Auf die Revision der Familienkasse wird das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23.8.2013 4 K 854/13 Kg
= SIS 13 29 68 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu
tragen.
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I. Streitig ist der Kindergeldanspruch
für den Zeitraum März 2012 bis März 2013.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist der Vater der vier Kinder A (geb. 6.1996), S
(geb. 3.1999), D (geb. 8.2002) und F (geb. 12.2003). Er ist seit
dem 1.3.2010 in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland)
nichtselbständig tätig. D und F leben seit 2004 bei ihrer
Mutter in Spanien, die dort erwerbstätig ist. A und S leben
beim Kläger.
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Mit Bescheid vom 18.2.2013 lehnte die
Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) den Antrag des
Klägers, ihm Kindergeld für D und F zu gewähren, ab
März 2012 mit der Begründung ab, dass die Kindsmutter
nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in
der für die Streitjahre geltenden Fassung wegen der
Haushaltsaufnahme von D und F den vorrangigen Kindergeldanspruch
habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom
11.3.2013).
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Mit der hiergegen gerichteten Klage
begehrte der Kläger Differenzkindergeld für den Zeitraum
ab März 2012 in Höhe von 165,75 EUR für D und in
Höhe von 190,75 EUR für F. Das Finanzgericht (FG) gab der
Klage in vollem Umfang statt.
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Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision
rügt die Familienkasse die sich aus einer unzutreffenden
Auslegung des § 64 EStG ergebende Verletzung materiellen
Rechts.
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Die Familienkasse beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 27.10.2014 hat der
Bundesfinanzhof das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs
der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm
anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 ausgesetzt. Der
EuGH hat mit Urteil vom 22.10.2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, DStRE
2015, 1501 = SIS 15 28 09) über die Vorlagefragen
entschieden.
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II. Dem Antrag des Klägers, das
Verfahren bis zu einer weiteren Klärung der Rechtslage ruhen
zu lassen, war nicht zu entsprechen, da die Familienkasse hierzu
nicht das nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m.
§ 251 der Zivilprozessordnung erforderliche
Einverständnis erklärt hat.
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III. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG
hat zu Unrecht entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld
(vorrangig) dem Kläger zusteht. Der Kläger ist zwar nach
nationalem Recht (§§ 62 ff. EStG) anspruchsberechtigt
(dazu 1.). Der Kindsmutter steht aber nach § 64 Abs. 2 Satz 1
EStG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zu (dazu 2. bis 6.).
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1. Der Kläger erfüllt die
Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §
63 EStG.
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Nach den für den Senat bindenden
tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2
FGO) erfüllt der Kläger - was zwischen den Beteiligten
nicht streitig ist - die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62
Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 3 EStG. Unerheblich ist, dass D und F ihren Wohnsitz in
Spanien haben (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
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2. Allerdings ist die Kindsmutter - entgegen
der Rechtsauffassung des FG - nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG
vorrangig anspruchsberechtigt. Denn sie hat D und F in ihren
Haushalt aufgenommen und gemäß Art. 67 der Verordnung
(EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
(Amtsblatt der Europäischen Union - ABlEU - 2004 Nr. L 166, S.
1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung -
VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung) - i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2
der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten
für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
(ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum
maßgeblichen Fassung - VO Nr. 987/2009
(Durchführungsverordnung) - ist zu unterstellen, dass sie mit
D und F in Deutschland wohnt.
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a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für
jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren
Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind
in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1
EStG).
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b) Im Streitfall ergibt sich die
Anspruchsberechtigung der Kindsmutter aus § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG. Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche
Inlandswohnsitz tatsächlich nicht vor. Es finden jedoch die
Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung
(dazu 3.). Dadurch wird gemäß Art. 67 der VO Nr.
883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ein
Inlandswohnsitz der Kindsmutter fingiert (dazu 4.). Zudem
erfüllt die Kindsmutter auch die übrigen Voraussetzungen
für eine vorrangige Anspruchsberechtigung (dazu 5. und
6.).
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3. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004
ist im Streitfall eröffnet und Deutschland ist danach der
zuständige Mitgliedstaat.
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a) Der Kläger ist deutscher
Staatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der
VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der
Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine
Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004,
weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1
Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.
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b) Gemäß Art. 11 Abs. 1 der VO Nr.
