Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12.2.2014 4 K 1691/12 =
SIS 14 20 05 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu
tragen.
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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob der Untergang von Körperschaftsteuerguthaben im Zuge einer
Liquidation mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist.
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Gegenstand der 1988 gegründeten
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer
GmbH, war die Beteiligung an anderen Gesellschaften, insbesondere
an der X KG als persönlich haftende Gesellschafterin.
Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war
X.
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Das ihr aufgrund des Übergangs vom
Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren zustehende
Körperschaftsteuerguthaben ermittelte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) auf der Grundlage der
§§ 36, 37 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes
(KStG 1999) i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze
und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz -
StSenkG - ) vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428)
- KStG 1999 - mit 172.932 EUR.
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Die Klägerin wurde durch
Gesellschafterbeschluss vom 15.6.2005 mit Wirkung zum 1.7.2005
aufgelöst. X wurde zum Liquidator bestellt.
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Die Schlussverteilung des Vermögens
der Klägerin in Höhe von 1.138.491 EUR erfolgte am
24.8.2006. Der nämliche Betrag wurde an X ausgekehrt. Nach
Abschluss der Liquidation wurde die Klägerin im
Handelsregister gelöscht. Zwischenzeitlich ist X zum
Nachtragsliquidator bestellt worden.
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Die Klägerin reichte für den
Liquidationszeitraum Steuer- und Feststellungserklärungen zum
Stichtag 24.8.2006 ein, denen sie das bislang festgesetzte
Körperschaftsteuerguthaben von 172.932 EUR zugrunde gelegt
hatte.
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Das FA folgte den Erklärungen. Das
Guthaben konnte im Rahmen der Liquidationsbesteuerung
vollständig realisiert werden, weil das an X ausgekehrte
Vermögen bei Zugrundelegung des für die Bemessung der
Körperschaftsteuerminderung maßgeblichen gesetzlichen
Faktors von 1/6 hoch genug war (1/6 des ausgekehrten Vermögens
in Höhe von 1.138.491 EUR = 189.749 EUR). Die Realisierung des
Guthabens führte zu einer Körperschaftsteuererstattung in
Höhe von 171.217 EUR. Außerdem setzte das FA den
Solidaritätszuschlag auf 0 EUR fest.
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Nachdem das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) die teilweise Unvereinbarkeit des § 36 Abs. 3 und 4
KStG 1999 mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt (Beschluss vom
17.11.2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74) und der
Gesetzgeber im Jahressteuergesetz 2010 vom 8.12.2010 (BGBl I 2010,
1768, BStBl I 2010, 1394) eine Neuregelung zur Umgliederung der
Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) in § 36
Abs. 6a KStG 2002 und in § 37 Abs. 1 KStG 2002 vorgenommen
hatte, änderte das FA zahlreiche Bescheide zugunsten der
Klägerin und legte diesen nunmehr ein
Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 282.979 EUR
zugrunde. Allerdings ging das FA davon aus, dass das Guthaben
lediglich in Höhe von 1/6 des bei der Schlussverteilung
ausgekehrten Betrages zu einer Körperschaftsteuerminderung
bzw. -erstattung führen könne und im Übrigen
verfalle. Gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung
von Besteuerungsgrundlagen zum 24.8.2006 und den „Bescheid
für 2006 über Körperschaftsteuer und
Solidaritätszuschlag“, jeweils vom 15.8.2011, legte die
Klägerin Einspruch ein. Im Betreff des Einspruchsschreibens
wird der Feststellungsbescheid sowie der „Bescheid über
Körperschaftsteuer für 2006 vom 15.08.2011“
aufgeführt. In der Begründung wird die o.g. Entscheidung
des BVerfG angeführt und die Begrenzung der
Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 der Liquidationsauskehrung
gerügt, die zu einem vom Verfassungsgericht nicht gewollten
Verlust von Körperschaftsteuerguthaben führe. Einspruch
und Klage blieben erfolglos. Das Hessische Finanzgericht (FG)
teilte den vom FA eingenommenen Standpunkt. Soweit die Auszahlung
eines Solidaritätszuschlags begehrt wurde, wies es die Klage
als unzulässig ab, weil ein Vorverfahren i.S. des § 44
der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht durchgeführt worden sei
(Urteil vom 12.2.2014 4 K 1691/12).
