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I. Streitig ist, ob der
bestandskräftige Einkommensteuerbescheid noch geändert
werden kann, um in der elektronischen Steuererklärung (ELSTER)
nicht angegebene Unterhaltsleistungen nachträglich zu
berücksichtigen.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) lebte im Streitjahr (2006) zusammen mit seiner
Lebensgefährtin und dem gemeinsamen, im Januar 2006 geborenen
Kind. Der Kläger erstellte seit 1992 seine
Steuererklärungen selbst. Im Streitjahr verwendete er dazu,
wie schon im Vorjahr, das elektronische
Steuererklärungsprogramm der Finanzverwaltung
(ElsterFormular).
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erließ auf Grundlage dieser Erklärung
am 18.5.2007 einen Einkommensteuerbescheid, der
bestandskräftig wurde.
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Der Kläger beantragte mit Schriftsatz
vom 23.3.2008 die Änderung dieser Einkommensteuerfestsetzung
für 2006 mit dem Ziel, Unterhaltsleistungen an seine
Lebenspartnerin als außergewöhnliche Belastungen zu
berücksichtigen (§ 33a Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes). Er begründete dies zunächst
damit, dass er diese Aufwendungen aus Unerfahrenheit nicht
erklärt habe. Später trug er dazu vor, schlichtweg
vergessen zu haben, die Aufwendungen zu erklären. Der Fehler
sei ihm auch nach nochmaliger Durchsicht des Ausdrucks nicht
aufgefallen. Denn beim ELSTER-Verfahren enthalte der
abschließende Erklärungsausdruck nur die Felder, in
denen auch Eintragungen vorgenommen worden seien. Letztlich habe
die Unübersichtlichkeit des ElsterFormulars im Vergleich zur
Steuererklärung in Papierform und die fehlende Routine im
Umgang mit dem ElsterFormular die Entdeckung des Fehlers
verhindert, der allenfalls auf leichter Fahrlässigkeit
beruhe.
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Das FA lehnte es ab, den
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu ändern.
Denn den Kläger treffe ein grobes Verschulden am
nachträglichen Bekanntwerden der Unterhaltsleistungen. Im
ElsterFormular werde ebenso wie in der Anleitung zur
Steuererklärung und im Erklärungsvordruck auf den Abzug
von Unterhaltsleistungen hingewiesen und nach Angaben zur
unterhaltenen Person gefragt.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) aus den in EFG 2011, 1043
= SIS 11 14 55 veröffentlichten Gründen
abgewiesen.
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Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
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Er beantragt sinngemäß, das
Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 30.6.2010 sowie den
ablehnenden Bescheid vom 27.6.2008 i.d.F. der
Einspruchsentscheidung vom 13.5.2009 aufzuheben und das FA zu
verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom
18.5.2007 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf
7.130 EUR herabgesetzt wird.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der
hier streitige bestandskräftige Einkommensteuerbescheid wegen
eines den Kläger treffenden groben Verschuldens nicht nach
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern
ist.
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Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind
Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen
oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer
führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden
daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst
nachträglich bekannt werden. Als grobes Verschulden hat der
Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu
vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anzunehmen, wenn der
Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen
Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in
ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise
verletzt hat (BFH-Urteile vom 9.11.2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545
= SIS 12 06 57; vom 19.12.2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866 = SIS 07 61 42; vom 9.8.1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992,
65 = SIS 92 05 44; jeweils m.w.N.).
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a) Ob der Beteiligte im jeweiligen Einzelfall
grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage.
Die dazu getroffenen Feststellungen und daraus folgenden
Würdigungen des FG können - abgesehen von zulässigen
und begründeten Verfahrensrügen - von der
Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der
Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm
abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob
die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen
Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht
(BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545 = SIS 12 06 57, m.w.N.).
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b) Die Würdigung des FG, angesichts der
Ausgestaltung des ElsterFormulars für die
Einkommensteuererklärung 2006 und der Anleitung dazu treffe
den Kläger ein grobes Verschulden daran, dass die
Unterhaltsleistungen erst nachträglich bekannt wurden, ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Das FG hat im Fall des Klägers den
Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit zutreffend ausgelegt
und die daraus abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt.