883/2004 unterliegen die von der Verordnung erfassten Personen nur
den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats. Da der Kläger im
Streitzeitraum eine nichtselbständige Erwerbstätigkeit in
Deutschland ausgeübt hat, unterlag er den deutschen
Rechtsvorschriften (Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der VO Nr.
883/2004).
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4. Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004
i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die
Wohnsituation der Kindsmutter (fiktiv) in das Inland
übertragen wird.
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a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr.
987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004,
insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines
Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in
einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten
Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden
Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der VO Nr.
883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die
in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf
Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen
Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem
Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO
Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahin, dass bei Anwendung der
Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der
gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob
alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für
die Gewährung der Familienleistungen zuständigen
Mitgliedstaats fielen und dort wohnten.
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b) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet
dessen anwendbar, dass es bereits nach nationalem Recht (§ 63
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) nicht darauf ankommt, ob das Kind
seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union hat (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 35
ff.). Zudem kommt es nicht darauf an, ob im Streitfall wegen eines
Familienleistungsanspruchs der Kindsmutter in Spanien
zusätzlich auch eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste
Konkurrenzsituation gegeben ist. Wäre Art. 68 der VO Nr.
883/2004 nicht einschlägig, fände Art. 60 der VO Nr.
987/2009 bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 Anwendung
(EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 32 f., 35 ff.). Wäre Art.
68 der VO Nr. 883/2004 einschlägig, eröffnete dieser
ebenfalls die Anwendbarkeit des Art. 60 der VO Nr. 987/2009.
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c) Zu den „beteiligten
Personen“ i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr.
987/2009 gehören die
„Familienangehörigen“ i.S. des Art. 1
Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das
Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des
Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind
hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu
verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf
diese Leistungen zu erheben (EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz
38). Daher werden von diesem Begriff nach § 62 Abs. 1 i.V.m.
§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auch Elternteile erfasst, die
nicht miteinander verheiratet sind.
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Der Begriff der „beteiligten
Personen“ i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr.
987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i
Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als
„Familienangehörige“ nur der Ehegatte, die
minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten
volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die
Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden,
auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die
Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus,
dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von
einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird
(vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen
hat auch der EuGH in seinem Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 38 zur
Bestimmung der „beteiligten Personen“ auf die
nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und
damit auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers
als „beteiligte Person“ qualifiziert.
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5. Die Kindsmutter erfüllt neben dem
Wohnsitzerfordernis auch die übrigen Voraussetzungen für
einen vorrangigen Kindergeldanspruch.
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a) Anhaltspunkte dafür, dass die
Kindsmutter eine nicht freizügigkeitsberechtigte
Ausländerin i.S. des § 62 Abs. 2 EStG ist, hat das FG
nicht festgestellt.
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b) Ein vorrangiger Anspruch des Klägers
ergibt sich auch nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG; denn diese
Bestimmung setzte einen gemeinsamen Haushalt des Klägers und
der Kindsmutter voraus. Nach den Feststellungen des FG unterhielten
der Kläger und die Kindsmutter jedoch keinen gemeinsamen
Haushalt. Ein gemeinsamer Haushalt kann sich auch nicht aus der
Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009
ergeben. Demnach ist im Streitfall der Anspruch der Kindsmutter
nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig, da nur bei dieser,
nicht dagegen beim Kläger eine Haushaltsaufnahme des D und des
F vorliegt.
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6. Schließlich kommt es nicht darauf an,
ob die Kindsmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in
Deutschland gestellt hat.
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Nimmt eine Person, die berechtigt ist,
Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier:
ggf. die Kindsmutter, sofern nicht bereits ein in Spanien
gestellter Antrag zu berücksichtigen wäre),
berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009
der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen
Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier: Deutschland), einen
Antrag auf Familienleistungen, der von dem „anderen
Elternteil“ gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld
müsste dem Kläger daher nicht wegen einer fehlenden
Antragstellung der Kindsmutter zuerkannt werden (EuGH-Urteil in
DStRE 2015, 1501, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass der
Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen
hätte die deutsche Familienkasse auch als solchen zugunsten
des Kindergeldanspruchs der Kindsmutter zu
berücksichtigen.
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7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143
Abs. 1, § 135 Abs. 1 FGO.
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