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Mit ihrer Revision macht die Klägerin
im Wesentlichen geltend, dass die Verfassung es gebiete, das
gesamte, im Zeitpunkt der Systemumstellung vorhandene
Körperschaftsteuerguthaben zu berücksichtigen.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil der
Vorinstanz aufzuheben und den Bescheid für 2006 über
Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 15.8.2011
in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.7.2012 dahingehend
zu ändern, dass
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1. das zum 31.12.2004 gesondert
festgestellte Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von
282.979 EUR vollständig als
Körperschaftsteuerminderungsbetrag Berücksichtigung
findet und auszuzahlen ist,
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2. ein Anspruch auf Auszahlung des
Solidaritätszuschlags in Höhe von 5,5 % des
Auszahlungsanspruchs aus dem zum 31.12.2004 gesondert
festgestellten Körperschaftsteuerguthaben festgesetzt
wird.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Das FG hat die Klage, soweit sie sich gegen
die begehrte Auszahlung eines Solidaritätszuschlagguthabens
richtete, zu Recht mangels Durchführung des gemäß
§ 44 Abs. 1 FGO erforderlichen Vorverfahrens als
unzulässig abgewiesen.
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a) Sowohl außerprozessuale
Rechtsbehelfe, wie etwa der Einspruch, als auch prozessuale sind in
entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs auszulegen. Danach ist nicht an dem buchstäblichen
Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille zu
erforschen (Senatsurteil vom 28.11.2001 I R 93/00, BFH/NV 2002, 613
= SIS 02 62 03; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.8.2013 X
R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234 = SIS 14 04 25).
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b) Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise (zum Umfang der Nachprüfung vgl.
BFH-Urteil in BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234 = SIS 14 04 25)
davon ausgegangen, dass das Einspruchsschreiben vom 25.8.2011 und
der weitere Schriftverkehr nicht den Solidaritätszuschlag
betrafen. Bereits im Rubrum der Schriftsätze der fachkundig
vertretenen Klägerin wird allein der
Körperschaftsteuerbescheid 2006 angeführt, obgleich im
Streitfall ein Sammelbescheid über Körperschaftsteuer und
Solidaritätszuschlag ergangen war (vgl. Senatsurteil in BFH/NV
2002, 613 = SIS 02 62 03 zur Anfechtung von Sammelbescheiden). Da
der Solidaritätszuschlag im Sammelbescheid mit 0 EUR
festgesetzt worden war und sich auch die Einspruchsbegründung
nicht mit Fragen des Solidaritätszuschlags befasste, konnte
ein objektiver Empfänger die Erklärung nicht so
verstehen, dass, wie von der Revision geltend gemacht, auch eine
den Solidaritätszuschlag betreffende verfassungsrechtliche
Beschwer i.S. des Vorlagebeschlusses des Senats vom 10.8.2011 I R
39/10 (BFHE 234, 396, BStBl II 2012, 603 = SIS 11 37 52) geltend
gemacht werden sollte. Auch wenn nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung bei auslegungsfähigen
Rechtsbehelfen davon auszugehen ist, dass der Steuerpflichtige
denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der seinem
materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft
(BFH-Urteil in BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234 = SIS 14 04 25),
rechtfertigt dies im Streitfall keine andere Beurteilung. Denn der
Einspruch (nur) gegen die Körperschaftsteuerfestsetzung ist
geeignet, das aus der Einspruchsbegründung zu entnehmende
Begehren, den Verlust von Körperschaftsteuerguthaben wegen
einer Begrenzung der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 der
Liquidationsauskehrung zu vermeiden, sachlich durch die zur
Entscheidung über den Einspruch berufene
Verwaltungsbehörde und - ggf. später - durch das FG zu
überprüfen.
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2. Die Entscheidung des FG, keine
weitergehende Körperschaftsteuerminderung bzw. -erstattung zu
gewähren, ist einfach-rechtlich und verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden.
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a) Zwischen den Beteiligten besteht
einfach-rechtlich kein Streit darüber, dass die Frage der
Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens im Falle einer
Liquidation nach den Maßgaben des § 40 Abs. 4 KStG 2002
i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und
Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz -
StVergAbG - ) vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321)
zu beurteilen ist. Danach mindert sich, wenn das Vermögen
einer Körperschaft im Rahmen einer Liquidation verteilt wird,
die Körperschaftsteuer um den Betrag, der sich nach § 37
KStG 2002 ergeben würde, wenn das verteilte Vermögen als
im Zeitpunkt der Verteilung für eine Ausschüttung
verwendet gelten würde. Die Minderung der
Körperschaftsteuer - die, wie der Streitfall zeigt, ohne
Weiteres auch zu einer Körperschaftsteuererstattung
führen kann (Senatsurteil vom 29.8.2012 I R 65/11, BFHE 238,
382, BStBl II 2013, 555 = SIS 12 30 31; Brodersen/Littan, GmbHR
2003, 678) - ist für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in
dem die Liquidation endet.
