsel der sachlichen
Zuständigkeit der für die Kindergeldgewährung
zuständigen Behörde, d.h. der Übergang der
Verpflichtung von einem auf einen anderen Rechtsträger, ist
eine i.S. des § 70 Abs. 2 EStG für den Anspruch auf
Kindergeld erhebliche Änderung. Die Familienkasse konnte
deshalb die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab November 1999
aufheben.
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Dem steht nicht entgegen, dass beim Wechsel
der sachlichen Zuständigkeit nicht zwingend ein neuer Bescheid
ergehen muss, sondern - was im Streitfall allerdings nicht
geschehen ist - die zuständig gewordene Familienkasse aus
Vereinfachungsgründen aufgrund des bisherigen Bescheids
leisten kann, wenn sie den Kindergeldberechtigten schriftlich
darauf hinweist, dass sie als nunmehr zuständige Familienkasse
das Kindergeld in der bisher festgesetzten Höhe
unverändert auszahlt und die ursprünglich zuständige
Familienkasse sachlich unzuständig geworden ist und deshalb
die Kindergeldzahlungen einstellt (vgl. DA-KG 2016 unter V.3.2 Abs.
2).
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c) Im Hinblick auf die hier streitige
Aufhebung nach § 70 Abs. 2 EStG ab November 1999 kann
dahinstehen, ob die Familienkasse des Dienstherrn erst mit der
Verbeamtung des Klägers zuständig wurde oder bereits zu
einem früheren Zeitpunkt, weil sie auch für Angestellte
im öffentlichen Dienst, die länger als voraussichtlich
sechs Monate beschäftigt sind, zuständig war (vgl. §
72 Abs. 4 EStG).
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Die Aufhebung nach § 70 Abs. 2 EStG ist
zwar „mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der
Verhältnisse“ vorzunehmen, d.h. auch
rückwirkend. Daraus ergibt sich indessen nicht, dass eine
Aufhebung zu einem späteren Zeitpunkt als dem der
„Änderung der Verhältnisse“
ausgeschlossen ist. Denn die Befugnis der Familienkasse zur
Aufhebung der Kindergeldfestsetzung verbraucht sich nicht, wenn sie
- z.B. wegen Festsetzungsverjährung, wegen eines nicht
zweifelsfrei aufklärbaren Sachverhalts oder einer unklaren
Rechtslage - erst zu einem späteren Monat neu bescheidet.
Daher hätte eine Zuständigkeitsänderung zu einem
früheren Zeitpunkt jedenfalls auch zur Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung durch die beklagte Familienkasse für den
hier streitigen Zeitraum ab November 1999 geführt.
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2. Da die Festsetzung nach § 70 Abs. 2
EStG aufgehoben werden konnte, kann dahinstehen, ob oder von
welchem Zeitpunkt an die Aufhebung auch auf § 174 Abs. 2 AO
gestützt werden konnte, weil Erklärungen des Klägers
zum Familienzuschlag auch i.S. von § 174 Abs. 2 Satz 2 AO als
„Antrag oder ... Erklärung“ zur
Kindergeldfestsetzung zu werten wären.
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3. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass
die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nicht durch
Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO)
ausgeschlossen war.
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a) Das FG hat zutreffend festgestellt, dass
der Kläger nach § 68 Abs. 1 Alternative 1 EStG
verpflichtet war, der Familienkasse Veränderungen in den
für die Leistung erheblichen Verhältnissen
unverzüglich mitzuteilen.
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Der Kläger hatte in seinem im Februar
1996 an die Familienkasse gerichteten Antrag die Frage nach
anderweitig erhaltenem Kindergeld verneint. Deshalb war er nach der
Aufnahme der Kindergeldzahlungen durch den Dienstherrn
verpflichtet, diese Veränderung anzuzeigen, weil er
darüber eine Erklärung abgegeben hatte (§ 68 Abs. 1
Satz 1 Alternative 2 EStG).
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b) Der Kläger hat durch den zweifachen
Bezug von Kindergeld, das als Steuervergütung gewährt
wird (§ 31 Satz 3 EStG), nicht gerechtfertigte Steuervorteile
erlangt. Denn er hatte die Familienkasse über seine
Verbeamtung im November 1999 pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen
(§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Er handelte nach den Feststellungen
des FG auch leichtfertig, so dass der Tatbestand der leichtfertigen
Steuerverkürzung nach § 378 AO erfüllt ist. Insoweit
ist unerheblich, dass gegen ihn kein Straf- oder
Bußgeldverfahren eingeleitet wurde. Denn die Frage, ob
Steuerbeträge leichtfertig verkürzt wurden, ist von den
Finanzbehörden und Finanzgerichten in eigener
Zuständigkeit zu entscheiden (Beschluss des Großen
Senats des BFH vom 5.3.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979,
570 = SIS 79 02 89; Bannizza in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
§ 169 AO Rz 67, m.w.N.).
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c) Die Verfolgung von
Steuerordnungswidrigkeiten verjährt gemäß §
384 AO in fünf Jahren. Dabei beginnt die
Verfolgungsverjährung erst mit der letztmals zu Unrecht
erlangten Kindergeldzahlung. Denn der Erfolg der pflichtwidrigen
Unterlassung trat erst mit der letzten Auszahlung ein, d.h. der
Auszahlung des Kindergeldes für August 2008. Aus dem das
Kindergeldrecht beherrschenden Monatsprinzip (§ 66 Abs. 2
EStG) ist nicht herzuleiten, dass jede monatliche Auszahlung eine
beendete Ordnungswidrigkeit darstellt, was zur Folge hätte,
dass mit jeder Auszahlung für den jeweiligen Monat auch die
Verfolgungsverjährung begänne (Senatsurteile vom
26.6.2014 III R 21/13, BFHE 247, 102, BStBl II 2015, 886 = SIS 14 32 41; vom 18.12.2014 III R 13/14, BFH/NV 2015, 948 = SIS 15 13 31,
Leitsatz, und Rz 22, 23).
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d) Die bei leichtfertiger
Steuerverkürzung anzuwendende fünfjährige
Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) endete
gemäß § 171 Abs. 7 AO nicht, bevor die Verfolgung
der Steuerordnungswidrigkeit verjährte, d.h. nicht vor Juli
2013. Sie war somit bei Erlass des Aufhebungsbescheids vom
12.11.2009 noch nicht abgelaufen.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus
§ 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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