Von einem groben Verschulden ist auszugehen, wenn der
Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend
nachkommt, indem er eine unvollständige Steuererklärung
abgibt. Es entspricht allerdings ständiger Rechtsprechung des
BFH, dass kein grobes Verschulden vorliegt, wenn die
unvollständige Steuererklärung auf einem subjektiv
entschuldbaren Rechtsirrtum beruht. Aber auch der Steuerpflichtige,
dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, muss im
Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen
beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte
Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen
und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und
Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig
sind (BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 545 = SIS 12 06 57, m.w.N.).
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bb) Das FG hat nach Maßgabe dieser
Grundsätze in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise
ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers angenommen. Es
hat das grobe Verschulden insbesondere darin gesehen, dass der
Kläger die mit „Unterhalt für bedürftige
Personen“ überschriebene Zeile 102 unbeantwortet
ließ und er nicht nur die in der Anleitung zur
Einkommensteuererklärung aufgeführten zwei auf ihn
zutreffenden Sachverhalte, sondern auch den dort angeführten
Hinweis nicht beachtete, dass eine Unterhaltspflicht gegenüber
der Mutter eines gemeinsamen Kindes bestehen kann. Dazu hat das FG
auch die Einlassung des Klägers, er habe eine elektronische
Steuererklärung abgegeben und deshalb deren schriftliche
Anleitung nicht zur Verfügung gehabt, in seine Würdigung
einbezogen und im Ergebnis als unbeachtlich beurteilt. Denn es hat
festgestellt, dass diese Angaben auch in dem vom Kläger
verwendeten elektronischen ElsterFormular der Finanzverwaltung
enthalten waren. Auch für diese Hinweise gilt - nicht anders
als für solche in Papierform -, dass es regelmäßig
grob fahrlässig ist, diese unbeachtet zu lassen, sofern sie
ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind. Davon
war im Streitfall nach den Feststellungen des FG für das
ElsterFormular 2006 auszugehen.
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Der hier zu entscheidende Streitfall
unterscheidet sich von dem heute durch den erkennenden Senat
ebenfalls entschiedenen Fall zum ElsterFormular des
Veranlagungszeitraums 2008 (Urteil vom 20.3.2013 VI R 9/12, zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt), indem aufscheinende
Hilfstexte die Sachverhalte nur unvollständig erläuterten
und den Steuerpflichtigen angesichts unübersichtlicher
Vordruckgestaltungen gerade nicht dazu veranlassten, zur
Verfügung gestellte weitere Anlagen zu verwenden. Das FG hat
dagegen für die im Streitfall erforderlichen Eingaben in die
Maske des Steuerformulars keine im Rahmen der Gesamtwürdigung
zu berücksichtigenden Besonderheiten in der
Programmführung des ElsterFormulars festgestellt. Insoweit
unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall auch von dem des
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.12.2010 5 K 2099/09, EFG 2011,
685 = SIS 11 07 40, Revisionsverfahren anhängig unter dem Az.
X R 8/11); dort hatten die Anwendungsmodalitäten des Programms
den Anwender veranlasst, in eine andere Eingabemaske zu wechseln,
ohne nach der Eingabe dort zur ursprünglichen Maske
zurückzukehren.
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Der Kläger kann sich schließlich
nicht darauf berufen, dass im Gegensatz zur
Einkommensteuererklärung in Papierform das ElsterFormular
keinen vollständigen Ausdruck der Steuererklärung
liefert, sondern letztlich nur die Werte und Kennziffern
aufführt, zu denen der Steuerpflichtige Eintragungen
vorgenommen hat. Denn dies mag zwar einen Nachteil der
elektronischen Steuererklärung darstellen, betrifft aber nicht
den Grund für die Annahme der groben Fahrlässigkeit,
nämlich die fehlende An- und Eingabe im ElsterFormular
selbst.
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