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Die Regelung stellt damit die Verteilung des
Vermögens im Rahmen einer Liquidation einer Ausschüttung
gleich (Senatsurteil in BFHE 238, 382, BStBl II 2013, 555 = SIS 12 30 31 zum vergleichbaren Fall der Umwandlung der Körperschaft
in eine Personengesellschaft; Blümich/Danelsing, § 40
KStG Rz 15; Förster, DB 2003, 899; Antweiler in Ernst & Young,
KStG, § 40 Rz 128). Diese Ausschüttungsfiktion zwingt
dazu, die Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens vom
Vorhandensein ausreichenden Kapitals der Körperschaft
abhängig zu machen und im Falle einer insoweit
ungenügenden Vermögensausstattung das
„Rest-Guthaben“ nicht voraussetzungslos
auszuzahlen, sondern verfallen zu lassen (vgl. z.B.
Dötsch/Pung, DB 2003, 1922; Förster, a.a.O.; Krüger,
DB 2003, 2249; Ommerborn in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 40 KStG
Rz 56 f; Antweiler in Ernst & Young, a.a.O., § 40 Rz 135; a.A.
wohl Schwedhelm, BB 2003, 609). Denn es fehlt an der gesetzlichen
Grundlage für eine solche Auszahlung. Nach dem
Gesetzeswortlaut (Bezugnahme auf § 37 KStG 2002) ist die
Höhe der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 des Betrags
der ausschüttungsgleichen Vermögensverteilung
beschränkt und eine darüber hinausgehende Auszahlung des
Guthabens nicht vorgesehen. Die Entstehungsgeschichte der Regelung
bestätigt das gefundene Ergebnis. Der historische Gesetzgeber
hat bewusst ein ausschüttungsabhängiges System
(Gosch/Bauschatz, KStG, 3. Aufl., Vor §§ 36 bis 39 Rz 8;
Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, Steuersenkungsgesetz, Vor § 36
KStG Rz R 5 und R 34) und kein ausschüttungsunabhängiges
Auszahlungsmodell etablieren wollen, wie der später von ihm
vorgenommene Konzeptwechsel zeigt. Die
ausschüttungsunabhängige Realisierung des Guthabens durch
Auszahlung wurde erst durch das Gesetz über steuerliche
Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen
Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher
Vorschriften (SEStEG) vom 7.12.2006 (BGBl I 2006, 2782, BStBl I
2007, 4) eingeführt (vgl. § 37 Abs. 5 KStG 2002 i.d.F.
des SEStEG; dazu Gosch/Bauschatz, a.a.O., Vor §§ 26 bis
39 Rz 18).
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b) Dass ein Teilbetrag des
Körperschaftsteuerguthabens im Rahmen der Liquidation der
Klägerin nicht realisiert werden konnte und damit verfallen
ist, verletzt nicht deren Grundrecht auf Gleichbehandlung. Daher
ist weder eine verfassungskonforme Auslegung noch eine Vorlage des
Verfahrens an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG
geboten.
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aa) Muss der Gesetzgeber komplexe
Regelungssysteme umgestalten, steht ihm grundsätzlich ein
weiter Gestaltungsspielraum zu. Eine erhebliche Ungleichbehandlung,
die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom
Gesetzgeber angestrebten Regelungsziele auch unter Vermeidung der
ungleichen Behandlung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile
erreicht werden können, braucht von den Betroffenen jedoch
nicht hingenommen zu werden (BVerfG-Beschluss vom 30.9.2015 2 BvR
1066/10, HFR 2016, 72 = SIS 15 29 14, m.w.N.).
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bb) Gemessen an diesen Grundsätzen
verstößt der im Rahmen der Liquidationsbesteuerung
eingetretene Verlust eines Teils des
Körperschaftsteuerguthabens nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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aaa) Angesichts des weiten
Gestaltungsspielraumes, der dem Gesetzgeber bei der hochkomplexen
Umgestaltung des Körperschaftsteuersystems zukam, ist es nicht
zu beanstanden, dass er die Realisation des
Körperschaftsteuerguthabens ausschüttungsabhängig
ausgestaltet hat. Diese Entscheidung hat zwar im Hinblick auf den
hierdurch ausgelösten Zwang zur Ausschüttung, die
wiederum eine entsprechende Kapitalausstattung voraussetzt, und die
zeitliche Begrenzung für die Realisierung des Guthabens
(15-Jahresfrist gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 KStG 1999)
Kritik erfahren (z.B. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Vor
§ 36 KStG Rz R 34; Brodersen/Littan, GmbHR 2003, 678).
Allerdings ist zu bedenken, dass die zur Zeit des
Anrechnungsverfahrens entstandenen Anwartschaften - das im
belasteten vEK enthaltene
Körperschaftsteuerminderungspotenzial - ebenfalls nur nach
Maßgabe des ausschüttungsfähigen Kapitals zum
„Vollrecht“ auf Körperschaftsteuerminderung
erstarkt sind (vgl. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Vor
§ 36 KStG Rz R 25 sowie Rz R 34 zur Frage der rechtlichen
Einordnung des Körperschaftsteuerminderungspotenzials als
Anwartschaftsrecht; dazu auch Senatsurteil vom 8.11.2006 I R 69,
70/05, BFHE 215, 491, BStBl II 2007, 662 = SIS 07 04 31). Es ist
nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber verfassungsrechtlich
gehalten gewesen sein sollte, die durch Vornahme von
Ausschüttungen bedingte (Alt-)Anwartschaft auf
Körperschaftsteuerminderung mit Wirkung ab dem Systemwechsel
nunmehr als bedingungsloses
„Auszahlungs-Vollrecht“ auszugestalten. Auch das
BVerfG hat in seinem Beschluss in BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74
nicht zu erkennen gegeben, dass das
ausschüttungsabhängige Modell verfassungsrechtlichen
Bedenken unterliegen könnte. Diese Bewertung deckt sich mit
der Spruchpraxis des Senats (vgl. Senatsurteil in BFHE 215, 491,
BStBl II 2007, 662 = SIS 07 04 31). Ausgehend davon bestand
schließlich keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des
Gesetzgebers, das 2006 eingeführte System der
ausschüttungsunabhängigen Realisierung des Guthabens
(s.o. unter II.2.a der Gründe dieses Urteils) rückwirkend
in Kraft zu setzen.
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bbb) Die im Wege gesetzlicher Fiktion
vorgenommene Gleichstellung der Vermögensauskehrung im Rahmen
einer Liquidation mit einer offenen Gewinnausschüttung ist
sachlich gerechtfertigt, wenn nicht gar geboten. Denn eine
Rechtfertigung für den ersatzlosen Untergang des
Körperschaftsteuerguthabens im Fall der Liquidation ist nicht
ersichtlich. Umgekehrt spricht allerdings auch nichts dafür,
Vermögensauskehrungen im Fall der Liquidation im Hinblick auf
die Realisation des Körperschaftsteuerguthabens gegenüber
offenen Ausschüttungen zu privilegieren. Konnten diese
„mangels Masse“ nicht getätigt werden,
verfiel das Guthaben ebenfalls mit Ablauf des
Übergangszeitraumes (Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.,
Vor § 36 KStG Rz R 34). Etwaige Gestaltungsspielräume
(Ausschüttungspolitik einerseits, Bestimmung des Ob, des Wie
und der Dauer der Liquidation andererseits) zur Optimierung der
Realisationschancen konnten hier wie dort von den Steuerpflichtigen
genutzt werden.
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ccc) In der Frage der Realisierung des
Guthabens bei Körperschaften nach dem Differenzierungsmerkmal
der für offene Ausschüttungen oder
ausschüttungsgleiche Vorgänge benötigten
Kapitalausstattung zu unterscheiden, ist hiernach sachlich
einleuchtend (vgl. Senatsurteil vom
20.4.2011 I R 65/05, BFHE 234, 385, BStBl II 2011, 983 = SIS 11 37 54). Deshalb sind entgegen dem
Vorbringen der Klägerin Körperschaften mit und ohne
ausreichende Kapitalausstattung nicht i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG
gleich, sondern ungleich zu behandeln.
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ddd) Für die Auffassung der Klägerin
streitende Argumente können dem Beschluss des BVerfG in
BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74 nicht entnommen werden.
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Die Klägerin missdeutet diese
Entscheidung, wenn sie meint, das BVerfG habe klargestellt, dass
bei einer fiktiven Vollausschüttung zum Zeitpunkt des
Systemwechsels realisierbares
Körperschaftsteuerminderungspotential dem Steuerpflichtigen
nicht genommen werden dürfe, so dass Übergangsregelungen,
die zum Verlust von Guthaben im Einzelfall führten,
grundsätzlich gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstießen. Das
BVerfG hat sich nämlich nicht dazu geäußert, welche
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Realisierung eines zum
Zeitpunkt der Systemumstellung in zutreffender Höhe
festgestellten Körperschaftsteuerguthabens zu stellen sind.
Der Gedanke der „fiktiven Vollausschüttung“
bildete für das BVerfG lediglich den Maßstab für
die quantitative Bestimmung der „richtigen“
Höhe der zum Zeitpunkt der Systemumstellung bestehenden
Anwartschaft auf Körperschaftsteuerminderung. Dass das BVerfG
die Meinung vertreten haben könnte, dass aus
verfassungsrechtlichen Gründen die qualitativen Anforderungen
an die Realisierung des Guthabens abzusenken seien, indem das
„Anwartschaftsrecht“, also das unter der
Bedingung einer tatsächlich später erfolgenden
Ausschüttung stehende Recht auf
Körperschaftsteuerminderung, unmittelbar zum
„Vollrecht“, also dem von keiner Bedingung mehr
abhängigen Recht auf Körperschaftsteuerminderung,
aufzuwerten sei, ist fernliegend. Denn verfassungsrechtlich war der
Gesetzgeber, wie oben bereits ausgeführt, nicht verpflichtet,
bei der Gewährung der Körperschaftsteuerminderung im
Übergangsrecht großzügiger zu verfahren als im
alten Recht (Anrechnungsverfahren). Mit anderen Worten:
Verfassungsrechtlichen Schutz genießt diejenige
Rechtsposition, die der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt des
Systemwechsels einfach-rechtlich innehatte; im Streitfall war somit
ein bedingtes Recht geschützt. Der Gesetzgeber der
Übergangsregelungen konnte den Bedingungseintritt auch
weiterhin zur Voraussetzung für die Gewährung der
Körperschaftsteuerminderung machen. Vorher wie nachher war es
allein Sache des Steuerpflichtigen, die Voraussetzungen für
den Bedingungseintritt - ggf. durch entsprechende Gestaltung seiner
Verhältnisse - zu schaffen, und das Risiko, den
Bedingungseintritt nicht herbeiführen zu können, lag
allein bei ihm. Die abstrakt-generellen Rahmenbedingungen, die der
Gesetzgeber der Übergangsregelungen dem Steuerpflichtigen
vorgegeben hatte, um das Körperschaftsteuerguthaben
realisieren zu können (Übergangszeitraum von 15 bzw. auf
der Grundlage des Steuervergünstigungsabbaugesetzes von 18
Jahren; sofortige Vollrealisationsmöglichkeit im Fall der
Umwandlung der Körperschaft in eine Personengesellschaft
[§ 10 des Umwandlungssteuergesetzes i.d.F. des StVergAbG] oder
im Fall der Liquidation; Gestaltungsmöglichkeiten wie z.B. das
„Leg-ein-hol-zurück-Verfahren“ [vgl.
Antweiler in Ernst & Young, a.a.O, § 40 Rz 135 f.]), sind
verfassungsrechtlich in Anbetracht des weiten gesetzgeberischen
Ermessens nicht zu beanstanden. Zu großzügigeren
Regelungen (z.B. bedingungslose Auszahlung des Guthabens oder
ausschüttungsabhängige Realisierungsmöglichkeit ad
infinitum) war er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet. Im
Rahmen dieses gesetzlichen Umfelds konnte der Steuerpflichtige auch
auf Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung seiner
Realisierungschancen verwiesen werden. Darin liegt kein Widerspruch
zu der vom BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74 gemachten Aussage, wonach das Bestehen bestimmter
Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung eines
umgliederungsbedingten Verlusts von
Körperschaftsteuerminderungspotential denselben nicht
rechtfertigen könne (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74, unter B.I.5.c der Gründe). Denn diese Aussage hat
das BVerfG vor dem Hintergrund gemacht, dass die
Verlustherbeiführung als Folge
„überflüssiger“ Umgliederungstechnik
gemäß § 36 Abs. 3 und 4 KStG 1999 als solche
„unnötig“ - also durch keinen
vernünftigen Sachgrund gerechtfertigt - war. Im Streitfall
geht es dagegen um einen Verlust, der im Wesentlichen durch die
unzureichende Kapitalausstattung der Klägerin verursacht
wurde. Der Eintritt dieser Rechtsfolge ist aber in einem
zulässigerweise vom Gesetzgeber gewählten System einer
ausschüttungsabhängigen Realisierung des
Körperschaftsteuerguthabens sachlich nachvollziehbar.
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3. Im Hinblick auf die von der Klägerin
gerügte Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts bleibt der Senat
bei seiner Meinung, dass sich im vorliegenden Zusammenhang aus Art.
14 Abs. 1 GG keine weitergehenden Wirkungen als aus Art. 3 Abs. 1
GG ergeben (Senatsurteil in BFHE 234, 385, BStBl II 2011, 983 = SIS 11 37 54, m.w.N.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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